Insolvenzrecht

IX ZR 121/20

Aktenzeichen  IX ZR 121/20

Datum:
8.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:080721UIXZR121.20.0
Normen:
§ 24 Abs 1 InsO
§ 82 InsO
Spruchkörper:
9. Zivilsenat

Leitsatz

1. Eine Ermächtigung durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter zur Fortsetzung schuldbefreiender Zahlungen an einen Dritten, die auf einer vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Schuldner und einem Drittschuldner beruhen, kann darin zu erblicken sein, dass der Verwalter die Geschäftsbeziehung mit dem Drittschuldner fortsetzt, ohne Abstand von der vertraglichen Vereinbarung zu nehmen.
2. Die Zahlung an einen Dritten hat schuldbefreiende Wirkung, wenn die Masse dadurch von einer Masseverbindlichkeit entlastet wird, die anderenfalls der Verwalter in voller Höhe zu begleichen hätte.

Verfahrensgang

vorgehend OLG Koblenz, 9. Juni 2020, Az: 3 U 762/19, Urteilvorgehend LG Koblenz, 8. Mai 2019, Az: 8 O 396/16vorgehend LG Koblenz, 15. November 2017, Az: 8 O 396/16

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 9. Juni 2020 und das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 8. Mai 2019 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Versäumnisurteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 15. November 2017 in Höhe von mehr als 24.924,07 € aufrechterhalten worden ist und dabei Zinsen ab dem 7. Oktober 2016 auf einen Betrag von mehr als 24.924,07 € zugesprochen worden sind.
Das Versäumnisurteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 15. November 2017 wird aufrechterhalten, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger 24.924,07 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.417,72 € für die Zeit vom 13. Februar 2014 bis zum 17. Februar 2014, aus 21.463,85 € für die Zeit vom 18. Februar 2014 bis zum 21. Februar 2014, aus 40.354,67 € für die Zeit vom 22. Februar 2014 bis zum 25. Februar 2014, aus 24.301,88 € für die Zeit vom 26. Februar 2014 bis zum 27. Februar 2014, aus 50.101,01 € für die Zeit vom 28. Februar 2014 bis zum 11. März 2014, aus 44.571,46 € für die Zeit vom 12. März 2014 bis zum 21. März 2014, aus 26.220,88 € für die Zeit vom 22. März 2014 bis zum 6. Oktober 2016 sowie aus 24.924,07 € seit dem 7. Oktober 2016 zu zahlen.
Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die weitergehenden Rechtsmittel der Beklagten und die Anschlussrevision des Klägers werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben. Von den außergerichtlichen Kosten der Streithelferin trägt der Kläger 50 %.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 13. Dezember 2013 am 1. Februar 2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A.             GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Er verlangt von der Beklagten restliche Arbeitnehmerüberlassungsvergütung.
2
Die Schuldnerin war als Verleiherin auf dem Gebiet der Arbeitnehmerüberlassung tätig. Mit der Beklagten als Entleiherin verband sie ein im Februar/März 2013 geschlossener Arbeitnehmerüberlassungsvertrag, auf dessen Grundlage die Schuldnerin und die Beklagte in fortgesetzter Geschäftsbeziehung standen. Unter § 5 sah der Vertrag folgende Regelungen vor:
“(1) Die Arbeitnehmerüberlassungsvergütung wird mit Zugang der Rechnung fällig. Der Auftraggeber gerät in Verzug, wenn der Rechnungsbetrag nicht innerhalb von 30 Kalendertagen ab Zugang der Rechnung auf dem Geschäftskonto des Personaldienstleisters eingeht.
(2) Die Zahlung der Rechnungen erfolgt 30 Tage nach Eingangsdatum, abzgl. 30 % des Rechnungsnettobetrages, welche an die vom Personaldienstleister gewählte Krankenkasse überwiesen werden.”
5
Mit Beschluss vom 17. Dezember 2013 erlegte das Insolvenzgericht der Schuldnerin ein allgemeines Verfügungsverbot auf und bestellte den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Unter Vorlage dieses Beschlusses wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 19. Dezember 2013 an die Beklagte und teilte mit, dass der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin weitergeführt werde. Er bat, Zahlungen auf von ihm eingerichtete Konten vorzunehmen.
6
Für Arbeitnehmerüberlassungen in der Zeit vom 27. November 2013 bis zum 31. Januar 2014 stellte die Schuldnerin der Beklagten insgesamt 209.074,17 € in Rechnung. Die Beklagte überwies ab dem 17. Januar 2014 bis zum 21. März 2014 in mehreren Einzelbeträgen 156.366,99 € auf die vom Kläger eingerichteten Konten und 52.707,78 € an ihre Streithelferin, die von der Schuldnerin gewählte Einzugsstelle für Sozialversicherungsbeiträge. Der Kläger forderte die Streithelferin zur Auskehr der an sie gezahlten Beträge auf. Dem kam die Streithelferin in Höhe von 2.606,77 € nach. In Höhe des überschießenden Betrags von 50.101,01 € nimmt der Kläger die Beklagte auf Zahlung in Anspruch.
7
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß durch Versäumnisurteil verurteilt und dieses nach Einspruch aufrechterhalten. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht den zu zahlenden Betrag auf 26.220,88 € nebst Zinsen ermäßigt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchte die Beklagte die Abweisung auch der restlichen Klage erreichen. Der Kläger hat Anschlussrevision eingelegt und begehrt die vollständige Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidungen.

Entscheidungsgründe

8
Die Revision hat zum Teil Erfolg und führt insoweit zur Aufhebung des Versäumnisurteils sowie zur Abweisung der Klage. Die zulässige Anschlussrevision ist unbegründet.
I.
9
Das Berufungsgericht hat gemeint, der Kläger habe gegen die Beklagte aus der Arbeitnehmerüberlassung noch einen vertraglichen Vergütungsanspruch in Höhe von 26.220,88 €. Es ist davon ausgegangen, der Geschäftsführer der Beklagten habe erst am 17. Februar 2014 Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin erlangt. Den bis zu diesem Zeitpunkt erfolgten Zahlungen der Beklagten an die Streithelferin hat es Erfüllungswirkung beigemessen. Nach Kenntniserlangung habe die Beklagte nicht mehr schuldbefreiend an die Streithelferin zahlen können.
10
Den bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommenen Zahlungen komme Erfüllungswirkung zu, weil die Beklagte gemäß § 5 Abs. 2 des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags berechtigt gewesen sei, einen Anteil der Vergütung in Höhe von bis zu 30 vom Hundert zur Deckung der Sozialversicherungsbeiträge unmittelbar an die Sozialversicherungsträger zu leisten. Diese Regelung habe auch nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung Anwendung gefunden. Der Kläger sei als starker vorläufiger Verwalter in den Vertrag eingetreten und habe keine Änderung der getroffenen Vereinbarungen verlangt. Bedenken gegen die rechtliche Zulässigkeit der individualvertraglichen Vereinbarung von Direktzahlungen des Entleihers an den Sozialversicherungsträger bestünden nicht. Die Vereinbarung trage dem legitimen Interesse des Entleihers Rechnung, sich vor der Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme zu schützen, die § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV begründe. Die vertragliche Regelung sei als Erfüllungsübernahme einzuordnen. Einer konkreten Tilgungsbestimmung (gegenüber der Streithelferin) habe es deshalb nicht bedurft. Überdies wären die in den Überweisungen der Beklagten enthaltenen Angaben als Tilgungsbestimmung ausreichend gewesen. Ob die Streithelferin die Zahlungen gemäß der getroffenen Tilgungsbestimmung verrechnet habe, sei unerheblich.
11
Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin habe sich der aus der Erfüllungsübernahme folgende Befreiungsanspruch in einen Zahlungsanspruch der Masse umgewandelt. Gemäß § 82 Satz 1 InsO habe die Beklagte deshalb nur solange befreiend an die Schuldnerin leisten können, wie ihr die Verfahrenseröffnung unbekannt gewesen sei. Die Regelung des § 82 Satz 1 InsO finde auch auf Zahlungen an einen Dritten Anwendung, wenn der Dritte vom Schuldner vor der Verfahrenseröffnung zur Entgegennahme der Leistung ermächtigt oder der Drittschuldner sonst berechtigt gewesen sei, mit befreiender Wirkung an den Dritten zu leisten.
12
Von einer der Anwendung des § 82 Satz 1 InsO entgegenstehenden Ermächtigung der Beklagten durch den Kläger zur Fortsetzung der Direktzahlungen könne nicht ausgegangen werden. Die Inanspruchnahme der Beklagten durch den Kläger verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben.
II.
13
Die Revision der Beklagten betrifft die nach Kenntniserlangung von der Insolvenzeröffnung vorgenommenen Zahlungen, denen das Berufungsgericht im Gegensatz zu den davor geleisteten Zahlungen keine Erfüllungswirkung beigemessen hat. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat jedoch nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Streithelferin einen Betrag in Höhe von 2.606,77 € an die Masse erstattet hat, der anteilig auf die Zahlungen nach Kenntniserlangung von der Insolvenzeröffnung anzurechnen sind. Nur insoweit hat die Revision Erfolg.
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1. Die nach Kenntniserlangung von der Insolvenzeröffnung vorgenommenen Zahlungen der Beklagten an die Streithelferin haben die streitgegenständlichen Vergütungsansprüche aus den Arbeitnehmerüberlassungen nicht erfüllt. Nach Maßgabe von § 82 Satz 1 InsO ist die Beklagte weiterhin zur Zahlung verpflichtet, soweit nicht die von der Streithelferin an die Masse erstatteten 2.606,77 € anzurechnen sind.
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a) Die Erfüllung nach § 362 BGB tritt regelmäßig als objektive Folge der Leistungsbewirkung ein, ohne dass es weiterer Umstände, insbesondere einer dahingehenden Vereinbarung, bedarf. Die Erfüllung und damit die Befreiung des Drittschuldners von seiner Leistungspflicht treten aber nur ein, wenn an den Empfangszuständigen geleistet worden ist. Die Empfangszuständigkeit des Gläubigers fehlt, wenn ihm die Verfügungsmacht über die Forderung entzogen worden ist (BGH, Urteil vom 19. April 2018 – IX ZR 230/15, BGHZ 218, 261 Rn. 56 mwN).
16
Es muss nicht entschieden werden, ob in der Entgegennahme oder Annahme einer geschuldeten Leistung durch den Schuldner eine Verfügung im Sinne des § 81 InsO liegt (vgl. zum Streitstand BGH, Urteil vom 19. April 2018, aaO Rn. 58). § 82 InsO ist eine § 81 InsO verdrängende Sonderregelung für Leistungen an den nicht (mehr) empfangszuständigen Schuldner. Wollte man dies anders sehen, ginge der von § 82 InsO eröffnete Gutglaubensschutz ins Leere (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2018, aaO Rn. 59).
17
b) Der von § 82 InsO bezweckte Schutz des guten Glaubens in die fortbestehende Empfangszuständigkeit scheidet allerdings von vornherein aus, wenn die Leistungshandlung an anderen Mängeln leidet. Der Bundesgerichtshof hat deshalb eine Anwendbarkeit des § 82 InsO verneint, wenn schon die Rechtshandlung, welche die Empfangszuständigkeit begründet hat, unwirksam war (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2012 – IX ZR 210/11, NZI 2012, 807 Rn. 5 ff; vom 12. Juli 2012 – IX ZR 213/11, NZI 2012, 803 Rn. 14; Urteil vom 9. Oktober 2014 – IX ZR 41/14, NZI 2014, 1000 Rn. 30).
18
Im Streitfall leiden die Leistungshandlungen nicht an sonstigen Mängeln. Die Zahlungen der Beklagten an die Streithelferin hätten die Vergütungsansprüche aus den Arbeitnehmerüberlassungen in Höhe von 30 vom Hundert des Rechnungsnettobetrags erfüllt, wenn es nicht zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin gekommen wäre.
19
aa) In § 5 des den streitbefangenen Arbeitnehmerüberlassungen zugrundeliegenden Rahmenvertrags haben die Schuldnerin und die Beklagte vereinbart, dass die geschuldete Vergütung in Höhe von 30 vom Hundert des Rechnungsnettobetrags durch Zahlung der Beklagten an die von der Schuldnerin benannte “Krankenkasse” erfüllt werde oder werden könne. Bei der im Vertrag erwähnten Krankenkasse handelt es sich um die Streithelferin als Einzugsstelle für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge im Sinne der §§ 28h, 28i SGB IV. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts beruht die vertragliche Regelung auf dem Interesse der Beklagten als Entleiherin, das aus § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV folgende Risiko einer Ausfallhaftung für die originär von der Schuldnerin als Verleiherin geschuldeten Gesamtsozialversicherungsbeiträge herabzumindern (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2004 – IX ZR 200/03, BGHZ 161, 241, 254; BSG, Urteil vom 7. März 2007 – B 12 KR 11/06, DB 2007, 1870 ff).
20
bb) In der getroffenen Vereinbarung liegt entweder die vom Berufungsgericht angenommene Erfüllungsübernahme (vgl. § 329 BGB) oder eine Ermächtigung der Beklagten durch die Schuldnerin im Sinne von § 362 Abs. 2, § 185 Abs. 1 BGB. Sowohl die Vereinbarung einer Erfüllungsübernahme als auch die Ermächtigung zur Bewirkung eines Teils der geschuldeten Leistung an die Streithelferin wären wirksam. Eine andere Frage ist, ob sie insolvenzfest sind (vgl. Depré, jurisPR-InsR 16/2005 Anm. 5; Schüren/Hamann/Diepenbrock, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 5. Aufl., Einleitung Rn. 777). Darum geht es hier nicht. Die an dieser Stelle allein maßgebliche schuldrechtliche Wirksamkeit der getroffenen Vereinbarung wird weder von der Revision noch von der Anschlussrevision infrage gestellt.
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cc) Ohne die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin wäre eine Erfüllung der Vergütungsansprüche durch die Zahlungen der Beklagten an die Streithelferin auch nicht an einer nicht ausreichenden Tilgungsbestimmung gegenüber der Streithelferin gescheitert (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1962 – VI ZR 209/61, MDR 1962, 977; MünchKomm-BGB/Fetzer, 8. Aufl., § 366 Rn. 12).
22
(1) Das Berufungsgericht ist von einer Erfüllungsübernahme ausgegangen, die sich auf bestimmte Sozialversicherungsansprüche, nämlich die den jeweiligen Entleihzeitraum und den jeweiligen Arbeitnehmer betreffenden, bezog. Diese Ausdeutung der in § 5 Abs. 2 des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags getroffenen Vereinbarung durch das Berufungsgericht missachtet das Gebot der nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 – IX ZR 247/19, ZInsO 2020, 2485 Rn. 41 mwN) und bindet den Senat daher nicht. Da insoweit keine weiteren Feststellungen zu erwarten sind, kann der Senat die Auslegung selbst vornehmen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 – VII ZR 157/17, NJW 2018, 2469 Rn. 29). Richtigerweise schuldete die Beklagte nicht die Befreiung der Schuldnerin von bestimmten Sozialversicherungsansprüchen. Zur Erfüllung der streitgegenständlichen Vergütungsansprüche reichte es vielmehr aus, dass die Beklagte 30 vom Hundert des jeweiligen Rechnungsnettobetrags an die Streithelferin zahlte.
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Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Regelung unter § 5 Abs. 2 des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags im Interesse der Beklagten getroffen worden ist, um das Risiko einer Haftung nach § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV herabzumindern. Im Interesse der Schuldnerin kann die Regelung allein deshalb gelegen haben, weil sie eine Abkürzung des Zahlungswegs bewirkte. Dieses Interesse ist nachrangig gegenüber dem Interesse der Beklagten an der Herabsetzung ihres Haftungsrisikos. Wegen des (nur) vereinbarten, hinter den tatsächlichen Beitragsschulden zurückbleibenden Pauschalbetrags war die Schuldnerin gleichwohl gehalten, jede einzelne Arbeitnehmerüberlassung auch im Blick auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag nachzuhalten. Die Verwaltungsvereinfachung hielt sich deshalb in Grenzen. Es kommt hinzu, dass ihr Interesse durch die Begleichung einer jeden Beitragsschuld gewahrt werden konnte. Das gilt nicht für das Interesse der Beklagten. Deren Haftungsrisiko konnte nur durch die Begleichung der Beitragsschulden herabgemindert werden, für die ihre Haftung nach § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV in Betracht kam. Gleichwohl sollte § 5 Abs. 2 des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags insoweit nur ein Recht und keine Pflicht der Beklagten begründen. Sie konnte bestimmte Beitragsschulden begleichen, für die ihre Haftung in Betracht kam, musste dies aber nicht. Die Vereinbarung sollte den Rechtskreis der Beklagten erweitern, ohne den Interessen der Schuldnerin zuwiderzulaufen. Dem entspricht die hier vorgenommene Auslegung.
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(2) Es kann danach offenbleiben, ob die Überweisungen der Beklagten erkennen ließen, dass gerade auf die streitbefangenen Arbeitnehmerüberlassungen gezahlt werden sollte. Erst recht kommt es nicht darauf an, wie die Zahlungen auf Seiten der Streithelferin verrechnet worden sind.
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c) Einer Beurteilung der streitbefangenen Zahlungen der Beklagten am Maßstab des § 82 InsO steht schließlich nicht entgegen, dass diese nicht an die Schuldnerin selbst, sondern an die Streithelferin erfolgt sind. Es macht keinen Unterschied, ob an den Schuldner selbst geleistet wird oder mit seiner Zustimmung an einen Dritten (vgl. MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl., § 82 Rn. 3b; Uhlenbruck/Mock, InsO, 15. Aufl., § 82 Rn. 5; Graf-Schlicker/Webel, InsO, 5. Aufl., § 82 Rn. 2). Dabei ist unerheblich, ob die unter § 5 Abs. 2 des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags getroffene Abrede als Erfüllungsübernahme anzusehen ist oder lediglich als Ermächtigung der Beklagten, einen Teil der geschuldeten Vergütung mit befreiender Wirkung an die Streithelferin zu leisten. Für den Fall einer Ermächtigung nach § 362 Abs. 2, § 185 Abs. 1 BGB hat der Bundesgerichtshof eine Anwendung des § 82 InsO schon mehrfach erwogen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2012 – IX ZR 210/11, NZI 2012, 807 Rn. 7; Urteil vom 9. Oktober 2014 – IX ZR 41/14, NZI 2014, 1000 Rn. 31). Für die Erfüllungsübernahme kann nichts Anderes gelten, es sei denn, sie ist als echter Vertrag zugunsten Dritter ausgestaltet mit der Folge, dass der Dritte Inhaber des Forderungsrechts ist und nicht die Masse (vgl. MünchKomm-InsO/Peters, 4. Aufl., § 35 Rn. 441 ff; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2021, § 35 Rn. 83). Gemäß § 329 BGB ist allerdings im Zweifel davon auszugehen, dass die Erfüllungsübernahme kein eigenes Leistungsforderungsrecht des Dritten begründen soll und deshalb nicht als echter Vertrag zugunsten Dritter ausgestaltet ist. Umstände, die im Streitfall eine Abweichung von der gesetzlichen Auslegungsregel gebieten könnten, sind weder festgestellt noch sonst ersichtlich.
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d) In Anwendung des Maßstabs des § 82 InsO ist die Beklagte durch die Zahlungen an die Streithelferin nach Kenntnisnahme ihres Geschäftsführers von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin von ihrer Leistungspflicht gegenüber der Masse nur in der Höhe (nachträglich) frei geworden, in der die von der Streithelferin erstatteten 2.606,77 € anzurechnen sind.
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aa) Ohne Bedeutung ist auch hier, ob die unter § 5 Abs. 2 des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags getroffene Abrede als Erfüllungsübernahme anzusehen ist oder lediglich als Ermächtigung der Beklagten, einen Teil der geschuldeten Vergütung mit befreiender Wirkung an die Streithelferin zu leisten. Aufgrund des mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 17. Dezember 2013 auferlegten Verfügungsverbots fehlte der Schuldnerin die Empfangszuständigkeit schon im Eröffnungsverfahren. Diese Lage dauerte im eröffneten Verfahren fort (§ 80 Abs. 1 InsO). Mit Übergang der Verfügungsbefugnis auf den Kläger als (vorläufigen starken) Insolvenzverwalter wurde eine Ermächtigung der Beklagten im Sinne von § 362 Abs. 2, § 185 Abs. 1 BGB insolvenzrechtlich unwirksam (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2012, aaO Rn. 7; Urteil vom 9. Oktober 2014, aaO Rn. 31; vgl. auch MünchKomm-BGB/Bayreuther, 8. Aufl., § 185 Rn. 22 und § 183 Rn. 7).
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War die Regelung nach § 5 Abs. 2 des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags als Erfüllungsübernahme anzusehen, hatte die Schuldnerin bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen lediglich einen Anspruch gegen die Beklagte auf Freistellung im Umfang der übernommenen Gesamtsozialversicherungsverbindlichkeiten (vgl. MünchKomm-BGB/Gottwald, 8. Aufl., § 329 Rn. 17 ff; BeckOGK-BGB/Mäsch, 2021, § 329 Rn. 11). Der Befreiungsanspruch gehörte zur Masse, obwohl er nur an die Streithelferin abgetreten werden konnte (§ 399 Fall 1 BGB) und deshalb gemäß § 851 Abs. 1 ZPO unpfändbar war. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin wandelte sich der Befreiungsanspruch in einen in die Masse fallenden Zahlungsanspruch in Höhe der zu tilgenden Schuld um. Dies ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs daraus, dass die aus der Unabtretbarkeit folgende Unpfändbarkeit des Befreiungsanspruchs nicht dem Schutz des Insolvenzschuldners dient. Der Anspruch hat auch nicht zum Ziel, dem Drittgläubiger eine konkursfeste haftungsrechtliche Zuweisung zu verschaffen. Deshalb muss der Vermögenswert dieses Anspruchs im Falle der Insolvenz desjenigen, dem der Befreiungsanspruch zusteht, der Gläubigergesamtheit zur Verfügung stehen. Ein infolge der Wirkung des § 851 Abs. 1 ZPO nicht allgemein, sondern nur im Rahmen seiner Zweckbestimmung pfändbarer Anspruch bleibt daher nur dann massefrei, wenn die Unpfändbarkeit gerade dem Schutz des Insolvenzschuldners dient (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 1971 – VIII ZR 38/70, BGHZ 57, 78, 81; vom 16. September 1993 – IX ZR 255/92, ZIP 1993, 1656, 1657 f; vom 7. Juni 2001 – IX ZR 195/00, NZI 2001, 539, 540).
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bb) Den Zahlungen der Beklagten an die Streithelferin kommt nicht aufgrund einer Einwilligung oder Genehmigung des Klägers befreiende Wirkung zu.
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(1) Es ist anerkannt, dass der Insolvenzverwalter die Erfüllungswirkung einer nach § 82 InsO unwirksamen Leistung des Drittschuldners an den Schuldner oder einen Dritten nachträglich herbeiführen kann, indem er die Leistung nach § 362 Abs. 2, § 185 Abs. 2 BGB genehmigt (Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2021, § 82 Rn. 5 f; Graf-Schlicker/Webel, InsO, 5. Aufl., § 82 Rn. 4; MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl., § 82 Rn. 6; Uhlenbruck/Mock, InsO, 15. Aufl., § 82 Rn. 28). Auch eine Leistung nach vorhergehender Einwilligung des Insolvenzverwalters nach § 185 Abs. 1 BGB befreit den Drittschuldner von seiner Leistungspflicht. Nach allgemeinen Grundsätzen müssen Einwilligung und Genehmigung nicht ausdrücklich erteilt werden. Die Erfüllungswirkung kann auch durch konkludente Erklärungen des Insolvenzverwalters herbeigeführt werden (MünchKomm-InsO/Vuia, aaO). Zweifel gehen zulasten des Drittschuldners, der die Darlegungs- und Beweislast für die Erfüllung und deshalb auch für Einwilligung und Genehmigung trägt.
31
An die konkludente Erklärung einer Einwilligung oder Genehmigung durch den Insolvenzverwalter sind im Grundsatz hohe Anforderungen zu stellen. Nach § 148 Abs. 1 InsO hat der Insolvenzverwalter das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen sofort in Besitz und Verwaltung zu nehmen, um es zur Erreichung eines der § 1 InsO zu entnehmenden Verfahrensziele zu nutzen. Vor diesem Hintergrund kann nicht ohne weiteres angenommen werden, der Verwalter wolle sich bestimmter Massegegenstände entäußern. Im Falle einer nach § 82 InsO unwirksamen Leistung kann nicht allein deshalb von einer Genehmigung ausgegangen werden, weil sich der Verwalter an den Leistungsempfänger wendet und Herausgabe des Leistungsgegenstands verlangt (vgl. MünchKomm-InsO/Vuia, aaO; Uhlenbruck/Mock, aaO; Schmidt/Sternal, InsO, 19. Aufl., § 82 Rn. 11).
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(2) Im Streitfall ist nicht von einer Genehmigung auszugehen. Für die hier fraglichen Zahlungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin liegt auch keine Einwilligung vor.
33
(a) Der Kläger hat die Zahlungen der Beklagten an die Streithelferin nicht mit Wirkung ex tunc genehmigt. Eine Genehmigung folgt insbesondere nicht daraus, dass der Kläger die Streithelferin unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung zur Auskehr der streitgegenständlichen Beträge aufgefordert hat.
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(b) Auch eine Einwilligung, welche die Zahlungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfasst, liegt nicht vor. Der Kläger hat keine Erklärung abgegeben, die aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers für die Zeit nach Verfahrenseröffnung auf eine Einwilligung in die Fortführung der Zahlungen der Beklagten an die Streithelferin schließen ließe. Eine Einwilligung liegt nur für die während der Zeit des Eröffnungsverfahrens geleisteten Zahlungen vor.
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(aa) Als starker vorläufiger Verwalter hatte der Kläger im Grundsatz das schuldnerische Unternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO). Auf den Fortbestand der von der Schuldnerin geschlossenen Verträge hatte die vorläufige Verwaltung keinen Einfluss (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2007 – IX ZR 53/04, NZI 2008, 36 Rn. 10). Vom Fortbestand umfasst war allerdings nicht die aus § 5 Abs. 2 des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags folgende Erfüllungsübernahme oder Ermächtigung zur befreienden Leistung an die Streithelferin. Erfüllungsübernahme oder Ermächtigung gerieten mit dem Übergang der Verfügungsbefugnis auf den Kläger ebenso in Wegfall wie die Empfangszuständigkeit der Schuldnerin an sich.
36
(bb) Aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers hat allerdings der Kläger die Befugnis der Beklagten zur befreienden Leistung an die Streithelferin neu begründet. Dies ergibt die Auslegung des Schreibens des Klägers vom 19. Dezember 2013, die der Senat selbst vornehmen kann, weil insoweit keine weiteren Feststellungen zu erwarten sind. Mit dem Schreiben hat sich der Kläger in seiner Eigenschaft als starker vorläufiger Verwalter an die Beklagte gewandt und mitgeteilt, dass die (Leih-)Arbeitnehmerschaft dank einer Vorfinanzierung der Löhne weiterhin zur Verfügung stehe und der Geschäftsbetrieb unter seiner Aufsicht fortgeführt werde. Damit hat er der Beklagten eine Fortsetzung der bestehenden Geschäftsbeziehung angeboten, ohne Abstand von der Grundlage der bisherigen Zusammenarbeit – dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag – zu nehmen. Aus Sicht der Beklagten war das Angebot demnach im Sinne einer Fortsetzung der Geschäftsbeziehung zu den bisherigen Bedingungen zu verstehen. Dies beinhaltete die in § 5 Abs. 2 des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags enthaltene Berechtigung zur schuldbefreienden Leistung an die Streithelferin. Dieser Auslegung des Schreibens vom 19. Dezember 2013 steht nicht entgegen, dass der Kläger die Beklagte zugleich zur Zahlung auf von ihm eingerichtete Konten aufgefordert hat. Die Beklagte durfte die Aufforderung des Klägers auf den nach § 5 Abs. 2 des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags direkt an die Schuldnerin und nunmehr an den Kläger abzuführenden Forderungsteil beziehen.
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(cc) Aus der Sicht der Beklagten war indes auch erkennbar, dass der Kläger Erklärungen nur im Rahmen der ihm zustehenden Verfügungsbefugnis als starker vorläufiger Verwalter abgeben wollte. Diese Verfügungsbefugnis erlosch mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2007 – IX ZB 271/04, ZInsO 2007, 267 Rn. 9; vom 17. Januar 2008 – IX ZB 20/07, ZInsO 2008, 203 Rn. 3; vom 17. Januar 2008 – IX ZB 41/07, ZInsO 2008, 268 Rn. 3; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 15. Aufl., § 21 Rn. 51; Prager/Thiemann, NZI 2001, 634, 635 f). Die dem Schreiben vom 19. Dezember 2013 zu entnehmende Einwilligung in die Fortführung der schuldbefreienden Zahlungen an die Streithelferin war demnach auf die Zeit des Eröffnungsverfahrens beschränkt.
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(c) Eine Fortwirkung der Einwilligung in das eröffnete Verfahren hinein ergibt sich nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB).
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Der Senat hat erwogen, letztlich aber offengelassen, ob unter ganz besonderen Umständen der Verwalter an Erklärungen des vorläufigen Verwalters, nach Eröffnung einen Vertrag erfüllen oder nicht erfüllen zu wollen, gebunden sein kann (BGH, Urteil vom 14. September 2017 – IX ZR 261/15, BGHZ 216, 10 Rn. 21). Darum geht es hier nicht. Der Kläger hat als starker vorläufiger Verwalter keine Erklärung für das eröffnete Verfahren abgegeben. Seine Erklärung war vielmehr auf die Zeit des Eröffnungsverfahrens beschränkt. Das war für die Beklagte erkennbar. Weitergehende Erklärungen hat der Kläger nicht abgegeben. Auf die erkennbaren Gegebenheiten hätte sich die Beklagte einstellen und nötigenfalls von einer Fortsetzung der Arbeitnehmerüberlassung absehen können. Im Übrigen hätte die Beklagte eine jede Zahlung schuldbefreiend an die Streithelferin vornehmen können. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erlangte sie erst am 17. Februar 2014 Kenntnis von der Insolvenzeröffnung und konnte bis zu diesem Zeitpunkt den Gutglaubensschutz des § 82 InsO für sich in Anspruch nehmen. Die letzten der streitbefangenen Rechnungen über die im Eröffnungsverfahren fortgesetzten Arbeitnehmerüberlassungen datieren vom 31. Januar 2014.
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cc) Den nach Kenntniserlangung von der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Schuldnerin erfolgten Zahlungen der Beklagten käme auch nicht befreiende Wirkung zu, wenn durch die Zahlungen vom Kläger in seiner Funktion als starker vorläufiger Verwalter begründete Beitragsschulden gegenüber der Streithelferin getilgt worden wären. Anzurechnen sind jedoch im Ausgangspunkt die von der Streithelferin an die Masse erstatteten Gelder.
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(1) Der Verwalter kann den Drittschuldner nicht nach Maßgabe von § 82 InsO auf (erneute) Zahlung in Anspruch nehmen, wenn das an den Schuldner oder einen Dritten Geleistete der Masse doch noch zufließt – etwa deshalb, weil Schuldner oder Dritter die Leistung an den Verwalter herausgeben. Maßgeblich ist eine wirtschaftliche Betrachtung (vgl. Jaeger/Windel, InsO, § 82 Rn. 39). Der Leistungsgegenstand muss deshalb nicht in Natur zur Masse gelangen. Es reicht aus, wenn die Masse wirtschaftlich so gestellt wird, wie sie im Fall ordnungsgemäßer Erfüllung der Verbindlichkeit gestanden hätte.
42
Das ist allerdings nicht schon dann der Fall, wenn die Masse einen Herausgabeanspruch gegen den Empfänger der Leistung hat. Sonst könnte der Drittschuldner den Verwalter stets auf einen etwa vorhandenen Herausgabeanspruch verweisen (vgl. MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl., § 82 Rn. 10 mwN). Ausreichend ist es hingegen, wenn die Masse durch die Leistung des Drittschuldners von einer Masseverbindlichkeit entlastet wird, die anderenfalls der Verwalter in voller Höhe beglichen hätte. Dies hat der Bundesgerichtshof zu § 8 Abs. 1 KO entschieden (BGH, Urteil vom 12. März 1986 – VIII ZR 64/85, ZIP 1986, 583, 586). Daran ist festzuhalten, obwohl § 82 InsO im Gegensatz zu § 8 Abs. 1 KO nicht ausdrücklich auf einen Zufluss zur Masse abstellt (vgl. Schmidt/Sternal, InsO, 19. Aufl., § 82 Rn. 7; Uhlenbruck/Mock, InsO, 15. Aufl., § 82 Rn. 23). § 82 InsO hat die Regelungen des § 8 KO redaktionell verkürzt, jedoch inhaltlich unverändert übernommen (BT-Drucks. 12/2443, S. 136).
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(2) Bei den vom Kläger begründeten Beitragsschulden handelte es sich jedoch nicht um Masseverbindlichkeiten. Nach § 55 Abs. 2 InsO gelten zwar Verbindlichkeiten, die von einem starken vorläufigen Verwalter begründet worden sind, nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten. Nach § 55 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 InsO gilt dies allerdings nicht für die in § 175 Abs. 1 Satz 1 SGB III genannten Gesamtsozialversicherungsbeiträge, soweit diese gegenüber dem Schuldner bestehen bleiben.
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Das Berufungsgericht ist von der Revision unbeanstandet davon ausgegangen, dass es sich vorliegend um derartige Beitragsschulden handelte. Durch die hier interessierenden Zahlungen der Beklagten an die Streithelferin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens können die Beitragsschulden nur getilgt worden sein, wenn sie im Zeitpunkt der Eröffnung gegenüber der Schuldnerin fortbestanden. Dies bewirkte die von § 55 Abs. 3 Satz 2 InsO vorgesehene “Herabstufung” zu Insolvenzforderungen.
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(3) Anteilig anzurechnen sind jedoch die von der Streithelferin erstatteten 2.606,77 €. Dies hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft unterlassen. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 50.101,01 € nebst Zinsen zu verurteilen. Das entspricht der Summe der von der Beklagten insgesamt vorgenommenen Zahlungen an die Streithelferin (52.707,78 €) abzüglich der von der Streithelferin erstatteten 2.606,77 €. Seinen Antrag hat der Kläger dahingehend erläutert, dass die Vergütungsansprüche in Höhe der an die Streithelferin insgesamt vorgenommenen Zahlungen weiterhin zur Zahlung fällig seien und lediglich insoweit nicht mehr geltend gemacht würden, als die Streithelferin Erstattungen vorgenommen habe. Damit hat der Kläger eine anteilige Verrechnung der erstatteten 2.606,77 € auf die streitgegenständlichen Vergütungsansprüche vorgenommen. Da jeder Vergütungsanspruch nicht nur einen unselbständigen Rechnungsposten, sondern einen eigenständigen Streitgegenstand darstellt, durfte das Berufungsgericht mit seiner Verurteilung nicht über den einzelnen Vergütungsanspruch abzüglich der anteiligen Erstattung hinausgehen.
46
2. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Beklagte den restlichen Vergütungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzugs zu verzinsen hat. Weder liegt ein Rechtsirrtum vor, der das gemäß § 286 Abs. 4 BGB vermutete Verschulden ausschlösse, noch hat der Kläger die Geltendmachung der restlichen Ansprüche treuwidrig verzögert.
III.
47
Die zulässige Anschlussrevision ist unbegründet. Im Ergebnis mit Recht hat das Berufungsgericht den von der Beklagten an die Streithelferin vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleisteten Zahlungen Erfüllungswirkung beigemessen. Auch die Beurteilung der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber vor Kenntniserlangung von der Verfahrenseröffnung geleisteten Zahlung hält rechtlicher Prüfung stand.
48
1. Das Berufungsgericht hat mit Recht erkannt, dass die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens an die Streithelferin geleisteten Zahlungen die aus der Arbeitnehmerüberlassung erwachsenen Forderungen erfüllt haben.
49
Mit Recht weist die Anschlussrevision allerdings darauf hin, dass das Berufungsgericht nicht in seine Erwägungen eingestellt hat, dass § 82 InsO im Eröffnungsverfahren entsprechende Anwendung findet, wenn eine Verfügungsbeschränkung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO angeordnet wurde (§ 24 Abs. 1 InsO). Auf Seiten der Beklagten hatte man aufgrund des mit Schreiben des Klägers vom 19. Dezember 2013 übersandten Beschlusses des Insolvenzgerichts auch Kenntnis von den getroffenen vorläufigen Maßnahmen, insbesondere von dem allgemeinen Verfügungsverbot. Den vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleisteten Zahlungen kommt gleichwohl Erfüllungswirkung zu, weil in dem Schreiben des Klägers vom 19. Dezember 2013 eine konkludente Einwilligung zur Fortführungen der Zahlungen der Beklagten an die Streithelferin für die Dauer des Eröffnungsverfahrens liegt (vgl. dazu oben Rn. 34 ff). Einer besonderen Tilgungsbestimmung gegenüber der Streithelferin bedurfte es zur Herbeiführung der Erfüllungswirkung im Verhältnis zur Schuldnerin nicht (vgl. dazu oben Rn. 21 ff).
50
2. Auch im Blick auf die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber vor Erlangung der Kenntnis von der Verfahrenseröffnung geleistete Zahlung hält das Berufungsurteil rechtlicher Prüfung stand. Unter Berücksichtigung der Ausführungen oben unter II. 1. greift hier der Gutglaubensschutz des § 82 InsO (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2012 – IX ZR 210/11, NZI 2012, 807 Rn. 6; Urteil vom 9. Oktober 2014 – IX ZR 41/14 NZI 2014, 1000 Rn. 30).
IV.
51
Soweit das angefochtene Urteil den Angriffen der Revision nicht standhält, ist es aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).
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