Aktenzeichen 6 T 3307/17
Leitsatz
§ 38 Ins0 gilt auch für künftige, aufschiebend bedingte und noch nicht fällige Forderungen, die bereits Insolvenzforderungen sind, so dass hier ein Vollstreckungsverbot besteht.
Verfahrensgang
2 M 3211/17 2017-08-28 Bes AGFUERSTENFELDBRUCK AG Fürstenfeldbruck
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners wird Beschluss des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vom 28.08.2017, Az. 2 M 3211/17, aufgehoben.
Auf die Erinnerung des Schuldners wird die Zwangsvollstreckungsmaßnahme der Gerichtsvollzieherin … vom 09.08.2017, 8 DR 1103/17 (Zahlungsaufforderung und Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft), für unzulässig erklärt.
2. Die Beschwerdegegnerin trägt die Kosten des Erinnerungs- und des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Die Gläubigerin vollstreckt gegen den Schuldner Verfahrenskosten aus einem Strafurteil des Landgerichts Kempten vom 15.10.2014, rechtskräftig seit 23.10.2014.
Gegenstand der hiesigen Entscheidung ist die Frage, ob das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners dessen Verpflichtung zur Abgabe der Vermögensauskunft entgegensteht, wenn ein Kostenausspruch aus einem Strafurteil vollstreckt werden soll, das erstmals vor Eröffnung des Insolvenzverfahren erging, jedoch erst in Gestalt eines Urteils rechtskräftig wurde, das nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlassen wurde:
Der Schuldner und mehrere Mitangeklagte wurden mit Strafurteil des Amtsgerichts Kempten vom 13.10.2010 verurteilt; den Angeklagten wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt. Gegen das Urteil wurden Rechtsmittel eingelegt, die Aufhebungen und Zurückverweisungen, jeweils mit Anpassung des Kostenausspruchs, zur Folge hatten.
Mit Beschluss vom 09.07.2014 eröffnete das Amtsgericht München das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners (1500 IN 470/14). Der Schuldner beantragte Restschuldbefreiung.
Das Strafverfahren wurde beendet durch Urteil des Landgerichts Kempten vom 15.10.2014, rechtskräftig seit 23.10.2014. Mit diesem Urteil wurde das Urteil des Amtsgerichts Kempten abgeändert, in der Kostenentscheidung dahingehend, dass der Schuldner und ein Mitangeklagter 3/5 der Kosten des Verfahrens, einschließlich der des Revisionsverfahrens, zu tragen habe.
Mit Beschluss vom 15.05.2015 hob das Amtsgericht München das Insolvenzverfahren auf und bestellte einen Treuhänder, auf den die pfändbaren Bezüge des Schuldners übergehen. Seitdem läuft die sog. Wohlverhaltensphase.
Unter dem 03.05.2016 erteilte die Staatsanwaltschaft wegen des Kostenausspruchs im Strafurteil vom 15.10.2014 Vollstreckungsauftrag.
Mit Schreiben vom 09.08.2017 lud die Gerichtsvollzieherin den Schuldner auf den 31.08.2017 zur Abgabe der Vermögensauskunft, wobei sie ihm eine Frist zur Zahlung von zwei Wochen setzte. Die Ladung wurde dem Schuldner am 11.08.2017 zugestellt.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 24.08.2017 legte der Schuldner Erinnerung gegen die Verpflichtung zur Vermögensauskunft ein. Zur Begründung führte er aus, dass während des Laufs der sog. Wohlverhaltensphase Vollstreckungsmaßnahmen wegen Forderungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens unzulässig seien. Der Kostenausspruch, aus dem zu vollstrecken versucht werde, stamme tatsächlich aus der Verurteilung der I. Instanz vom 13.10.2010; seitdem sei der Kostenausspruch lediglich angepasst worden. Bei der Forderung handele es sich daher um eine Insolvenzforderung, eine Vollstreckung sei somit unzulässig.
Das Amtsgericht wies die Erinnerung mit dem angegriffenen Beschluss vom 28.08.2017 zurück und vertritt die Auffassung, dass es auf den finalen und konkreten Kostenausspruch im Rahmen der letzten Tatsachenentscheidung ankomme, die hier am 15.10.2017 erfolgt sei, so dass die Forderung nicht in die Insolvenzmasse falle. Der Beschluss wurde dem Prozessvertreter des Schuldners am 28.08.2017 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 29.08.2017, per Fax eingegangen am selben Tag, legte der Schuldner über seinen Prozessvertreter sofortige Beschwerde ein.
Das Amtsgericht half der Beschwerde nicht ab.
Die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht München II hatte rechtliches Gehör. Sie vertritt die Ansicht, dass nach § 38 InsO künftige, aufschiebend bedingte und noch nicht fällige Forderungen bereits Insolvenzforderungen seien, so dass hier ein Vollstreckungsverbot bestehe.
II.
Die gemäß §§ 793, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und im Übrigen in zulässiger Weise eingelegte sofortige Beschwerde des Schuldners hat auch in der Sache Erfolg. Die Erinnerung ist begründet. Der Zwangsvollstreckung steht § 294 Abs. 1 InsO entgegen. Danach sind im Restschuldbefreiungsverfahren Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger unzulässig. Das Vollstreckungsverbot umfasst alle Gläubiger, die im Insolvenzverfahren die Stellung eines Insolvenzgläubigers i.S.d. § 38 InsO hatten. Diese Stellung trifft auf die Staatsanwaltschaft Kempten zu.
Insolvenzgläubiger ist jeder, der zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hatte. Eine Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO liegt vor, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand schon vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist, auch wenn die Forderung des Gläubigers daraus sich erst nach Beginn des Insolvenzverfahrens ergibt. Ausreichend ist, wenn die schuldrechtliche Grundlage des Anspruchs schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist (BGH vom 07.04.2005, IX ZB 129/03; BGH vom 22.09.2011, IX ZB 121/11; BGH vom 06.02.2014, IX ZB 57/12). So hat der BGH im letztgenannten Beschluss entschieden, dass ein zivilrechtlicher Kostenerstattungsanspruch eine Insolvenzforderung darstellt, wenn der Prozess vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begonnen hat.
Entsprechend ist der Anspruch des Fiskus auf Entrichtung der Kosten eines Strafverfahrens, einschließlich der Strafverfolgungskosten, eine Insolvenzforderung, wenn die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden schon vor Verfahrenseröffnung begonnen hat (Uhlenbruck, 14. Aufl., Rz. 54 zu § 38 InsO; Münchener Kommentar, 3. Aufl., 2013, Rz. 108 zu § 38 InsO; Henckel/Gerhardt, 2004, Rz. 156 zu § 38 InsO; Kübler/Prütting/Bork, 73. Lieferung, Rz. 35 zu § 38 InsO). Denn auch hier liegt die Grundlage des Anspruchs in der Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Für den vorliegenden Fall ist dies zweifelsfrei, da vor der Eröffnung bereits ein Urteil mit Kostenausspruch erlassen war, das in der Folge lediglich abgeändert worden ist. Damit hatte auch eine „gerichtliche Untersuchung“ – auf die das Amtsgericht abstellt – bereits unzweifelhaft spätestens im Jahr 2010 begonnen. Somit war die Grundlage der gegenständlichen Forderung jedenfalls gelegt, auch wenn die Forderung selbst erst durch die abschließende, rechtskräftige Entscheidung entstanden ist.
Die vom OLG Bamberg im Beschluss vom 10.06.2013 (1 Ws 354/13) angeführte Entscheidung des BGH vom 28.06.2012, IX ZR 211/11 (NJW-RR 2012, 1465) steht dem nur scheinbar entgegen, denn diese Entscheidung hat (zivilrechtliche) Gerichtskosten zum Gegenstand, die erst durch eine entsprechende Kostenentscheidung entstehen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Der Beschwerdeführer obsiegte mit seinem Anliegen, dass die Vollstreckungsmaßnahmen der Gerichtsvollzieherin unwirksam sind.
Eine Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren ist im Hinblick auf KV 2121 GKG nicht veranlasst.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sie erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO): Die hier zu entscheidende Rechtsfrage ist durch den Bundesgerichtshof in den angeführten Beschlüssen mehrfach grundsätzlich entschieden worden.