IT- und Medienrecht

Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen in Patentstreitsachen

Aktenzeichen  7 O 14276/20

Datum:
1.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2021, 19818
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ERMK Art. 8
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1

 

Leitsatz

Zur den Voraussetzungen und Maßstäben bei der Anonymisierung eines Urteils in einer Patentstreitsache betreffend eine Anti-Anti-Suit-Injunction (Rn. 9 – 29) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

7 O 14276/20 2021-02-25 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Den Schwärzungswünschen c) und e) ist nachzukommen.
2. Die Schwärzungen gem. Ziffer 1 sind mit Bestandskraft dieser Entscheidung vorzunehmen und an diejenigen Verlage zu kommunizieren, die das Endurteil vom 25.02.2021 in der bisherigen anonymisierten Fassung erhalten haben.
3. Im Übrigen wird der Antrag der Verfügungsbeklagten vom 22.4.2021 auf Vornahme weiterer Schwärzungen der zu veröffentlichenden Version des Endurteils vom 25.02.2021 zurückgewiesen.

Gründe

I.
Das Landgericht München I hat am 25.02.2021 ein Endurteil erlassen. Darin wurde die im Beschlusswegen erlassene einstweilige Verfügung vom 09.11.2020 bestätigt. Juristischen Fachverlage, darunter der Verlag C. H. Beck, haben vom Landgericht München I im Zeitraum zwischen dem 25.02.2021 und dem 11.03.2021 eine anonymisierte Version des Urteils vom 25.02.2021 erhalten. Unter redaktioneller Mitwirkung des Beck-Verlags wurde das Urteil auch auf der Seite Bayern-Recht veröffentlicht.
Aufgrund einer E-Mail des anwaltlichen Vertreters der Verfügungsbeklagten vom 11.03.2021, in der auf einige wenige versehentlich nicht anonymisierte Namen (… und …) hingewiesen worden war, haben die Verlage noch am selben Tag vom Landgericht München I eine verbesserte Version mit der Bitte um Ersetzung bekommen. Soweit ersichtlich, sind die Verlage dem zeitnah nachgekommen.
Mit weiterer E-Mail vom 31.03.2021 machte der anwaltliche Vertreter der Beklagten die Kammer darauf aufmerksam, dass in den veröffentlichten Versionen vom Gericht in Einblendteilen vorgenommene Schwärzungen wieder entfernt worden waren. Auch dies wurde kurzfristig abgestellt.
Mit Schriftsatz vom 22.03.2021 (Bl. 366/384) beantragten die Verfügungsbeklagten darüberhinausgehend Schwärzungen wie aus der Anlage … 10 ersichtlich.
Das Landgericht München I hat mit Verfügung vom 06.04.2021 (Bl. 383/384) hierzu Hinweise erteilt.
Mit Schriftsatz vom 22.04.2021 (Bl. 390/397) schränkten die Verfügungsbeklagten daraufhin den Antrag auf folgende Punkte ein:
a) Seite 4, dritter Absatz, zweiter Satz / Rz. 3 veröffentlichte Version:
Der Halbsatz „[…] seit Anfang 2020 der weltweit drittgrößte Hersteller von Smartphones“ ist zu streichen.
b) Seite 5, zweiter Absatz; Seite 6, zweiter Absatz und Seite 9, letzter Absatz; Seite 10, erster Absatz / Rz. 5 und 7 der veröffentlichten Version:
Die Firmennamen der Verfügungsbeklagten sind vollständig zu schwärzen.
c) Seite 5, vorletzter Absatz / Rz. 5 der veröffentlichten Version:
Im Klageantrag der Verfügungsbeklagten im chinesischen Verfahren ist der Streitwert zu schwärzen.
d) Seite 7, vierter Absatz; S. 8, fünfter Absatz / Rz. 5 der veröffentlichten Version:
Sämtliche zahlenmäßigen Angaben zu Lizenzsätzen sind zu schwärzen.
e) Seite 8, vierter, fünfter und neunter Absatz / Rz. 5 der veröffentlichten Version:
Die Produktbezeichnungen sind vollständig zu schwärzen.
f) Seite 10, zweiter Absatz und Seite 49, erster Absatz / Rz. 8 und 159 der veröffentlichten Version
Die Information, wo der Blogbericht über die chinesische ASI erschienen ist (auf „…“), ist zu schwärzen. Gleiches gilt für den Verweis auf die Veröffentlichung von Prof. … und Prof. … auf …com.
g) Seite 11, dritter und vierter Absatz / Rz. 11 der veröffentlichten Version:
Auch die Angabe des chinesischen Aktenzeichens ist zu schwärzen.
Gleiches gilt für die Nennung des chinesischen Aktenzeichens an anderen Stellen des Urteils (Seite 12, letzter Absatz und Seite 13, erster Absatz sowie auf Seite 15, vorletzter und letzter Absatz; Seite 53, vierter Absatz) sowie des indischen Aktenzeichens (Seite 17, fünfter Absatz; Seite 18, siebter Absatz).
h) Seite 37, Absatz 3 / Rz. 125 der veröffentlichten Version:
Die Jahresangaben zu den Umsätzen der Verfügungsbeklagten zu 4) und zum Zeitpunkt ihres Börsenganges sind zu schwärzen.
i) Streichung der Anlagenbezeichnungen durch Kanzleikürzel:
Das in den Anlagenbezeichnungen verwendeten Kanzleikürzel (…) ist zu schwärzen.
Die Verfügungsklägerinnen teilten mit Schriftsatz vom 20.04.2021 (Bl. 387/388) mit, dass sie mit den Schwärzungen in der veröffentlichen Version des Urteils einverstanden seien.
II.
Der Antrag auf weitere Schwärzungen ist nur zum Teil begründet.
1. Die Weitergabe anonymisierter Entscheidungsabschriften an Dritte ist Teil der öffentlichen Aufgabe der Gerichte, Entscheidungen zu veröffentlichen (BGH NJW 2017, 1819 Rn. 16 mwN). Zuständig ist, weil es sich um eine Justizverwaltungstätigkeit handelt, die Präsidentin des Landgerichts. Mit Verfügung vom 10.09.2020 hat die Präsidentin des Landgerichts die Veröffentlichung von Entscheidungen in Fachpublikationen den jeweiligen Vorsitzenden der betroffenen Kammer bzw. dem jeweiligen Einzelrichter dieser Kammer und den Pressereferenten überlassen. Diese Delegation umfasst auch Entscheidungen der vorliegenden Art, die im Nachgang zu derartigen Veröffentlichungen zu treffen sind.
2. Der verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Rahmen zur Bestimmung des Umfangs von in zu veröffentlichenden Gerichtsentscheidungen vorzunehmenden Schwärzungen wurde im Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 22.12.2020 (GRUR-RS 2020, 37423) unter Bezugnahme auf frühere Entscheidungen wie folgt bestimmt:
„… ist der Zugang zu Gerichtsentscheidungen durch deren Veröffentlichung nicht unbegrenzt zuzulassen. Deren Veröffentlichung setzt regelmäßig die Anonymisierung der Entscheidung etwa hinsichtlich persönlicher Angaben und Umstände voraus (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 1.4.2020 – 2 VAs 1/20, Juris Rn. 28; VG Leipzig, Urt. v. 18.5.2016 – 1 K 1720/14, Juris Rn. 45). Bei der Abwägung, ob der Publikation einer als veröffentlichungswürdig eingestuften Entscheidung schutzwürdige Interessen des von der Entscheidung Betroffenen entgegenstehen, ist das Recht des Betroffenen auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK und ggf. auch sein Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 EMRK in den Blick zu nehmen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 1.4.2020 – 2 VAs 1/20, Juris Rn. 29).
Eine unter datenschutzrechtlichen Aspekten erfolgte vollständige Anonymisierung, die einen Eingriff in Rechte des Betroffenen ausschlösse, läge vor, wenn die Entscheidung in einer Weise anonymisiert ist, dass für den Nutzer, der die Veröffentlichung liest, die Person (hier die Person des Antragstellers) nicht oder nur mit großem Aufwand bestimmbar wäre. Dies wäre der Fall, wenn die personenbezogenen Daten so verändert werden, dass Einzelangaben über persönlich und sachliche Verhältnisse nicht mehr oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft einer bestimmten oder bestimmbaren Person zugeordnet werden kann. Dabei ist eine Person bestimmbar, wenn sie mit vertretbarem Aufwand gegebenenfalls unter Heranziehung von Zusatzwissen aus allgemein zugänglichen Quellen ermittelt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 30.7.1990 Juris Rn. 26; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.7.2010 – 1 S 501/10 Juris Rn 23).
… Das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit muss nicht bereits deshalb zwingend zurückstehen, weil die Entscheidung nicht hinreichend anonymisiert ist, dies aber unter Zurückstellung des Informationsbedürfnisses der Öffentlichkeit möglich wäre. Würde dies bereits zur Unzulässigkeit der Veröffentlichung führen, könnte den Informationsansprüchen der Öffentlichkeit, die ihre Grundlage ebenfalls im Verfassungsrecht finden (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), auf bestimmten Rechtsgebieten kaum noch Rechnung getragen werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.7.2010 – 1 S 501/10 Juris Rn. 34). Vielmehr ist bei der Abwägung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit mit dem Schutzinteresse des Betroffenen zu beachten, dass das Geheimhaltungsinteresse das Informationsinteresse dann überwiegt, wenn es zum Beispiel um besonders sensible Gesundheitsdaten des Betroffenen geht, deren Kenntnis für den Leser auf der anderen Seite für das Verständnis der Entscheidung nicht zwingend erforderlich erscheinen und umgekehrt, dass das Schutzinteresse eines Antragstellers am Ausschluss der Veröffentlichung bestimmter Angaben gegenüber dem öffentlichen Informationsinteresse als eher gering zu bewerten ist, soweit es um ausschließlich sozialbezogenes Verhalten und nicht etwa die Privat- oder Intimsphäre des Betroffenen geht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.7.2010 – 1 S 501/10 Juris Rn. 35 f.). Der Datenschutz steht insoweit der Erfüllung der öffentlichen Aufgabe einer Veröffentlichung von veröffentlichungswürdigen Urteilen nicht entgegen.“
Dem ist zuzustimmen.
Mithin ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob die vorgenommene Anonymisierung bereits eine vollständige Anonymisierung im oben dargestellten Umfang darstellt. Dies ist dann der Fall, wenn die Entscheidung in einer Weise anonymisiert ist, dass für den Nutzer, der die Veröffentlichung liest, die Person des Betroffenen nicht oder nur mit großem Aufwand bestimmbar wäre.
Falls dies nicht der Fall ist, ist das Informationsinteresse der Öffentlichkeit mit dem Anonymisierungsinteresse des Betroffenen abzuwägen. Eine Identifikation der Person des Betroffenen bei einer Veröffentlichung braucht dabei nicht schlechterdings nicht mehr möglich sein. Dies würde die Anforderungen angesichts dessen, dass das Gerichtsverfahren öffentlich geführt und die Entscheidungen öffentlich verkündet werden, überspannen. Vielmehr ist das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen das Schutzinteresse der Prozessparteien jeweils abzuwägen. Es ist darüber hinaus auch nicht maßgeblich, ob trotz des Weglassens von Namen und Bezeichnungen ein mit dem Fall Vertrauter feststellen kann, um welche Parteien und um welchen Sachverhalt es sich handelt, sondern ob dies auf einen durchschnittlichen Leser der von der Veröffentlichung Angesprochenen zutrifft. Außerdem ist bei der Abwägung nach den oben dargelegten Maßstäben zu berücksichtigen, wenn die Veröffentlichung allein das Arbeitsumfeld des Betroffenen und damit dessen Sozialsphäre und nicht dessen Privatsphäre betrifft (OLG Karlsruhe GRUR-RS 2020, 37423 Rn. 42).
2. Unter Anwendung dieser Maßstäbe auf den vorliegenden Fall ist zunächst darauf hinzuweisen, dass dem Verfügungsverfahren ein Streit der Parteien um die Benutzung und Lizenzierung der SEP-Portfolios (SEP = Standard Essential Patent = standardessentielles Patent) der Verfügungsklägerinnen und damit auf beiden Seite geschäftliche Handlungen zu Grunde liegt. In diesem Rahmen wurde von der Seite der Verfügungsbeklagten eine ASI (Anti Suit Injunction = gerichtliche Anordnung zur Unterbindung gerichtlicher Maßnahmen durch die Gegenseite) erwirkt. Von Seite der Verfügungsklägerinnen wurde eine AASI in Indien (Gegenmaßnahme zu einer ASI) erwirkt. Die chinesische und die indische Entscheidung wurden in Fachmedien – soweit ersichtlich – ungeschwärzt – veröffentlicht. Die Verfügungsklägerinnen haben schließlich die mit Urteil vom 25.02.2021 bestätigte AASI erwirkt. In diesem Urteil werden die rechtlichen Grundlagen für den Erlass einer AASI weiter fortgebildet. Die Entscheidung ist, wie auch die vorangegangenen Entscheidungen aus China und Indien, auf ein überragend großes Echo bei der Fachöffentlichkeit gestoßen. Die Möglichkeit, überhaupt eine AASI zu beantragen, wurde vom Landgericht München I erstmals im Herbst des Jahres 2020 in einem anderen Verfahren bejaht und vom OLG München bestätigt. Im vorliegenden Verfahren hat keine der Parteien Geheimhaltungsanträge gestellt oder den Ausschluss der Öffentlichkeit bei der mündlichen Verhandlung beantragt.
3. Dies vorausgeschickt sind die einzelnen Schwärzungswünsche wie folgt zu beurteilen:
zu a) Seite 4, dritter Absatz, zweiter Satz / Rz. 3 veröffentlichte Version:
Der Halbsatz „[…] seit Anfang 2020 der weltweit drittgrößte Hersteller von Smartphones“ ist zu streichen.
Der Konzern der Verfügungsbeklagten ist nach dem Vortrag der Verfügungsbeklagten durch diese Angabe für einen Leser, der ein wenig im Internet recherchiert, identifizierbar. Die Einordnung des Konzerns im Reigen der Wettbewerber auf dem Markt für Smartphones ist aber eine notwendige Angabe, um die Verteidigung der Verfügungsbeklagten zu 4) einordnen zu können, der Konzern sei zu einem bestimmten Zeitpunkt noch ein Start-Up gewesen und sie selbst sei innerhalb des Konzerns als Konzernmutter, jedenfalls nach 2018, nicht (mehr) operativ tätig.
zu b) Seite 5, zweiter Absatz; Seite 6, zweiter Absatz und Seite 9, letzter Absatz; Seite 10, erster Absatz / Rz. 5 und 7 der veröffentlichten Version:
Die Firmennamen der Verfügungsbeklagten sind vollständig zu schwärzen.
Die einzelnen Verfügungsbeklagten sind nach dem Vortrag der Verfügungsbeklagten durch diese Angaben für einen Leser, der ein wenig im Internet recherchiert, identifizierbar. Die weiteren Bestandteile der Firmierung der Verfügungsbeklagten und der anderen konzernverbundenen Unternehmen sind aber zur Unterscheidung der verschiedenen Entitäten notwendig, die in unterschiedlichen Zusammensetzungen in München, Delhi und Wuhan Parteien der parallelen gerichtlichen Auseinandersetzungen waren und sind. Nur so hat der Leser der anonymisierten Fassung einen Anhaltspunkt für die Einordnung der vom Gericht vorgenommenen Würdigungen und Wertungen, zum Beispiel im Rahmen der Frage der doppelten Rechtshängigkeit und des Rechtsschutzbedürfnisses. Eine weitergehende Schwärzung unter Beibehaltung der Zuordenbarkeit wäre besonders aufwendig. Letztendlich müssen für die einzelnen Entitäten Nummern oder Tarnnamen vergeben werden.
zu c) Seite 5, vorletzter Absatz / Rz. 5 der veröffentlichten Version:
Im Klageantrag der Verfügungsbeklagten im chinesischen Verfahren ist der Streitwert zu schwärzen.
Bei der in Bezug genommenen Zahl handelt es sich nicht – wie wortwörtlich geltend gemacht – um den Streitwert, sondern um eine Schätzung der Höhe der im Obsiegensfalle zu erstattenden Kosten. Diese Zahl lässt daher Rückschlüsse darauf zu, wie viel Geld der Konzern der Verfügungsbeklagte für die gerichtliche Feststellung einer FRAND-Lizenzrate auszugeben bereit ist. Dass es sich hierbei um ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis handelt, wurde bislang nicht geltend gemacht. Ob dem so ist kann offenbleiben, denn diese Zahl wird für das Verständnis der Entscheidung nicht gebraucht. Die Schwärzung ist auch nicht besonders aufwendig. Dem Schwärzungswunsch kann insoweit entsprochen werden.
zu d) Seite 7, vierter Absatz; S. 8, fünfter Absatz / Rz. 5 der veröffentlichten Version:
Sämtliche zahlenmäßigen Angaben zu Lizenzsätzen sind zu schwärzen.
Die in Bezug genommenen Lizenzsätzen sind in der Wiedergabe des Klageantrags des Konzerns der Verfügungsklägerinnen im Verfahren vor dem High Court in Indien enthalten und können, wie auch aus dem Antrag ersichtlich, auf der Internetseite https://www. …com/rate-disclosure öffentlich abgerufen werden. Mithin handelt es sich weder um Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse noch um solche des Konzerns der Verfügungsbeklagten. Ein Schwärzungsinteresse ist nicht dargetan.
zu e) Seite 8, vierter, fünfter und neunter Absatz / Rz. 5 der veröffentlichten Version:
Die Produktbezeichnungen sind vollständig zu schwärzen.
Die einzelnen Verfügungsbeklagten sind nach dem Vortrag der Verfügungsbeklagten durch die Angaben der Produktbezeichnungen für einen Leser, der ein wenig im Internet recherchiert, identifizierbar. Dass zum Beispiel die Bezeichnung „…“ vom Verkehr als wiedererkennbare Produktbezeichnung verstanden wird, war der Kammer bislang nicht bekannt. Ob dem so ist kann offenbleiben, denn diese Produktbezeichnungen werden für das Verständnis der Entscheidung nicht gebraucht. Die Schwärzung ist auch nicht besonders aufwendig. Dem Schwärzungswunsch kann insoweit entsprochen werden.
zu f) Seite 10, zweiter Absatz und Seite 49, erster Absatz / Rz. 8 und 159 der veröffentlichten Version
Die Information, wo der Blogbericht über die chinesische ASI erschienen ist (auf „…“), ist zu schwärzen. Gleiches gilt für den Verweis auf die Veröffentlichung von Prof. … und Prof. … auf …com.
Die Quellenangabe in den Randnummern 8 und 159 des Endurteils erleichtern nach dem Vortrag der Verfügungsbeklagten einem Leser, der ein wenig im Internet recherchiert, die Verfügungsbeklagten zu identifizieren. Die Quellenangaben sind aber für einen Leser, der die anonymisierte Version des Urteils analysieren und nachvollziehen möchte, unverzichtbar. Soweit die Verfügungsbeklagten in den Ursprungsdokumenten identifizierbar genannt werden, ist dies nicht dem Landgericht München I zuzuordnen.
zu g) Seite 11, dritter und vierter Absatz / Rz. 11 der veröffentlichten Version:
Auch die Angabe des chinesischen Aktenzeichens ist zu schwärzen.
Gleiches gilt für die Nennung des chinesischen Aktenzeichens an anderen Stellen des Urteils (Seite 12, letzter Absatz und Seite 13, erster Absatz sowie auf Seite 15, vorletzter und letzter Absatz; Seite 53, vierter Absatz) sowie des indischen Aktenzeichens (Seite 17, fünfter Absatz; Seite 18, siebter Absatz).
Die Aktenzeichen der chinesischen und indischen Parallelverfahren sind für einen Leser, der das anonymisierte Endurteil analysieren und nachvollziehen möchte, unverzichtbar. Soweit die Verfügungsbeklagten in den Ursprungsdokumenten identifizierbar genannt werden, ist dies nicht dem Landgericht München I zuzuordnen.
zu h) Seite 37, Absatz 3 / Rz. 125 der veröffentlichten Version:
Die Jahresangaben zu den Umsätzen der Verfügungsbeklagten zu 4) und zum Zeitpunkt ihres Börsenganges sind zu schwärzen.
Die Wiedergabe der Jahresangaben zu den Umsätzen der Verfügungsbeklagten zu 4) und zum Zeitpunkt ihres Börsenganges erfolgt im Rahmen der gerichtlichen Würdigung der nicht nachgelassenen Eingabe der Verfügungsbeklagten zu 4) vom 24.02.2021. Insoweit wird in den Entscheidungsgründen die im Verfahren getätigte Aussage der Verfügungsbeklagten zu 4), dass sie sich als Konzernmutter nicht in das operative Geschäft einmische, der Firmengeschichte sowie der Erkenntnis gegenübergestellt, dass die Verfügungsbeklagte zu 4) bis zum Jahr 2018 auch als Lizenznehmerin aufgetreten ist. Für einen Leser sind diese Angaben unverzichtbar, um die tatrichterliche Würdigung durch die Kammer nachzuvollziehen.
zu i) Streichung der Anlagenbezeichnungen durch Kanzleikürzel:
Das in den Anlagenbezeichnungen verwendeten Kanzleikürzel (…) ist zu schwärzen.
Die Kanzlei der anwaltlichen Vertreter der Verfügungsbeklagten und damit die Verfügungsbeklagten selbst sind nach deren Vortrag aufgrund der Anlagenbezeichnung „… 1…“ für einen interessierten Leser, der ein wenig im Internet recherchiert, identifizierbar. „…“ steht dabei für „…“.
Hier ist zunächst festzustellen, dass die anwaltlichen Vertreter der Verfügungsbeklagten die von ihnen eingereichten Anlagen aus freien Stücken mit „…“ und einer fortlaufenden Nummer bezeichnet haben. Eine neutralere Bezeichnung mit „B“ (Beklagte), „VB“ (Verfügungsbeklagte) oder „AG“ (Antragsgegnerin) wurde nicht gewählt, wohl weil man sich durch die Verwendung der Bezeichnung „…“ Vorteile versprochen hat. Dieses Verhalten ihrer anwaltlichen Vertreter müssen sich die Verfügungsbeklagten zurechnen lassen.
Ferner ist festzustellen, dass die Identifizierung nicht direkt gelingt, sondern allenfalls über Umwege. Denn der Leser muss zunächst wissen, dass es sich der Bezeichnung „… 1“ um eine Anlagenbezeichnung handelt, die die Anfangsbuchstaben einer Kanzleibezeichnung codiert. Im Anschluss muss er „…“ als „…“ identifizieren. Im nächsten Schritt muss er auf die Idee kommen, wie von der Verfügungsbeklagten vorgetragen, die Suchbegriffe „…“ und „AASI“ im Internet kombiniert einzugeben. Hat er all diese Schritte vollzogen, so erhält der Leser Zugriff auf Quellen, in denen die Verfügungsbeklagten möglicherweise identifizierbar benannt werden. Soweit dem so ist, ist dies zum einen nicht dem Landgericht München I zuzuordnen. Zum anderen liegt insoweit keine allzu leichte Identifizierbarkeit im oben genannten Sinne mehr vor.
Schließlich ist der mit einer Schwärzung sämtlicher „sprechender“ Anlagenbezeichnungen in zu veröffentlichenden Gerichtsentscheidungen verbundene Aufwand mit dem Anonymitätsinteresse der Verfahrensbeteiligten abzuwägen. Dieser Aufwand ist enorm, zumal eine Schwärzung allein der sprechenden Anlagenbezeichnung einer Partei nicht genügen würde und andererseits die Schwärzung aller Anlagenbezeichnungen eine Umbenennung notwendig machen würde, um weiterhin die Information zu übermitteln, welche der Parteien eine bestimmte Anlage eingereicht hat. Die sprechenden Anlagenbezeichnungen müssten daher wieder vom Gericht in einem Verfahren mit zwei Parteien auf die Bezeichnungen K-Anlagen und B-Anlagen zurückgeführt werden. In einem Verfahren mit mehr Parteien gestaltete sich dieser Vorgang entsprechend komplexer. In Zeiten knapper Personalressourcen im richterlichen und nicht richterlichen Bereich sind daher die beteiligten Kanzleien darauf zu verweisen, von der Einreichung von Anlagen mit sprechenden Anlagenbezeichnungen Abstand zu nehmen, soweit die von ihr vertretene Partei oder sie selbst nicht wünschen, dass diese sprechenden Anlagenbezeichnungen in einer später veröffentlichen Entscheidung ungeschwärzt wiedergegeben werden. Dass dies für die betroffenen Kanzleien besonders aufwendig wäre, ist weder vorgetragen noch sonst er sichtlich.
Soweit die Verfügungsbeklagten beantragt haben, ihnen die zu veröffentlichende Fassung vor einer Weitergabe an die Verlage zu Prüfung vorzulegen, konnte dem bereits aufgrund der zeitlichen Überholung nicht nachgekommen werden, worauf mit Verfügung vom 06.04.2021 hingewiesen worden war.
Soweit dem Antrag stattgegeben wurde, ist vor einer (erneuten) Kommunikation an die Verlage die Bestandskraft dieser Entscheidung abzuwarten. Denn soweit das Beschwerdegericht weitere Schwärzungen anordnet, wäre eine erneutes Herantreten an die Verlage notwendig, was weitere Verwirrung über die zu veröffentlichende Fassung hervorrufen könnte.


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