Aktenzeichen X ZR 128/09
§ 4 PatG
Leitsatz
Repaglinid
1. Vorteile der Erfindung, an denen der Fachmann seine Bemühungen um eine Weiterentwicklung des Standes der Technik nicht ausgerichtet hätte, weil sie sich erst durch die Erfindung als erreichbar gezeigt haben, können das der Erfindung zugrunde liegende technische Problem (die Aufgabe der Erfindung) nicht bestimmen.
2. Je nach den Gegebenheiten des technischen Gebiets und den Umständen des Einzelfalles kann das Beschreiten eines jeden von mehreren unterschiedlichen Wegen zur Lösung des Problems naheliegen.
Verfahrensgang
vorgehend BPatG München, 30. Juni 2009, Az: 3 Ni 28/07 (EU), Urteil
Tenor
Die Berufung gegen das am 30. Juni 2009 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Beklagte war Inhaberin des am 21. Juni 1991 angemeldeten und mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 589 874 (Streitpatent), dessen Schutzdauer während des Berufungsverfahrens ebenso abgelaufen ist wie diejenige des der Beklagten erteilten Schutzzertifikats (17. August 2013). Das Streitpatent umfasst 7 Patentansprüche, deren erster in der Verfahrenssprache lautet:
“Verwendung von (S)(+)-2-Äthoxy-4-[N-[1-(2-piperidino-phenyl)-3-methyl-1-butyl]aminocarbonylmethyl]-benzoesäure als Wirkstoff oder eines physiologisch verträglichen Salzes hiervon zur Herstellung eines Langzeitantidiabetikums, dadurch gekennzeichnet, dass im Vergleich zu der doppelten Einzeldosis bei einer Racemat-Applikation unnötig hohe und langandauernde Substanzbelastungen vermieden werden, wodurch wesentlich niedrigere Wirkstoff-Plasmaspiegel auftreten, die über den normalen Vorteil der Dosis-Halbierung bei der Enantiomeren-Applikation hinausgehen.”
2
Die Klägerinnen haben das Streitpatent mit ihren Nichtigkeitsklagen in vollem Umfang angegriffen und geltend gemacht, sein Gegenstand sei nicht patentfähig. Die Beklagte ist den Klagen entgegengetreten und hat das Streitpatent hilfsweise in zwei beschränkten Fassungen verteidigt.
3
Das Patentgericht hat das Streitpatent antragsgemäß für nichtig erklärt. Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung, deren Zurückweisung die Klägerinnen begehren, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klagen weiter.
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Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. H. W. , … , ein schriftliches Gutachten erstellt, das sie in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Parteien haben gutachterliche Stellungnahmen eingereicht, und zwar die Beklagte von Prof. Dr. E. V. (B12, B21, B24), Prof. Dr. S. B. (B13), Prof. Dr. B. T. (B14, B14a) und Prof. Dr. T. L. (B22), die Klägerinnen zu 1 und 2 von Prof. Dr. O. R. (NiK13) und Prof. Dr. A. B. (NiK14) und die Klägerin zu 3 von Prof. Dr. R. W. H. (HBP1, HBP2).
Entscheidungsgründe
5
I. Das Streitpatent betrifft die Verwendung des (S)-Enantiomers der 2-Äthoxy-4-[N-[1-(2-piperidino-phenyl)-3-methyl-1-butyl]aminocarbonylmethyl]-benzoesäure (internationaler Freiname: Repaglinid, im Folgenden nur: Repaglinid).
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1. Der Beschreibung des Streitpatents zufolge offenbart die europäische Patentschrift 147 850 (BM5) unter anderem das Racemat dieser Benzoesäure (Code-Nr.: AG-EE 388 ZW, im Folgenden auch: AG-EE 388) und die europäische Patentschrift 207 331 (NiK8) zwei weitere polymorphe Verbindungen dieses Racemats. Diese Verbindungen und ihre physiologisch verträglichen Salze hätten wertvolle pharmakologische Eigenschaften und wirkten auf den Intermediärstoffwechsel, insbesondere hätten sie blutzuckersenkende Wirkung.
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Beide Enantiomere dieser Verbindung, Repaglinid (auch mit der Code-Nr.: AG-EE 323 ZW bezeichnet) und (R)(-)-2-Äthoxy-4-[N-[1-(2-piperidino-phenyl)-3-methyl-1-butyl]aminocarbonylmethyl]-benzoesäure (Code-Nr.: AG-EE 624 ZW, im Folgenden nur: das (R)-Enantiomer) seien an weiblichen Ratten auf ihre blutzuckersenkende Wirkung geprüft worden. Dabei habe sich herausgestellt, dass Repaglinid das wirksame Enantiomer sei und seine Wirkung an der Ratte länger als 6 Stunden anhalte. Am Menschen hätten die Möglichkeit der Dosishalbierung im Vergleich zum Racemat und eine relativ lange Wirkungsdauer bestätigt werden können. Bei den Human-Studien hätten sich zudem überraschende und gegenüber dem Racemat nicht zu erwartende pharmakokinetische Eigenschaften und therapeutische Vorteile von Repaglinid herausgestellt. Dessen Spiegel fielen selbst bei gleicher absoluter Dosis schneller gegen Null als die des Racemats und im Verhältnis zur Blutzuckersenkung seien die Plasmaspiegel von Repaglinid wesentlich niedriger, als dies bei einer Halbierung der Dosis des Racemats zu erwarten gewesen sei. Außerdem trete die blutzuckersenkende Wirkung nach Verabreichung von Repaglinid schneller ein als beim Racemat.
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Der Unterschied zwischen den beiden Enantiomeren bestehe darin, dass Repaglinid trotz relativ langer Wirkdauer schneller als das (R)-Enantiomer eliminiert werde. Nach Racemat-Gabe sei das (R)-Enantiomer also nicht nur unnötiger Ballast in gleich hoher Plasmakonzentration wie Repaglinid, sondern in höheren Maximal- und Dauer-Spiegeln vorhanden. Das schnelle Einsetzen der Blutzuckersenkung bei Repaglinid im Verhältnis zum Racemat sei für Diabetiker besonders vorteilhaft, weil eine optimale Kontrolle der Krankheit ermöglicht und unnötig hohe und lange medikamentöse Belastungen des Körpers vermieden werden könnten.
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2. In der Beschreibung des Streitpatents ist eine Aufgabe nicht formuliert. Die Beklagte sieht diese darin, ein (Langzeit-)Diabetes-Therapeutikum mit gegenüber dem Stand der Technik vorteilhaften pharmakologischen Eigenschaften, insbesondere mit einem durch schnelles Einsetzen der Wirkung, einem im Verhältnis zur Blutzuckersenkung niedrigen Plasmaspiegel und rascher Eliminierung des Wirkstoffs aus dem Blut ausgestatteten besonderen pharmakokinetischen Profil vorzuschlagen. Dieser Aufgabenbestimmung kann nicht beigetreten werden. Gegen sie wäre möglicherweise nichts einzuwenden, wenn zweifelsfrei feststünde, dass der Fachmann seine Bemühungen am Anmeldetag gezielt und ausschließlich an den genannten Parametern ausgerichtet hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Der Beschreibung zufolge hat sich erst bei den Bemühungen der Erfinder um eine Weiterentwicklung des Stands der Technik herausgestellt, dass Repaglinid die genannten vorteilhaften pharmakokinetischen Eigenschaften aufweist. Die Bestimmung des technischen Problems dient dazu, den Ausgangspunkt der fachmännischen Bemühungen um eine Bereicherung des Stands der Technik ohne Kenntnis der Erfindung zu lokalisieren, um bei der anschließenden und davon zu trennenden Prüfung auf Patentfähigkeit zu bewerten, ob die dafür vorgeschlagene Lösung durch den Stand der Technik nahegelegt war oder nicht. Elemente, die zur patentgemäßen Lösung gehören oder die sich bei ihrer Erarbeitung herausgestellt haben, sind deshalb bei der Bestimmung des technischen Problems nicht zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 22. Mai 1990 – X ZR 124/88, GRUR 1991, 811, 814 – Falzmaschine; Urteil vom 30. Juli 2009 – Xa ZR 22/06, GRUR 2010, 44 Rn. 14 – Dreinahtschlauchfolienbeutel). Dem Streitpatent liegt hiernach das Problem zugrunde, ein (Langzeit-)Diabetes-Therapeutikum mit verbesserter Wirkung bereitzustellen.
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3. Dazu schlägt Patentanspruch 1 vor:
1. Verwendung von (S)(+)-2-Äthoxy-4-[N-[1-(2-piperidino-phenyl)-3-methyl-1-butyl]aminocarbonylmethyl]-benzoesäure oder eines physiologisch verträglichen Salzes hiervon
2. als Wirkstoff zur Herstellung eines Langzeitantidiabetikums,
3. wobei im Vergleich zu der doppelten Einzeldosis bei einer Racematapplikation
– unnötig hohe und langandauernde Substanzbelastungen vermieden werden,
– wodurch wesentlich niedrigere Wirkstoff-Plasmaspiegel auftreten, die über den normalen Vorteil der Dosishalbierung bei der Enantiomerenapplikation hinausgehen.
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Mit Hilfsantrag I wird die Verbindung nach Merkmal 1 in einer optischen Reinheit von mindestens ee = 98 % beansprucht und gemäß Hilfsantrag II mit dem weiteren Zusatz in Merkmal 2 als Langzeitantidiabetikum in der Humanmedizin in Form von Tabletten mit einer Einzeldosis von 0,5, 1,0 oder 2,0 mg beansprucht; Merkmal 3 entfällt nach diesem Hilfsantrag.
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II. Das Patentgericht hat offengelassen, ob der Gegenstand von Patentanspruch 1 gegenüber den in der Streitpatentschrift erörterten Entgegenhaltungen BM5 und NiK8 neu ist, und angenommen, er sei dem Fachmann in allen verteidigten Fassungen durch den Stand der Technik nahegelegt gewesen. Dies hat es im Wesentlichen wie folgt begründet.
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Dem Fachmann, einem erfahrenen und in ein Team eingebundenen organischen oder pharmazeutischen Chemiker, hätten sich am Anmeldetag zwar durchaus mehrere Dokumente angeboten, welche Benzoesäurederivate mit blutzuckersenkender Wirkung offenbarten. In BM5 sei aber – neben 2-Äthoxy-4-[N-[1-(2-piperidino-phenyl)-1-butyl]aminocarbonylmethyl]-benzoesäure (Anspruch 5, Verbindung B der Zusammenstellung, Beschreibung Sp. 12) – das Racemat der vom Streitpatent unter Schutz gestellten Verbindung durch einen gesonderten Anspruch hervorgehoben (Anspruch 6). Zudem werde in BM5 die Wirksamkeit des S-(+)-Enantiomers der Verbindung B aufgezeigt (Verbindung E, Beschreibung Sp. 12). Aus NiK8 habe sich ergänzend ergeben, dass die hoch schmelzende Form B von AG-EE 388 im Tierversuch unter den Testbedingungen von BM5 (dort Spalte 12 Zeilen 45 bis 63) bereits bei einer Substanzapplikation von nur 0,1 mg/kg eine über mindestens vier Stunden anhaltend hohe Senkung des Blutzuckerspiegels bewirke (NiK8 S. 6 Zeilen 22 bis S. 7 Zeile 15). Keine andere Verbindung habe im Tierversuch unter Berücksichtigung von Toxizität und anderen Nebenwirkungen eine vergleichbar günstige, konstant hohe und langandauernde blutzuckersenkende Wirkung aufgewiesen.
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In der hierdurch geleiteten Auswahl von AG-EE 388 und seiner Enantiomere für weitergehende Untersuchungen werde der Fachmann durch die in der Abhandlung “Evidence for more than One Binding Site for Sulfonylureas in Insulin-secreting Cells” von Verspohl et al., J. Pharmacol. 1990, 230 ff. (BM9) dokumentierten Untersuchungen bestärkt, die sich mit den Bindungsstellen in insulinsekretierenden Zellen für blutzuckersenkende Sulfonylharnstoffe im Vergleich zu anderen blutzuckersenkenden Benzoesäurederivaten befassten, darunter auch mit AG-EE 388 (als Verbindung I, vgl. BM9 S. 230 und “Abstract”). Dort werde nicht nur die Einbeziehung der Benzoesäurederivate in die in BM9 dokumentierte Untersuchung mit der Verfügbarkeit von Enantiomeren dieser Benzoesäurederivate begründet (BM9 S. 230 linke Spalte viertletzte Zeile bis rechte Spalte Zeile 5); die Untersuchungen in BM9 zeigten auch, dass das (+)-Enantiomer der zu AG-EE 388 strukturnahen Verbindung II die Senkung des Blutzuckers bewirke. Außerdem ergebe sich daraus, dass AG-EE 388 nicht nur den Sulfonylharnstoffen, sondern insbesondere auch dem racemischen Gemisch der Verbindung II deutlich überlegen sei (BM9 S. 232 rechte Spalte letzter Absatz i.V.m. S. 233 Tabelle I sowie S. 231 linke Spalte Absatz 1). Aufgrund dieser Anhaltspunkte sei Repaglinid aus fachmännischer Sicht als das aller Voraussicht nach wirksame Enantiomer des in Anspruch 6 von BM5 beanspruchten Racemats weiterer präklinischer und klinischer Untersuchung zu unterziehen gewesen.
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Aus dem im Prüfverfahren der BM5 vor dem Europäischen Patentamt vorgelegten Versuchsbericht (BM5a) ergebe sich nichts, was aus fachlicher Sicht davon hätte abhalten können, gerade die Verbindung des Anspruchs 6 in BM5 als Wirkstoff zur Entwicklung eines Langzeitantidiabetikums auszuwählen.
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Durch Wahl von BM5 als Anknüpfungspunkt für die fachmännischen Entwicklungsüberlegungen und Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit werde dieser Schrift auch kein nicht zu rechtfertigender Vorrang gegenüber anderen in Betracht kommenden Dokumenten eingeräumt. Vielmehr ergebe sich die Auswahl von Repaglinid und dessen Einbeziehung in klinische Versuche für den Fachmann allein aus der besonderen Konstellation des Stands der Technik. Kein anderes Benzoesäurederivat liege bei vergleichender Zusammenschau der vorliegenden Entgegenhaltungen hinsichtlich seiner blutzuckersenkenden Wirkung derart im Blickfeld des Fachmanns wie AG-EE 388 und damit auch dessen (+)-Enantiomer.
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Der zusätzlich gefundene, über den normalen Vorteil der Dosishalbierung bei Anwendung nur des einen wirksamen Enantiomers im Verhältnis zur Anwendung des Gemischs hinausgehende Vorteil des wesentlich niedrigeren Wirkstoff-Plasmaspiegels lasse die Frage der erfinderischen Tätigkeit nicht in einem anderen Licht erscheinen, weil sich dieser Zusatzeffekt im Zuge der vom Stand der Technik nahegelegten Untersuchungen von selbst einstelle.
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Die auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche seien ebenfalls nicht bestandsfähig. Die für die Therapie erforderliche Einzeldosis zwischen 0,25 bis 5 mg bzw. konkrete Einzeldosen von 0,5, 1,0 oder 2,0 mg festzulegen erfordere keine erfinderische Tätigkeit, zumal BM5 (Spalte 13 Zeilen 40 bis 42) und NiK8 (S. 8 Zeilen 7 bis 9) einen Dosisbereich bzw. die Größenordnung vorgegeben hätten.
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Auch die Anwendung des (+)-Enantiomers in einer Reinheit von mindestens ee = 95 % oder mindestens ee = 98 % sei nicht erfinderisch, zumal mittels der Angaben in BM5 eine Synthese bzw. Reinigung in der betreffenden Reinigungsstufe aus dem racemischen Gemisch ohne Weiteres durchzuführen sei, wie die Ausführungsbeispiele des Streitpatents zeigten, in denen genau diese üblichen Arbeitsweisen angewandt würden (vgl. BM5 Anspruch 11, Spalte 39 Zeilen 25 bis 30 i.V.m. Spalte 31 Beispiel 15).
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III. Diese Beurteilung greift die Berufung ohne Erfolg an.
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1. Das Patentgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Verbindung nach Anspruch 6 von BM5, also AG-EE 388, dem Fachmann, der nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil und dem Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen gegebenenfalls auf die Kenntnisse von in der Arzneimittelforschung erfahrenen Pharmazeuten, Biologen und Medizinern zurückgreifen konnte, bei der Suche nach einem verbesserten Langzeitantidiabetikum als ein besonders geeigneter Ansatzpunkt erscheinen musste.
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Zwar mag, wie die Beklagte im Hinblick auf mehrere in das Verfahren eingeführte Dokumente (europäische Patentanmeldungen 58 779, 208 200, 239 815 und 305 845, deutsche Offenlegungsschrift 37 18 638, Versuchsbericht BM5a) geltend macht, das Patentgericht aber auch bedacht hat, nicht nur AG-EE 388 als Anknüpfungspunkt für weitere Untersuchungen in Betracht gekommen sein. Die Entscheidung für diese Verbindung als Ausgangspunkt ist aber nicht Ausdruck erfinderischer Tätigkeit, sondern stellt eine Auswahl aus einer insgesamt überschaubaren Anzahl von Alternativen dar, die sich aus den vom Patentgericht aufgezeigten Gründen in besonderem Maße für weiterführende Untersuchungen anboten und aus denen AG-EE 388 wiederum herausragte.
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a) Nach dem Versuchsbericht zu BM5 (BM5a) weist keine andere untersuchte Substanz im Vergleich der Wirkungen einer Dosis von 0,5 mg/kg über die untersuchte Dauer von vier Stunden eine stärkere Wirkung auf als AG-EE 388 (dort: Verbindung F2). Wenn, wie aus der nachstehenden Tabelle ersichtlich, NiK8 zudem aufzeigt, dass sich mit einem Fünftel der Dosis eine nur unwesentlich geringere Wirkung erzielen lässt, deutet das, wie das Patentgericht zu Recht angenommen hat, auf eine Potenz hin, die dem Fachmann Anlass gab, die Verbindung näher in den Blick zu nehmen:
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Blutzuckersenkende Wirkung
1
2
3
4 Stunden
Dosis nach BM5a(0,5 mg/kg)
-45 %
-44 %
-47 %
-43 %
Dosis nach NiK8(0,1 mg/kg)
-38 %
-44 %
-41 %
-40 %
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Dass vergleichbare Messungen für andere Verbindungen bei einer Dosierung auf 0,1 mg/kg nicht bekannt sind, stellt die Wahl dieser Verbindung als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen nicht infrage. Der Fachmann konnte sich infolge der guten Werte in BM5 und NiK8 ohne Weiteres sicher sein, mit AG-EE 388 einen erfolgversprechenden Kandidaten gefunden zu haben. Dies gilt umso mehr, als diese Verbindung in der Untersuchung B9 (dort als Verbindung I) qualitativ ebenfalls gut abgeschnitten hatte.
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b) Es kann entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht davon ausgegangen werden, dass der am Anmeldetag des Streitpatents tätige Fachmann die Eigenschaft der anhaltend hohen blutzuckersenkenden Wirkung einer Verbindung über vier Stunden nicht als vorzugswürdig bewertet hätte. Es trifft zwar zu, dass dies mit dem Anforderungsprofil eines mahlzeitengerecht wirkenden Arzneimittels nicht ganz übereinstimmt. Für eine mahlzeitengerechte Wirkung sollte die Wirkung des präprandial eingenommenen Antidiabetikums zwar möglichst schnell einsetzen, zur Vermeidung hypoglykämischer Zustände aber im Gleichklang mit dem sich postprandial normalisierenden Blutzuckerspiegel nachlassen. Unter diesem Blickwinkel mögen Verbindungen wie C1, D1, E und J1 in der Tabelle der BM5a oder die Verbindungen K bis N aus der europäischen Patentanmeldung 208 200 (BR41, S. 35) durchaus plausible Kandidaten gewesen sein. Jedoch hat die mündliche Verhandlung nicht ergeben und ist auch sonst nicht ersichtlich, dass das Suchraster des Fachmanns schon am Anmeldetag des Streitpatents an diesem Verständnis von einer mahlzeitengerechten Medikation ausgerichtet war. Dies beruht ersichtlich – die mündliche Verhandlung hat keine gegenteiligen Erkenntnisse erbracht – darauf, dass die Suche des Fachmanns seinerzeit noch von der Pharmakokinetik der bis zur Zulassung von Repaglinid 1997 üblicherweise verordneten Sulfonylharnstoffe bestimmt war, die als langwirkende Arzneimittel in der Regel nur ein- oder zweimal täglich eingenommen wurden (Mark, B1 S. 3 Rn. 9, vgl. auch Bornstein, B13 S. 5 sub 2.2). Von dieser Orientierung ist auch das Streitpatent geprägt, wie sich aus dem Umstand ergibt, dass die länger als 6 Stunden anhaltende Wirkung des (S)-Enantiomers (AG-EE 623 ZW) an der Ratte als Vorteil hervorgehoben wird (Beschreibung Abs. 3).
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Dass diese Grundausrichtung am Anmeldetag des Streitpatents überwunden gewesen wäre, geht aus der vorgelegten US-Patentschrift 4 873 080 (RWH3) nicht hervor. Dort ist zwar durchaus als Problem artikuliert, dass bei oralen Antidiabetika die Substanzwirkung zu spät einsetze, die maximale Wirkung oft erst erreicht werde, wenn die Blutzuckerwerte nach der Nahrungsaufnahme sogar ohne Medikation bereits abfielen, und die Wirkung anhalte, selbst wenn der Blutzucker bereits wieder den Ausgangswert erreicht habe. Das Dokument sucht Lösungen aber auf der Ebene eines verbesserten Freisetzungsprofils durch im Wesentlichen galenisch geprägte Maßnahmen, ohne die eingesetzten Verbindungen etwa wegen des Verlaufs ihrer Wirkung als solche infrage zu stellen und ihre Ersetzung durch Stoffe mit einer günstigeren Wirkungskurve zu erwägen.
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c) BM5 und NiK8 stehen aus fachmännischer Sicht als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen nicht deswegen infrage, weil die dortigen Ergebnisse allein auf Versuchen an Ratten basierten.
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Schon aus medizinethischen Gründen steht am Anfang der Erprobung von Arzneimittelkandidaten deren versuchsweiser Einsatz an Tieren. Prof. T. (B14 S. 7 = B14a S. 8 f.) bezeichnet die Ratte als das dafür am besten geeignete Labortier. Der Einwand, diese Tests stellten lediglich Ausschlussfilter für unwirksame Verbindungen dar (vgl. auch Verspohl, B12 S. 13, Mark, B1 S. 4 Abs. 13), greift zu kurz. Nach dem gesamten Inhalt der Verhandlungen und der Beweisaufnahme (§ 286 ZPO) ist vielmehr davon auszugehen, dass der Fachmann bei Verbindungen, die sich im Rattenversuch als wirksam erweisen, Anlass zu weiteren Prüfungen sieht, auch wenn diese Tests keine Vorhersagen über die Pharmakokinetik am (an Diabetes erkrankten) Menschen erlauben. Wie Prof. B. (NiK14 S. 4) überzeugend ausgeführt hat, haben die in einem fachlich akzeptierten Untersuchungsmodell – wie hier dem Tiermodell mit Ratten – gewonnenen Daten aus fachmännischer Sicht eine gewisse Aussagekraft für die Möglichkeit der Entwicklung eines für die Anwendung am Menschen geeigneten Arzneimittels. Dies hat die Anhörung der gerichtlichen Sachverständigen bestätigt, und auch die Beklagte zeigt ein dem Nachweis einer blutzuckersenkenden Wirksamkeit bei der Ratte überlegenes oder auch nur gleichkommendes Kriterium für die Selektion erfolgversprechender Wirkstoffkandidaten nicht auf. Vielmehr geht von der Aussagekraft der Ergebnisse entsprechender Tierversuche auch das Streitpatent aus, wenn in seiner Beschreibung ausgeführt ist, dass aufgrund der an der Ratte gewonnenen Erkenntnisse die ausschließliche Verwendung von Repaglinid für den Menschen geboten erscheine (Abs. 4). Diese Einschätzung bezieht sich zwar auf die vom Streitpatent vorgeschlagene Lösung, bestätigt aber den generellen Stellenwert und die potenzielle Aussagekraft von Rattenversuchen auch vor dem Anmeldetag.
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2. Das Patentgericht hat zu Recht auch angenommen, dass der Fachmann am Anmeldetag hinreichend konkreten Anlass hatte, sich ausgehend von BM5 und NiK8 den Enantiomeren von AG-EE 388 zuzuwenden.
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Entgegen der Ansicht der Beklagten kann nicht jede andere fachmännische Entscheidung als diejenige, AG-EE 388 zum zulassungsfähigen Arzneimittel weiterzuentwickeln, als “unrealistisches Szenario” abgetan werden. Die Zulassung von AG-EE 388 zum marktreifen Arzneimittel voranzutreiben mag namentlich für Fachleute aus einem Unternehmen zu befürworten gewesen sein, welches, wie die Anmelderin des Streitpatents, diese Verbindung bereits untersucht hatte und über Patentschutz hierfür verfügte (BM6, NiK8). Hierauf ist der Kreis der in Betracht kommenden Fachleute aber nicht begrenzt. Ferner mögen die von der Beklagten in anderem Zusammenhang erörterte Suche nach analogen Verbindungen, galenischen Entwicklungsmöglichkeiten oder Kombinationen mit bekannten Antidiabetika oder die vom Miterfinder Dr. M. erwähnte Suche nach aktiven Verbindungen mit abweichenden Seitenketten (B1 S. 5 Nr. 16) überlegenswert gewesen sein. Es muss jedoch nicht zwangsläufig immer nur eine Handlungsalternative im Sinne von Art. 56 EPÜ und § 4 PatG naheliegend sein. Vielmehr können sich für dem Fachmann je nach den Umständen des betroffenen Gebiets der Technik verschiedene Möglichkeiten zum weiteren Vorgehen anbieten, und dementsprechend ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass das Beschreiten unterschiedlicher Wege naheliegend sein kann (BGH, Urteil vom 22. Mai 2007 – X ZR 56/03, GRUR 2008, 56 Rn. 24 – Injizierbarer Mikroschaum; Urteil vom 6. März 2012 – X ZR 50/09, juris Rn. 19, jeweils mwN). Zu den naheliegenden Maßnahmen gehörte im Streitfall jedenfalls die Befassung mit den Enantiomeren von AG-EE 388.
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a) Am Anmeldetag des Streitpatents war dem Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen und den Äußerungen der von den Parteien beauftragten Gutachter zufolge unter anderem bekannt, dass Enantiomere sich in ihrer Wechselwirkung und Pharmakokinetik unterscheiden, da sie mit den körpereigenen Rezeptoren unterschiedlich in Wechselwirkung treten, dass ein Enantiomer eines als Racemat bekannten Wirkstoffs eine bessere Wirkung haben und dass das andere Enantiomer entgegengesetzte oder sogar toxische Wirkungen aufweisen kann. Das deckt sich mit den Erkenntnissen, die der Senat in einem Rechtsstreit gewonnen hat, in welchem der maßgebliche Prioritätstag des dort unter Schutz gestellten Enantiomers rund drei Jahre (14. Juni 1988) vor dem Anmeldetag des Streitpatents lag (BGH, Urteil vom 10. September 2009 – Xa ZR 130/07, GRUR 2010, 123 Rn. 38 – Escitalopram).
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b) Zudem war eine Untersuchung von Sulfonamiden bekannt, die mit Benzoesäurederivaten strukturell verwandt sind und blutzuckersenkende Wirkung haben, derzufolge das (S)-Enantiomer bei den dort untersuchten Verbindungen deutlich aktiver als das (R)-Enantiomer war und in der insoweit von einem 30-fachen Dosisunterschied zum Erreichen der gleichen Wirkung bei Mäusen/Ratten berichtet wird (Rufer et al., Blood Glucose Lowering Sulfonamides with Asymmetric Carbon Atoms, J. Med. Chem. 1974, 708 ff.). In einem Folgebeitrag werden diese Ergebnisse ergänzt und auch das Beispiel einer höheren blutzuckersenkenden Wirkung einer S- gegenüber einer R-konfigurierten Benzoesäure vorgestellt (Rufer et al., Blood Glucose Lowering Sulfonamides with Asymmetric Carbon Atoms, Related N-Substituted Carbomoylbenzoic Acids, J. Med. Chem. 1979, 750 ff.).
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Für die Weiterentwicklung boten sich am Anmeldetag Enantiomere von Benzoesäurederivaten besonders an, weil Letztere sich zur Alternative zu den bis dahin üblichen, in zweiter Generation verfügbaren Sulfonylharnstoffen entwickelt hatten (vgl. Verspohl, B12 S. 3). Das Derivat AZ-DF 265 hatte bei Ratten Hypoglykämie mit im Großen und Ganzen derselben Wirksamkeit verursacht wie der stärkste hypoglykämische Sulfonylharnstoff Glibenclamid, der “Anfang der 90er Jahre Standard war und an dem sich jedes orale Antidiabetikum messen lassen musste” (Verspohl, aaO, S. 3). An diese erstmals unter anderem vom Miterfinder des Streitpatents G. auf einem Kongress vorgetragenen Erkenntnisse (Zusammenfassung NiK15 = RWH2) knüpft die Untersuchung von Garrino und Henquin an (Highly potent and stereoselective effects of the benzoic acid derivate AZ-DF 265 on pancreatic β-cells, Br. J. Pharmacol. 1988, 61 ff.). Dabei wird, wie ebenfalls bereits erwähnt und von der gerichtlichen Sachverständigen bestätigt, als Ergebnis der dort durchgeführten Versuche dem (-)-AZ-DF-265-Enantiomer eine deutlich höhere Wirksamkeit zugewiesen als dem anderen Enantiomer. Wie sich aus RWH3 ergibt, gab es für AZ-DF 265 zudem auch schon – wenn auch in geringem Ausmaß – Humanversuche.
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In BM9, wo neben AG-EE 388 (als Verbindung I) das damit eng verwandte AG-EE 86 und dessen beide Enantiomere untersucht wurden (Verbindung II), hatte sich ergeben, dass das (+)-Enantiomer eine signifikant günstigere Wirkung mit Blick auf die Blutzuckersenkung hatte, als das Racemat, während sich das (-)-Enantiomer als vergleichsweise unwirksam erwiesen hatte.
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c) Die Zweifel der gerichtlichen Sachverständigen daran, dass der Fachmann am Anmeldetag bereit gewesen sein könnte, für die Problemlösung auf das Potenzial eines enantiomerenreinen Wirkstoffs zu setzen, beruhen, wie sie in der mündlichen Verhandlung näher erläutert hat, im Wesentlichen auf ihrer Bewertung der von den Parteien dokumentierten wissenschaftlichen Diskussion. Diese offenbart indes eine kontroverse und eingehende Debatte des Für und Wider der Nutzung von Racematen oder deren Enantiomere schon geraume Zeit vor dem Anmeldetag des Streitpatents. Die Veröffentlichungen eines prononcierten Fürsprechers des ausschließlichen Einsatzes der Letzteren, Ariëns, datieren von 1984 und 1986 (Stereochemistry, a Basis for Sophisticated Nonsense in Pharmacokinetics and Clinical Pharmacology, Eur. J. Clin. Pharmacol. 1984, 663 ff. = NiK5; Chirality in bioactive agents and its pitfalls, TIPS 1986, 200 ff. = NiK4). T. sah dies zwar als eine zu starke Vereinfachung an, die Gefahr laufe, der Komplexität des jeweiligen Gegenstands nicht gerecht zu werden (Chirality aspects of drug metabolism, TIPS 1986, 60 ff.) und plädierte für die Prüfung von Enantiomeren auf ihre spezifische Tauglichkeit im Einzelfall (in diesem Sinne auch T. , B14 S. 13 f. = B14a S. 16). Diese Position setzt aber im Einzelfall die nähere Befassung mit den Eigenschaften der Enantiomere und des Racemats voraus, bevor eine Entscheidung über das Für und Wider des Einsatzes eines Enantiomers oder des Racemats getroffen wird. Soweit die gerichtliche Sachverständige auf einen starken Anstieg wissenschaftlicher Publikationen (erst) im Jahre 1991 verwiesen hat, bezieht sich dies auf die stereoselektive Synthese von Enantiomeren, betrifft also nur eine neue Form der Enantiomerengewinnung.
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Darauf, dass das fachliche Bewusstsein für die mit dem Einsatz von Enantiomeren verbundenen Entwicklungsmöglichkeiten schon deutlich vor dem Anmeldetag des Streitpatents ausgeprägt war, deutet auch der Umstand hin, dass die im Jahre 1987 veröffentlichten Leitlinien der amerikanischen Food and Drug Administration (NiK9) die Empfehlung enthalten, asymmetrische Wirkstoffe in ihre Stereoisomere aufzutrennen und zu untersuchen. Damit in Einklang steht im Übrigen die im Urteil des Federal Court of Canada zur Sprache gekommene, von der Dr. Karl Thomae GmbH 1989 genehmigte Enantiomerenstrategie (“enantiomer policy”, HBP3 Rn. 260), der die Einschätzung zugrunde liegt, Racemate würden von Genehmigungsbehörden in Zukunft als 50:50-Gemische biologisch unterschiedlicher Substanzen angesehen, die in Bezug auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit zu charakterisieren seien, und eine forcierte Bewegung in Richtung der Entwicklung enantiomerenreiner Wirkstoffe ergebe sich aus der notwendigen Minimierung von Entwicklungszeit und Kosten wie auch, um dem aktuellen Stand der Technik zu entsprechen. Diese Einschätzung stellt zwar nur ein Unternehmensinternum dar, bestätigt aber, dass auf dem technischen Gebiet des Streitpatents schon vor dem Anmeldetag auch mit Blick auf die arzneimittelrechtliche Zulassung eines Wirkstoffs Anlass für die Befassung mit Enantiomeren gesehen wurde.
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d) Dass die günstigen blutzuckersenkenden Werte im Wesentlichen (nur) für die Ratte verifiziert waren, stellte die hinreichende Erfolgserwartung des Fachmanns hinsichtlich der Verwendungsmöglichkeiten der Enantiomere von AG-EE 388 in der Diabetestherapie nicht infrage (zum Kriterium der hinreichenden Erfolgserwartung vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2012 – X ZR 98/09, GRUR 2012, 803 Rn. 46 – Calcipotriol-Monohydrat), sondern veranlasste ihn, auf dem vorgesehenen und üblichen Weg bis hin zum marktfähigen und zugelassenen Arzneimittel (vgl. dazu etwa T. , B14 S. 3 ff. = B14a S. 4 ff.) fortzufahren. Aus den bereits dargelegten Gründen (oben Rn. 28 f.) gaben an der Ratte gefundene günstige Ergebnisse jedenfalls so lange Anlass, eine Verwendung für den Menschen anzustreben (vgl. Beschreibung des Streitpatents Abs. 4), wie sich in der Folge dieser Versuche keine Hindernisse oder sonstige Umstände einstellten, die aus fachlicher Sicht ein Fortschreiten auf dem eingeschlagenen Weg nicht länger als angeraten erscheinen ließen. Solche Hindernisse und Umstände vermag die Beklagte nicht aufzuzeigen, und sie sind auch sonst nicht ersichtlich.
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aa) Rückschlage bei anderen Benzoesäureverbindungen (die Entwicklung von AZ-DF 265 zum marktreifen Arzneimittel scheiterte letztlich an der mangelnden Bioverfügbarkeit beim Menschen, und die in BM9 untersuchte Verbindung II erwies sich später als teratogen und aus diesem Grunde als für den Einsatz als Humanarzneimittel ungeeignet) hielten den Fachmann schon mit Blick auf die ihm bewusste Möglichkeit, dass kleine strukturelle Unterschiede große Effekte haben können (Sachverständigengutachten S. 12), nicht von der Befassung mit den Enantiomeren von AG-EE 388 ab.
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bb) Aus fachlicher Sicht bestand auch kein Grund, sich deshalb von den Enantiomeren der Verbindung AG-EE 388 abzuwenden, weil sich bei den in B5 dokumentierten Versuchen für das (R)-Enantiomer (Verbindung E) der – AG-EE 388 strukturell sehr ähnlichen – Verbindung B und für die Verbindung B selbst bei Verabreichung von jeweils 0,5 mg/kg im Wesentlichen gleiche Werte ergeben hatten (BM5 S. 7 f.). Die kontroversen wissenschaftlichen Stellungnahmen von Prof. V. und Prof. H. zu diesem Befund zeigen, dass dieses Messergebnis an zwei Verbindungen unterschiedlich interpretiert werden kann. Dass die von Prof. V. vertretene Sicht den Fachmann davon abgehalten hätte, sich den Enantiomeren von AG-EE 388 zuzuwenden, ist nicht anzunehmen, zumal sich in B9 das (+)-Enantiomer einer strukturell mit AG-EE 388 ebenfalls nahe verwandten, sich nur durch Fehlen einer Äthoxy- und einer Methylgruppe davon unterscheidenden – wenngleich später als teratogen erkannten – Verbindung als sehr aktiv und wirksam im Vergleich zum Racemat und zum (-)-Enantiomer erwiesen hatte und der Fachmann sich, wie bereits ausgeführt, darüber im Klaren war, dass schon kleine strukturelle Abweichungen deutlich andere Wirkungen auslösen können.
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cc) Dass der Bundesgerichtshof die Bereitstellung eines Enantiomers in einem besonderen Fall nicht als nahegelegt beurteilt hat (BGH, GRUR 2010, 123 Rn. 42 ff. – Escitalopram), gibt zu einer abweichenden Beurteilung des Streitfalls keinen Anlass. Dies beruhte darauf, dass es für den Fachmann am dortigen Anmeldetag keinen naheliegenden Weg gegeben hatte, die Enantiomere des Citaloprams in die Hand zu bekommen. Solche oder vergleichbare Schwierigkeiten stehen für Repaglinid nicht in Rede. Zwar stand, wie die gerichtliche Sachverständige zutreffend ausgeführt hat, mit der enantioselektiven Synthese eine Herstellungsmodalität seinerzeit noch in einer Frühphase der Entwicklung. Prof. R. hat aber darauf aufmerksam gemacht, dass eine solche enantioselektive Synthese zur Herstellung der Enantiomere von AG-EE 388 nicht erforderlich war, weil – wovon die gerichtliche Sachverständige im Übrigen ebenfalls ausgeht (Gutachten S. 13 unten) – dafür auch andere Techniken etabliert waren, etwa die Umkristallisation mit einem enantiomerenreinen Hilfsstoff wie Phenylethylamin (vgl. iE NiK13 S. 6 f.). Auch andere Dokumente legen die Annahme nahe, dass die Herstellung der Enantiomere von AG-EE 388 den Fachmann am Anmeldetag nicht vor ernsthafte Schwierigkeiten stellte. Die von Garrino und Henquin untersuchten Enantiomere von AZ-DF 265 waren von dem Miterfinder von BM5 Dr. Hurnaus für die Dr. Karl Thomae GmbH synthetisiert worden (BM8, S. 62 l. Sp. unten). Dieses Unternehmen hatte auch V. et al. die Enantiomere der dortigen Verbindung II (2-Äthoxy-4-[N-[1-(2-piperidino-phenyl)-1-butyl]aminocarbonylmethyl]-benzoesäure [AG-EE 86]) zur Verfügung gestellt (BM9, S. 231 oben). Der Miterfinder des Streitpatents Dr. M. berichtet, dass, nachdem Ende 1989 oder Anfang 1990 mit der Suche eines Lizenznehmers für das Racemat von Repaglinid begonnen worden war, beide Enantiomere dieser Verbindung synthetisiert worden waren (B1, S. 6 unter Nr. 20). Von nennenswerten Schwierigkeiten bei der Herstellung ist insoweit nicht die Rede.
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dd) Schließlich ist nicht anzunehmen, dass sich der Fachmann von der näheren Befassung mit den Enantiomeren einer hinsichtlich ihrer blutzuckersenkenden Wirkung im Tierversuch so vielversprechenden Verbindung wie AG-EE 388 durch die Perspektive hätte abhalten lassen, am Ende einen enantiomerenspezifischen Bioassay (ELISA-Test) zur Untersuchung der Stabilität des Enantiomers im menschlichen Patienten erarbeiten zu müssen, zumal nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Entwicklung eines solchen immunologischen Verfahrens erfinderischer Tätigkeit bedurft hätte. Der Miterfinder Dr. M. führt nur aus, dass die Entwicklung annähernd ein Jahr gedauert habe (B1, S. 7 Rn. 22; ähnlich Prof. T. , B14 S. 20 = B14a S. 23); im Gutachten L. werden lediglich die Schwierigkeiten betont (“ein Scheitern war möglich”, B22, S. 6).
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e) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist nicht deswegen patentfähig, weil die exponierte Wirksamkeit gerade des (S)-Enantiomers erkannt wurde. Mit Blick darauf, dass im Allgemeinen eines der beiden Enantiomere aktiver ist als das andere (Sachverständigengutachten S. 12; vgl. auch EPA – T 296/87, ABl. EPA 1990, 195, 209 [insoweit nicht in GRUR Int. 1990, 851] – Enantiomere/HOECHST) und in Anbetracht insbesondere der in BM7 und BM8 sowie NiK15 (= RWH2) veröffentlichten Erkenntnisse gab es deutliche Anzeichen dafür, dass die blutzuckersenkende Wirkung des (S)-Enantiomers (deutlich) stärker sein könnte als diejenige des (R)-Enantiomers, weshalb die gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, die höhere Wirkung von Repaglinid sei im Vergleich zu seinem (R)-Enantiomer basierend auf den bisher publizierten Daten keine Überraschung gewesen (Sachverständigengutachten S. 12).
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f) Zur Patentfähigkeit gereicht Repaglinid auch nicht der schnelle Eintritt seiner Wirkung und die schnelle Ausscheidung aus dem Plasma. Dabei handelt es sich um zusätzliche, wenn auch unerwartete und überraschende Effekte, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Annahme einer erfinderischen Leistung für sich genommen nicht rechtfertigen können (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2002 – X ZR 68/99, GRUR 2003, 317, 320 – Kosmetisches Sonnenschutzmittel I; BGH, GRUR 2010, 123 Rn. 41 – Escitalopram).
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IV. Die Patentfähigkeit von Patentanspruch 1 in der Fassung der Hilfsanträge ist aus den Gründen des patentgerichtlichen Urteils, die die Berufung nicht mit erheblichen Einwänden angreift, zu verneinen.
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V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Gröning Bacher
Schuster Kober-Dehm