IT- und Medienrecht

Hinweis im Nachprüfungsverfahren wegen fehlender wesentlicher Preisangaben

Aktenzeichen  Verg 8/17

Datum:
7.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
VergabeR – 2018, 148
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 160 Abs. 3 Nr. 2, 3
VGV § 53 Abs. 7 S. 2, § 56 Abs. 3 S. 1, § 57 Abs. 1 Nr. 5

 

Leitsatz

1. Eine erst im Nachprüfungsverfahren nach Ablauf der Angebotsfrist erhobene Rüge bezüglich einer Unklarheit ist gem. § 160 Abs. 3 Nr. 2, 3 GWB präkludiert, wenn diese Unklarheit ohne nähere Rechtskenntnisse aus den Vergabeunterlagen ersichtlich war. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Grundsatz der Transparenz und der Gleichbehandlung ist eingehalten, wenn Antworten auf Bieterfragen entsprechend der Bewerbungsbedingungen über die Internetseite des Antragsgegners allen interessierten Unternehmen zur Verfügung gestellt wurden. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Nachforderung der fehlenden Preisangabe ist nicht möglich, wenn es sich um eine wesentliche Preisangabe iSv § 56 Abs. 3 S. 2, § 57 Abs. 1 Ziff. 5 VgV handelt. Wenn ein Durschnittspreis ermittelt werden soll, fehlt eine wesentliche Preisangabe, wenn ein Preis von insgesamt zehn Preisen nicht angegeben ist. (Rn. 8 und 10) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass nach vorläufiger Einschätzung des Senats die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte.

Gründe

1. Nach Ansicht des Senats bestand keine Unklarheit darüber, dass das Preisblatt „Anlage 2“ zum Schreiben vom 18.05.2017 (vorgelegt als Anlage A 12) auch bezüglich der Linie 9 vollständig ausgefüllt werden musste, also Preise je Besetzt-Kilometer mit und ohne Begleitperson anzugeben waren.
Im Schreiben vom 18.05.2017 werden die Bieter auf Seite 1 in Fettdruck ausdrücklich aufgefordert, das neue Preisblatt herunterzuladen, „vollständig“ auszufüllen und unterschrieben dem Angebot beizufügen. Das Preisblatt Anlage 2 enthält eine Tabelle, in der für alle Linien die Eintragung eines Preises mit und ohne Begleitperson vorgesehen ist. Zudem heißt es schon in der Bekanntmachung des Antragsgegners vom 21.04.2017 (Anlage A 11) unter Ziff. 10.2.1 der Bewerbungsbedingungen explizit „Alle Preispositionen sind zu bepreisen, auf § 56 Abs. 3 VgV wird hingewiesen“. Schließlich lässt auch die Vorgabe, dass die Wertung ausschließlich anhand des Preises, errechnet als Durchschnittspreis sämtlicher abgefragter Preise (mit und ohne Begleitperson) erfolgt, selbst für einen nicht erfahrenen und/oder nicht rechtskundigen Bieter keinen Zweifel zu, dass für alle Linien beide Preise (mit und ohne Begleitperson) mitzuteilen waren.
Der Senat verkennt nicht, dass in den Routenplänen für die Linie 9 (Anlage A 2) eine tägliche Streckenlänge mit Begleitperson von „0 km“ angegeben ist. Die Antragstellerin behauptet aber selbst nicht, dass ihr deshalb die Angabe eines Preises mit Begleitperson nicht möglich gewesen wäre. Daraus ergab sich auch keine Unklarheit. Zum einen ändert dies nichts daran, dass, wie ausgeführt, Preisangaben für alle Linien mit und ohne Begleitperson gefordert waren. Zum anderen hat die Antragstellerin bei allen anderen Linien beide Preise (mit/ohne Begleitperson) eingesetzt, mithin auch bei den Linien, bei denen die Routenpläne eine tägliche Streckenlänge – in diesen Fällen ohne Begleitperson – von „0 km“ auswiesen (Linie 4, 6, 7, 8). Das Argument der Antragstellerin, sie habe davon ausgehen können/müssen, dass bei der Linie 9 kein Preis für die Strecke mit Begleitperson anzugeben sei, erscheint vor diesem Hintergrund nicht tragfähig. Schließlich wurden die Bieter unter Ziff. 14.2 der Bewerbungsbedingungen (Anlage A 11) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich während der Vertragslaufzeit die Schülerzahlen durch Ab- und Zugänge ändern können. Damit war offensichtlich, dass sich die Notwendigkeit einer Begleitperson auf den Linien nachträglich noch ergeben könnte.
Selbst wenn eine Unklarheit vorgelegen hätte, wäre die Antragstellerin mit dieser Rüge nach § 160 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 GWB präkludiert. Die Antragstellerin hat die vermeintliche Unklarheit der Vergabeunterlagen erst im Rahmen ihres Nachprüfungsantrags vom 14.07.2017, nach Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe (31.05.2017) gerügt. Indessen war für die Antragstellerin ohne Weiteres ersichtlich, dass einerseits in der Bekanntmachung vom 21.04.2017 und im Schreiben vom 18.05.2017 vollständige Preisangaben gefordert waren, andererseits sich aus den Routenplänen für die Linie 9 eine Strecke mit Begleitperson von 0 km ergab, zumal sie sich bewusst gegen ein Ausfüllen eines vorgegebenen Feldes entscheiden musste. Besonderer Rechtskenntnisse zur Aufdeckung dieser – von der Antragstellerin behaupteten – Unklarheit bedurfte es nicht.
2. Soweit die Antragstellerin rügt, dass der Antragsgegner gegen den Grundsatz der Transparenz und der Gleichbehandlung verstoßen habe, weil er Antworten auf Bieterfragen nicht allen Bietern zeitgleich zur Verfügung gestellt habe, ist auf die Ausführungen in der Beschwerdeerwiderung, S. 16, zu verweisen, wonach sämtliche Bieterfragen entsprechend 4.3 der Bewerbungsbedingungen über die Internetseite des Antragsgegners allen interessierten Unternehmen zur Verfügung gestellt wurden. Abgesehen davon betreffen weder die Fragen noch die Antworten die vorliegend zentrale Frage, nämlich ob der Bieter für die Linie 9 einen Preis für die Strecke mit Begleitperson angeben musste oder nicht.
3. Das Angebot der Antragstellerin war nach § 57 Abs. 1 Nr. 5, § 56 Abs. 3 Satz 1, § 53 Abs. 7 Satz 2 VgV zwingend auszuschließen.
3.1. Eine Ergänzung des fehlenden Preises durch die Vergabestelle war nicht möglich. Insbesondere lässt sich aus der von der Antragstellerin mit dem Angebot übersandten „Kalkulationsaufstellung“ der Preis pro Besetzt-Kilometer mit Begleitperson nicht ohne Weiteres entnehmen oder errechnen. Auch wenn der Anteil der Lohnkosten am Preis je Besetzt-Kilometer angegeben ist, bleibt unklar, welcher Anteil davon auf die Lohnkosten für den Busfahrer und welcher Anteil auf die Lohnkosten für die Begleitperson entfällt. Entgegen der Behauptung der Antragstellerin beträgt die Differenz zwischen den Preisen mit und ohne Begleitperson auch nicht stets 0,28 Euro. Im Übrigen steht es den Bietern frei, ob sie der Begleitperson den Mindestlohn zahlen oder sie höher entlohnen. Diese unternehmerische Entscheidung des Bieters kann und darf die Vergabestelle nicht ersetzen.
3.2. Eine Nachforderung der fehlenden Preisangabe war nicht möglich, da es sich um eine „wesentliche“ Preisangabe i.S. § 56 Abs. 3 Satz 2, § 57 Abs. 1 Ziff. 5 VgV handelte:
Ein Angebot ist bereits dann zwingend auszuschließen, wenn eine wesentliche Preisangabe fehlt (Dicks in Kulartz / Kus / Marx / Portz / Prieß, Kommentar zur VgV, § 56 VgV Rz. 56; OLG Koblenz, Beschluss vom 02.01.2006, 1 Verg 6/05, juris Tz. 33 zu § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b VOB/A a.F.), wobei es auf die wettbewerbliche Relevanz der fehlenden Preisangabe nicht ankommt (Dicks, a.a.O., § 56 VgV Rz. 60). Über die Wesentlichkeit ist aufgrund des fraglichen Leistungsgegenstands und seiner Bedeutung, seines wertmäßigen Anteils für die Gesamtleistung sowie für den Gesamtpreis im Einzelfall zu entscheiden (Dicks, a.a.O., § 56 Rz. 60). Zum Teil wurde in der obergerichtlichen Rechtsprechung angenommen, es handle sich nicht mehr um eine unwesentliche Einzelposition, wenn eine fehlende Preisposition quantitativ knapp sechs Prozent der geforderten Preisangaben umfasst und der fehlende Betrag etwas mehr als 10% des Gesamtentgelts ausmacht (OLG Brandenburg, Beschluss vom 01.11.2011, Verg W 12/11, juris Tz. 11 und 12 zu § 19 Abs. 2 Satz 2 2. HS VOL/A-EG). Zum Teil wurde die Wesentlichkeit verneint, wenn die Kalkulationsunschärfe durch die Preislücke im Promillebereich liegt (OLG Thüringen, Beschluss vom 08.04.2003, 6 Verg 1/03, juris Tz. 3; OLG Celle, Beschluss vom 02.10.2008, 13 Verg 4/08, juris Tz. 44 – jeweils zu § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit b i.V.m. § 21 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A a.F.), hingegen Wesentlichkeit bejaht, wenn sich der Gesamtpreis um ca. 1/5 erhöhen würde (OLG Brandenburg, Beschluss vom 24.05.2011, Verg W 8/11, juris Tz. 30 zu § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit c 1. HS VOB/A a.F., zustimmend Dicks, a.a.O., § 56 VgV Fn. 121).
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung und der konkreten Umstände des Einzelfalls ist der Preis für den Besetzt-Kilometer mit Begleitperson für die Linie 9 als wesentlich zu qualifizieren. Der Preis fließt gleichberechtigt als eine von insgesamt 5 x 2 = 10 Einzelpositionen in den Gesamtpreis ein. Eine Gewichtung der Einzelpositionen findet nicht statt. Aus den zehn Einzelpositionen wird ein Durchschnittspreis ermittelt und dieser mit den Durchschnittspreisen der konkurrierenden Angebote verglichen. Damit umfasst die Preislücke 1/10 sämtlicher anzugebender Einzelpreise und hat notwendigerweise einen deutlichen Einfluss auf den zu ermittelnden Durchschnittspreis.
Wie hoch der Durchschnittspreis vorliegend wäre, wenn die Antragstellerin einen Preis je Besetzt-Kilometer mit Begleitperson für die Linie 9 angegeben hätte, ist unklar. Dieser Preis war für die Vergabestelle vorab nicht aus den eingereichten Unterlagen zu ermitteln (s. dazu schon oben Ziff. 2.1). Welchen Preis die Antragstellerin nunmehr im Nachprüfungsverfahren für diese Position angibt, kann schon im Interesse der Gleichbehandlung aller Bieter nicht maßgeblich sein. Damit kommt es im vorliegenden Fall auch nicht darauf an, in welchem Ausmaß ein – aus Sicht ex ante ohnehin nicht ermittelbarer – Durchschnittspreis unter Berücksichtigung der fraglichen Preisposition vom tatsächlichen Durchschnittspreis (ohne Preis für die Linie 9 mit Begleitperson) abweicht.
Nicht maßgeblich ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin ferner, ob sich bei Angabe des Preises die Reihenfolge der Angebote änderte. Zum einen ist, wie ausgeführt, völlig unklar, welcher Preis für die Einzelposition fiktiv anzusetzen wäre. Zum anderen kommt es auf die Änderung der Wertungsreihenfolge nach dem Wortlaut des § 57 Abs. 1 Ziff. 5 VgV erst dann an, wenn es sich um eine „unwesentliche“ Einzelposition handelt.
3.3. Gemäß § 57 Abs. 1 Ziff. 5 VgV war das Angebot der Antragstellerin zwingend auszuschließen, der Vergabestelle stand kein Ermessen zu. Damit bedarf es keiner Prüfung, ob die Vergabestelle ein etwaiges Ermessen überhaupt und ggf. korrekt ausgeübt hat.
Der Senat empfiehlt daher eine Rücknahme der Beschwerde.
Im übrigen wird Gelegenheit gegeben, sich zum Streitwert des Beschwerdeverfahrens zu äußern.
Frist zur Stellungnahme: 23.11.2017


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