Aktenzeichen I ZR 15/18
§ 14 UrhG
§ 947 Abs 1 S 1 UrhG
Verfahrensgang
vorgehend KG Berlin, 9. August 2017, Az: 24 U 173/15vorgehend LG Berlin, 3. November 2015, Az: 16 O 689/13
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Kammergerichts vom 9. August 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Kläger sind bildende Künstler. Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2 war, betrieb in von ihr gepachteten Räumen eine Minigolfanlage.
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Die Kläger gestalteten aufgrund einer Vereinbarung mit der Beklagten zu 1, deren Inhalt streitig ist, einen Teil der Räume mit Hilfe von Farben, die unter Schwarzlicht leuchteten. Die Klägerin zu 1 errichtete im Eingangsbereich die Brunneninstallation “Quelle des Sonnensystems”, der Kläger zu 2 nahm im sogenannten “Stern-Raum” eine Sterninstallation vor. Die Minigolfanlage wurde im Juli 2010 eröffnet.
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Bei einer von den Beklagten im letzten Quartal des Jahres 2011 beschlossenen Umgestaltung der Anlage wurden beide Installationen zerstört. Zwischen den Parteien ist streitig, wann die Entfernung erfolgte, ob sie den Klägern angekündigt und ihnen Gelegenheit zur Entnahme der Installationen gegeben wurde.
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Die Kläger sind der Auffassung, die Zerstörung der Installationen verletze ihr Recht als Urheber, eine Beeinträchtigung ihrer Werke zu verbieten. Sie haben die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgelds nebst Zinsen in Anspruch genommen. Die Klägerin zu 1 hält ein Schmerzensgeld von jedenfalls 10.000 €, der Kläger zu 2 ein solches von 14.000 € für angemessen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgen die Kläger ihre Klageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
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I. Das Berufungsgericht hat die Schmerzensgeldansprüche der Kläger für unbegründet erachtet und hierzu ausgeführt:
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Die Installationen seien zwar urheberrechtlich geschützte Werke der angewandten bildenden Kunst. Die Beklagte zu 1 sei als Eigentümerin der Installationen aber zu deren vollständiger Vernichtung berechtigt gewesen. Die vollständige Vernichtung eines Werks unterfalle nicht dem Verbot der Entstellung nach § 14 UrhG.
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II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision hat Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung können Ansprüche der Kläger auf Schmerzensgeld nicht verneint werden.
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1. Wer das Urheberrecht vorsätzlich oder fahrlässig verletzt, ist nach § 97 Abs. 2 Satz 1 UrhG dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Nach § 97 Abs. 2 Satz 4 UrhG können Urheber auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine Entschädigung in Geld – also Schmerzensgeld – verlangen, wenn und soweit dies der Billigkeit entspricht.
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2. Gegen die Annahme des Berufungsgerichts, bei den Installationen der Kläger habe es sich um nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG geschützte Werke der angewandten Kunst gehandelt und die Beklagte zu 1 sei im Zeitpunkt der Vernichtung deren Eigentümerin gewesen, wenden sich die Parteien nicht. Diese Beurteilung lässt auch keinen Rechtsfehler erkennen.
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3. Mit Erfolg greift die Revision aber die Annahme des Berufungsgerichts an, Ansprüche der Kläger gemäß § 97 Abs. 2 Satz 1 und 4 UrhG schieden schon deshalb aus, weil die Vernichtung eines urheberrechtlich geschützten Werks nicht dem Verbot der Entstellung nach § 14 UrhG unterfalle.
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a) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Befugnis zur vollständigen Vernichtung der Installationen ergebe sich für die Beklagte zu 1 nach ihrem Eigentumserwerb aus § 903 Satz 1 Fall 1 BGB. Dem stehe auch § 14 UrhG nicht entgegen, weil diese Bestimmung dem Urheber nicht das Recht einräume, gegen die vollständige Werkvernichtung vorzugehen. Die Vorschrift schütze nicht die Existenz des Werks als solche, sondern nur seine Gestalt in der Form, in der sie nach dem Willen des Urhebers wahrgenommen werden solle. Eine Entstellung beziehe sich mithin auf den unverfälschten Zustand des Werks und setze dessen Existenz voraus. Bei einer Werkvernichtung fehle demgegenüber der Anknüpfungspunkt für eine Verfälschung. Deshalb sei § 14 UrhG auf die Werkvernichtung nicht anwendbar. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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b) Nach § 14 UrhG hat der Urheber das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werks zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden. Diese Vorschrift ist Ausdruck des Urheberpersönlichkeitsrechts, das den Schutz des geistigen und persönlichen Bandes zwischen Urheber und Werk zum Gegenstand hat (vgl. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, BT-Drucks. IV/270, S. 45; Dietz/Peukert in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 5. Aufl., § 14 UrhG Rn. 5).
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c) Die Frage, ob die Vernichtung des Werks eine Beeinträchtigung im Sinne des § 14 UrhG darstellt, ist umstritten.
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aa) Unter Hinweis darauf, dass § 14 UrhG das Interesse des Urhebers am Fortbestand des unverfälschten Werks, nicht aber das Interesse des Urhebers an der Existenz des Werks als solchem schütze, wird die Anwendung dieser Vorschrift auf die Vernichtung des Werks vielfach verneint (vgl. KG, GRUR 1981, 742; OLG Schleswig, ZUM 2006, 426, 427 [juris Rn. 9]; LG München I, FuR 1982, 510, 513; LG Hamburg, GRUR 2005, 672, 674 [juris Rn. 33]; Bullinger in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 4. Aufl., § 14 UrhG Rn. 22 bis 24; Dietz/Peukert in Schricker/Loewenheim aaO § 14 UrhG Rn. 21; Dustmann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 12. Aufl., § 14 UrhG Rn. 32 f.; B. Goldmann, GRUR 2005, 639, 643).
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bb) Nach anderer Ansicht ist die Vernichtung eines Werkoriginals als schärfste Form der Beeinträchtigung im Sinne des § 14 UrhG anzusehen. Sie verletze das Interesse des Urhebers, durch sein Werk auf den kulturellen oder gesellschaftlichen Kommunikationsprozess einzuwirken und im Werk fortzuleben (vgl. Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel/Hentsch, Urheberrecht, 4. Aufl., § 14 UrhG Rn. 50; Kroitzsch/Götting in Möhring/Nicolini, Urheberrecht, 4. Aufl., § 14 UrhG Rn. 24; Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 14 Rn. 27 f.; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 8. Aufl., Rn. 397; ders., Kunst und Recht, Bildende Kunst, Architektur, Design und Fotografie im deutschen und internationalen Recht, 3. Aufl., Rn. 185; Dietz, Das Droit Moral des Urhebers im neuen französischen und deutschen Urheberrecht, 1968, S. 112; Schilcher, Der Schutz des Urhebers gegen Werkänderungen, 1989, S. 83 ff.; Schöfer, Die Rechtsverhältnisse zwischen dem Urheber eines Werks der bildenden Kunst und dem Eigentümer des Originalwerks, 1984, S. 139 f.; v. Waasen, Das Spannungsverhältnis zwischen Urheberrecht und Eigentum im deutschen und ausländischen Recht, 1994, S. 151 ff.; Movsessian, UFITA 95 (1983), S. 77, 85; Richard/Junker, GRUR 2007, 18, 24; Samson, UFITA 47 (1966), S. 1, 37).
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cc) Der Senat stimmt der letztgenannten Auffassung zu.
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(1) Nach seinem Wortlaut und seiner Systematik erfasst § 14 UrhG die Vernichtung des Werks. Zwar mag die in § 14 UrhG zunächst genannte Entstellung den Fortbestand des Werks voraussetzen. Bei der Entstellung handelt es sich aber nur um einen besonderen Fall der in § 14 UrhG weiter genannten Beeinträchtigung des Werks. Das allgemeine Sprachverständnis steht der Annahme nicht entgegen, dass es sich bei der Vernichtung um einen weiteren Fall der Beeinträchtigung des Werks handelt. Soweit gegen die Anwendung des § 14 UrhG auf die Werkvernichtung eingewandt wird, schon dem Wortsinn nach stelle eine Vernichtung keine Beeinträchtigung im Sinne dieser Vorschrift dar, weil die Beeinträchtigung ein Weniger gegenüber der Vernichtung sei (Schmelz, GRUR 2007, 565, 568), liegt dem ein zu enges Wortverständnis zugrunde. Ist die in § 14 UrhG genannte andere Beeinträchtigung der tatbestandliche Oberbegriff und die gleichfalls genannte Entstellung lediglich ein Anwendungsfall dieses Oberbegriffs, steht das Sprachverständnis der Einbeziehung der Vernichtung in den Begriff der sonstigen Beeinträchtigung nicht entgegen.
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(2) Die Gesetzgebungsmaterialien stehen der Annahme nicht entgegen, dass nach § 14 UrhG die Vernichtung eines Werks verboten sein kann. In der Begründung zum Regierungsentwurf eines Urheberrechtsgesetzes heißt es zwar, es erscheine nicht angebracht, in das Gesetz ein Vernichtungsverbot für Werke der bildenden Künste aufzunehmen, soweit an ihrer Erhaltung ein öffentliches Interesse besteht; die Erhaltung kulturell wertvoller Kunstwerke sei nicht Aufgabe des privatrechtlichen Urheberrechts, sondern des zum Gebiet des öffentlichen Rechts gehörenden Denkmalschutzes (BT-Drucks. IV/270, S. 45). Dieser Begründung ist jedoch allein zu entnehmen, dass ein öffentliches Interesse an der Erhaltung eines Werks der bildenden Künste nach § 14 UrhG kein Vernichtungsverbot begründen soll. Damit ist nicht gesagt, dass auch die durch § 14 UrhG geschützten geistigen und persönlichen Interessen des Urhebers an seinem Werk kein Vernichtungsverbot rechtfertigen können.
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(3) Der Zweck des § 14 UrhG, die berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen des Urhebers an seinem Werk zu schützen, spricht dafür, dass der Urheber nach dieser Bestimmung grundsätzlich auch eine Vernichtung seines Werks verbieten kann. Das Urheberpersönlichkeitsrecht kann durch die Vernichtung eines Werks in besonderer Weise betroffen sein, weil die Vernichtung das Fortwirken des Werks (als Ausdruck der Persönlichkeit seines Schöpfers) vereiteln oder erschweren kann. Durch die Vernichtung wird das geistige Band zwischen dem Urheber und seinem Werk durchschnitten (Erdmann in Festschrift Piper, 1996, S. 655, 674).
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(4) Weiter ist zu beachten, dass der potentielle Interessenkonflikt zwischen dem Eigentümer eines Werks und seinem Urheber grundrechtlichen Wertungen unterliegt. Ersterer kann sich auf sein Grundrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG berufen, wenn er mit seinem Eigentum nach Belieben verfahren (§ 903 Satz 1 BGB), es etwa vernichten möchte. Für den Urheber streitet die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verbürgte Kunstfreiheit, die nicht nur den Schaffensprozess (“Werkbereich”), sondern auch die für die Begegnung mit der Kunst erforderliche Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks (“Wirkbereich”) schützt (vgl. BVerfGE 30, 173, 189 [juris Rn. 49] – Mephisto; BVerfGE 119, 1, 21 f. [juris Rn. 63] – Esra, mwN). Diesen grundrechtlichen Wertungen kann im Falle der Vernichtung eines Werks Rechnung getragen werden, wenn die Vernichtung als Beeinträchtigung des Werks von § 14 UrhG erfasst und damit die im Tatbestandsmerkmal der “berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen” des Urhebers angelegte Interessenabwägung eröffnet ist.
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d) Die danach erforderliche Interessenabwägung hat das Berufungsgericht nicht vorgenommen. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen können die geltend gemachten Schmerzensgeldansprüche nicht verneint werden.
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III. Danach ist auf die Revision der Kläger das angegriffene Urteil aufzuheben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO).
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In der wiedereröffneten Berufungsinstanz wird das Berufungsgericht die im Falle der Vernichtung von Werken nach § 14 UrhG vorzunehmende Interessenabwägung nachzuholen haben.
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Im Falle der Vernichtung eines Werks ist bei der Interessenabwägung auf Seiten des Urhebers insbesondere zu berücksichtigen, ob es sich bei dem vernichteten Werk um das einzige Vervielfältigungsstück des Werks handelte, oder ob von dem Werk weitere Vervielfältigungsstücke existieren. Ferner ist zu berücksichtigen, welche Gestaltungshöhe das Werk aufweist und ob es ein Gegenstand der zweckfreien Kunst ist oder als angewandte Kunst einem Gebrauchszweck dient (vgl. Erdmann in Festschrift Piper, 1996, S. 655, 674; Schack, Kunst und Recht aaO Rn. 185).
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Auf Seiten des Eigentümers können, etwa wenn ein Bauwerk oder Kunst in oder an einem solchen betroffen ist, bautechnische Gründe oder das Interesse an einer Nutzungsänderung von Bedeutung sein (vgl. BGH, Urteil vom 19. März 2008 – I ZR 166/05, GRUR 2008, 984 Rn. 38 f. = WRP 2008, 1440 – St. Gottfried; Dietz/Peukert in Schricker/Loewenheim aaO § 14 UrhG Rn. 39 f.; Schulze in Dreier/Schulze aaO § 14 Rn. 28; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht aaO Rn. 399). Bei Werken der Baukunst oder mit Bauwerken unlösbar verbundenen Kunstwerken werden die Interessen des Eigentümers an einer anderweitigen Nutzung oder Bebauung des Grundstücks oder Gebäudes den Interessen des Urhebers am Erhalt des Werks in der Regel vorgehen, sofern sich aus den Umständen des Einzelfalls nichts anderes ergibt (vgl. Schack, Kunst und Recht aaO Rn. 189).
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Im Rahmen der Interessenabwägung kann sich weiter auswirken, ob der Eigentümer dem Urheber Gelegenheit gegeben hat, das Werk zurückzunehmen oder – wenn dies aufgrund der Beschaffenheit des Werks nicht möglich ist – Vervielfältigungsstücke hiervon anzufertigen (vgl. Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl., S. 220; Erdmann in Festschrift Piper, 1996, S. 655, 674 f.).
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Sofern das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommt, dass die Vernichtung der Werke im Streitfall geeignet war, die berechtigten geistigen und persönlichen Interessen der Kläger an ihren Werken zu gefährden, müsste es weiter prüfen, ob die Voraussetzungen des geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs erfüllt sind. Hierfür müsste es sich um eine schwerwiegende Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts handeln und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise als durch eine Geldentschädigung ausgeglichen werden können (BGH, Urteil vom 5. März 1971 – I ZR 94/69, GRUR 1971, 525, 526 – Petite Jaqueline; Urteil vom 15. Januar 2015 – I ZR 148/13, GRUR 2015, 780 Rn. 38 = WRP 2015, 972 – Motorradteile; Urteil vom 28. Juli 2016 – I ZR 9/15, BGHZ 211, 309 Rn. 43 – auf fett getrimmt).
Koch
Schaffert
Kirchhoff
Feddersen
Schmaltz