Aktenzeichen M 22 E 15.5095
BayVwVfG Art. 29
BayDSG Art. 36
BayMeldeG Art. 9
Leitsatz
1 Eine abschließende Entscheidung, die Ziel einer möglichen Klage sein könnte, kann im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise getroffen werden, wenn das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (hier für die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur endgültigen Stattgabe eines Akteneinsichtsgesuchs verneint). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Aus Art. 36 BayDSG folgt kein genereller Anspruch auf Fertigung einer Aktenkopie oder Zusendung der Originalakte an die Wohnsitzgemeinde. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege vorläufigen Rechtsschutzes die Gewährung von Akteneinsicht in die von der Antragsgegnerin bezüglich seiner Person geführte Meldeakte.
Der nunmehr in Mittelhessen lebende Antragsteller wurde von der Antragsgegnerin am 8. Januar 2004 von Amts wegen mit Wirkung zum 11. Dezember 2003 aus seiner bisherigen Wohnung … … … im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin abgemeldet. Eine am 4. November 2008 hiergegen erhobene Klage wurde mit Gerichtsbescheid vom 8. Dezember 2008 abgewiesen (Az. M 22 K 08.5444), sein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage wurde mit Beschluss vom 8. Dezember 2008 abgelehnt (Az. M 22 S 08.5445). Ein weiterer Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung vom 19. Oktober 2010 (M 22 S 10.5103) wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 27. Januar 2011 abgelehnt. Drei weitere Gerichtsverfahren aus Anlass der 2004 von Amts wegen erfolgten Abmeldung wurden wegen fehlender Mitwirkung des Antragstellers eingestellt.
Mit Schreiben vom 28. September 2015 wandte sich der Antragsteller an die Antragsgegnerin und begehrte Einsicht in seine Meldeakte, möglichst durch Übermittlung eines PDFs des eingescannten Akteninhalts, alternativ hierzu auch durch Übersendung nummerierter Kopien.
Unter dem 12. Oktober 2015 teilte der Datenschutzbeauftragte der Antragsgegnerin dem Antragsteller unter Verweis auf Art. 29 Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG mit, dass der Antragsteller sein ihm nach Art. 29 BayVwVfG zustehendes Akteneinsichtsrecht jederzeit in den Geschäftsräumen der Gemeinde zu den üblichen Geschäftszeiten wahrnehmen könne. Die Übersendung der Akte sei hingegen mit einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden. Eine nummerierte Zweitschrift der Meldeakte werde daher nur gefertigt und an den Antragsteller oder die derzeitige Wohnsitzgemeinde übersandt, wenn der Antragsteller bereit sei, den entstehenden Verwaltungsaufwand im Wege der Vorkasse abzugelten.
Daraufhin wandte sich der Antragsteller unter dem 14. Oktober 2015 an das Landratsamt …, als die für die Antragsgegnerin zuständige Rechtsaufsichtsbehörde, um das Vorgehen der Antragsgegnerin zu beanstanden. Die Aufsichtsbehörde teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 4. November 2015 mit, dass die Vorgehensweise der Antragsgegnerin rechtsaufsichtlich nicht zu beanstanden sei. Eine Übersendung von Originalakten an Beteiligte sehe das Gesetz nicht vor. Werde Akteneinsicht bei einer anderen als der aktenführenden Behörde gewünscht, sei es nicht ermessensfehlerhaft, die Versendung und Einsichtnahme einer mehrere hundert Seiten umfassenden Akte von der Begleichung der Portokosten und der Kosten für die Fertigung einer Sicherungskopie abhängig zu machen.
Am 4. November 2015 ließ der Antragsteller einen von ihm beauftragten Rechtsanwalt in den Amtsräumen der Antragsgegnerin Einsicht in die von der Antragsgegnerin in Bezug auf seine Person geführte Meldeakte nehmen.
Mit Schriftsatz vom 15. November 2015 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München zudem sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller, ohne Erhebung von Verwaltungskosten, Einsicht in die von der Antragsgegnerin geführte Meldeakte zu seinem Namen zu gewähren, entweder durch Übermittlung von nummerierten Kopien (digital oder in Papierform) oder durch Übersendung der Originalakte an eine Behörde am Wohnsitz des Antragstellers.
Zur Begründung trägt der Antragsteller vor, er habe einen Anspruch aus Art. 29 BayVwVfG auf Übersendung der (kopierten) Akten an seinen jetzigen Wohnsitz. Es sei unstreitig, dass er wegen der seines Erachtens verbotenen Streichung seiner Person aus der Meldekartei „einen erheblichen Amtsanspruch gegen die Gemeinde haben werde“. Die Antragstellerin könne daher auch nicht verlangen, dass er pro Kopie, die die Antragsgegnerin maximal zwei Cent koste, eine Gebühr entrichten solle. Hätte die Antragsgegnerin das Abmeldeverfahren korrekt betrieben, wäre seine Akte nicht auf mehrere Hundert Seiten angewachsen.
Im Rahmen der unter dem 18. November 2015 von der Geschäftsstelle ausgeführten Erstzustellung wies das Gericht den Antragsteller darauf hin, dass bislang keine Tatsachen geschildert wurden, aus denen sich die Dringlichkeit der beantragten Anordnung ergäbe, und bat den Antragsteller insoweit um Ergänzung seiner Ausführungen.
Unter dem 23. November 2015 beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führte sie aus, die Meldeakte des Antragstellers sei aufgrund der ständig wiederkehrenden Gerichtsverfahren inzwischen auf mehrere Hundert Seiten angewachsen. Die Anfertigung einer Zweitakte zum Zwecke der Einsichtnahme sei daher für die Antragsgegnerin mit hohem Aufwand und entsprechenden Kosten verbunden. Der Antragsgegner müsse den maßgeblichen Akteninhalt anlässlich der diversen Gerichtsverfahren zudem bereits mehrfach erhalten haben. Auch habe er bereits über seinen Anwalt in den Amtsräumen der Gemeinde Akteneinsicht genommen. Die Antragsgegnerin habe daher die Übersendung der Akten in Kopie in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens von der Vorauszahlung der dafür anfallenden Kosten abhängig gemacht.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO bleibt ohne Erfolg.
Auf Antrag kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung u.a. nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Mit dem Eilantrag sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist darüber hinaus grundsätzlich Voraussetzung, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten.
1. Vorliegend wurde bereits das Vorhandensein eines Anordnungsgrundes nicht glaubhaft gemacht, der es rechtfertigen würde, das im Verfahren nach § 123 VwGO grundsätzlich geltende Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache im Interesse der Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu durchbrechen. Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Akteneinsicht durch Übersendung im Wege einer einstweiligen Anordnung. Hiermit wird keine Regelung eines vorläufigen Zustands, sondern die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur endgültigen Stattgabe des Akteneinsichtsgesuchs angestrebt. Eine solche abschließende Entscheidung, die Ziel einer möglichen Klage sein könnte, kann im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise dann getroffen werden, wenn das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2015 – 14 CE 14.2821 – juris Rn. 9, m.w.N.). Dafür ist vorliegend jedoch nichts ersichtlich.
Der Antragsteller hat – trotz Aufforderung des Gerichts hierzu mit Schreiben vom 16. November 2015 – in keiner Weise dargelegt, woraus sich die Dringlichkeit der Sache ergeben soll. Soweit sich der Antragsteller in der Antragsschrift auf einen „erheblichen Amtsanspruch“ und damit (wohl) auf einen Amtshaftungsanspruch bezieht, vermag dieser Vortrag eine Dringlichkeit schon deshalb nicht zu begründen, weil es bereits an der schlüssigen Darlegung eines Sachverhalts fehlt, bei dessen Vorliegen überhaupt die Möglichkeit einer Amtspflichtverletzung bestehen könnte. Soweit der Antragsteller eine solche in der im Jahr 2004 von der Antragsgegnerin vorgenommenen Abmeldung von Amts wegen sieht, ist ihm entgegen zu halten, dass der Abmeldevorgang bereits gerichtlich (vgl. den klageabweisenden Gerichtsbescheid vom 8. Dezember 2008 – Az. M 22 K 08.5444) auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüft wurde, ohne dass sich Anhaltspunkte für ein rechtswidriges Handeln der Antragsgegnerin ergeben hätten. Eine Amtspflichtverletzung der Antragsgegnerin erscheint insoweit nicht einmal entfernt plausibel.
2. Unabhängig hiervon könnte einem Begehren, das auf eine die Hauptsacheentscheidung vorwegnehmende Entscheidung gerichtet ist, aber auch nur stattgegeben werden, wenn der Antragsteller in einem Klageverfahren voraussichtlich – d.h. der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden summarischen Prüfung des Sachverhalts zufolge – Erfolg haben würde. Hierfür ist vorliegend aber ebenfalls nichts ersichtlich; dies zumal an die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens im Fall einer Vorwegnahme der Hauptsache ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – juris Rn. 7).
a.) So besteht ein Anspruch auf Akteneinsicht gemäß Art. 29 BayVwVfG schon dem Grunde nach ausschließlich im Rahmen eines konkreten laufenden Verwaltungsverfahrens. Vorliegend wurde über die Abmeldung der Wohnung … in … aber bereits mit Beschluss und Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts vom 8. Dezember 2008 (Az. M 22 S 08.5445 und M22 K 08.5444) rechtskräftig entschieden. Das Verfahren ist damit abgeschlossen. Demzufolge besteht kein Akteneinsichtsrecht nach Art. 29 BayVwVfG, das allein dazu gewährt wird, auf den Ausgang eines konkret anhängigen Verfahrens Einfluss zu nehmen. Das Akteneinsichtsrecht nach Art. 29 BayVwVfG erlischt mit dem Ende des jeweiligen Verwaltungsverfahrens (Bonk/Kallerhoff in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 7. Auflage, § 29 Rn. 18; Kopp/Ramsauer, VwVfG 10. Auflage, § 29 Rn. 4; zur Parallelvorschrift des § 25 SGB X: BVerwG, U.v. 4.9.2003 – 5 C 48.02 – juris).
b.) Auch ein Anspruch auf Akteneinsicht nach § 1 Abs. 2 Informationsfreiheitsgesetz besteht nicht, weil sich entsprechende Rechte allein gegen die Tätigkeit von Bundesbehörden, nicht aber gegen die Tätigkeiten von Kommunen richten. Eine entsprechende Informationsfreiheitssatzung für die Tätigkeit der Antragsgegnerin existiert ebenfalls nicht.
c.) Auch das Bayerische Melderecht scheidet als Anspruchsgrundlage für die vom Antragsteller begehrte Akteneinsicht aus, weil Art. 9 Bayerisches Meldegesetz (MeldeG) lediglich ein Auskunftsrecht hinsichtlich gespeicherter, personenbezogener Daten, nicht aber ein Akteneinsichtsrecht einräumt. Entsprechendes gilt für Art. 10 des Bayerischen Datenschutzgesetzes (BayDSG).
d.) Auf Art. 36 BayDSG, der nunmehr den zuvor aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Anspruch des Einzelnen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Auskunftsbegehren kodifiziert, kann der Antragsteller die Akteneinsicht im beantragtem Umfang ebenfalls nicht stützen. Art. 36 BayDSG gibt der Behörde ein Ermessen hinsichtlich der Art und Weise der Gewährung der beantragten Auskunft. Ein genereller Anspruch auf Fertigung einer Aktenkopie oder Zusendung der Originalakte an die Wohnsitzgemeinde besteht nicht. Anhaltspunkte für eine dahingehende Ermessensreduzierung auf null sind ebenfalls nicht ersichtlich. Die von der Antragsgegnerin zum Schutz vor Verlust der Akte beabsichtigte Anfertigung einer Zweitschrift ist ebenso wenig zu beanstanden wie die beabsichtigte Auferlegung der dadurch entstehenden Kosten auf den Antragsteller. Art. 36 Abs. 5 BayDSG gibt der Antragsgegnerin eine Kostenerhebung nach Maßgabe des Kostengesetzes (KG) vielmehr sogar explizit vor. Der bei der Auskunftsgewährung entstehende Verwaltungsaufwand ist daher von der Antragsgegnerin zusammen mit der Bedeutung der Angelegenheit für den Antragsteller bei der Entscheidung über die Kosten der Auskunftsgewährung gem. Art. 1 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 KG zu berücksichtigen. Lediglich Auskünfte einfachster Art sind gem. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des KG nicht kostenpflichtig. Um eine solche Auskunft handelt es sich im Fall des Antragstellers mit Blick auf den mit der Erstellung einer Aktenkopie verbundenen Aufwand jedoch nicht.
3. Der Antrag des Antragstellers war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO vollumfänglich abzulehnen.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG und den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Nr. 1.5).