IT- und Medienrecht

Schadensersatz, Rechtsanwaltskosten, Gesamteindruck, Neuheit, Verwirkung, Auslegung, Design, Unterlassungsanspruch, Auskunft, Schutzumfang, Ordnungshaft, Erstattung, Vergleich, Anlage, Bundesrepublik Deutschland, Kosten des Rechtsstreits, Kosten der Rechtsverfolgung

Aktenzeichen  21 O 10580/18

Datum:
23.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2019, 60208
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung fällig werdenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, und/oder einer Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern zu vollziehen ist,
zu unterlassen,
Schneidbretter mit Auffangschale im Gebiet der Bundesrepublik Deutsch-land herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen, einzuführen, auszu¬führen, zu gebrauchen oder zu den vorgenannten Zwecken zu besitzen, wenn diese wie nachfolgend abgebildet gestaltet sind:
 
und/oder
 
und/oder
 
2. dem Kläger Auskunft über den Vertriebsweg der unter vorstehend zu Ziff. 1. 1. abgebildeten Erzeugnisse zu erteilen, nämlich unter Angabe der Na-men und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren, sowie der Angabe der Mengen der hergestellten, ausgelieferten, er¬haltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie über die Preise, die für die Er¬zeugnisse gezahlt wurden;
3. dem Kläger über den Umfang der vorstehend zu Ziff. I. 1. bezeichneten Handlungen Rechnung zu legen, und zwar unter Vorlage eines geordneten Verzeichnisses mit Angaben über
a)    Liefermengen, Lieferzeiten und Lieferpreise sowie Namen und An-schrift der Abnehmer, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen und Artikel-Nummern,
b)    der Angebotsmengen, Angebotszeiten und Angebotspreise sowie Na¬men und Anschriften der Angebotsempfänger, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen und Artikel-Nummern,
c)    der einzelnen Werbeträger, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeit-raum und Verbreitungsgebiet,
d)    Gestehungskosten unter Angabe der einzelnen Kostenfaktoren sowie des erzielten Gewinns,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und nicht gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Ver¬schwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagte des¬sen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nichtgewerblicher Ab¬nehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist;
4.    die im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum der Beklag¬ten befindlichen Schneidebretter gemäß Ziff. I. 1. zu vernichten und dem Kläger die Vernichtung nachzuweisen oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre Kos¬ten herauszugeben;
5.    die in Ziff. I. 1. bezeichneten Erzeugnisse gegenüber gewerblichen Abneh¬mern unter Hinweis auf den durch das Urteil der Kammer gerichtlich festge¬stellten verletzenden Zustand der Sache zurückrufen, ggf. bereits gezahlte Kaufpreise bzw. sonstige Äquivalente zu erstatten sowie notwendige Ver- packungs- und Transportkosten und mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen und endgültig aus den Vertriebswegen zu ent¬fernen;
II.    Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser aus Handlungen gemäß Ziff. I. 1. entstanden ist und noch entstehen wird.
III.    Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtlich entstandene Kos¬ten der Rechtsverfolgung in Höhe von € 1.044,40 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 06.09.2018 zu bezahlen.
IV.    Die Widerklage wird abgewiesen.
V.    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
VI. Das Urteil ist in Ziffer I.1. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000,00 €, in Ziffern I.2 und I.3 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 1.500,00 €, in Ziffern I.4. und I.5. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 3.000,00 €, im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

A. Die zulässige Klage ist begründet.
Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft- und Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf, Schadenersatz und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu. Das von der Beklagten vertriebene Produkt stellt eine Verletzung des für den Kläger geschützten Designs dar.
1. Unterlassungsanspruch
Der Kläger hat einen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte gem. § 42 Abs. 1 DesignG.
1. Keine Verwirkung, § 242 BGB
Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt eine Verwirkung nicht vor.
Die Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausschließen und dadurch dem Bedürfnis der Rechtsklarheit dienen (BGH NJW-RR 2003, 727, 728; Erman, BGB, 15. Auflage 2017, § 242, Rn. 17). Es ist nicht der Zweck des Rechtsgedankens der Verwirkung, Schuldner, denen gegenüber die Gläubiger längere Zeit ihre Rechte nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Deshalb kann allein Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen. Neben das „Zeitmoment“ muss das „Umstandsmoment“ treten. Zum Zeitablauf müssen besondere Umstände hinzukommen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen. Der Berechtigte muss unter solchen Umständen derart untätig gewesen sein, dass der Eindruck entstehen konnte, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (BGH NJW 2014, 1230, Rn. 13 m.w.N.).
Solche Umstände ergeben sich aus dem Vortrag der Beklagten nicht. Die Klageseite hat mit ihrem Schreiben vom 01.03.2016 eine Klage angedroht (Anlage K 7). Warum die Beklagte dennoch darauf vertrauen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, bzw. welche besonderen Umstände im vorliegenden Fall dazu geführt haben sollen, ist angesichts dessen nicht ersichtlich.
2. Schutzfähigkeit des Klagedesigns
Das Klagedesign verfügt über die erforderliche Neuheit und Eigenart. Seine Erscheinungsmerkmale sind nicht ausschließlich technisch bedingt. Eine Nichtigkeit ist vor diesem Hintergrund nicht gegeben.
a) Fehlende Designfähigkeit/Widersprüchlichkeit, § 1 Nr. 1 DesignG
Das Klagedesign lässt einen einheitlichen Schutzgegenstand gem. § 1 Nr. 1 DesignG erkennen. Eine Nichtigkeit gem. § 33 Abs. 1 Nr. 1 DesignG ist nicht gegeben.
Bei ihrer Entscheidung hat die Kammer berücksichtigt, dass Dritte, insbesondere Mitbewerber, nach dem Grundsatz der Registerklarheit aus Gründen der Rechtssicherheit aus der Darstellung oder den Darstellungen des Designs im Register unmittelbar und eindeutig ersehen können müssen, wofür die Anmeldung Schutz beansprucht (BGH 20.12.2018, I ZB 25/18, Rn. 19 – Sporthelm). Trotzdem kann im Wege der Auslegung bei Unklarheiten weiterhin ermittelt werden, was angemeldet werden sollte. Im Wege der Auslegung können auf diese Weise Unklarheiten beseitigt werden, die durch unterschiedliche Darstellungen verschiedener Ausführungsformen des Geschmacksmusters bzw. Designs entstehen (BGH 08.03.2012, I ZR 124/10, Rn. 23 – Weinkaraffe). Die Auslegung kann auch ergeben, dass der Schutzgegenstand aus mehreren Gegenständen besteht, die nach der Verkehrsauffassung ein einheitliches Erzeugnis – ein sog. Kombinationserzeugnis – bilden. Dies liegt insbesondere nahe, wenn die abgebildeten Einzelgegenstände ästhetisch aufeinander abgestimmt sind und miteinander in einem funktionellen Zusammenhang stehen (BGH 08.03.2012, 124/10, Rn. 32 – Weinkaraffe).
So liegt der Fall hier. Es wird der Schutzgegenstand auf dem ersten Bild komplett gezeigt. Die zwei weiteren Bilder zeigen zwar nur das Schneidebrett; bei der Darstellung eines Kombinationserzeugnisses ist dies jedoch zulässig, solange nicht die Bildung einer Schnittmenge aus verschiedenen Bildern erforderlich ist, um das Design zu ermitteln (wie in BGH, aaO, Rn. 18-20 – Sporthelm). Hier muss keine Schnittmenge aus verschiedenen Darstellungen gebildet werden, um den Gegenstand des Klagedesigns zu ermitteln, sondern der Betrachter sieht das Schneidebrettchen mit Auffangschale zuerst vollständig mit und dann ohne die ebenfalls zum Design gehörende Auffangschale. Es ist dem informierten Betrachter ohne weiteres möglich, zu erkennen, dass das Klagedesign ein Kombinationserzeugnis darstellt, welches in Gänze in Darstellung 1 abgebildet ist. Dem steht auch nicht der Begriff „Schneidebretter“ entgegen, der unter der Rubrik „Erzeugnisse“ im Registerauszug aufgeführt ist. Es wird durch das Bild 1 klar, dass dies lediglich einen Oberbegriff darstellt, denn Gegenstand des Klagedesigns ist eben ein Schneidebrett. Die Auffangschale muss nicht gesondert genannt werden, um ein Kombinationserzeugnis erkennen zu lassen. Dies ist vergleichbar mit der auf einem Sockel stehenden Weinkaraffe, welche Gegenstand des oben zitierten Urteils des Bundesgerichtshofes war. Anders als das in Abbildung 1 abgebildete Gemüse stellt die Auffangschale ersichtlich kein bloß schmückendes Beiwerk dar.
b) Neuheit und Eigenart, § 2 Abs. 2, Abs. 3 DesignG
Zur Beurteilung der Neuheit des Klagemusters ist zunächst sein ästhetischer Gesamteindruck anhand der ihn wesentlich bestimmenden Gestaltungsmerkmale zu ermitteln; diesem sind sodann im Wege des Einzelvergleichs die vorbekannten ästhetischen Gestaltungen gegenüberzustellen (vgl. BGH GRUR 2016, 803 – Armbanduhr; BGH, Urteil vom 18. April 1996 – I ZR 160/94, GRUR 1996, 767, 769 – Holzstühle).
Das Design wird durch folgende Merkmale geprägt:
– eine rechteckige Schneideplatte in Vollholzoptik auf zwei kurzen, durchgehenden Füßen auf den jeweils gegenüberliegenden Schmalseiten der Schneideplatte;
– die Füße weisen eine etwas größere Stärke auf als die Schneideplatte;
– die Schneideplatte steht auf beiden Schmalseiten etwas über die Füße hinaus, sodass der Eindruck eines kleinen Tischchens entsteht;
– die Füße schließen auf der Längsseite der Schneideplatte mit dieser bündig ab;
– unterhalb der Schneideplatte ist eine wannenförmige Auffangschale angeordnet,
– die wannenförmige Auffangschale ist etwas kleiner als die Schneideplatte und besitzt einen umkragenden Rand, mit welchem sie gänzlich unterhalb der Schneideplatte platziert werden kann.
Die von der Klageseite vorgetragenen Einfräsungen für die Auffangschale sind nicht deutlich erkennbar, wohl aber, dass Schale und Tischchen passgenau aufeinander abgestimmt sind.
Keine der von der Beklagten angeführten Entgegenhaltungen (Anlage B 1) ruft – trotz teilweise zu erkennender Übereinstimmungen bzw. Ähnlichkeiten – beim informierten Benutzer einen identischen Gesamteindruck hervor, weshalb dem Klagedesign die Neuheit nicht abzusprechen ist.
Im Einzelnen:
Beim Design 000286612-0015 vom 28.01.2015 lassen die Abbildungen eine komplett andere Form des Schneidebrettchens erkennen. Es hat keine überstehenden Kanten und ist insgesamt deutlich kastenartiger ausgestaltet, als das Klagedesign. Zudem wird die Auffangschale auf der Längsseite und nicht auf der Querseite eingeschoben. Die Befestigung der Füße des Schneidebrettchen weist ebenfalls einen Unterschied auf: Die Füße sind nicht in das Brettchen mittels Aussparung eingelassen.
Beim Design 000388194-0041 vom 18.08.2005 lassen die beiden Zeichnungen nicht erkennen, inwieweit bei dem dargestellten Schneidebrettchen die eingefügte Wanne komplett durchgehend unter dem Schneidebrettchen geführt ist. Auch erscheint hier das Brettchen eher kastenartig und erzeugt nicht die Anmutung eines Tischchens. Ebenso verhält es sich bei der Entgegenhaltung des Designs 00388194-0044 vom 18.08.2005.
Bei dem US-Patent 3,598,164 vom 10.08.1971 fällt sogleich auf, das der Gesamteindruck des Brettchens an einen Billardtisch erinnert. Der Rand des Tischchens ist erhöht und die Füße sind laut der Zeichnungen nicht durchgehend. Auch befindet sich die Auffangschale im Gegensatz zum Klagedesign nur unter einem Teilbereich des Tischchens, sodass hier ebenfalls ein abweichender Gesamteindruck entsteht.
Das Klagedesign weist auch die erforderliche Eigenart auf.
Die Eigentümlichkeit eines Musters setzt voraus, dass es in den für die ästhetische Wirkung maßgebenden Merkmalen als das Ergebnis einer eigenpersönlichen schöpferischen Tätigkeit erscheint, die über das Durchschnittskönnen eines Mustergestalters mit der Kenntnis des betreffenden Fachgebiets hinausgeht (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 – I ZR 100/05, GRUR 2008, 153 Rn. 25 – Dacheindeckungsplatten). Die Prüfung der Eigentümlichkeit und ihres Grades ist nicht durch einen Einzelvergleich des Klagemusters mit Entgegenhaltungen vorzunehmen, sondern durch einen Gesamtvergleich mit den auf dem betreffenden Gebiet vorbekannten Formgestaltungen. Der Gesamteindruck muss von der Feststellung des Gesamteindrucks des Musters und der Gestaltungsmerkmale ausgehen, auf denen dieser Gesamteindruck beruht (vgl. BGH, GRUR 1996, 767, 769 – Holzstühle; GRUR 2001, 503, 505 [= WRP 2001, 946] – Sitz-Liegemöbel; BGH, Urteil vom 13. Juli 2000 – I ZR 219/98, GRUR 2000, 1023, 1025 = WRP 2000, 1312 – 3-Speichen-Felgenrad; BGH, GRUR 2008, 153 Rn. 26 [= WRP 2008, 241] – Dacheindeckungsplatten). Die Kombination vorbekannter Gestaltungsmerkmale kann eine Gesamtwirkung erzielen, welche die für einen Geschmacksmusterschutz erforderliche schöpferische Gestaltungshöhe erreicht (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 1980 – I ZR 57/78, GRUR 1981, 273, 275 – Leuchtenglas; Urteil vom 24. September 1987 – I ZR 142/85, GRUR 1988, 369, 370 – Messergriff).
Ausgehend davon weist die Kombination von Brettchen und Schale in ihrer konkreten Ausgestaltung Eigenart auf: Die Füße des Brettchens sind an derLängsseite des Brettchens durchgehend in die Schneideplatte in Form einer kleinen Nase eingelassen, die passgenau in einer Aussparung an der Unterseite der Platte geführt wird. Die Schneideplatte steht auf beiden Seiten über die Füße hinaus, was die „Tisch-Optik“ des Brettchens hervorruft. Die konkrete Ausgestaltung der Auffangschale als Wanne in Kombination mit dem tischartigen Brettchen verleiht dem Design die für den Gesamteindruck prägende Optik eines gedrungenen Tischchens mit einer schubladenartigen Unterschalung, wobei die Unterschalung mit dem breiteren Rand eine wannenartige Anmutung aufweist.
Die das Klagedesign prägenden Merkmale sind auch nicht ausschließlich technisch bedingt. Für die Beurteilung, ob die Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind, ist zu ermitteln, ob diese Funktion der einzige diese Merkmale bestimmende Faktor ist (EuGH, 08.03.2018, C-395/16, Rn 32 – Doderam/CeramTec).
Dies ist beim Klagedesign gerade nicht der Fall. Die vom Kläger gewählte Gestaltung von Brettchen und Auffangschale ist zwar teilweise, aber nicht ausschließlich technisch bedingt. Die konkrete Erscheinungsform wurde nicht allein aufgrund der technischen Funktionalität gewählt (vgl. hierzu EuGH, aaO, Rn. 26). Dass Schneidebrett und Auffangschale zueinander passen und technisch aufeinander abgestimmt sein müssen, um in Funktion treten zu können, ist insofern unschädlich, da dies Kern eines Kombinationserzeugnisses ist.
Der Schutz ist nur für den Fall ausgeschlossen, dass die technische Funktion des betreffenden Erzeugnisses der einzige Faktor ist, der den Entwerfer dazu bewogen hat, sich für ein bestimmtes Erscheinungsmerkmal dieses Erzeugnisses zu entscheiden, während anderweitige Funktionen, insbesondere solche, die mit der visuellen Erscheinung des Erzeugnisses zusammenhängen, bei der Entscheidung für dieses Merkmal keine Rolle gespielt haben (EuGH, 08.03.2018, C- 395/16, Rn. 26 – Doderam/CeramTec).
Keines der den Gesamteindruck prägenden Merkmale ist in seiner konkreten Ausgestaltung ausschließlich technisch bedingt und deshalb beim Gesamtvergleich außer Betracht zu lassen. Sowohl für das Scheidebrettchen als auch für die Auffangschale sind eine Vielzahl von anderen Gestaltungen möglich; dies gilt 18insbesondere für die konkrete Gestaltung der durchgehenden Füße, ihre – technisch nicht erforderliche – Einlassung in das Tischchen und den – technisch ebenfalls nicht notwendigen – überstehenden Rand sowie die konkrete Ausgestaltung des Kragens der Auffangschale; ausgehend von der technischen Funktion müssen die Füße nicht durchgehend sein, sie können breiter oder schmaler gefasst werden und anders am Tischchen befestigt werden. Der Rand des Tischchens muss nicht überstehen. Der Kragen der Auffangschale kann breiter oder schmaler ausgestaltet sein.
Im Vordergrund steht nach Auffassung der Kammer in diesem konkreten Fall die ästhetische Ausgestaltung des Designs: Form und Kanten des Schneidebretts sowie der dazu passenden Auffangschale sind variabel. Die Ausgestaltung von Brett und Schale hat zumindest auch rein gestalterische Elemente, wie die gewählte Form der Kante der Schale oder die Form des Verbindungsbereichs von Brettchen und Fuß.
3. Verletzung des Klagedesigns
Die mit der Klage angegriffene Ausführungsform eines Schneidebretts mit Auffangschale verletzt das Klagedesign.
a. Der Schutzumfang des Klagedesigns kann ausgehend von dem beklagtenseits vorgelegten und auch datierbaren Formenschatz nicht als lediglich gering eingestuft werden.
Bei der Beurteilung des Schutzumfangs ist der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung seines Musters bzw. seines Designs zu berücksichtigen. So kann eine hohe Musterdichte und ein kleiner Gestaltungsspielraum des Entwerfers einen engen Schutzumfang des Musters bedingen, sodass bereits geringe Unterschiede bei informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck hervorrufen (BGH GRUR 2011, 142, Rn. 17 – Untersetzer). Eine geringe Musterdichte und damit ein großer Gestaltungsspielraum des Entwerfers können umgekehrt zu einem weiten Schutzumfang des Geschmacksmusters bzw. des eingetragenen Designs führen. Der Schutzumfang hängt demnach vom Abstand des Geschmacksmusters bzw. des eingetragenen Designs zum vorbekannten Formenschatz ab. Dieser Abstand ist durch einen Vergleich des Gesamteindrucks des Klagemusters und der vorbekannten Formgestaltungen zu ermitteln. Bei einem weiten Schutzumfang können selbst größere Gestaltungsunterschiede beim informierten Benutzer möglicherweise keinen anderen Gesamteindruck erwecken (vgl. BGH a.a.O. Rn. 29 – Armbanduhr).
Vorliegend vermögen nur die bereits im Rahmen der Schutzfähigkeit erörterten Gestaltungen den Schutzbereich des Klagedesigns einzuschränken, da sie sich datieren lassen; diese Gestaltungen zeigen allerdings aus gestalterischer Sicht – wie oben beschrieben – einen erheblichen Abstand zum Klagedesign. Der mit dem Anlagenkonvolut B 2 vorgelegte Formenschatz lässt sich demgegenüber nicht datieren und kann bei der Prüfung des Schutzumfangs daher nicht berücksichtigt werden.
Ausgehend davon liegt eine Verletzung des Klagedesigns vor. Insbesondere die Wahl einer tischartigen Anmutung mit unter dem „Tisch“ eingeschobener Schublade, der seitlich überstehende Tischrand und die Einlassung der Füße in das Holz beim Erzeugnis der Beklagten sind prägende Elemente, die dazu führen, dass der Abgleich des Klagedesigns mit der angegriffenen Ausführungsform insgesamt ein identischer Gesamteindruck entsteht. Die Füße des Brettchens sind jeweils durchgehend an der Längsseite des Brettchens in die Schneideplatte in Form einer kleinen Nase eingelassen, die passgenau in einer Aussparung an der Unterseite der Platte geführt wird. Die Schneideplatte steht auf beiden Seiten über die Füße hinaus, was die „Tisch-Optik“ des Brettchens noch verstärkt. Demgegenüber treten die Unterschiede, wie die abgerundeten Ecken des Erzeugnisses der Beklagten und die schmalere Einlassung zur Befestigung der Füße in das Brettchen, zurück.
II. Auskunftsanspruch, Rechnungslegung, Schadenersatz und Vernichtung
Der Anspruch auf Auskunft folgt aus § 42 Abs. 2 Satz 1 DesignG. Der Anspruch auf Rechnungslegung ist gem. § 242 BGB gegeben. Der Schadenersatzanspruch besteht gem. § 42 Abs. 2 Satz 1 DesignG. Der geltend gemachte Vernichtungsanspruch bzw. Rückruf folgt aus § 43 Abs. 1, Abs. 2 DesignG.
III. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten
Der Kostenerstattungsanspruch für die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus § 42 Abs. 1 Satz 2 DesignG und unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 683, 678, 670 BGB, da die Abmahnung der Beklagtenseite durch den Kläger im Ergebnis berechtigt war (siehe dazu oben Ziff. I.). Die von der Klägerin vorgenommene Berechnung ist nicht zu beanstanden. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
B. Die zulässige Widerklage ist unbegründet.
Das Klagedesign ist nicht gem. § 33 DesignG nichtig, da es die notwendige Neuheit und Eigenart aufweist (siehe dazu oben Ziff. I.2.).
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 ZPO.


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