IT- und Medienrecht

Veranstaltungsausfallversicherung bei Absage des Oktoberfestes 2020 wegen Corona

Aktenzeichen  23 O 16910/20

Datum:
31.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
r+s – 2022, 200
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 305c Abs. 2
BayVwVfG Art. 35, Art. 37 Abs. 2 S. 1
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Das Oktoberfest 2020 ist eine Veranstaltung iSd vereinbarten Veranstaltungsausfallversicherung, auch wenn es nicht zu einem das Auswahlverfahren abschließenden Beschluss des Stadtrats der Landeshauptstadt München gekommen ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sieht eine formularmäßige Bestimmung im Versicherungsschein einer Veranstaltungsausfallversicherung vor, dass Versicherungsschutz besteht bei Absage oder Unterbrechung der Veranstaltung durch Verfügung oder sonstige Eingriffe von Hoher Hand wegen drohender Gefahr oder tatsächlichem Eintritt von Epidemien und Seuchen, und soll nach dem zweiten Satz der Bestimmung der entsprechende Erlass eines Verwaltungsaktes einer zuständigen Behörde maßgeblich sein, so ist dies mehrdeutig und hat zur Folge, dass eine Absage in der Gestalt eines Verwaltungsaktes nicht notwendig ist. (Rn. 6 und 34 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Oktoberfest 2020 wurde dadurch abgesagt, dass der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München in einer Pressekonferenz mitteilte, das Oktoberfest 2020 finde nicht statt, ohne dies ausdrücklich als Absage zu benennen. (Rn. 32 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
4. Darin liegt ein mündlicher Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 BayLStVG. (Rn. 35 und 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Anspruch der Klägerin auf Versicherungsleistungen aus der Veranstaltungsausfallversicherung Nummer … bei der … für den unterbliebenen Betrieb des Festzeltes …während des Münchener Oktoberfests 2020 ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Gründe

I.
Der Erlass eines Grundurteils ist nach § 304 Abs. 1 ZPO zulässig. Denn die Parteien streiten über einen Anspruch auf Bezahlung einer bezifferten Geldschuld. Der Anspruch ist dem Grunde und der Höhe nach streitig. Der Streit über den Anspruchsgrund ist entscheidungsreif. Hinsichtlich der Anspruchshöhe ist die Durchführung einer Beweisaufnahme erforderlich.
II.
Die Klage ist dem Grunde nach begründet. Denn die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Versicherungsleistungen aus der Veranstaltungsausfallversicherung für den unterbliebenen Betrieb des Festzeltes … während des Münchener Oktoberfests 2020.
1. Anspruchsgrundlage ist Ziffer …. des Versicherungsscheins, welche den Versicherungsbedingungen und gesetzlichen Bestimmungen als speziellere Regelung vorgeht. Danach besteht Versicherungsschutz bei Absage oder Unterbrechung der Veranstaltung durch Verfügung oder sonstigen Eingriff von Hoher Hand wegen drohender Gefahr oder tatsächlichem Eintritt von Epidemien und Seuchen. Maßgeblich ist der entsprechende Erlass eines Verwaltungsaktes des Kreisverwaltungsreferates/Tourismusamtes M. oder einer anderen zuständigen Behörde. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
2. Rixecker (in: Schmidt, COVID-19, § 12 Privatversicherungsrechtliche Probleme der Corona-Krise Rn. 75a, beck-online) definiert den Versicherungsfall in der Verstaltungsausfallversicherung als den Ausfall (den Abbruch oder die Änderung) der Veranstaltung – die Absage eines sportlichen Wettbewerbs, eines Musikfestivals, einer Messe oder einer Tagung – aufgrund eines Ereignisses, das sich dem Einfluss des Veranstalters oder der Organisatoren entziehe. Damit führe als letzte Ursache natürlich der Veranstalter den Versicherungsfall herbei. Gemeint seien daher Geschehnisse, die dieser Entscheidung außerhalb der Sphäre des Veranstalters oder Organisators vorgelagert seien. Zu beachten sei als Begrenzung des Versicherungsschutzes, dass die Entscheidung über Ausfall, Abbruch oder Verschiebung „durch“ das veranstalterexterne Ereignis bewirkt worden sei. Darunter sei kein schlichtweg ursächliches Ereignis im Sinne einer sine-qua-non-Betrachtung gemeint. Ob ein Veranstaltungsausfall durch ein bestimmtes Geschehen bedingt sei, sei eine Frage der objektiven Zurechnung: Hat sich die Gefahr realisiert, deren Absicherung der Vertrag versprochen hat? Ist die Entscheidung über die Absage, den Abbruch oder die Verschiebung eine vernünftige, nachvollziehbare Reaktion auf äußere Ereignisse oder ist sie eine atypische, von keinem verständigen Veranstalter ohne Versicherungsschutz zu erwartende, ungewöhnliche Konsequenz? Dass bei einer Absage aufgrund seuchenbedingter Gesundheitsschäden für Veranstaltungsteilnehmer und Auftretende der Versicherungsfall eingetreten sei, sei danach selbstverständlich.
3. Das Oktoberfest 2020 ist eine Veranstaltung im Sinne des streitgegenständlichen Versicherungsscheins. Entgegen der engen und formalen Auffassung der Beklagten ist das Oktoberfest 2020 nicht erst nach einem entsprechenden Stadtratsbeschluss der Landeshauptstadt M., welcher das Auswahlverfahren abschließt, als Veranstaltung existent. Vielmehr findet das Oktoberfest traditionell seit 1811 jedes Jahr zwischen Mitte September und Anfang Oktober auf der Theresienwiese in M. statt. Der Ausfall des Oktoberfestes ist gerichtsbekannt die absolute Ausnahme. Das Oktoberfest fand im Zeitraum 1811 bis 2021, also in 210 Jahren, insgesamt nur 26 Mal nicht statt. Gründe dafür waren vor allem Kriege (unter anderem während des Befreiungskriegs gegen Napoleon 1813, während des preußisch-österreichische Krieges 1866, während des Deutsch-Französischen Krieges 1870 und während der beiden Weltkriege 1914-1918 und 1939-1945), aber auch der Ausbruch der Cholera in den Jahren 1854 und 1873 sowie die Hyperinflation 1923 und 1924. In den Jahren nach den Weltkriegen fanden jeweils nur kleinere Feste statt. In den letzten 70 Jahren von 1949 bis 2019 fand das Oktoberfest jedes Jahr statt (vgl. dazu Laura Kaufmann, in: Süddeutsche Zeitung vom 15.09.2020, „In 210 Jahren Geschichte 24-mal ausgefallen“, https://www…de/muenchen/oktoberfest-ausfaelle-1.4883420, abgerufen am 25.08.2021 um 11:20 Uhr). Auch für das Jahr 2020 plante die Landeshauptstadt M., das Oktoberfest zu veranstalten. Denn sie führte das Bewerbungsverfahren ab November 2019 durch. Außerdem lobte sie einen Preis für den besten Plakatentwurf aus und entschied durch eine Jury über den Sieger des Wettbewerbs. Auch die Parteien sind fest von der Durchführung des Oktoberfestes 2020 ausgegangen, da sie sonst nicht am 16.03.2020 die streitgegenständliche Versicherung abgeschlossen hätten.
4. Die versicherte Veranstaltung – das Oktoberfest 2020 – wurde abgesagt. Der Begriff der Absage ist im Versicherungsschein und in den Versicherungsbedingungen nicht definiert. Der Duden definiert die Absage einerseits als Zurücknahme [eines Übereinkommens] bzw. ablehnender Bescheid und andererseits als Ablehnung bzw. Zurückweisung.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es nicht entscheidend, dass der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt M. … die Absage nicht ausdrücklich als solche benannt hat, sondern nur mitteilte, dass das Oktoberfest 2020 nicht stattfindet. Denn er nahm damit den stillschweigend vorausgesetzten Umstand, dass das Oktoberfest wie jedes Jahr stattfinden wird, zurück. Wohl um Schadensersatzansprüche der Beschicker gegen die Landeshauptstadt M. zu vermeiden, verwendete der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt M., …in der Pressekonferenz vom 21.04.2020 und in seinen späteren Äußerungen den Begriff „Absage“ nicht. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Absage vor oder nach Abschluss des Auswahlverfahrens durch die Landeshauptstadt M. erfolgt. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Oktoberfest stattfindet.
5. Die Absage erfolgte durch Verfügung oder sonstigen Eingriff von Hoher Hand. Nach dem Verständnis der Beklagten soll aufgrund des zweiten Satzes in Ziffer 5.1.3 des Versicherungsscheins darunter nur ein Verwaltungsakt des Kreisverwaltungsreferates/Tourismusamtes M. oder einer anderen zuständigen Behörde zu verstehen sein. Diese zwei Sätze sind jedoch mehrdeutig, da zwar eine Verfügung mit dem Begriff des Verwaltungsaktes in Einklang zu bringen ist, jedoch ein sonstiger Eingriff nach allgemeinem juristischen Sprachgebrauch gerade keinen Verwaltungsakt darstellt. Zweifel bei der Auslegung dieser Bedingungen gehen nach § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten der Verwenderin, mithin der … und der Beklagten.
Folglich ist die Absage in der Gestalt eines Verwaltungsaktes gerade nicht notwendig. Überdies liegt in der Erklärung durch den Oberbürgermeister der Landeshauptstadt M., …in der Pressekonferenz am 21.04.2020 ein mündlicher Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung nach Art. 35 Satz 2 BayVwVfG. Denn diese Erklärung wurde von einer Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts getroffen und ist auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis gerichtet. Dazu im Einzelnen:
a) Die Landeshauptstadt M. (gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GO vertreten durch den Oberbürgermeister) ist als Sicherheitsbehörde gemäß Art. 6 LStVG für die Abwehr von Gefahren zuständig.
b) Die Absage des Oktoberfestes für das Jahr 2020 betrifft einen Einzelfall in der langjährigen Tradition des Oktoberfestes.
c) Die Rechtsgrundlage für die Absage des Oktoberfestes 2020 liegt auf dem Gebiet des öffentlichen Rechtes, nämlich in Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG, wonach die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen nur treffen können, um Gefahren abzuwehren oder Störungen zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder die Freiheit von Menschen oder Sachwerte, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, bedrohen oder verletzen. Die Absage des Oktoberfestes 2020 ist eine Anordnung, um Gesundheitsgefahren durch Ausbreitung der Krankheit COVID-19 abzuwehren.
d) Die Erklärung hatte die Regelungswirkung, dass weder Festzelte noch Fahrgeschäfte oder Verkaufstände aufgestellt und betrieben werden durften. Außerdem durften die üblicherweise zahlreichen Besucher die öffentliche Einrichtung des Oktoberfestes nicht nutzen.
e) Die Allgemeinverfügung richtete sich auch an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmbaren Personenkreis, nämlich an die möglichen Beschicker und Besucher des Oktoberfestes 2020.
f) Schließlich hatte die Absage eine unmittelbare Außenwirkung, da sie unmittelbar in die Rechtspositionen des genannten Personenkreises eingriff.
g) Die Allgemeinverfügung konnte nach Art. 37 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG auch mündlich erlassen werden. Zwar hätte die Klägerin – wie von der Beklagten bemängelt – nach Art. 37 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG eine schriftliche oder elektronische Bestätigung dieser Allgemeinverfügung verlangen können. Einen schriftlichen Verwaltungsakt verlangt die Regelung in Ziffer 5.1.3 des Versicherungsscheins aber gerade nicht, sodass ein mündlicher Verwaltungsakt ausreicht.
6. Schließlich erfolgte die Absage wegen des tatsächlichen Eintritts einer Epidemie. Denn die Corona-Pandemie ist eine weltweite Epidemie. Die Corona-Pandemie ist auch eine versicherte Gefahr. Denn vorrangig gelten die Vereinbarungen des Versicherungsscheins, soweit die den Versicherungsbedingungen widersprechen. Mithin sind Gefahren durch Epidemien versichert.
7. Entgegen der Ansicht der Beklagten bestand ein versichertes Interesse der Klägerin nach § 80 Abs. 1 VVG. Das versicherte Interesse ist ein von den Parteien des Versicherungsvertrages bei Vertragsschluss für möglich gehaltener Vermögensnachteil, der im Fall seines Eintritts durch die Versicherungsleistung ausgeglichen werden soll (Prölss/Martin/Armbrüster, 31. Auflage 2021, VVG § 80 Rn. 2).
Dies setzt aus Sicht der Beklagten voraus, dass die Klägerin zum Oktoberfest 2020 zugelassen ist. Dieser Ansicht vermag die Kammer nicht zu folgen. Die Zulassung der Klägerin als Beschickerin auf dem Oktoberfest 2020 wird von … des Versicherungsscheins nicht vorausgesetzt. Darüber hinaus bestätigte die Landeshauptstadt M. der Klägerin mit dem als Anlage K 4 vorgelegten Schreiben vom 26.06.2020, dass zum Stand 21.04.2020 die Bewerbung der Klägerin zur Zulassung auf dem Oktoberfest aus Sicht der Verwaltung recht erfolgreich gewesen wäre. Es handelte sich somit gerade nicht um eine bloße Hoffnung der Klägerin auf Zulassung. Im Hinblick auf die gerichtsbekannte langjährige Tradition des Festzeltes … und der ununterbrochenen Zulassung der Klägerin auf dem Oktoberfest in den letzten 70 Jahren bestehen für die Kammer keine Anhaltspunkte, dass die Klägerin zum Oktoberfest 2020 nicht zugelassen worden wäre. Konkrete Anhaltspunkte hierfür hat die Beklagte auch nicht dargelegt. Die Klägerin musste zum Nachweis auch nicht sämtliche Zulassungsunterlagen und Verträge mit der Landeshauptstadt M. für die vergangenen 70 Jahre vorlegen. Denn die Beklagte hätte sich diesbezüglich aus öffentlich zugänglichen Quellen unterrichten können.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Kündigungsmöglichkeit der Klägerin nach Ziffer … des Versicherungsscheins für den Fall, dass sie bei der Zeltvergabe nicht berücksichtigt wird. Denn dieser Fall ist nicht eingetreten. Aus dieser Regelung ist auch nicht im Umkehrschluss festzustellen, dass die Klägerin bei fehlender Berücksichtigung nicht versichert ist. Denn dann bedürfte es dieser einseitigen Lösungsmöglichkeit nicht.
III.
Die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bleiben dem Schlussurteil vorbehalten.


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