IT- und Medienrecht

Anspruch auf Herausgabe von gerichtlichen Entscheidungen ohne besondere rechtskonkretisierende oder rechtsfortbildende Bedeutung

Aktenzeichen  AN 14 K 16.01572

Datum:
20.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
K & R – 2019, 429
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayPrG Art. 4, Art. 11
RStV § 9a
BayDSG Art. 39
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3
VwGO § 67 Abs. 2 S. 2 Nrn. 3 bis 7, § 154 Abs. 1, § 167
VwVfG Art. 35 S. 1
ZPO § 299 Abs. 2, § 708 f.

 

Leitsatz

1 Ein Auskunftsanspruch aus Art. 4 Abs. 1 BayPrG setzt eine journalistische Tätigkeit des Anspruchstellers voraus. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Journalistischredaktionell gestaltete Angebote (vgl.§ 55 Abs. 3 i.V.m. § 9a Abs. 1 S. 1 RStV) zeichnen sich dadurch aus, dass bei ihnen Informationen nach ihrer angenommenen gesellschaftlichen Relevanz ausgewählt und zusammengestellt werden. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3 Private Dritte haben keinen voraussetzungslosen, neben § 475 StPO tretenden Auskunftsanspruch (hier: auf Herausgabe gerichtlicher Entscheidungen) unmittelbar aufgrund Verfassungsrechts. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4 Auskunftsansprüche finden ihre Grenzen in bestehenden öffentlich-rechtlichen Bindungen wie der Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, Datenschutz und Steuergeheimnis. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft, weil es sich bei der begehrten Auskunftserteilung um keinen Verwaltungsakt im Sinne von Art. 35 Satz 1 VwVfG, sondern vielmehr um einen Realakt handelt (vgl. OVG NRW, U.v. 23.5.1995 – 5 A 2875/92 -, juris Rn. 3; VGH BW, U.v. 5.2.1979 – I 3199/78 -, juris Rn. 13; VG München, U.v. 22.5.2014 – M 10 K 13.1304 -, juris Rn. 34; VG Düsseldorf, U.v. 15.10.2008 – 1 K 3286/08 -, juris Rn. 19; siehe auch Schnabel, NVwZ 2012, 854 (856)). Auch im Übrigen ist die Klage zulässig.
2. Die Klage ist allerdings unbegründet. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. dazu etwa BVerwG, U.v. 17.12.1954 – V C 97/54 -, juris Rn. 13 ff.) keinen Anspruch auf Herausgabe einer Abschrift des strafgerichtlichen Urteils des Landgerichts …mit dem Aktenzeichen … unter Verzicht auf die vom Beklagten vorgenommenen Schwärzungen.
2.1 Der Kläger hat weder aus einfachem Recht noch aus Verfassungsrecht einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Herausgabe des Urteils.
Der vom Kläger geltend gemachte presserechtliche Auskunftsanspruch gemäß Art. 4 Abs. 1 BayPrG ist nicht einschlägig, weil es sich beim Kläger um keinen davon erfassten Pressevertreter handelt. Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayPrG hat die Presse gegenüber Behörden ein Recht auf Auskunft. Sie kann es gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 2 BayPrG nur durch Redakteure oder andere von ihnen genügend ausgewiesene Mitarbeiter von Zeitungen oder Zeitschriften ausüben. Der Begriff „Presse“ knüpft an den Begriff des „Druckwerks“ (Art. 6 BayPrG) an und ist dementsprechend bezogen und beschränkt auf körperliche, zur Verbreitung bestimmte Vervielfältigungsstücke. Unkörperlich verbreitete Medien, namentlich Rundfunk und Telemedien – dort gilt der Rundfunkstaatsvertrag -, werden vom Bayerischen Pressegesetz nicht erfasst (vgl. Söder, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht 22. Edition Stand: 1. November 2018, § 11 BayPrG Rn. 2). Mangels journalistischer Tätigkeit des Klägers für ein Printmedium scheidet ein Auskunftsanspruch nach Art. 4 Abs. 1 BayPrG aus. Auch der vom Kläger vorgelegte Presseausweis des Deutschen Verbandes der Pressejournalisten führt zu keinem anderen Ergebnis. Presseausweise haben grundsätzlich keine rechtliche Bedeutung und können daher allenfalls Indiz für eine Pressetätigkeit sein. Gegen eine Indizwirkung im vorliegenden Fall spricht überdies die Tatsache, dass die Anforderungen an den bundeseinheitlichen Presseausweis von dem durch den Deutschen Verband der Pressejournalisten ausgestellten Ausweis nicht erfüllt werden (vgl. ZEIT ONLINE, Pressefreiheit: Betrug mit dem Journalistenausweis, 12. Februar 2019). Abseits des seit 1. Januar 2018 wieder eingeführten bundeseinheitlichen Presseausweises gibt es keine verbindlichen Kriterien für die Vergabe von Presseausweisen.
Ein Auskunftsanspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus dem Rundfunkstaatsvertrag. Der Kläger ist weder für einen Rundfunkveranstalter (vgl. dazu § 2 Abs. 1 Satz 1 RStV) tätig, sodass ein Informationsanspruch aus § 9a Abs. 1 Satz 1 RStV ausscheidet, noch ist der Kläger für einen Anbieter von Telemedien (vgl. dazu § 2 Abs. 1 Satz 3 RStV) mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, in denen insbesondere vollständig oder teilweise Inhalte periodischer Druckerzeugnisse in Text und Bild wiedergegeben werden, tätig, sodass auch ein Informationsanspruch aus § 55 Abs. 3 i.V.m. § 9a Abs. 1 Satz 1 RStV ausscheidet. Journalistischredaktionell gestaltete Angebote zeichnen sich dadurch aus, dass bei ihnen Informationen nach ihrer angenommenen gesellschaftlichen Relevanz ausgewählt und zusammengestellt werden. Dahinter steht das Ziel des Anbieters zur öffentlichen Kommunikation beizutragen (vgl. VGH BW, B.v. 25.3.2015 – 1 S 169/14 -, juris Rn. 22; Schleyer, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht 22. Edition Stand 1. November 2018, § 9a RStV Rn. 5). Ein Blog wie der des Klägers reicht dazu grundsätzlich nicht aus (vgl. ausführlich BayVGH, B.v. 27.1.2017 – 7 CE 16.1994 -, juris: „Störungsmelder“ von ZEIT ONLINE als Sonderfall). Die vorgetragene Tätigkeit des Klägers als Redakteur bei einem Online-Medium könnte diese Anforderungen zwar womöglich erfüllen. Das vom Kläger angegebene Internetportal (* …*) wird allerdings gegenwärtig nicht mehr mit Inhalten gepflegt, sodass auch diese nicht zu einem Informationsanspruch dem Grunde nach führen kann. Die Tätigkeit des Klägers für die Forschungsgruppe … erfüllt die oben genannten Voraussetzungen ebenfalls nicht. Ausweislich ihres Internetauftritts (* …*) verfolgt diese Vereinigung wissenschaftliche Ziele durch die Dokumentation und Auswertung extremistischer Taten. Eine Auswahl und Aufbereitung gesellschaftlicher Themen nach Relevanz zum Beitrag der öffentlichen Meinungsbildung vermag das Gericht darin nicht zu erkennen.
Auch ein Auskunftsanspruch nach Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayDSG ist vorliegend nicht einschlägig. Demnach hat unter bestimmten Voraussetzungen jeder das Recht auf Auskunft über den Inhalt von Dateien und Akten öffentlicher Stellen. Ein solcher Auskunftsanspruch besteht allerdings gemäß Art. 39 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BayDSG nicht gegenüber Gerichten (vgl. Schmieder, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, 22. Edition Stand 1. November 2018, Art. 39 BayDSG Rn. 37 ff.).
Dem Kläger steht auch kein Auskunftsanspruch unmittelbar aus Verfassungsrecht zu. Aus dem Grundgesetz ergibt sich zwar ein Anspruch des Rechtsunterworfenen auf Herausgabe veröffentlichungswürdiger gerichtlicher Entscheidungen. Die Gerichtsverwaltung ist aufgrund des Rechtsstaatsgebotes einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot sowie dem Grundsatz der Gewaltenteilung regelmäßig zur Publikation veröffentlichungswürdiger Entscheidungen verpflichtet, weil gerichtliche Entscheidungen die Regelungen der Gesetze konkretisieren sowie das Recht fortbilden. Die Publikation von Gerichtsentscheidungen kann damit eine vergleichbare Bedeutung haben wie die Verkündung von Rechtsnormen. Diese Veröffentlichungspflicht gilt grundsätzlich auch für Instanzgerichte (vgl. dazu ausführlich BVerwG, U.v. 26.2.1997 – 6 C 3/96 -, juris; siehe auch BVerwG, U.v. 1.10.2014 – 6 C 35/13 – Rn. 51; NJW 2015, 807). Abseits der rechtskonkretisierenden bzw. -fortbildenden Bedeutung von gerichtlichen Entscheidungen – die nach Überzeugung der Kammer im hier vorliegenden Fall zu verneinen ist, weil das Schwurgericht auf Grundlage gefestigter Rechtsprechung allein das Recht angewendet und nicht in besonderer Weise konkretisiert oder fortgebildet hat – besteht nach Ansicht der Kammer allerdings kein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Herausgabe. Insbesondere haben private Dritte keinen voraussetzungslosen, neben § 475 StPO tretenden Auskunftsanspruch aufgrund Verfassungsrechts (vgl. BGH, B.v. 20.6.2018 – 5 AVR (Vs) 112/17; a.A. BGH, B.v. 5.4.2017 – IV AR (VZ) 2/16). Gemäß § 475 StPO kann ein Rechtsanwalt für Privatpersonen Auskünfte aus Gerichtsakten erhalten, soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. Hiervon umfasst sind auch Abschriften von gerichtlichen Entscheidungen. Auch für die Zivilgerichtsbarkeit gibt es mit § 299 Abs. 2 ZPO eine entsprechende Regelung. Demnach kann der Vorstand des Gerichts dritten Personen ohne Einwilligung der Parteien die Einsicht der Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. Ein solches kommt insbesondere bei Forschungsvorhaben in Betracht (vgl. Keller, NJW 2004, 413). Ein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Akteneinsicht zu Forschungszwecken ist dagegen ebenfalls ausgeschlossen (vgl. BVerwG, B.v. 9.10.1985 – 7 B 188/85).
2.2 Selbst wenn ein Herausgabeanspruch des Klägers dem Grunde nach zu bejahen wäre, schiede ein solcher im begehrten Umfang aus, weil die vorgenommenen Schwärzungen zum Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) des Verurteilten notwendig sind.
Sowohl im einfachen Recht (§ 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG, § 9a Abs. 1 Satz 2) als auch unter dem Verfassungsrecht bestünde ein Auskunftsanspruch nicht ohne Begrenzung. Alle Auskunftsansprüche finden ihre Grenzen in bestehenden öffentlich-rechtlichen Bindungen wie der Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, Datenschutz und Steuergeheimnis (vgl. BVerwG, U.v. 26.2.1997 – 6 C 3/96 -, juris; siehe auch BayVGH, B.v. 13.8.2004 – 7 CE 04.1601 -, juris Rn. 17). Widerstreitende Grundrechtspositionen sind in angemessenen Ausgleich zu bringen und deshalb ist im Wege praktischer Konkordanz abzuwägen, ob dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Informationsinteresse oder dem ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteresse der Verzug zu geben ist, wobei diese Abwägung gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. VG Würzburg, B.v. 13.2.2015 – W 7 E 15.81 -, juris Rn. 16). Als verfassungsrechtliches, für den Kläger streitendes Informationsinteresse ist vorliegend auf die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) abzustellen. Hierunter fällt auch der Schutz privat betriebener Wissenschaft. Insbesondere ist vorliegend das (politik-) wissenschaftliche Interesse des Klägers bzw. der Forschungsgruppe … geschützt, nachvollziehen zu wollen, ob es sich bei der im streitgegenständlichen Urteil abgeurteilten Tat um eine linksextreme Tat handelt. Dieses Interesse vermag allerdings nicht das Interesse des Verurteilten an der Schwärzung der vier sehr persönlichkeitsrelevanten Stellen (familiäre Verhältnisse, Suchtmittelkonsum, Vorverurteilungen sowie Schuldfähigkeit) überwiegen. Im Hinblick auf den Resozialisierungsanspruch des Verurteilten bedarf es bei der Offenlegung solch persönlichkeitsrelevanter Details besonderer Rechtfertigungsgründe (vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar 84. EL August 2018, Art. 2 Abs. 1 Rn. 218), zumal diese zum Teil (familiäre Verhältnisse und Vorverurteilungen) nur mittelbar mit der abgeurteilten Tat zusammenhängen (vgl. dazu auch LG München, B.v. 24.3.2015 – 7 Qs 5/15). Ein solcher besonderer Rechtfertigungsgrund ist für das Gericht nicht ersichtlich. Es wurde bereits nicht dargelegt, inwiefern die geschwärzten Passagen für eine (politik-) wissenschaftliche Beurteilung der Tat erforderlich sind. Ein solcher besonderer Rechtfertigungsgrund kann nach Überzeugung der Kammer vorliegend auch nicht in der Ausübung der Kontrollfunktion der Presse liegen. Wie gesehen handelt es sich beim Kläger schon um keinen Pressevertreter (vgl. oben 2.1). Nach alledem hat der Beklagte eine Herausgabe der Entscheidung ohne die Schwärzungen zu Recht vorweigert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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