IT- und Medienrecht

Berufung, Auslegung, Wiedereinsetzung, Vertragsschluss, Unterlassung, Unterlassungsanspruch, Ware, Anlage, Vereinbarung, Rechtsverfolgungskosten, Erforderlichkeit, Vertragsstrafe, Handlungseinheit, Wirksamkeit, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, vertragliche Vereinbarung, eidesstattliche Versicherung

Aktenzeichen  29 U 5407/19 Kart

Datum:
26.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 55685
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

1 HK O 4864/18 2019-08-23 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts München I vom 23.08.2019, Az. 1 HK O 4864/18, abgeändert und wie folgt gefasst:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 10.000,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Teilbetrag in Höhe von € 5.000,00 seit dem 12.01.2018 und aus einem Teilbetrag in Höhe von weiteren € 5.000,00 seit dem 11.05.2018 zu bezahlen.
II. Es wird festgestellt, dass das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien aus der Verpflichtungserklärung vom 17.04. bzw. 21.05.2007 ungekündigt fortbesteht.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen der Kläger 57% und die Beklagte 43%.
2. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
3. Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 08.04.2020 wird zurückgewiesen und die Anschlussberufung der Beklagten wird als unzulässig verworfen.
4. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 1/3 und die Beklagte 2/3.
5. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts in obiger Fassung sind vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

I.
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Vertragsstrafenvereinbarung geltend.
Der Kläger betreibt eine Werkstatt, die auf die Reparatur von elektronischen Geräten in Kraftfahrzeugen, wie beispielsweise Navigationsgeräten, Auto-Hifi-Anlagen und Kommunikationsgeräten spezialisiert ist. Er erhält insbesondere Reparaturaufträge von Werksniederlassungen und Vertragswerkstätten der D. AG sowie von deren Tochterunternehmen.
Die Beklagte ist die in Deutschland ansässige Tochtergesellschaft eines japanischen Herstellers von elektronischen Geräten unter anderem für den Betrieb in Kraftfahrzeugen. Sie wickelt ihr Reparaturwesen und Ersatzteilgeschäft über eine R. GmbH ab. Die R. GmbH führt darüber hinaus auch selbst Reparaturaufträge für die Beklagte aus, insbesondere solche im Rahmen der Gewährleistung der Beklagten zugunsten der D. AG.
Am 09.03.2001 erließ das Landgericht Stuttgart eine einstweilige Verfügung (Anlage K 2), durch die der Beklagten untersagt wurde, die Belieferung des Klägers mit Ersatzteilen für die von der Beklagten zur Verwendung in Kraftfahrzeugen der D. AG hergestellten Geräte der Unterhaltungselektronik, für Navigationsgeräte, Kommunikationsgeräte sowie für entsprechende Systemkombinationen zu verweigern oder einzustellen.
Hierauf schlossen die Parteien die im landgerichtlichen Urteil wiedergegebene Liefervereinbarung vom 17.04./21.05.2007 (Anlage K 4), die für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Pflicht zur Belieferung mit Ersatzteilen sowie der entsprechenden technischen Informationen eine Vertragsstrafe von € 5.000,00 vorsah.
Die Beklagte hat die Liefervereinbarung durch Schreiben vom 13.12.2018 außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30.06.2019, gekündigt,
Der Kläger ist der Auffassung, ihm stünden für insgesamt sieben Verstöße der Beklagten gegen die Liefervereinbarung Vertragsstrafen in Höhe von insgesamt € 35.000,00 sowie vorgerichtliche Kosten zu. Die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung sei sowohl als außerordentliche wie auch als ordentliche Kündigung unwirksam, so dass er die entsprechende Feststellung begehren könne.
Die Beklagte ist der Auffassung, die Vertragsstrafen seien nicht verwirkt. Der Vertrag sei wirksam gekündigt worden, weil der Beklagten ein Festhalten daran aufgrund des ihr entgegengebrachten Misstrauens nicht mehr zumutbar gewesen sei. Es liege der Verdacht nahe, dass es dem Kläger nicht um den Erhalt der Ware gehe, sondern allein darum, möglichst häufig Vertragsstrafen fordern zu können. Die Beklagte werde ihrer kartellrechtlichen Lieferverpflichtung mit existenten Ersatzteilen und technischen Informationen auch ohne die vertragliche Vereinbarung aber selbstverständlich nachkommen.
Das Landgericht hat der Klage durch Endurteil vom 19.08.2019 (Bl. 340/357 d.A.), auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, im Hinblick auf zwei Vertragstrafen von insgesamt € 10.000,00 betreffend die Lieferung des sogenannten Service Manual BD0831 gemäß Bestellung vom 16.01.2017 (Anlage K 134) sowie betreffend die Nichtlieferung der gemäß Anlage K 149 bestellten ICs (Integrated Circuits) stattgegeben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Dieses Urteil greift der Kläger teilweise mit seiner Berufung an. Die Beklagte hat durch Schriftsatz vom 30.03.2020 Anschlussberufung erhoben, nachdem die Berufungserwiderungsfrist durch Verfügung vom 06.02.2020 (Bl. 393 d.A.) bis 30.03.2020 verlängert worden war. Der Schriftsatz ist am 30.03.2020 per beA beim Landgericht München I eingegangen, das ihn an das Oberlandesgericht München weitergeleitet hat, wo er am 01.04.2020 eingegangen ist. Mit Schriftsatz vom 08.04.2020, der am gleichen Tag beim Oberlandesgericht München eingegangen ist, hat die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Der Kläger beantragt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, EUR 25.000,00 zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 9 Pro zentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jeweils
– aus einem Teilbetrag i.H.v. EUR 5.000,00 seit dem 19.12.2017,
– aus einem Teilbetrag i.H.v. EUR 20.000,00 seit dem 18.03.2017 zu zahlen.
III. Es wird festgestellt, dass das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien aus der Verpflichtungserklärung vom 17.04. bzw. 21.04.2007 ungekündigt fortbesteht.
Die Beklagte beantragt,
1.die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
2.das Urteil des Landgerichts München I vom 19. August 2019, Az. 4 HKO 4864/18 wird teilweise abgeändert, soweit es der Klage stattgegeben und der Beklagten Kosten auferlegt hat, und die Klage wird abgewiesen.
Soweit der Kläger zunächst mit Ziffer II. seiner Berufungsanträge auch die Verurteilung zur Zahlung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten i.H.v. EUR 827,80 nebst Zinsen begehrt hatte, hat er die Berufung im Termin vom 15.10.2020 (Bl. 504 d.A.) zurückgenommen. Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.10.2020 Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet.
Dem Kläger stehen die geltend gemachten weiteren Vertragsstrafenansprüche aus § 339 Satz 1 BGB in Verbindung mit der Liefervereinbarung vom 17.04./21.05.2007 (Anlage K 4) nicht zu. Der Feststellungsantrag betreffend das ungekündigte Fortbestehen der Verpflichtungserklärung gemäß Anlage K 4 ist aber begründet.
1. Soweit der Kläger im Hinblick auf die fünf fehlenden Lieferungen von ICs entsprechend der Bestellung in Anlage K149 rügt, das Landgericht habe zu Unrecht eine natürliche Handlungseinheit angenommen, dringt er damit nicht durch. Die den Vertragsstrafenanspruch begründende Verweigerung der Beklagten ist durch den Versand der E-Mail in Anlage K 151 erfolgt, so dass für die insgesamt fünf Bauteile nur eine einzige Handlung vorlag. Selbst wenn man annimmt, dass der einen E-Mail insgesamt fünf einzelne Willensentschließungen vorgelagert gewesen sein sollten, wäre auch insoweit eine natürliche Handlungseinheit anzunehmen.
a) Ist eine Vertragsstrafe nach § 339 BGB – wie hier in Ziffer 3 von Anlage K 4 – „für jeden Fall der Zuwiderhandlung“ vereinbart, so entsteht zwar grundsätzlich der Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe jeweils neu. Allerdings können in Auslegung der konkreten Vereinbarung nach §§ 133, 157 BGB mehrere gleichartige, zeitlich nicht zu weit auseinander liegende Einzelhandlungen eine Verletzung bilden, wenn sie als natürliche Handlungseinheit anzusehen sind (RGZ 112, 361, 367; BGH NJW 2018, 155 Rn. 36; GRUR 2015, 1021 Rn. 29; OLG München MMR 2015, 111 Rn. 10). Die Grundsätze für die Verhängung von Ordnungsmitteln bei der Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO gelten zwar nicht, doch ist regelmäßig eine Verwirkung der Vertragsstrafe für jede einzelne Zuwiderhandlung nicht gewollt. Die Parteien können die Berücksichtigung der Handlungseinheit allerdings durch eindeutige Erklärungen ausschließen. Ein solcher Verzicht bezieht sich dann auf vorsätzliche wie fahrlässige Verletzungshandlungen (MüKoBGB/Gottwald, 8. Aufl., § 339, Rn. 39, 40).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit durch das Landgericht nicht zu beanstanden. Bei Auslegung der Verpflichtungserklärung gemäß Anlage K 4, insbesondere von dessen Ziffer 3., fällt auf, dass die Parteien zwar „auf jeden Fall der Zuwiderhandlung“ abstellen, eine eindeutige Erklärung dahingehend, dass die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs oder die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit ausgeschlossen werden soll, findet sich jedoch nicht.
Auch ergibt sich aus der Vorgeschichte und der Tätigkeit des Klägers als Betreiber einer Reparaturwerkstatt, die Ersatzteile in erheblichem Umfang benötigt, dass eine künstliche Aufspaltung von Bestellungen in Einzelposten oder gar einzelne Ersatzteile bei der Verpflichtungserklärung nicht gewollt war, da vielmehr verhindert werden sollte, dass die Bestellungen des Klägers insgesamt nicht ausgeführt werden und er daher mangels Belieferung mit notwendigen Ersatzteilen oder der technischen Dokumentation in erheblichem Umfang in seiner Reparaturtätigkeit beeinträchtigt wird. Gerade die Abhängigkeit des Klägers von der Belieferung durch die Beklagte spricht daher für den Willen der Parteien, nicht einzelne kleine Posten zu betrachten, sondern etwaige Lieferverweigerungen in möglicherweise existenzgefährdendem Umfang insgesamt zu verhindern.
Die vom Kläger vorgenommene Differenzierung zwischen Ansprüchen auf positives Tun und solchen auf Unterlassung findet im Gesetz keine Stütze und missachtet den Grundsatz, dass vorrangig die Auslegung des Vertragsstrafenversprechens zu berücksichtigen ist. Eine grundsätzliche Differenzierung zwischen positivem Tun und negativem Unterlassen ist nicht gerechtfertigt, weil die Formulierung einer Vereinbarung oftmals nur die Konsequenz daraus ist, dass Strafversprechen zur Bestärkung einer positiven Leistung meist präziser beschreiben, was konkret gesollt ist, als eine Beschreibung der Negation des zur Erfüllung notwendigen Verhaltens des Schuldners (BeckOGK/Ulrici, Stand: 1.11.2020, BGB, § 339, Rn. 229). Auch im vorliegenden Fall hätte sich in Anlage 4, Ziffern 1. und 2. die Belieferungsverpflichtung grundsätzlich als Verpflichtung formulieren lassen, eine Lieferverweigerung zu unterlassen. Wird aber aus sprachlichen Gründen die besser verständliche Variante gewählt, lassen sich allein hieran rechtliche Konsequenzen nicht knüpfen.
Auch eine Unterscheidung zwischen fahrlässigen und vorsätzlichen Verstößen ist nicht vorzunehmen. Die Auslegung der Vertragsstrafenvereinbarung ergibt im Regelfall nicht, dass die Parteien die Strafbedingung für fahrlässige anders als für vorsätzliche Verstöße umreißen wollen, weil und soweit jedes Verschulden für den Strafverfall genügen soll. Anderenfalls ließen sich die einzelnen Strafansprüche vor Strafverfall kaum voneinander unterscheiden, will man nicht – lebensfremd – annehmen, die Parteien hätten eine Vielzahl von Strafansprüchen für vorsätzliche und daneben eine Vielzahl anders strukturierter Strafansprüche für bloß fahrlässige Verstöße begründet (BeckOGK/Ulrici, Stand: 1.11.2020, BGB, § 339, Rn. 230.3). Ein Mehrfachverstoß als einheitliche Handlung wird nicht deshalb zu zwei Verstößen, nur weil der Täter vorsätzlich gehandelt hat.
Soweit der BGH angenommen hat, dass es im allgemeinen nicht einer beiderseits interessengerechten Auslegung eines Vertragsstrafenversprechens entspreche, Einzeltaten nur deshalb zu einer rechtlichen Einheit zusammenzufassen, weil der Schuldner von vorneherein mehrfache Verstöße gegen seine Unterlassungsverpflichtung beabsichtigt hat und dies gegebenenfalls eine ungerechtfertigte Privilegierung eines besonders hartnäckigen Vertragsverletzers bedeuten könne, weil die Vertragsstrafe dann bereits nach der ersten Handlung die Sicherungsfunktion gegenüber den Folgehandlungen einbüßen würde (BGH GRUR 2001, 758, 760 – Trainingsvertrag), trifft dies nicht die vorliegende Konstellation. Wollen die Vertragsparteien die Vertragsstrafe ihrer Höhe nach verschuldensgradabhängig ausgestalten, mögen sie das, aber müssen sie das auch tun (Staudinger/Rieble, BGB (2015), § 339, Rn. 365). Dass sie das durch die Vereinbarung in Anlage K 4 getan hätten, ist vorliegend weder vom Kläger dargetan, noch aus den Erklärungen selbst ersichtlich.
2. Soweit der Kläger rügt, das Landgericht habe zu Unrecht keine Vertragsstrafe für die Nichtlieferung der Informationen zur Diebstahlssperre zuerkannt, hat die Berufung ebenfalls keinen Erfolg.
a) Wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, hat der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger schon nicht hinreichend vorgetragen, dass es sich bei den Informationen zum Umgehen der Diebstahlssperre um solche technischen Informationen handelt, die zur Reparatur der Geräte entsprechend Ziffer 2. der Verpflichtungserklärung gemäß Anlage K 4 erforderlich sind. Der eine Vertragsstrafe einfordernde Gläubiger ist im Grundsatz für den Tatbestand seines Anspruchs, d.h. auch für den Strafverfall als Bedingungseintritt, z.B. für das Bestehen der gesicherten Pflicht, darlegungs- und beweisbelastet (BeckOGK/Ulrici, Stand: 1.11.2020, BGB, § 339, Rn. 236). Folglich hatte der Kläger die Erforderlichkeit der von ihm begehrten Informationen für die Durchführung von Reparaturen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Diesbezüglich ließen sich dem Sachvortrag des Klägers nur vage Angaben darüber entnehmen, dass die Informationen zum Umgehen von sich einschaltenden Diebstahlssperren erforderlich seien, um Reparaturen vornehmen zu können:
Im Klageerweiterungsschriftsatz vom 24.01.2018, der das hiesige abgetrennte Verfahren eingeleitet hat, fehlen auf den thematisch einschlägigen Seiten 13 bis 15 (Bl. 13/15 d.A.) Ausführungen zur Erforderlichkeit für die Reparaturen völlig und es erfolgt lediglich ein Vergleich mit den vermeintlich für die Firma Ried verfügbaren Informationen.
Im Schriftsatz vom 15.10.2018 führt der Kläger auf Seite 31 (Bl. 119 d.A.) zwar aus, welche Möglichkeiten es gebe, eine Diebstahlssperre für die Dauer einer Reparatur auszuschalten, trägt aber wiederum nichts vor, warum dies für die Reparatur erforderlich sein solle. Auf Seite 33 desselben Schriftsatzes (Bl. 121 d.A.) gibt er beim zweiten Bulletpoint unter Verweis auf Anlage K 141 an, bei ihm habe sich bei vielen eingesandten Geräten die Diebstahlssperre eingeschaltet, obwohl die Geräte von ihm nicht 26 Mal ein- und ausgeschaltet worden waren. Aus diesen unspezifischen Angaben lässt sich wiederum nicht erkennen, dass eine pauschale Notwendigkeit besteht, dass die Beklagte ihm für sämtliche denkbaren Geräte und für sämtliche denkbaren Vorgehensweisen bei einer Reparatur Informationen zum Umgehen der Sperre zur Verfügung stellen müsse, weil die Reparaturen sonst verunmöglicht würden. Gleiches gilt auch für die in Anlage K 141 aufgeführten und eingelichteten Beispiele, wo zwar einzelne Gerätenummern angeführt sind und Testläufe und Fehlersuchen erwähnt werden, woraus sich eine pauschale Erforderlichkeit von Umgehungsinformationen für die Reparaturen aber ebenfalls nicht ableiten lässt.
Schließlich erfährt der klägerische Sachvortrag auch im Schriftsatz vom 29.04.2019, dort auf den Seiten 8 ff. (Bl. 307 ff. d.A.), nicht die erforderliche Vertiefung, aus der sich die umfassende und geräteübergreifende Erforderlichkeit der Entsperrinformationen für die Reparaturen erkennen ließe, da wiederum nur ein Vergleich zur Vorgehensweise bei der Firma Ried gezogen wird.
Da schon der klägerische Sachvortrag keine hinreichenden Angaben zur Erforderlichkeit der Umgehungsinformationen enthalten hat, war den in den Schriftsätzen enthaltenen Beweisangeboten auf Erholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht nachzugehen.
b) Im Übrigen war im konkreten Fall auch ein entsprechender Hinweis des Landgerichts nach § 139 ZPO, wie ihn der Kläger gerne zu der Frage eines notwendigen Sachverständigengutachtens erhalten hätte, entbehrlich.
Selbst wenn man hinreichenden Sachvortrag des Klägers unterstellt, hätten die Beweisangebote für ein Sachverständigengutachten in den Schriftsätzen des Klägers vom 15.10.2018, Seiten 31 (Bl. 119 d.A.) und 33 ff. (Bl. 121 ff. d.A.), und vom 29.04.2019, Seite 9 (Bl. 308 d.A.), betreffend die Frage der Erforderlichkeit von Informationen zum Umgehen der Diebstahlssperre – wie das Landgericht zutreffend ausführt – nicht erkennen lassen, auf welches Navigationsgerät sie sich bezogen und welches Navigationsgerät oder welche Navigationsgeräte vom Sachverständigen zu begutachten gewesen wären.
Unter diesen Umständen war ein Hinweis des Landgerichts nach § 139 ZPO entbehrlich. Zwar hat das Gericht nach § 139 ZPO unvollständige oder unbestimmte Beweisanträge zu monieren und im Einzelfall darauf hinzuweisen, dass ein Beweismittel ungeeignet ist (MüKoZPO/Fritsche, 6. Aufl., § 139, Rn. 28). Bei einem Beweisantritt durch Sachverständigengutachten, das sich auf die Untersuchung eines technischen Gerätes und die Feststellung seiner technischen Eigenschaften beziehen soll, ist einer Partei aber ohne weiteres klar, dass dieser so lange ins Leere geht, wie die konkrete Benennung des Gerätes oder der Geräte selbst unterbleibt. Bezüglich der Annahme einer Hinweispflicht ist in solchen Fällen im Anwaltsprozess Zurückhaltung geboten, da eine entsprechende Pflicht von der Mitverantwortung der Parteien nichts mehr übrigließe (BeckOK ZPO/von Selle, 38. Ed. 1.9.2020, § 139, Rn. 28.1; Musielak/Voit/Stadler, 17. Aufl. 2020, § 139, Rn. 14).
3. Soweit der Kläger moniert, das Landgericht hätte keine Wirksamkeit der Kündigung der Vereinbarung gemäß Anlage K4 zum 30.06.2019 annehmen dürfen, hat seine Berufung dagegen Erfolg.
a) Fehlen – wie hier in Anlage K 4 – in einem unbefristeten Dauerschuldverhältnis Regelungen über ein ordentliches Kündigungsrecht und haben die Parteien die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen, sind zwar grundsätzlich die §§ 584, 624, 723 BGB entsprechend anwendbar (BGH NJW 1972, 1129; NJW-RR 1993, 1460; 2006, 117, 120, Rn. 42; OLG München NJW-RR 1996, 561;). Ob eine ordentliche Kündigung mangels ausdrücklicher Regelung stillschweigend ausgeschlossen werden sollte, ist aber durch Auslegung des Vertrages nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln (BeckRS 2009, 86578 Rn. 8).
Die Auslegung der vertraglichen Vereinbarung in Anlage K 4 gemäß §§ 133, 157 BGB ergibt vorliegend, dass die Parteien eine ordentliche Kündigung – ebenso wie bei einem auf eine Abmahnung hin geschlossenen strafbewehrten Unterlassungsvertrag – ausschließen wollten.
Nach Erlass der einstweiligen Verfügung durch das Landgericht Stuttgart bestand bei den Parteien die gleiche Interessenlage wie nach Zugang einer berechtigten außergerichtlichen Abmahnung und einer anschließenden Unterwerfung des Schuldners durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung. Erkennbar sollte der hiesige Kläger durch ein Vertragsstrafenversprechen gegen künftige Lieferverweigerungen abgesichert werden, die Verpflichtung der Beklagten war lediglich – wie bereits erläutert – verständlichkeitshalber nicht als Unterlassungsverpflichtung, sondern als Verpflichtung zu positivem Tun formuliert.
Bei strafbewehrten Unterlassungserklärungen besteht der regelmäßig mit der Abgabe derartiger Erklärungen verfolgte Zweck darin, einen gesetzlichen Unterlassungsanspruch durch einen vereinfacht durchsetzbaren und strafbewehrten vertraglichen Anspruch zu ersetzen, dessen Geltendmachung keine Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr mehr voraussetzt (vgl. BGH GRUR 1998, 953, 954 – Altunterwerfung III; GRUR 2001, 85, 86 – Altunterwerfung IV; GRUR 1999, 522, 524 – Datenbankabgleich). Da der Gläubiger anschließend für die zurückliegenden Verstöße nicht mehr auf den gesetzlichen Anspruch zurückgreifen kann und will – und im vorliegenden Fall noch zusätzlich die Sicherung des gesetzlichen Anspruchs durch die Rücknahme des Verfügungsantrags entsprechend Ziffer 4. der Anlage K4 aus der Hand gegeben hat – ergibt die Auslegung, dass die hiesige Vereinbarung nach dem Parteiwillen genau wie ein strafbewehrter Unterlassungsvertrag (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm, UWG, 38. Aufl., § 12, Rn. 1.231 ff.) nicht ordentlich kündbar sein, sondern den Kläger vielmehr dauerhaft vertraglich absichern sollte.
b) Soweit sich die Beklagte auf eine außerordentliche Kündigung stützen will, kommen als wichtiger Grund zwar grundsätzlich ein rechtsmissbräuchliches Verhalten bei einer dem Vertragsschluss vorangegangenen Abmahnung oder ein Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betracht (vgl. BGH GRUR 2019, 638 Rn. 12 – Kündigung der Unterlassungsvereinbarung; BGHZ 133, 316, 327 – Altunterwerfung I; BGH GRUR 2001, 85, 86 – Altunterwerfung IV; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm, UWG, 38. Aufl., § 12, Rn. 1.234 ff.).
Für ein dem Vertragsschluss vorangegangenes rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers ist vorliegend nichts ersichtlich, zumal der Vertrag ja vielmehr nach Erlass der einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte geschlossen wurde.
Soweit die Beklagte meint, ein Wegfall der Geschäftsgrundlage sei deshalb eingetreten, weil das Ersatzteilportfolio seit Abschluss der Verpflichtungserklärung extrem verkleinert worden sei und die Beklagte aufgrund einer Umstrukturierung nicht mehr über kompetentes Personal verfüge, das die technischen Fragen des Klägers beantworten könne, lässt sich hieraus im Sinne einer Risikobetrachtung (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 313, Rn. 19) nicht ableiten, dass sich der Kläger redlicherweise auf eine Beendigung der Vereinbarung hätte einlassen müssen. Da die Beklagte im Rahmen von § 339 BGB ohnehin nur für schuldhafte Verstöße auf Zahlung einer Vertragsstrafe haftet, lassen sich die genannten, nach Abschluss der Verpflichtung entstandenen Probleme durch eine Verschuldensprüfung angemessen lösen, ohne dass der Vertrag insgesamt beendet werden müsste. Dementsprechend ist das Fortbestehen der Verpflichtungen aus der Vereinbarung für die Beklagte auch nicht unzumutbar. Gleiches gilt auch im Hinblick auf die Vermutung der Beklagten, dass es dem Kläger nicht um den Erhalt der Ware gehe, sondern allein darum, möglichst häufig Vertragsstrafen fordern zu können.
Die Vereinbarung gemäß Anlage K 4 endete folglich nicht durch die Kündigung vom 13.12.2018 und besteht ungekündigt fort. Der entsprechende Feststellungsantrag des Klägers gemäß Ziffer III. war daher begründet und das landgerichtliche Urteil war entsprechend abzuändern.
III.
Die Anschlussberufung der Beklagten ist aufgrund der versäumten Frist zur Berufungserwiderung, innerhalb der die Anschlussberufung nach § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO eingelegt werden muss, unzulässig. Der mit Schriftsatz vom 08.04.2020 (Bl. 425/455 d.A.) gestellte statthafte Wiedereinsetzungsantrag führt mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 233 Satz 1 ZPO nicht zum Erfolg.
1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 Satz 1 ZPO ist nur zu entsprechen, wenn die Partei unverschuldet an der rechtzeitigen Vornahme der Prozesshandlung gehindert war, wobei sie sich gegebenenfalls das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss (BeckOK ZPO/Wendtland, 38. Ed. 1.9.2020, § 233, Rn. 9). Hat nur ein Verschulden von dessen Büropersonal zur Fristversäumung geführt, so kann dies zwar zur Gewährung von Wiedereinsetzung führen, da § 278 BGB im Prozessrecht unanwendbar ist. Dies gilt jedoch nicht, wenn ein solcher Fehler des Personals durch Auswahl-, Organisations-, Belehrungs- oder Überwachungsfehler des Rechtsanwalts selbst ermöglicht wurde (MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl., § 233, Rn. 36).
Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per besonderem elektronischem Anwaltspostfach (beA) entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax (OLG Saarbrücken BeckRS 2019, 28210; BAG NJW 2019, 2793, 2795). In diesen Fällen hat der Rechtsanwalt den Erhalt der nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO zwingend vorgeschriebenen automatisierten Eingangsbestätigung zu kontrollieren. Überträgt er die Kontrolle der automatisierten Eingangsbestätigung seinem – zuverlässigen – Personal, was grundsätzlich zulässig ist (vgl. BGH BeckRS 2012, 23588), hat er dessen ordnungsgemäße Durchführung zumindest stichprobenweise zu überprüfen (OLG Saarbrücken, a.a.O.; BAG NJW 2019, 2793, 2796).
Nach Abschluss der Übermittlung einer Nachricht per beA ist anhand der automatisierten Eingangsbestätigung und gegebenenfalls des Inhalts der Akte zu kontrollieren, ob der Versand vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist (vgl. zum Telefax: BGH BeckRS 2016, 15862 Rn. 13; NJW 2014, 556, 557 Rn. 10; 2013, 3183, 3184 Rn. 7; NJW-RR 2013, 1328 Rn. 8; 2011, 138, 139 Rn. 11; NJW 2008, 2508, 2509 Rn. 11). Die Ausgangskontrolle muss insgesamt so rechtzeitig erfolgen, dass gegebenenfalls noch eine weitere erfolgreiche Übermittlung vor Fristablauf möglich ist (BGH NJW 2007, 601, 602). Erst nach der Kontrolle der automatisierten Eingangsbestätigung darf die Frist im Kalender gelöscht werden (BGH BeckRS 2010, 25717; NJW 2008, 2508, 2509).
Soweit sich im Prozess der die Wiedereinsetzung begründende Tatsachenvortrag nicht auf aktenkundige oder offenkundige Tatsachen bezieht, ist er entweder im Antrag selbst oder aber bis zum Schluss des Wiedereinsetzungsverfahrens nach §§ 236 Abs. 2 Satz 1, 294 ZPO glaubhaft zu machen (BeckOK ZPO/Wendtland, 38. Ed. 1.9.2020, § 236, Rn. 10, 11). Ist die Möglichkeit einer verschuldeten Fristversäumung gegeben, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Fehlende Angaben deuten angesichts der den Anwälten bekannten Pflichtenlage nicht auf Unklarheiten oder Lücken des Vortrags hin, die aufzuklären oder zu füllen wären, sondern erlauben den Schluss darauf, dass entsprechend erforderliche organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (BGH NJW 2019, 3234 Rn. 17).
2. Gemessen an diesen Maßstäben kann die seitens der Beklagten beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Frist für die Erhebung der Anschlussberufung nicht nach § 233 Satz 1 ZPO gewährt werden, da sowohl die Möglichkeit einer verschuldeten Fristversäumung durch eine fehlerbehaftete Organisation der Ausgangskontrolle als auch durch eine mangelhafte Überwachung des Kanzleipersonals gegeben war, welche jeweils für sich genommen als ursächlich für die Versäumung der Frist anzusehen sind.
a) Die Beklagte lässt im Hinblick auf die Ausgangskontrolle vortragen, es erfolge gemäß allgemeiner Kanzleianweisung nach dem Versand einer Nachricht mit beA durch das Kanzleipersonal eine Kontrolle der dazugehörigen Exportdatei sowie des Verification-Report, ob der Versand fehlerfrei erfolgt und vom adressierten Gericht empfangen worden sei. Dies sei auch im konkreten Fall durch die Mitarbeiterin Jessica Pfeiffer geschehen. In der ersten Zeit nach Einführung des beA habe sich der Beklagtenvertreter bei jedem Versand davon überzeugt, dass durch Kontrolle der Exportdatei und des Verification-Report der fehlerfreie Versand und der Empfang vom adressierten Gericht überprüft worden sei. Seitdem die Mitarbeiterin J. P. Routine mit dieser Prüfung habe, überprüfe der Beklagtenvertreter diesen Vorgang noch stichprobenhaft, was jedoch beim konkreten Versand der Anschlussberufung am 30.03.2020 nicht der Fall gewesen sei. Dass Frau P. die Exportdatei und den Verification-Report stets genau geprüft habe, sei aber dadurch deutlich geworden, dass sie in vereinzelten Fällen den Beklagtenvertreter weisungsgemäß umgehend darüber informiert habe, dass ein Versand nicht ordnungsgemäß habe abgeschlossen werden können. Auch im konkreten Fall am 30.03.2020 habe Frau P. den ZIP-Ordner exportiert und extrahiert und die Exportdatei sowie den Verification-Report geprüft, der keine Fehler und eine abgeschlossene Übermittlung aufgewiesen habe. Die zur Glaubhaftmachung vorgelegte eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin J. P. vom 08.04.2020 (Anlage ARQ 30) deckt sich inhaltlich mit diesen Ausführungen des Beklagtenvertreters.
b) Nach dem Tatsachenvortrag, der die Wiedereinsetzung begründen und glaubhaft machen soll, fehlte es in der Kanzlei des Beklagtenvertreters zum maßgeblichen Zeitpunkt am 30.03.2020 an einer Organisationsmaßnahme, die sicherstellte, dass die Exportdatei und der Verification-Report nicht nur darauf überprüft werden, ob der Versand fehlerfrei erfolgt ist und die Nachricht vom adressierten Gericht empfangen worden ist, sondern die auch sicherstellt, dass die von der Rechtsprechung geforderte Überprüfung auf einen technisch fehlerfreien Versand nicht nur an das adressierte Gericht, sondern auf einen solchen an das zutreffende Gericht erfolgt.
Es ist gerichtsbekannt (vgl. beA-Newsletter der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), Ausgabe 31/2019 vom 17.10.2019, Stichwort „Wo findet man Eingangsbestätigung, Prüf- und Übermittlungsprotokoll?“, abrufbar unter https://www.brak.de/zurrechtspolitik/newsletter/beanewsletter/2019/ausgabe-31-2019-v-17102019/), dass sich durch das Öffnen der Export-Datei eine Zusammenfassung des Prüfprotokolls (= „Verification-Report“) aufrufen lässt, aus dem u.a. das Empfänger-Gericht, der Meldungstext, der Zugangszeitpunkt und der Status ersichtlich sind. Darüber angeordnet lassen sich oberhalb des Nachrichtenjournals die Anhänge mit dem oder den jeweiligen Dateinamen ersehen. Naturgemäß zeigt das Prüfprotokoll (= „Verification-Report“) dabei als Empfänger-Gericht das Gericht an, das das versendende Kanzleipersonal zuvor als Empfänger ausgewählt hat, und bestätigt den Zugang bei diesem – im Rahmens des Versandes vom Versender selbst ausgewählten – Gericht.
Die Kontrolle von Export-Datei und Verification-Report ermöglicht demgegenüber keine Aussage darüber, ob der Zugang nicht nur bei dem zuvor ausgewählten Gericht, sondern auch tatsächlich beim zutreffenden Gericht erfolgt ist. Hierzu bedürfte es über die Kontrolle von ExportDatei und Verification-Report hinaus nach der Versendung einer Nachricht per beA eines weiteren Abgleichs des dort angezeigten Empfängers entweder mit einem Ausdruck des als Anhang versandten Schriftsatzes und dessen vom Rechtsanwalt vorgegebenen Adressfeld oder eines separaten Aufrufens der pdf-Schriftsatzdatei am Bildschirm, um einen entsprechenden optischen Abgleich zu ermöglichen, oder einer vorherigen zuverlässigen Übernahme des zutreffenden Empfängergerichts aus dem Adressfeld des Schriftsatzes in den Dateinamen der zu versendenden pdf-Datei, die es ermöglicht, anschließend im Verification-Report selbst einen Abgleich zwischen Dateinamen der pdf-Datei und angezeigtem Empfänger durchzuführen.
Dass entsprechende organisatorische Vorgaben zu einem Abgleich per Ausdruck oder am Bildschirm seitens der Beklagtenvertreter Bestandteil der allgemeinen Kanzleianweisung waren, ist weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Auch eine diesbezügliche Vorgabe zur sinnvollen Benennung der pdf-Datei (vgl. zur Schriftsatzidentifizierung durch den Dateinamen auch BGH NJW 2020, 1809 Rn. 16), die den Abgleich des Empfängergerichts im Verification-Report ermöglich hätte, ist nicht ersichtlich, zumal ausweislich des gerichtsseitigen Prüfprotokolls zum Schriftsatz vom 30.03.2020 (hinter Bl. 420 d.A.) nur die Bezeichnung „200330_Alpine_vs Pavlek_Anschlussberufung_und_Berufungserwiderung.pdf“ gewählt wurde, die das Empfängergericht nicht umfasst hat. Gleichermaßen ist nicht vorgetragen, dass eine Überwachung des Kanzleipersonals, die stichprobenartig erfolgt sei, auch den Empfängerabgleich zum Gegenstand hatte, so dass die vorhandenen Organisationsmängel nicht im konkreten Einzelfall durch zusätzliche Überwachungsmaßnahmen ausgeglichen wurden.
c) Soweit die Beklagte ihren Vortrag zur Wiedereinsetzung in Kenntnis der im Termin vom Senat wie oben dargestellten Problematik nachträglich durch den nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23.10.2020 (Bl. 506/513 d.A.) erweitert hat, fehlt es an einer hinreichenden Glaubhaftmachung. Auf Seite 2 dieses Schriftsatzes (Bl. 507 d.A.) greift die Klägerin nunmehr den entscheidenden Punkt heraus, dass für den Abgleich zwischen dem in der Export-Datei genannten Gericht und dem adressierten Gericht der Schriftsatz als pdf geöffnet oder der Ausdruck gegriffen werde, und stellt ihn als offensichtlich und selbstverständlich dar, obgleich hierzu zuvor nicht ausgeführt worden war. Hinsichtlich dieses neuen Vortrags fehlt es jedenfalls an einer Glaubhaftmachung im Sinne von §§ 236 Abs. 2 Satz 1, 294 ZPO, z.B. durch ergänzende eidesstattliche Versicherung der tätigen Mitarbeiterin, so dass die Frage, inwieweit das Nachschieben von Gründen im Rahmen des Wiedereinsetzungsverfahrens zulässig ist, offenbleiben kann.
IV.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat aufgrund ihres Einzelfallcharakters keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor.


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