IT- und Medienrecht

Datensicherheit, elektronische Gesundheitskarte (eGK), informationelle Selbstbestimmung, Lichtbild, Telematikinfrastruktur (TI)

Aktenzeichen  L 4 KR 651/19

Datum:
28.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30381
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
DSGVO Art. 77 ff
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2
SGB V § 15 Abs. 2
SGB V § 291 bis § 291 b
SGB X § 67 a
SGB X § 67 b

 

Leitsatz

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf weitere Ausstellung von Ersatzbescheinigungen für die elektronische Gesundheitskarte (eGK).
2. Das Erfordernis eines Lichtbilds für die eGK und der Auf- und Ausbau der Telematikinfrastruktur verstoßen nicht gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Auch den Vorgaben der DSGVO hat der Gesetzgeber Rechnung getragen. Auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts wird verwiesen.

Verfahrensgang

S 15 KR 1574/18 2019-11-12 GeB SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 12. November 2019 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Der Kläger hat 225,00 EUR an die Staatskasse zu zahlen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 28.09.2021 entscheiden, da dieser ordnungsgemäß geladen war und in der Ladung auf die Möglichkeit der Entscheidung auch im Falle des Ausbleibens hingewiesen wurde (§§ 110, 126, 132 SGG).
Aufgrund des Senatsbeschlusses vom 17.05.2021 nach § 153 Abs. 5 SGG entscheidet der Senat in der Besetzung mit dem Vorsitzenden als Berichterstatter und den ehrenamtlichen Richtern.
Zwar lautete der Klageantrag vor dem Sozialgericht noch darauf, weiterhin eine befristete Ersatzbescheinigung für den Zeitraum ab dem 01.07.2018 auszustellen. In der Berufungsschrift vom 10.12.2019 hat der Kläger auf den Zeitraum „ab dem 1.1.2020“ abgestellt, doch wurde dem Kläger diese faktisch teils durch die Beklagte, teils aufgrund gerichtlichem Beschluss bis 31.03.2021 ausgestellt.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 14.03.2020 unter Nrn. 2 bis 5 Feststellungsanträge im Sinne des § 55 SGG gestellt. Die Feststellungsanträge sind unzulässig, da die Feststellungsklage subsidiär gegenüber einer Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) ist. Letztere ist vorliegend als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage die richtige Klageart; dabei werden inzident auch die geltend gemachten Verstöße gegen das Grundgesetz, insbesondere gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht, mit geprüft. Die Feststellungsanträge sind daher entsprechend ausgelegt worden.
Aus dem Schriftsatz vom 14.03.2020 ergibt sich ein Hilfsantrag in Form der Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art. 100 Abs. 1 GG, um die Verfassungsmäßigkeit der §§ 15 Abs. 6 S. 5, 290 Abs. 1 S. 2, 291 Abs. 2 Nr. 7, 291 a Abs. 7 und 291 b Abs. 1 SGB V zu prüfen.
Zu Recht hat das Sozialgericht mit dem streitbefangenen Gerichtsbescheid vom 12.11.2019 einen Anspruch auf weitere Ausstellung von Ersatzbescheinigungen für die eGK abgelehnt und die Klage abgewiesen. Es hat sich eingehend mit der Sach- und Rechtslage unter Einbezug der Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil vom 18.11.2014, BSGE 117, 224 ff) auseinandergesetzt. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend wird im Hinblick auf das Berufungsverfahren auf Folgendes hingewiesen: Der Kläger beruft sich zur Berufungsbegründung auf seine Grundrechte und sieht vor allem eine Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, das sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) ableitet, gegeben.
Das BSG hat in den Urteilen vom 20.01.2021 (B 1 KR 7/20 R und B 1 KR 15/20 R, jeweils juris) ausgeführt, dass vor allem datenschutzrechtliche Vorschriften eingehalten sind. Das BSG hat im Einzelnen dargelegt, dass die Regelungen insgesamt belegen, dass der Gesetzgeber beim Auf- und Ausbau der TI den Vorgaben der DSGVO Rechnung trägt und den Belangen des Datenschutzes und der Datensicherheit eine zentrale Bedeutung beimisst (BSG, a.a.O., juris Rn. 88 ff). Er sei sich bewusst gewesen, dass im Rahmen der TI besonders sensible Gesundheitsdaten verarbeitet werden, die im Interesse der Versicherten und der Leistungserbringer (als Berufsgeheimnisträger) eines besonderen Schutzes bedürfen (vgl. BT-Drucks. 19/18793 S. 2).
Im Folgenden hat das BSG auch eingehend ausgeführt, dass die bestehende gesetzliche Obliegenheit zur Nutzung der eGK die Versicherten nicht in ihren Grundrechten verletzt. Der in der Obliegenheit zur Nutzung der eGK und der Verarbeitung der damit im Zusammenhang stehenden personenbezogenen Daten der (dortigen) Klägerin liegende Grundrechtseingriff sei sowohl am Maßstab des nationalen Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG), als auch am Maßstab der durch die Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtecharta – GRCh) garantierten Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz der personenbezogenen Daten gerechtfertigt (BSG, B 1 KR 7/20 R – juris Rn. 90 ff).
Bei einer Prüfung am Maßstab der Grundrechte des GG begründe die Obliegenheit zur Nutzung der eGK gemäß §§ 15 Abs. 2, 291 bis 291 b SGB V zwar einen Eingriff in das Grundrecht der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung als eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG). Dieser sei aber gerechtfertigt. Die gesetzliche Konzeption gewährleiste auch die von Verfassungs wegen gebotene (faktische) Datensicherheit. Die dortige Klägerin werde nicht in ihren Grundrechten dadurch verletzt, dass ihr kein anderer Weg eröffnet werde, als der durch Nutzung der eGK, ihre Berechtigung zur Inanspruchnahme von vertragsärztlichen Leistungen nachzuweisen und die Abrechnung der Krankenkassen mit den Leistungserbringern zu ermöglichen (vgl. BSG vom 18.11.2014, BSGE 117, 224 – juris Rn. 23 ff; zustimmend: KassKomm-Schifferdecker, SGB V, § 291 a Rn. 14 ff). Das BSG hat dargelegt, dass insbesondere kein Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gegeben sei (BSG, a.a.O, juris Rn. 93 ff).
§ 15 Abs. 2 und §§ 284, 291, 291 a, 291 b SGB V iVm § 25 Abs. 2 Satz 1 SGB I, § 67 a Abs. 1 und § 67 b Abs. 1 SGB X regelten die angegriffenen Beschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung einfachgesetzlich für die eGK. Hieraus ergäben sich Voraussetzungen und Umfang der Beschränkungen klar erkennbar. Die Regelungen entsprächen damit auch dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit. Es unterliege keinem Zweifel, welche Angaben von wem zu welchem Zweck verarbeitet werden dürften (vgl. zu § 15 Abs. 2, § 291, § 291 a Abs. 2 SGB V alter Fassung: BSG vom 18.11.2014, a.a.O., Rn. 25 – zitiert aus BSG, a.a.O., juris Rn. 95).
Das gelte auch für § 291 a Abs. 3 Nr. 4 SGB V, der die Speicherung weiterer Angaben auf der eGK erlaube, soweit deren Verarbeitung zur Erfüllung von Aufgaben erforderlich sei, die den Krankenkassen gesetzlich zugewiesen seien. Insoweit habe der Gesetzgeber die Regelungsbefugnis unter klarer Begrenzung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung (zur bundesweiten Verwendung der eGK „als Versicherungsnachweis“ und soweit die Verarbeitung der Daten zur Erfüllung der den KKn gesetzlich zugewiesenen Aufgaben erforderlich ist) in verfassungsrechtlich zulässiger Weise gemäß § 291 b Abs. 6 SGB V auf die Vertragspartner der gemeinsamen Selbstverwaltung auf Bundesebene gemäß § 87 Abs. 1 SGB V übertragen (vgl. zur Zulässigkeit der Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen auf die zuständigen Spitzenverbände im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung auch BVerfG vom 17.12.2002, BVerfGE 106, 275, 305). Diese seien bei der Ausübung ihrer Regelungskompetenz ihrerseits den Geboten der Normenklarheit, der Bestimmtheit und der Verhältnismäßigkeit verpflichtet.
Die detaillierte und normenklare Ausgestaltung der bereichsspezifischen Normen der §§ 291 ff SGB V belege, dass der Gesetzgeber im Falle der eGK und der TI dem Sozialdatenschutz einschließlich der Datensicherheit in ganz besonderem Maße hohe Bedeutung beimesse (vgl. BT-Drucks 19/18793 S. 2; vgl. zur Rechtslage vor dem Patienten-Schutz-Gesetz (PDSG): BSG vom 18.11.2014, a.a.O.).
Das BSG kam zu dem Ergebnis, dass die von der dortigen Klägerin angegriffenen Beschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch die Regelungen über die eGK durch überwiegende Allgemeininteressen gerechtfertigt sind. Denn sie sind zur Verhinderung von Missbrauch und zur Kosteneinsparung zwecks Erhalt der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung geeignet, erforderlich und angemessen (hierzu BSG, a.a.O., juris Rn. 98). Durch die speziellen datenschutzrechtlichen Rechtsbehelfe nach Art. 77 ff DSGVO iVm. §§ 81 ff SGB X (in der Fassung des Art. 24 Nr. 2 Gesetz zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften vom 17.7.2017, BGBl I 2541, mWv 25.5.2018) sei auch eine effektive Kontrolle der Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorgaben durch die Gerichte gewährleistet (hierzu BSG, a.a.O., juris Rn. 99 f).
Vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der Datensicherheit würden die gesetzlichen Regelungen des SGB V zur eGK und zur TI den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht (vgl. auch BSG vom 18.11.2014, a.a.O., Rn. 34; Kühling/Seidel in: Kingreen/Kühling, Gesundheitsdatenschutzrecht, S. 181). Die mit dem PDSG neu gefassten und inhaltlich überarbeiteten Neuregelungen der §§ 291 ff SGB V enthielten ein hinreichend normdichtes und klares Regelungsgefüge, das durch eine Vielzahl aufeinander und insbesondere auch mit den Vorgaben der DSGVO abgestimmter materiell-rechtlicher, organisatorischer und prozeduraler Maßnahmen der Datensicherheit diene, der der Gesetzgeber beim Auf- und Ausbau der TI eine „herausragende Rolle“ beimesse (BSG, a.a.O., juris Rn. 104 ff).
Das BSG hat mit Beschluss vom 19.03.2020 (B 1 KR 89/18 B) auch einen Verstoß gegen die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG verneint.
Ferner ist damit auch auf das bereits mehrfach in Bezug genommene Urteil des BSG vom 18.12.2018 (a.a.O. – juris, vor allem Rn. 20) zu verweisen. Darin hat das BSG klargestellt, dass die Beklagte ein Lichtbild einfordern und nutzen darf, um eine eGK auszustellen. Im Hinblick auf Art. 17 Abs. 1 Buchst. a DSGVO endet die Berechtigung, das Lichtbild zu speichern, aber mit der Übermittlung der eGK in den Herrschaftsbereich des Klägers. Die Beklagte hatte im Erörterungstermin vom 19.02.2020 erklärt, dass ihr Verhalten diesen Vorgaben des BSG entsprechen werde. Es ist im weiteren Verfahrensverlauf nicht ersichtlich, dass die Beklagte hiervon abweichen würde.
Die Ausführungen des BSG sind jeweils und in der Gesamtschau umfassend und eindeutig. Weitere Ermittlungen des Senats von Amts, insbesondere durch Einholung einer Stellungnahme eines IT-Experten zu vom Kläger im Schriftsatz vom 14.03.2020 aufgeworfenen Fragen, waren daher nicht angezeigt. Auch war der Senat nicht gehalten, zunächst den Ausgang des ebenfalls beim Bayer. Landessozialgericht anhängigen Verfahrens L 12 KR 318/17 abzuwarten. Es handelt sich bei jenem Verfahren vor allem nicht um ein „Musterverfahren“, auf das sich die Beteiligten geeinigt hätten.
Da sich der Senat der Ansicht des BSG anschließt und keinen Verstoß gegen Grundrechte sieht, scheidet auch eine Vorlage des Rechtsstreits an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG gemäß dem Hilfsantrag aus (so auch das BSG in seiner Entscheidung vom 20.01.2021, a.a.O., juris Rn. 116).
Die Berufung ist somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Nach § 192 SGG sind dem Kläger Gerichtskosten in Höhe von 225.- EUR auferlegt worden. Im Hinblick auf die umfassenden Darlegungen des Senats im Erörterungstermin, den Ausführungen in den Beschlüssen des Senats in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, den gerichtlichen Hinweisen und zuletzt auch der Darlegung der Entscheidungen des BSG vom 20.01.2021 war dem Kläger bewusst, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Verhängung von Kosten nach § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG war dem Kläger mit gerichtlichem Schreiben vom 05.03.2021 angedroht. Sachliche Gründe gegen die Verhängung dieser Kosten ergeben sich auch nicht aus der klägerischen Erwiderung vom 27.04.2021.
Hinsichtlich der Höhe der Kosten wurde gemäß § 192 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 184 Abs. 2 SGG für die zweite Instanz mit 225.- EUR die Pauschale angesetzt.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).


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