IT- und Medienrecht

Begriff des “Erdrutsches” in den AVB einer Wohngebäudeversicherung

Aktenzeichen  41 O 301/20 Ver

Datum:
18.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
r+s – 2021, 276
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AVB Wohngebäudeversicherung

 

Leitsatz

1. Der Begriff des “Erdrutsches” in den AVB einer Wohngebäudeversicherung unter Einschluss von Elementarschäden meint einen Vorgang, bei dem sich ein Teil der Erdoberfläche aus seinem natürlichen Zusammenhang mit seiner Umgebung löst und in Bewegung übergeht, wobei ein nur allmähliches Lösen und Verlagern von Bodenbestandteilen – sei deren Zahl auch sehr groß – nicht genügt; erst wenn diese ihrer Art nach langsam wirkenden Vorgänge (Gesteinsverwitterungen, Unterspülungen usw.) dazu führen, das sich ganze Teile lösen und ihrerseits in Bewegung übergehen, ist der Tatbetand des Erdrutsches erfüllt (unter Hinweis auf OLG Düsseldorf r+s 1986, 14). (Rn. 17 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Rutschungen des Untergrunds von wenigen Zentimetern pro Jahr, die zu einer Rissbildung des versicherten Gebäudes führen, unterfallen demgemäß nicht dem Begriff des Erdrutsches. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 84.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Die Beklagte ist weder verpflichtet, dem Kläger einen Vorschuss in Höhe von 20.000 € zu zahlen (Klageantrag Ziffer 2), noch dem Kläger alle weiteren darüber hinausgehenden entstandenen oder noch entstehenden Schäden aus dem streitgegenständlichen Schadensereignis zu erstatten (Klageantrag Ziffer 1).
Diese Ansprüche ergeben sich insbesondere nicht aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Wohngebäudeversicherungsvertrag, da weder ein Erdfall noch ein Erdrutsch im Sinne der WGB 01/08 vorliegen.
1. Dass die geltend gemachten Schäden auf einem naturbedingten Einsturz des Erdbodens über natürlichen Hohlräumen, mithin einem Erdfall im Sinne der vertraglichen Definition unter K.6 der WGB 01/08, beruhen, hat der Kläger nicht vorgetragen. Er macht ausdrücklich Rutschungen des Untergrundes geltend.
2. Aber auch ein Erdrutsch im Sinne der vertraglichen Definition unter K.7 der WGB 01/08, nämlich ein naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen, liegt nicht vor.
a) Wie von der Beklagten mit Schriftsatz vom 05.02.2021 zutreffend beanstandet, trägt der Kläger keine hinreichend konkreten Tatsachen diesbezüglich vor. Sein Vortrag erschöpft sich in der Behauptung, dass sich nicht augenscheinliche Rutschungen des Untergrunds von wenigen Zentimetern pro Jahr ereignen würden, sowie in Ausführungen zu den Schadensfolgen am Haus und zu allgemeinen Erkenntnissen bezüglich des Untergrunds in der Umgebung seines Hauses. Wie die geltend gemachten Rutschungen des Untergrunds konkret beschaffen sind, namentlich ob sich diese oberirdisch oder unterirdisch ereignen, aus einer Setzung des Untergrundes herrühren oder eine Bewegung des gesamten Hanges oder einzelner konkreter Teile davon darstellen, wo genau sie sich ereignen und inwiefern sie naturbedingt sind oder Folge der Aufschüttung des Hanges zu einer Terrasse, ergibt sich aus dem Vortrag nicht. Bereits aus diesem Grund würde die Erhebung eines Sachverständigengutachtens auf Basis dieses Vortrags einen unzulässigen Ausforschungsbeweis darstellen.
b) Darüber hinaus erfüllt bereits der klägerseits geschilderte Vorgang der nicht augenscheinlichen Rutschungen des Untergrunds von wenigen Zentimetern pro Jahr nicht den Begriff des Erdrutschs als naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen im Sinne der vertraglichen Definition unter K.7 der WGB 01/08.
Denn der Begriff des Erdrutsches meint einen Vorgang, bei dem sich ein Teil der Erdoberfläche aus seinem natürlichen Zusammenhang mit seiner Umgebung löst und in Bewegung übergeht, wobei ein nur allmähliches Lösen und Verlagern von Bodenbestandteilen – sei deren Zahl auch sehr groß – nicht genügt; erst wenn diese ihrer Art nach langsam wirkenden Vorgänge (Gesteinsverwitterungen, Unterspülungen usw.) dazu führen, das sich ganze Teile lösen und ihrerseits in Bewegung übergehen, ist der Tatbetand des Erdrutsches erfüllt (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.07.1983, Az. 4 U 247/82, r + s 1986, 14).
Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut der Klausel. Denn einem „Rutschen“ wohnt ein Moment nicht nur unwesentlicher Bewegung inne. Zwar setzt es nicht zwingend eine „Plötzlichkeit“ voraus, stellt aber andererseits aus der maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen und verständigen Versicherungsnehmer nicht einen allmählichen, länger andauernden und nicht wahrnehmbaren Vorgang dar (vgl. Langheid/Wandt, Münchener Kommentar zum VVG 2. Auflage 2017, 2. Teil. Systematische Darstellungen 3. Kapitel. Versicherungssparten 230. Elementarschadenversicherung Rn. 77a). Dass die Geschwindigkeit des Abrutschens kein Kriterium sei (so OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 03.02.2014, Az. 10 U 1268/13 = VersR 2015, 67, allerdings ohne nähere Begründung; W. Schneider, in: MAH VersR, 4. Auflage 2017, Teil B. Sachversicherungen § 9 Industrielle Sachversicherung Rn. 358, mit dem zirkulären Argument, dass der Tatbestand der Definition des Versicherungsfalls kein Zeitmoment enthalte; Prölss/Martin/Armbrüster, 31. Aufl. 2021, VGB 2016 – Wert 1914 GNP § 4 Rn. 14, ohne eigene Begründung; Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, § 4 Wohngebäudeversicherung Rn. 127, der im Begriff „Rutschen“ keinen Geschwindigkeitsmoment erkennen will), lässt sich mit dem Wortlaut des Rutschens kaum vereinbaren, da dann Begriffe wie „Kriechen“ oder – geschwindigkeitsneutral – „Bewegen“ oder „Verlagern“ zu erwarten wären. Dies verdeutlicht sich anschaulich bei der semantischen Umschreibung der vergleichbaren Bewegung von Gletschern. Soweit die langsame stetige Abwärtsbewegung eines Gletschers beschrieben wird, werden im allgemeinen Sprachgebrauch andere Wörter als „Rutschen“ verwendet, wohingegen unter „Rutschen“ eine schnellere, zumindest konkret sensorisch erfassbare Bewegung verstanden würde.
Auch ergibt sich diese Bedeutung aus der maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen und verständigen Versicherungsnehmers aus einem Vergleich mit den weiteren versicherten Elementarschäden: Neben dem Erdrutsch sind Schäden erfasst, die durch Überschwemmungen, Rückstau, Erdfall, Schneedruck, Lawinen und Vulkanausbrüche verursacht werden. All diesen Ereignissen liegt eine deutliche Wahrnehmbarkeit und zeitliche Umgrenzung des Geschehens zugrunde. Es ist damit erkennbar, dass der Erdrutsch – wie auch die anderen Elementarschäden – ein langfristiges, gleichsam schleichendes und nicht konkret wahrnehmbares Ereignis nicht umfasst.
II.
Mangels Erfolges in der Hauptsache ist die Klage auch hinsichtlich der Nebenforderungen unbegründet.
III.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
IV.
Der Streitwert von 84.000,00 € setzt sich zusammen aus 20.000 € für Ziffer 2 der Klageanträge und 64.000 € für Ziffer 1 der Klageanträge, da der weitere für die Erstattungspflicht im Rahmen der Versicherung zur Feststellung begehrte Schaden von 80.000 € zugrunde zu legen und ein Abschlag für die Feststellung von 20% vorzunehmen ist.


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