IT- und Medienrecht

2 B 43/21

Aktenzeichen  2 B 43/21

Datum:
14.12.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:141221B2B43.21.0
Spruchkörper:
2. Senat

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 28. Juli 2021, Az: 3d A 2195/19.O, Urteilvorgehend VG Münster, 6. Mai 2019, Az: 20 K 1884/18.O

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Juli 2021 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf einen Verfahrensmangel gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 67 Satz 1 LDG NRW und § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) ist zulässig, aber nicht begründet.
2
1. Der 1960 geborene Beklagte stand als Kreishauptsekretär im Dienst des klagenden Landkreises; mit Ablauf des Januar 2015 trat der Beklagte in den Ruhestand. Ursprünglich war der Beklagte in der Versorgungsverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Dort war der Beklagte unter anderem mit der Durchführung des Feststellungsverfahrens nach dem Schwerbehindertenrecht, mit der Bearbeitung von Änderungsanträgen sowie mit der Ausstellung und Verlängerung von Schwerbehindertenausweisen befasst. Aufgrund der Übertragung der Aufgaben der Versorgungsämter auf die Kreise wurde der Beklagte am 1. Januar 2008 als Kreishauptsekretär in den Dienst des Landkreises übernommen. Auch nach diesem Wechsel war der Beklagte mit Aufgaben aus dem Bereich des Schwerbehindertenrechts befasst, die im Wesentlichen seinen früheren Aufgaben beim Versorgungsamt entsprachen. Anfang April 2001 beantragte der Beklagte erfolglos die Anerkennung als Schwerbehinderter wegen eines Wirbelsäulenleidens. Im Jahr 2005 stellte das Versorgungsamt auf einen weiteren Antrag des Beklagten wegen Verschlimmerung des Rückenleidens einen Grad der Behinderung von 20 fest. Im April 2008 wurde wegen einer psychosomatischen Erkrankung und einer Funktionseinschränkung der rechten Schulter der Grad der Behinderung auf 30 erhöht. Zwei im September 2009 und März 2010 gestellte weitere Anträge auf Erhöhung des Grades der Behinderung wurden abgelehnt. Mit Bescheid vom 16. August 2010 wurde dem Beklagten unbefristet ab dem 15. Juni 2010 ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt, wobei der seelischen Störung ein Grad der Behinderung von 40 zugeordnet wurde. Der Beklagte erhielt einen entsprechenden Schwerbehindertenausweis ohne Merkzeichen.
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Mitte Mai 2013 ging bei der Stadt B. ein Schreiben der Stadt H. ein, dem ein Anfang Mai aufgefundener Schwerbehindertenausweis auf den Namen des Beklagten nebst Beiblatt unter einem nicht existierenden Geschäftszeichen beigefügt war. Bescheinigt waren hierin ein Grad der Behinderung von 70 und die Merkzeichen “G” und “B”. Das Beiblatt für die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr, auf dem maschinenschriftlich der Name des Beklagten und das Aktenzeichen aufgedruckt sind, war von Januar bis Dezember 2013 gültig. Der auf einem von der Bundesdruckerei für die Versorgungsämter gedruckten Ausweisformular hergestellte Ausweis war mit “Müller” unterzeichnet und mit einem Stempel eines früher bestehenden Versorgungsamts gesiegelt. Anlässlich einer Durchsuchung am Arbeitsplatz des Beklagten wurde festgestellt, dass der Beklagte im Besitz eines weiteren Schwerbehindertenausweises vom 6. Oktober 2008 war, in dem ein Grad der Behinderung von 80 festgestellt ist und die Merkzeichen “G” und “B” bescheinigt sind.
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Im Hinblick hierauf leitete der Kläger im August 2013 gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren ein. Anfang April 2014 wurde das Disziplinarverfahren auf den Vorwurf ausgedehnt, entgegen einer Dienstvereinbarung Anträge von nahestehenden Personen bearbeitet sowie entgegen der bestehenden Weisungslage mehrfach ohne Angabe von Gründen den Grad der Behinderung unter Streichung des versorgungsmedizinischen Vorschlags heraufgesetzt zu haben. Im Juli 2014 dehnte der Kläger das Disziplinarverfahren auf 36 weitere verdächtige Fälle der Abänderung des Grades der Behinderung und von Nachuntersuchungsfristen im Rahmen der Sachbearbeitung durch den Beklagten aus. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen Falschbeurkundung im Amt in vier Fällen und wegen Urkundenunterdrückung. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht wurde das Verfahren hinsichtlich zweier Tatvorwürfe der Falschbeurkundung auf Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Das Amtsgericht verurteilte den Beklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Falschbeurkundung im Amt sowie wegen Urkundenunterdrückung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Verfahren vor dem Landgericht wurde das Verfahren hinsichtlich der Urkundenunterdrückung auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Wegen Falschbeurkundung im Amt wurde der Beklagte rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 45 € verurteilt.
5
Gegenstand der mit dem Ziel der Aberkennung des Ruhegehalts erhobenen Disziplinarklage vom Juni 2018 ist der Vorwurf, der Beklagte habe durch die zweimalige Ausstellung gefälschter Schwerbehindertenausweise im Eigeninteresse Straftaten gemäß § 348 StGB begangen (Vorwurf 1). Zudem habe er durch eigenmächtige Abänderung von Nachuntersuchungsfristen, Graden der Behinderung und zuzuerkennender Merkzeichen in insgesamt 26 Fällen gegen die Pflicht zur Uneigennützigkeit sowie gegen die Folgepflicht verstoßen (Vorwürfe 2 und 3). In der mündlichen Verhandlung hat das Verwaltungsgericht die in der Klageschrift vorgeworfenen Taten zu 2 und 3 aus dem Disziplinarverfahren ausgeschieden. Im Urteil hat es dem Beklagten das Ruhegehalt aberkannt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
6
Das behördliche Disziplinarverfahren weise keine wesentlichen Fehler auf, die es geboten erscheinen ließen, dem klagenden Dienstherrn eine Frist zu deren Behebung zu setzen. Die Vorschriften über die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung sowie der Beteiligung des Personalrats vor Erhebung der Disziplinarklage seien hier nicht anwendbar, weil sich der Beklagte bei Erhebung der Klage bereits im Ruhestand befunden habe. Der Beklagte habe in zwei Fällen als Amtsträger, der zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt sei, rechtlich erhebliche Tatsachen falsch beurkundet. Das innerdienstliche Dienstvergehen des Beklagten führe nach einer Gesamtwürdigung sämtlicher zu berücksichtigender Gesichtspunkte zur Aberkennung des Ruhegehalts.
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2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Beklagte beimisst.
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Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine – vom Beschwerdeführer zu bezeichnende – grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ). Das ist hier nicht der Fall.
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a) Der Beklagte sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zunächst in der Frage,
“ob eine vom Strafgericht als Falschbeurkundung im Amt lediglich mit einer unterdurchschnittlichen Geldstrafe geahndete Tat die grundsätzliche Zuordnung zu einer bestimmten Disziplinarmaßnahme wegen des in der Strafvorschrift vorgesehenen und vom Strafgericht auszufüllenden Strafrahmens rechtfertigt”.
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Diese Frage vermag die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht zu begründen, weil sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits im Sinne der Vorgehensweise des Berufungsgerichts geklärt ist.
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Nach § 13 Abs. 2 LDG NRW ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme insbesondere nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu treffen. Die Schwere des Dienstvergehens ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme (BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2013 – 1 D 1.12 – BVerwGE 148, 192 Rn. 39 f.). Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Dezember 2004 – 2 BvR 52/02 – BVerfGK 4, 243 ). Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, Urteile vom 20. Oktober 2005 – 2 C 12.04 – BVerwGE 124, 252 , vom 10. Dezember 2015 – 2 C 6.14 – BVerwGE 154, 10 Rn. 12 und vom 16. Juni 2020 – 2 C 12.19 – BVerwGE 168, 254 Rn. 19).
12
Als Orientierung für die Schwere des Dienstvergehens dient der zum Tatzeitpunkt geltende Strafrahmen. Mit der gesetzlichen Strafandrohung hat der Gesetzgeber seine Einschätzung zum Unwert eines Verhaltens eines Beamten verbindlich zum Ausdruck gebracht. Diese grundsätzliche Ausrichtung am gesetzlichen Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarrechtliche Ahndung der Dienstvergehen und verhindert, dass die Disziplinargerichte ihre jeweils eigene Einschätzung des Gehalts eines Dienstvergehens an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen. Maßgeblich ist damit die Einschätzung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, nicht die Vorstellung des jeweiligen Disziplinargerichts (BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2020 – 2 C 12.19 – BVerwGE 168, 254 Rn. 21).
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§ 348 Abs. 1 StGB sieht bei einer von einem Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 a StGB) begangenen Falschbeurkundung im Amt eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vor. Dementsprechend ist der Orientierungsrahmen bis hin zur Höchstmaßnahme eröffnet. Der konkret vom Strafgericht ausgesprochenen strafrechtlichen Sanktion kommt für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme dagegen keine Bedeutung zu (BVerwG, Urteile vom 24. Oktober 2019 – 2 C 3.18 – BVerwGE 166, 389 Rn. 34 und vom 16. Juni 2020 – 2 C 12.19 – BVerwGE 168, 254 Rn. 40 sowie Beschlüsse vom 27. Dezember 2017 – 2 B 18.17 – NVwZ-RR 2018, 439 Rn. 9 und vom 12. August 2021 – 2 VR 6.21 – Rn. 17).
14
b) Auch die weitere Frage,
“ob die Tatbestandsverwirklichung als Ausgangspunkt für weitere Erwägungen nach der Maßgabe des § 13 Abs. 2 und 3 LDG NRW für die Zukunft für sich alleine schon die Annahme zu rechtfertigen vermag, dass einzig die Aberkennung des Ruhegehaltes als schwerste Disziplinarmaßnahme geeignet und angemessen ist, um das Vergehen des Beamten zu ahnden”,
führt nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
15
Die Frage ist in sich widersprüchlich. Einerseits stellt sie auf einen “Ausgangspunkt” ab, d.h. sie impliziert weitere Zumessungserwägungen, die auch zu einer anderen Bewertung führen können, andererseits spricht sie davon, dass die Verwirklichung des Tatbestands einer Strafrechtsnorm zwangsläufig zu einer bestimmten Disziplinarmaßnahme – hier die Höchstmaßnahme – führe.
16
Zudem wird die Fragestellung den Grundlagen der Bemessung der konkreten Disziplinarmaßnahme nicht gerecht. Ausgehend von dem am Strafrahmen ausgerichteten Orientierungsrahmen sind bei der Bemessung der konkreten Disziplinarmaßnahme sämtliche be- und entlastenden Umstände ungeachtet der konkreten strafrechtlichen Sanktion zu würdigen.
17
c) Ebenso ist die Frage,
“ob bei fehlender deliktsbezogener Zuordnung zu einer bestimmten Disziplinarmaßnahme und strafgerichtlicher Verurteilung weit unterhalb des Strafrahmens dennoch von dem in der Strafvorschrift vorgesehenen Strafrahmen auszugehen ist”,
keine im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Sie ist in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt.
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Der Strafrahmen der Strafrechtsnormen ist nur für die Festlegung des Orientierungsrahmens relevant, der seinerseits für die Bestimmung des generellen Ausgangspunkts der Bemessungsentscheidung nach § 13 LDG NRW von Bedeutung ist. Die konkrete strafrechtliche Sanktion ist für die dem Dienstgericht obliegende Bemessung der Maßnahme wegen der unterschiedlichen Zweckrichtung von Strafrecht und Disziplinarrecht nicht von Bedeutung. Davon zu trennen ist die Entscheidung des Gesetzgebers in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG. Der Gesetzgeber hat hier Tatbestände bestimmt, bei denen der Beamte als schlechthin untragbar für den öffentlichen Dienst kraft Gesetzes seine Beamtenrechte verliert, ohne dass es dazu einer nochmaligen individuellen Prüfung in einem Entlassungs- oder Disziplinarverfahren bedarf (BVerwG, Urteil vom 28. Mai 1998 – 2 C 3.98 – BVerwGE 107, 34 ).
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d) Schließlich begründet auch die Frage,
“ob es tatsächlich auf die Nutzung oder die Möglichkeit der Nutzung der hergestellten Urkunden bzw. deren wirtschaftlichen Wert ankommt”,
nicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Sie betrifft die wirtschaftliche Nutzbarkeit der vom Beklagten erstellten Ausweise und damit einen Einzelaspekt der Bemessungsentscheidung im konkreten Einzelfall. Die Würdigung der konkreten be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls ist aber einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Soweit in der Beschwerdebegründung der Begriff der Regeleinstufung verwendet wird, ist darauf zu verweisen, dass der Senat diese Kategorie aufgegeben hat (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2015 – 2 C 6.14 – BVerwGE 154, 10 Rn. 19).
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3. Die Revision ist auch nicht wegen des geltend gemachten Verfahrensmangels zuzulassen.
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Unklar ist zunächst der Verweis in der Beschwerdebegründung auf § 67 Satz 1 LDG NRW als diejenige Verfahrensnorm, die das Berufungsgericht verletzt haben soll. Denn diese Vorschrift regelt die Statthaftigkeit der Revision gegen ein auf der Grundlage des Disziplinargesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen gefällten Urteils des Oberverwaltungsgerichts. Den weiteren Ausführungen unter II der Beschwerdebegründung entnimmt der Senat aber zu Gunsten des Beklagten das Vorbringen, das Berufungsgericht habe §§ 54 und 65 LDG NRW verletzt.
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Der Begriff des Verfahrensmangels im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erfasst Verstöße des Gerichts gegen verwaltungsprozessrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußeren Ablauf des gerichtlichen Verfahrens, d.h. den Weg zur abschließenden Sachentscheidung und die Art und Weise ihres Erlasses, betreffen (stRspr; vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 27. Juni 1994 – 6 B 17.94 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 3 und vom 2. November 1995 – 9 B 710.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f.). Ein davon prinzipiell zu unterscheidender Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens oder der Klageschrift zieht einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nach sich, wenn das Verwaltungsgericht die sich aus § 54 LDG NRW ergebende Verpflichtung verletzt hat, auf die Beseitigung eines solchen Mangels durch den Dienstherrn hinzuwirken. Diese Verpflichtung gilt gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW auch für das Berufungsgericht. Im Hinblick auf das behördliche Disziplinarverfahren und die Klageschrift kann Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur der Verstoß gegen §§ 54 und 65 LDG NRW sein, nicht aber der Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens oder der Disziplinarklageschrift selbst (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 – 2 C 15.09 – BVerwGE 137, 192 Rn. 18 f.; Beschluss vom 26. Februar 2008 – 2 B 122.07 – Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 2 Rn. 3 und vom 20. Dezember 2016 – 2 B 127.15 – Buchholz 310 Nr. 96 VwGO Nr. 64 Rn. 6).
23
Danach ist das Vorbringen unter II der Beschwerdebegründung nicht relevant, soweit unmittelbar vorgebracht wird, Rechte des Beklagten seien dadurch verletzt worden, dass ihm der klagende Landkreis vor Erhebung der Disziplinarklage im Juni 2018 den Abschlussvermerk nicht bekanntgegeben hat. Gerügt werden kann lediglich das Vorgehen des Oberverwaltungsgerichts in Bezug auf diesen vom Beklagten geltend gemachten Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens.
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Im Hinblick auf den gerügten Verfahrensmangel hinsichtlich der Bekanntgabe des Abschlussvermerks wird in der Beschwerdebegründung auch nicht ausreichend zwischen der Annahme der Unwesentlichkeit und der “Heilung” – Beseitigung – eines wesentlichen Mangels des behördlichen Verfahrens unterschieden. Der Senat wertet die Darlegungen wiederum zu Gunsten des Beklagten dahingehend, dass damit die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Wesentlichkeit des gerügten Mangels des behördlichen Disziplinarverfahrens angegriffen werden (UA S. 20 bis 25). Die Annahme des Berufungsgerichts, es handele sich insoweit nicht um einen wesentlichen Mangel i.S.v. § 54 LDG NRW, ist aber nicht zu beanstanden.
25
Ein Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens ist wesentlich i.S.d. § 54 Abs. 1 bis 3 LDG NRW, wenn sich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt, dass er sich auf das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens ausgewirkt haben kann. Hingegen kommt es für die Frage der Wesentlichkeit eines Mangels weder darauf an, ob er behebbar ist noch darauf, ob und ggf. wie intensiv schutzwürdige – insbesondere grundrechtsbewehrte – Rechtspositionen Betroffener durch den Mangel berührt worden sind. Maßgeblich ist wegen der Funktion des Disziplinarverfahrensrechts, bei der Prüfung und ggf. Ahndung von Dienstvergehen gesetzmäßige Ergebnisse zu erzielen, vielmehr die Ergebnisrelevanz (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 – 2 C 15.09 – BVerwGE 137, 192 Rn. 19 zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 55 BDG).
26
Es lässt sich mit hinreichender Sicherheit ausschließen, dass das Unterbleiben der Bekanntgabe des Abschlussvermerks vor Erhebung der Disziplinarklage im Juni 2018 Auswirkungen auf das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens hat. Die Wahrnehmung seiner Interessen im gerichtlichen Verfahren ist dem Beklagten durch das Unterlassen nicht erschwert worden. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zum Inhalt von Abschlussvermerk und Klageschrift finden sich diejenigen Teile des Abschlussvermerks, die über den, dem Beklagten übersandten Ermittlungsbericht des Klägers vom 21. April 2015 hinausgehen, wortwörtlich in der Klageschrift wieder. Wenn der Beklagte der Auffassung gewesen sein sollte, zur Verteidigung gegen die Disziplinarklage sei es unabdingbar geboten, den Inhalt der Abschlussverfügung genau zu kennen, so hätte er sich diesen zudem vom Gericht übersenden lassen oder Einsicht in die beim Gericht vorliegenden Verwaltungsakten des Klägers nehmen können. Dass dem Beklagten durch das Unterlassen des Klägers eine Einflussnahme auf den Gang des Verfahrens vor Erhebung der Disziplinarklage abgeschnitten ist und auch bleibt, ist für das Merkmal der Wesentlichkeit, wie oben dargelegt, gerade nicht ausschlaggebend.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 LDG NRW erhoben werden.


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