Aktenzeichen IX ZB 211/09
Leitsatz
1. Die Restschuldbefreiung kann nicht versagt werden, wenn der Schuldner die Aufnahme einer Tätigkeit nachträglich mitteilt und den dem Treuhänder vorenthaltenen Betrag bezahlt, bevor sein Verhalten aufgedeckt und ein Versagungsantrag gestellt worden ist .
2. Die Restschuldbefreiung kann nicht versagt werden, solange der Schuldner nach freiwilliger Offenbarung eines Obliegenheitsverstoßes aufgrund einer Vereinbarung mit dem Treuhänder Teilzahlungen erbringt, die zu einem vollständigen Ausgleich des vorenthaltenen Betrages führen können .
Verfahrensgang
vorgehend LG Stuttgart, 27. August 2009, Az: 19 T 214/09, Beschlussvorgehend AG Stuttgart, 29. April 2009, Az: 5 IK 1095/06, Beschluss
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners werden der Beschluss der 19. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 27. August 2009 und der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 29. April 2009 aufgehoben.
Der Antrag der Gläubigerin auf Versagung der Restschuldbefreiung wird abgelehnt.
Die Gläubigerin trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
1
In dem am 19. Januar 2007 eröffneten Insolvenzverfahren kündigte das Insolvenzgericht dem Schuldner am 29. Mai 2007 Restschuldbefreiung an und hob das Verfahren am 12. Juni 2007 auf. Der 1939 geborene Schuldner erhält Altersbezüge, von denen als pfändbarer Betrag monatlich 547,05 € an die Treuhänderin abgeführt wurden. Während der Wohlverhaltensphase nahm er im November 2007 eine Aushilfstätigkeit an, die mit monatlich 400 € vergütet wurde. Die Aufnahme dieser Tätigkeit, die er mit krankheitsbedingten Unterbrechungen insgesamt 10 Monate ausübte, zeigte er der Treuhänderin zunächst nicht an. Im November 2008 teilte der Schuldner der Treuhänderin die Aufnahme der Tätigkeit telefonisch mit. Diese ermittelte daraufhin einen monatlich pfändbaren Betrag von 100 € und schloss mit dem Schuldner eine Ratenzahlungsvereinbarung, nach der er zehnmal monatlich 100 €, beginnend ab Januar 2009, an sie abführen sollte. Hieran hielt sich der Schuldner bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts.
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Informiert durch die Treuhänderin, dass ein Versagungsgrund vorliege, hat die weitere Beteiligte zu 1 am 5. Februar 2009 Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung gestellt. Das Insolvenzgericht hat diesem Antrag stattgegeben. Die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 27. August 2009 zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde beantragt der Schuldner weiter Abweisung des Versagungsantrags.
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist nach § 296 Abs. 3 Satz 1, §§ 6, 7 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Sie führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen. Ein Versagungsanspruch der Beteiligten zu 1 besteht damit nicht.
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1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung sei begründet, weil der Schuldner die Aufnahme der Aushilfstätigkeit, die zu einer Erhöhung seiner pfändbaren Bezüge um monatlich 100 € geführt habe, nicht unverzüglich gemeldet habe. Zwar könne ein Verstoß des Schuldners gegen seine Obliegenheiten in der Wohlverhaltensphase geheilt werden, wenn er den der Masse vorenthaltenen Betrag vollständig ausgleiche, bevor ein Gläubiger einen Versagungsantrag gestellt habe. Aufgrund des infolge der Ratenzahlungsvereinbarung fehlenden vollständigen Ausgleichs des Zahlungsrückstandes komme eine Heilung hier aber nicht in Betracht. Soweit der Schuldner in der fraglichen Zeit wegen einer Krebserkrankung, der Organisation seines Umzugs und weiterer gesundheitlicher und wirtschaftlicher Probleme beeinträchtigt gewesen sei, könne ihn das nicht entlasten. Immerhin sei er in der Lage gewesen, sich um eine Aushilfstätigkeit zu kümmern.
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2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht in vollem Umfang stand. Das Beschwerdegericht ist zu Unrecht von einer Obliegenheitsverletzung des Schuldners und der darauf beruhenden Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten der Gläubiger nach § 295 Abs. 1 Nr. 3, § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO (vgl. BGH, Beschl. v. 5. April 2006 – IX ZB 50/05, NZI 2006, 413; v. 8. Februar 2007 – IX ZB 88/06, ZInsO 2007, 322, 323 Rn. 5; v. 12. Juni 2008 – IX ZB 91/06, VuR 2008, 434; v. 24. September 2009 – IX ZB 288/08, ZInsO 2009, 2069 Rn. 5) ausgegangen.
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a) Das Beschwerdegericht ist noch zutreffend von einer Verletzung des § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO wegen nicht unverzüglicher Mitteilung der Aufnahme einer Nebenbeschäftigung ausgegangen. Es hat sich aber nicht hinreichend mit einer möglichen Heilung dieser Obliegenheitsverletzung durch nachträgliche Anzeige und Nachzahlung des dem Treuhänder vorenthaltenen Betrags auseinandergesetzt. Zwar hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Heilung einer Obliegenheitsverletzung in der Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens durch Zahlung des dem Treuhänder vorenthaltenen pfändbaren Einkommens ausgeschlossen ist, wenn ein Gläubiger bereits beantragt hat, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen (BGH, Beschl. v. 17. Juli 2008 – IX ZB 183/07, NZI 2008, 623, 624 Rn. 13; v. 22. Oktober 2009 – IX ZB 9/09 Rn. 8). Hieraus folgt aber – entgegen einer in Rechtsprechung und Schrifttum verbreiteten Auffassung (AG Göttingen NZI 2009, 66; HmbKomm-InsO/Streck, 3. Aufl. § 296 Rn. 11; Wenzel, in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 296 Rn. 5; Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl. § 296 Rn. 20; für ein eingeschränktes Nachzahlungsrecht dagegen FK-InsO/Ahrens, 5. Aufl. § 296 Rn. 14 f; HK-InsO/Landfermann, 5. Aufl. § 296 Rn. 3; Henning in Wimmer/Dauernheim/Wagner/Weidekind, Handbuch des Fachanwalts für Insolvenzrecht, 3. Aufl. 15. Kap. Rn. 116; Heyer, Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren, S. 144) – nicht, dass eine Heilung der Obliegenheitsverletzung auch dann ausscheidet, wenn der Schuldner die Anzeige nachholt und den fehlenden Betrag einzahlt, bevor sein Verhalten aufgedeckt und ein Versagungsantrag gestellt ist. In diesem Fall liegt eine Obliegenheitsverletzung vor, die letztlich die Gläubigerinteressen nicht beeinträchtigt. Die Versagung der Restschuldbefreiung wäre deshalb unverhältnismäßig. Die Situation ist derjenigen im eröffneten Verfahren vergleichbar, in dem der Schuldner einen Verstoß gegen § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO dadurch kompensiert, dass er von sich aus seine Mitwirkungspflichten erfüllt, bevor ein Versagungsantrag gestellt worden ist. Hierzu hat der Senat entschieden, dass im Regelinsolvenzverfahren eine Versagung der Restschuldbefreiung regelmäßig nicht in Betracht kommt, wenn der Schuldner unrichtige Angaben korrigiert, bevor der betroffene Gläubiger dies beanstandet (BGH, Beschl. v. 17. September 2009 – IX ZB 284/08, ZInsO 2009, 1954; vgl. aber auch Beschl. v. 14. Mai 2009 – IX ZB 116/08, NZI 2009, 481, 482 Rn. 15).
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b) Eine entsprechende Heilungsmöglichkeit muss auch dann angenommen werden, wenn der Schuldner nach freiwilliger Aufdeckung eines Obliegenheitsverstoßes aufgrund einer Vereinbarung mit dem Treuhänder Teilzahlungen auf die Rückstände erbringt, die innerhalb eines nicht nur angemessenen, sondern auch überschaubaren Zeitraums zu einem vollständigen Ausgleich des dem Treuhänder vorenthaltenen Betrages führen. Solange sich der Schuldner an diese Vereinbarung hält, darf ihm nicht deswegen, weil ein Gläubiger einen Versagungsantrag stellt, bevor der vereinbarte Ratenzahlungszeitraum abgelaufen ist, die Restschuldbefreiung versagt werden. Er verdient aufgrund der Vereinbarung mit dem Treuhänder Vertrauensschutz. Würde man eine Heilung der Obliegenheitsverletzung davon abhängig machen, dass der Schuldner den aufgelaufenen Rückstand sofort nach der “Selbstanzeige” ausgleicht, hätten Schuldner, die nicht zum sofortigen Ausgleich, wohl aber zu Ratenzahlungen, in der Lage sind, keinen Anreiz, die Obliegenheitsverletzung von sich aus aufzudecken und deren Folgen zu beseitigen. Denn sie müssten damit rechnen, dass – wie im vorliegenden Fall geschehen – Gläubiger den ihnen bekannt gewordenen Obliegenheitsverstoß sogleich zum Anlass nehmen, ungeachtet der noch laufenden Ratenzahlungen die Versagung der Restschuldbefreiung zu beantragen. Müsste dieser Antrag, wie das Beschwerdegericht gemeint hat, Erfolg haben, weil der Rückstand – im Hinblick auf die noch ausstehenden Raten – eben noch nicht vollständig ausgeglichen ist, wäre zumindest zu befürchten, dass der Schuldner die Ratenzahlungen sofort einstellt. Dies alles wäre nicht im Interesse der Gläubiger. Es ist diesen deshalb zumutbar, mit der Stellung eines Versagungsantrags zuzuwarten, bis der Zeitraum abgelaufen ist, innerhalb dessen der Schuldner den Rückstand ausgleichen kann. Solange der Schuldner die Vereinbarung mit der Treuhänderin erfüllt, ist ein etwa gestellter Versagungsantrag eines Gläubigers unbegründet.
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c) Hier hat der Schuldner die objektiv vorliegende Verletzung seiner Obliegenheit von sich aus offenbart, bevor die übrigen Beteiligten hiervon Kenntnis hatten. Zwar hat er den von der Treuhänderin errechneten Rückstand, dessen Höhe unangegriffen geblieben ist, nicht in einer Summe beglichen. Er hat sich aber mit der Treuhänderin geeinigt, diesen in monatlichen Raten zu je 100 € innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu tilgen, und diese Verpflichtung bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts auch eingehalten. Die Voraussetzungen für eine Versagung der Restschuldbefreiung lagen damit zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht vor.
III.
9
Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben. Der Schuldner hat die von ihm übernommenen Ratenzahlungsverpflichtungen bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts erfüllt. Weitere Feststellungen sind nicht zu treffen, der Senat kann daher in der Sache entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO).
Ganter Raebel Kayser
Lohmann Pape