IT- und Medienrecht

Rechtsmissbrauch aufgrund überhöhter Angabe des Gegenstandswerts und Forderung eines überhöhten Vertragsstrafeversprechens

Aktenzeichen  1 HK O 2375/20

Datum:
17.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2020, 51587
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 8c Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 u. Nr. 4
GKG § 51 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4

 

Leitsatz

1. Der einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung zugrundegelegte überhöhte Gegenstandswert kann für ein rechtsmissbräuchliches Handeln sprechen, muss aber weiterhin Gegenstand einer Gesamtabwägung sein. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Gegenstandswert ist in einer Abmahnung jedenfalls dann überhöht angegeben, wenn er den tatsächlich zugrunde zu legenden Gegenstandswert um mehr als 50% überschreitet. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein maßgebliches Indiz für einen Rechtsmissbrauch ist die Forderung nach überhöhter Vertragsstrafe im Rahmen der Abmahnung (hier 10.000 € anstelle von angemessenen 5.000 €) unter Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der wettbewerbswidrigen Verwendung des Begriffs “bio” kann ein Streitwert von 15.000 € für eine Verletzungshandlung angemessen sein, wobei der Streitwert im Verfügungsverfahren um 1/3 zu reduzieren ist. (Rn. 13 – 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Antragsgegnerin vom 16.12.2020 wird als unzulässig zurückgewiesen.
2. Die Antragsstellerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 30.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Wegen des Sachverhaltes wird auf die Antragsschrift vom 16.12.2020 sowie die damit vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
1. Das Gericht geht von der Aktivlegitimation der Antragstellerin aus.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war als unzulässig zurückzuweisen, da er rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 8 c Abs. 2 Nr. 3, 4 UWG bzw. § 242 BGB war (vgl. BGH, GRUR 2012, 730 Tz. 47 – Bauheizgerät).
a. Wird ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtsmissbräuchlich erhoben, hat dies nicht nur die Unbegründetheit, sondern dessen Unzulässigkeit zur Folge, weil ein prozessuales Recht missbraucht wird (OLG Hamm, Urteil vom 22.12.2014 – I-5 U 80/14, Rn 50; OLG Stuttgart Urteil vom 23.01.2002 – 20 U 54/01 Rn 45; so wohl auch BGH, Urteil vom 17.11.2005 – I ZR 300/02 – MEGA SALE Rn 15 in Bezug auf § 8 Abs. 4 UWG). Der das materielle Recht beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gilt auch im Verfahrensrecht (BGHZ 172, 222 Rn. 12 m.w.N.). Er verpflichtet die Parteien zu redlicher Prozessführung und verbietet den Missbrauch prozessualer Befugnisse. Rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig ist die Ausübung solcher Befugnisse, wenn sie nicht den gesetzlich vorgesehenen, sondern anderen, nicht notwendig unerlaubten, aber funktionsfremden und rechtlich zu missbilligenden Zwecken dient (vgl. BGH a.a.O.). Dieser Einwand ist von Amts wegen zu beachten und erfordert eine sorgfältige Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände unter Berücksichtigung des Verhaltens des Gläubigers bei der Verfolgung des streitgegenständlichen und anderer Verstöße, der Art und Schwere des inkriminierten Verhaltens sowie des Verhaltens des Schuldners nach dem Verstoß (BGH, Urteil vom 15.12.2011 – I ZR 174/10 Rn 15 zu § 8 Abs. 4 UWG). Bei der Bewertung können die Umstände, die im Rahmen des § 8 c Abs. 1 UWG einen Rechtsmissbrauch begründen, herangezogen werden, allerdings sind die Anforderungen an die Annahme rechtsmissbräuchlicher Prozessführung in anderen Rechtsbereichen als dem des wettbewerbsrechtlichen Rechtsschutzes höher anzusetzen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.09.2007 – 11 W 48/07, Rn. 8).
b. Nach § 8c Abs. 1 UWG ist die Geltendmachung der in § 8 Abs. 1 UWG bezeichneten Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung einer unzulässigen geschäftlichen Handlung unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, wobei die Annahme eines derartigen Rechtsmissbrauchs eine sorgfältige Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände erfordert: Dabei ist vor allem auf das Verhalten des Gläubigers bei der Verfolgung des Verstoßes abzustellen; ebenso zu berücksichtigen sind aber auch die Art und Schwere des Wettbewerbsverstoßes sowie das Verhalten des Schuldners nach dem Verstoß (BGH GRUR 2012, 730, 731). Ein Missbrauch liegt dabei insbesondere vor, wenn die Anspruchsberechtigten mit der Geltendmachung ihrer Ansprüche überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgen und diese als eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen; ein vollständiges Zurücktreten legitimer wettbewerbsrechtlicher Ziele ist dabei nicht erforderlich. Diese Regelung gilt nicht nur für die gerichtliche, sondern auch für die außergerichtliche Geltendmachung eines wettbewerbsrechtlichen Anspruchs und damit insbesondere für die Abmahnung (BGH, GRUR 2012, 730 Rn. 13 – Bauheizgerät). Ist eine vorgerichtliche Abmahnung rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 8 c Abs. 1 UWG erfolgt, so sind nachfolgend gerichtlich geltend gemachte Anträge unzulässig (BGH, GRUR 2002, 715, 717 – Scannerwerbung (zu § 13 Abs. 5 UWG a.F.); BGH, GRUR 2012, 730 Rn. 47 – Bauheizgerät, m.w.N.; BGH, BeckRS 2016, 13602 Rn. 15 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon).
c. In der Rechtsprechung ist schon bisher anerkannt, dass Angabe eines überhöhten Gegenstandswerts ein Indiz für rechtsmissbräuchliches Handeln sein kann (vgl. KG WRP 2012, 1140 Rn. 6; OLG Frankfurt WRP 2016, 368; OLG Hamburg WRP 2020, 499). Auch insoweit ist allerdings eine Gesamtwürdigung der Einzelfallumstände erforderlich (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Feddersen, 39. Aufl. 2021 Rn. 19, UWG § 8 c Rn. 19).
aa. Der im Rahmen der Abmahnung und auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angesetzte Gegenstandswert ist überhöht. Auch wenn man hier von drei Verstößen ausgehen wollte, ist für jeden Verstoß ein Wert von 15.000 € sachgerecht und angemessen (vgl. unten Ziffer 5).
Für das Gericht ist es naheliegend, dass es der Antragstellerin oder ihren Verfahrensbevollmächtigten durch die überhöhten Gegenstandswerte vorwiegend darum ging, die Antragsgegnerin einzuschüchtern oder um unter Vorspiegelung wettbewerbsrechtlicher Interessen Rechtsverfolgungskosten zu generieren. Obwohl die Bandbreiten der Bemessung des Gegenstandswertes in solchen Fällen groß sind, ist bei der um mehr als 50 % Überschreitung seitens der Antragsstellerin hier ein Rechtsmißbrauch anzunehmen.
b. Auch bei der Bestimmung einer angemessenen Vertragsstrafe ist auf Art, Ausmaß und Folgen der Zuwiderhandlung, ihre Schuldhaftigkeit, die Größe, Marktstärke und Wettbewerbsfähigkeit des Abgemahnten sowie sein wirtschaftliches Interesse Rücksicht zu nehmen. Daher kann die Höhe eines Vertragsstrafeverlangens einen Rechtsmissbrauch nur dann indizieren kann, wenn sie außerhalb des vertretbaren Bereichs angesiedelt ist (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Feddersen, 39. Aufl. 2021 Rn. 20, UWG § 8c Rn. 20). Dies ist hier der Fall.
Ein maßgebliches Indiz dafür ist die Forderung nach überhöhter Vertragsstrafe unter Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs (vgl. BGH, Urteil vom 15.12.2011 – I ZR 174/10 – Bauheizgerät, Rn. 33), wie sie in der von der Antragstellerin vorformulierten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung vorgegeben ist. Die Antragsgegnerin hat dort für jeden Fall der Zuwiderhandlung unter Ausschluss der Handlungseinheit eine Vertragsstrafe in Höhe von 10.000 € zu zahlen, obwohl im Hinblick auf das Gewicht des inkriminierten Verstoßes, allenfalls ein Betrag von bis 5.000 € als angemessen anzusehen sein dürfte (OLG Brandenburg Urt. v. 26.6.2020 – 6 U 119/19, GRUR-RS 2020, 17766 Rn. 18-24).
c. Die Gesamtschau der Indizien führt insgesamt zur Anwendung des § 8c UWG. § 242 BGB bedarf daher keiner näheren Erörterung. Aufgrund der Gesamtabwägung aller Umstände gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass die Antragstellerin im vorliegenden Fall aufgrund ihrer konkreten Vorgehensweise rechtsmissbräuchlich und nicht mehr in Wahrnehmung ihrer berechtigten Interessen gehandelt hat.
3. Zum Streitwert:
Gemäß den §§ 51 Abs. 2 GKG, 3 ZPO ist der Gegenstandswert für das Verfahren in erster Linie nach der sich aus dem Antrag der Antragstellerin für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach billigem Ermessen zu bestimmen. Entscheidend ist bei Unterlassungsanträgen das Interesse des Antragstellers an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße, das maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit und Schädlichkeit für die Träger der maßgeblichen Interessen, bestimmt wird (BGH GRUR 2017, 212 Rn. 8; BGH, GRUR 1990, 1052, 1053 – Streitwertbemessung). Einer Streitwertangabe in der Anspruchsbegründung – zu einem Zeitpunkt, in dem der Ausgang des Verfahrens noch ungewiss ist – kommt dabei indizielle Bedeutung zu, wobei die Angabe anhand objektiver Kriterien zu überprüfen ist und nicht schlicht übernommen werden darf (BGH GRUR 1977, 748, 749 – Kaffee-Verlosung II).
Wettbewerbsverstöße wegen der unerlaubten Verwendung des Begriffs „bio“ beeinträchtigen die geschäftlichen Belange des verletzten Mitbewerbers in aller Regel wesentlich. An der Erfüllung der entsprechenden gesetzlichen Verpflichtungen besteht zum Schutze der Verbraucher ein erhebliches Allgemeininteresse.
Es ist auch zu berücksichtigen, dass es der Antragstellerin bei der Durchsetzung eines Unterlassungsanspruchs, der in die Zukunft gerichtet ist, in der Regel auch darum geht, weiteren Verletzungshandlungen vorzubeugen. Danach erscheint dem Gericht unter Berücksichtigung der Marktbedeutung des Antragsgegners und der geringeren Gefährlichkeit wegen der drei Verstöße ein Wert von jeweils 15.000 € als ausreichend und angemessen.
Ein Rückgriff auf den starren Wert von 1.000 € gem. § 51 Abs. 3 S. 2 GKG kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht.
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gem. § 51 Abs. 4 GKG von einer geringeren Bedeutung gegenüber der Hauptsache auszugehen ist. Regelmäßig ist diese Ermäßigung mit einem Abschlag von ca. 1/3 vom Streitwert des Hauptsacheverfahrens zu bestimmen (OLG Celle, Beschluss vom 4. Dezember 2009 – 13 W 95/09, juris Rn. 14). Bei dem vorgenannten Hauptsachestreitwert von insgesamt 45.000 € ist daher in dieser Sache ein Streitwert von 30.000 € angemessen (OLG Celle Beschl. v. 8.2.2016 – 13 W 6/16, BeckRS 2016, 4998 Rn. 9).


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben