IT- und Medienrecht

Insolvenzverwalter, Akteneinsicht, Antragsteller, Informationsinteresse, Vollmacht, Einsicht, Interesse, Berufungsverfahren, Rechtsstreit, Einsichtnahme, Partei, Schriftsatz, Voraussetzung, Partnerschaft, rechtliches Interesse, gerichtliche Entscheidung, Beteiligung, Verfahren, Ware, Widerspruch, Verfolgung, Bedeutung, Bestimmung, Dritte, dritte Person

Aktenzeichen  2 U 400/20

Datum:
24.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 7578
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

… das vorstehend genannte Akteneinsichtsgesuch bezüglich Kopien der Seiten ab Bl. 423 der Hauptakten des Oberlandesgerichts Nürnberg, Az. 2 U 400/20 (erstinstanzlich Landgericht Regensburg, Az. 83 O 1293/18), wird genehmigt. Die Akteneinsicht erfolgt durch Übersendung von Kopien der Hauptakten ab Bl. 423 d.A. bis zum aktuellen Stand auf Kosten der Antragsteller.
Zur Begründung dieser Entscheidung ist folgendes auszuführen:

Gründe

I.
1. Mit Schreiben vom 9. April 2021 (Bl. 2-4 Sonderheft Akteneinsicht für Dritte) beantragten die … H. S. Partnerschaft von Rechtsanwälten und Steuerberatern mbB Namens und in Vollmacht des Rechtsanwalts Dr. C. W. als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Frau V. K., auch handelnd unter … Kindermoden, J.wall 23, 2… V., Einsicht in die Akten des Oberlandesgerichts Nürnberg, Az. 2 U 400/20.
2. Dem Gesuch des Antragstellers wurde mit Schreiben vom 23. Juni 2021 bezüglich der Hauptakten mit folgender Begründung entsprochen (auszugsweise):
„Der Antragsteller ist nicht Partei des vorliegenden Rechtsstreits, in dessen Akten Einsicht begehrt wird. Voraussetzung für die Gewährung der Akteneinsicht ist deshalb, dass ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme glaubhaft gemacht wird (§ 299 Abs. 2 ZPO).
Das gegenüber dem „berechtigten Interesse“ (vgl. § 93b Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 299 Abs. 3 Satz 3 ZPO, § 811c Abs. 2 ZPO, § 882g Abs. 2 Nr. 3 ZPO, § 1056 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b] ZPO) enger gefasste „rechtliche Interesse“, das nach der Bestimmung in § 299 Abs. 2 ZPO für die Akteneinsicht durch eine dritte Person verlangt wird, setzt nach der Umschreibung, die dem Begriff durch die Rechtsprechung gegeben worden ist, voraus, dass durch den Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akte Einsicht begehrt wird, persönliche Rechte des Antragstellers berührt werden. Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben und verlangt als Mindestbedingung ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis des Gesuchstellers zu einer Person oder Sache. Danach muss das vom Einsichtsgesuch betroffene Verfahren selbst oder zumindest dessen Gegenstand (im streitigen Parteienprozess dessen „Streitstoff“ für die rechtlichen Belange des Gesuchstellers von konkreter rechtlicher Bedeutung sein (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 03. Dezember 2019 – 1 VA 70/19 -, Rn. 12, juris). Ein rechtliches Interesse ist zu bejahen, wenn die Akteneinsicht zur Verfolgung oder Abwehr von Ansprüchen durch den Antragsteller benötigt wird und diese einen rechtlichen Bezug zu dem Verfahren aufweisen, in dem Akteneinsicht begehrt wird (BeckOK ZPO/Bacher, 40. Ed. 1.3.2021, ZPO § 299 Rn. 28).
Anhand dieses Maßstabs besteht ein rechtliches Interesse des Antragstellers.
Er trägt unwidersprochen vor und hat durch Vorlage von Schriftsätzen aus den Akten des von ihm als Kläger selbst geführten Verfahrens vor dem Landgericht Regensburg Az. 82 O 894/20 glaubhaft gemacht, dass dort ein Kettengeschäft mit Kinderbekleidung unter Beteiligung der Beklagten und der Schuldnerin V. K. streitgegenständlich ist, das im Februar/März 2016 stattfand, die Beklagte die Nichtexistenz der Ware bestreitet, und sogar Beweis für deren Existenz anbietet (Klageerwiderung vom 28.08.2020 S. 3-6, vorgelegt als Anlage 2 zum Schreiben der Antragstellervertreter vom 4. Mai 2021, Bl. 40-43 Sonderheft Akteneinsicht für Dritte).
In dem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgerichts Nürnberg, Az. 2 U 400/20 (erstinstanzlich Landgericht Regensburg, Az. 83 O 1293/18) verteidigt sich die Beklagte dagegen unter anderem mit dem Vortrag, das streitgegenständliche Geschäft sei Teil einer von der Schuldnerin V. K. initiierten Lieferkette gewesen. Ihm hätten keinerlei existierende Waren zugrunde gelegen.
Der vom Antragsteller glaubhaft gemachte Sachverhalt bietet damit hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beklagte – wenn auch wohl bezüglich unterschiedlicher konkreter Kettengeschäfte – in Bezug auf die Existenz der von der Schuldnerin V. K. gehandelten Waren unterschiedlich einlässt. Inwieweit dies im jeweiligen Einzelfall aufgrund des konkreten Sachverhalts berechtigt sein könnte, und möglicherweise keinen Widerspruch darstellt, kann und muss im Rahmen des Verwaltungsvorgangs Akteneinsicht dahinstehen. Die dargestellten (möglichen) Widersprüche genügen jedenfalls, um ein rechtliches Interesse des Antragstellers an der Akteneinsicht zu begründen. Die Erkenntnisse, die der Antragsteller aus der Akteneinsicht zu gewinnen hofft, haben für ihn nachvollziehbar nicht nur rein wirtschaftliche sondern auch rechtliche Bedeutung, weil sie unmittelbar für eine etwaige Beweiswürdigung in dem vom Antragsteller selbst betriebenen Verfahren in Regensburg relevant sein können.
Bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Informationsinteresse des Antragstellers und dem Geheimhaltungsinteresse der Verfahrensbeteiligten überwiegt das Informationsinteresse des Antragstellers -jedenfalls bezüglich der Hauptakten – gegenüber dem Interesse der Verfahrensbeteiligten am Schutz ihres informationellen Selbstbestimmungsrechts. Anhaltspunkte dafür, dass die Hauptakten im Verhältnis zum Antragsteller geheimhaltungsbedürftige höchstpersönliche Daten der Prozessbeteiligten enthalten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Antragsteller ist unstreitig Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin V. K. Diese war nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten die Schlüsselfigur der streitgegenständlichen Kettengeschäfte. Dem Antragsteller liegen in seiner Funktion als Insolvenzverwalter die Geschäftsunterlagen der Schuldnerin vor. Gerade aus diesem Grund wurde er von der Beklagten als Zeuge benannt, und sie bestand auf seiner persönlichen Vernehmung (Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 20. April 2021, Bl. 312 d.A.).“
3. Die Akteneinsicht erfolgte aufgrund Verfügung der Vorsitzenden des 2. Zivilsenats vom 20. August 2021 (Bl. 110 Sonderheft Akteneinsicht Dritte) durch Übersendung der Akten in dem bewilligten Umfang an die Antragstellervertreter am 23. August 2021.
4. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2021 beantragten die … H. S. Partnerschaft von Rechtsanwälten und Steuerberatern mbB erneut Einsicht in die Akten des Oberlandesgerichts Nürnberg, Az. 2 U 400/20, beschränkt auf die seit ihrer vorangegangenen Akteneinsicht angefallenen Aktenstücke ab Bl. 381 d.A. (Bl. 116 Sonderheft Akteneinsicht Dritte).
Das Gesuch wurde mit Schreiben vom 3. Januar 2022 genehmigt. Auf dieses Schreiben, das Ihnen vorliegen müsste, darf ich Bezug nehmen. Die Akteneinsicht wurde am 3. Januar 2022 durch Übersendung von Kopien von Bl. 381-423 der Hauptakten (ohne Bl. 382-386 d.A.) ausgeführt.
5. Mit Schreiben vom 17. Februar 2022 beantragten die … H. S. Partnerschaft von Rechtsanwälten und Steuerberatern mbB erneut Einsicht in die Akten des Oberlandesgerichts Nürnberg, Az. 2 U 400/20, beschränkt auf Kopien der seit ihrer vorangegangenen Akteneinsicht angefallenen Aktenstücke ab Bl. 423 d.A. (Bl. 166/167 Sonderheft Akteneinsicht Dritte).
Die Partei- und Streithelfervertreter hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Klägervertreter und die Streithelfervertreter haben sich nicht geäußert, der Vertreter der Beklagten hat der Akteneinsicht weiterhin widersprochen. Er meint, der Antragsteller habe kein rechtliches Interesse sondern wolle den für ihn fremden Prozess vor dem Oberlandesgericht ausforschen, um daraus Argumente für die Begründung seines vermeintlichen Zahlungsanspruchs zu entnehmen, und eventuelle wirtschaftliche Vorteile zu ziehen. Er verfolge rein wirtschaftliche Interessen. In den beiden Rechtsstreitigkeiten gehe es um verschiedene Sachverhalte. Der Ausgang des Rechtsstreits vor dem OLG Nürnberg habe in keiner Weise etwas mit dem Ausgang des vom Antragsteller vor dem Landgericht Regensburg betriebenen Verfahrens zu tun und umgekehrt.
II.
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Akteneinsicht gemäß § 299 Abs. 2 ZPO liegen auch bezüglich des Gesuchs vom 17. Februar 2022 vor. Zur Begründung wird in vollem Umfang auf die oben zitierten Gründe des Bescheides vom 23. Juni 2021 Bezug genommen.
Der Streitstoff des von dem Einsichtsgesuch betroffenen Verfahrens vor dem Oberlandesgericht ist für die rechtlichen Belange des Gesuchstellers von konkreter rechtlicher Bedeutung. Die Beklagte legt im Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht Nürnberg, in welchen der Antragsteller Einsicht begehrt, im Schriftsatz vom 15.01.2022 (Bl. 432-449 d.A.) detailliert und mit zahlreichen Beweisangeboten unter anderem dar, es habe die den 111 Lieferketten von … -Kindermode V. K. e.K. zugrunde gelegten Waren tatsächlich nicht gegeben, sie hätten sich nicht im Besitz dieser Firma befunden, nicht existierten und seien frei erfunden gewesen. Nach allen bekannten Fakten habe Frau K. ausnahmslos alle ihre Geschäftspartner belogen und betrogen, um an weiteres Geld zu kommen (S. 14 des genannten Schriftsatzes = Bl. 445 d.A.).
Wie bereits in dem Bescheid vom 23. Juni 2021 auf S. 6 dargelegt, trägt der Antragsteller unwidersprochen vor und hat durch Vorlage von Schriftsätzen aus dem von ihm als Kläger selbst gegen die … C. & Frottierwaren Import-Export GmbH geführten Verfahrens vor dem Landgericht Regensburg Az. 82 O 894/20 glaubhaft gemacht, dass dort ein Kettengeschäft mit Kinderbekleidung unter Beteiligung der Beklagten und der Schuldnerin V. K. streitgegenständlich ist, das im Februar/März 2016 stattfand, die Beklagte die Nichtexistenz der Ware bestreitet, und sogar Beweis für deren Existenz anbietet (Klageerwiderung vom 28.08.2020 S. 3-6, vorgelegt als Anlage 2 zum Schreiben der Antragstellervertreter vom 4. Mai 2021, Bl. 40-43 Sonderheft Akteneinsicht für Dritte).
Gerade diese, vom Antragsteller als widersprüchlich angesehene Einlassung der Beklagten in dem Rechtsstreit vor dem Landgericht Regensburg Az. 82 O 894/20 und dem vorliegenden Berufungsverfahren begründet das rechtliche Interesse des Antragstellers. Der Auffassung der Beklagten, beide Streitstoffe hätten rechtlich gar nichts miteinander zu tun, kann nicht gefolgt werden. Vielmehr kann eine – wie hier nachvollziehbar dargelegte – unterschiedliche Einlassung einer Partei in verschiedenen Rechtsstreitigkeiten zu einem gemeinsamen Rahmengeschehen für die rechtliche Bewertung durchaus relevant werden. Ob sie dies dann im Ergebnis tatsächlich wird, muss von den jeweiligen Prozessgerichten geklärt werden und ist nicht Gegenstand der Prüfung im Verwaltungsvorgang Akteneinsicht. Die vom Beklagtenvertreter in seiner Stellungnahme vom 12. März 2022 zitierten Entscheidungen betreffen andere, nicht vergleichbare Sachverhaltskonstellationen. Sie stehen deshalb der Bejahung des rechtlichen Interesses im vorliegenden Fall nicht entgegen.
Vorrangige entgegenstehende berechtigte Interessen der Verfahrensbeteiligten an der Geheimhaltung der Akten sind nicht ersichtlich. Dem wiederholten Akteneinsichtsgesuch wird deshalb entsprochen.
III.
Eine Zurückstellung des Vollzugs der Akteneinsicht bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist ist im vorliegenden Fall nicht geboten. Zwar kommt einem etwaigen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG keine aufschiebende Wirkung zu (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 05. März 2020 – 1 VA 63/19 -, Rn. 41, juris). Es ist aber nicht ersichtlich, dass den Prozessbeteiligten durch die Vollziehung der Akteneinsicht ohne ein Abwarten der Rechtsmittelfrist schwerwiegende Nachteile in Bezug auf schützenswerte Interessen drohen könnten. Besonders schutzwürdige Belange der Verfahrensbeteiligten werden durch die Akteneinsicht des Antragstellers nicht tangiert. Sie sind auch nicht geltend gemacht.
Ich weise darauf hin, dass die Möglichkeit eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG besteht, wenn ihre Mandantin geltend machen will, durch die Gewährung der Akteneinsicht in Ihren Rechten verletzt zu sein. Auf die Antragsfrist gemäß § 26 EGGVG und die Zuständigkeitsregelung in § 25 Abs. 2 EGGVG i.V.m. Art. 12 Nr. 3 AGGVG (Bayern) darf ich Bezug nehmen.


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