IT- und Medienrecht

Veröffentlichung terminsvorbereitender Hinweise

Aktenzeichen  8 U 6063/21

Datum:
20.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
WM – 2022, 174
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 299
BGB § 249, § 826

 

Leitsatz

1. Zur ausnahmsweisen Zulässigkeit der Veröffentlichung terminsvorbereitender Hinweise des Vorsitzenden. (Rn. 1 – 3)
2. Die Klagen wegen der Haftung des Abschlussprüfers für die Testate der Bilanzen der Wirecard AG bedürfen voraussichtlich einer umfangreichen Beweisaufnahme.
3. Alternativ erscheint ein Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz möglich.
In Zivilsachen können am Verfahren nicht beteiligten Dritten regelmäßig anonymisierte Abschriften von Urteilen und Beschlüssen erteilt werden, ohne dass dies den Anforderungen an die Gewährung von Akteneinsicht gem. § 299 Abs. 2 ZPO unterliegt. Dabei hat die Gerichtsverwaltung eine Ermessensentscheidung zu treffen, soweit berechtigte Belange und Rechte der Parteien und der Beteiligten des Verfahrens durch die Weitergabe einer Abschrift trotz Anonymisierung verletzt sein können und es darum geht, die Rechte und Belange der Beteiligten mit der Verpflichtung in Einklang zu bringen, Gerichtsentscheidungen zu veröffentlichen. Ausnahmsweise kann auch hinsichtlich der Veröffentlichung terminsvorbereitender Hinweise entsprechend verfahren werden. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

8 U 6063/21 2021-12-09 Hinweisschreiben OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

Den Anträgen auf Erteilung einer anonymisierten Abschrift der Hinweise vom 09.12.2021 wird stattgegeben.

Gründe

In Zivilsachen kann der Gerichtsvorstand am Verfahren nicht beteiligten Dritten regelmäßig anonymisierte Abschriften von Urteilen und Beschlüssen erteilen, ohne dass dies den Anforderungen an die Gewährung von Akteneinsicht gemäß § 299 Abs. 2 ZPO unterliegt (BGH, Beschluss vom 5. April 2017 – IV AR(VZ) 2/16). Dabei hat die Gerichtsverwaltung eine Ermessensentscheidung zu treffen, soweit berechtigte Belange und Rechte der Parteien und der Beteiligten des Verfahrens durch die Weitergabe einer Abschrift trotz Anonymisierung verletzt sein können und es darum geht, die Rechte und Belange der Beteiligten mit der Verpflichtung in Einklang zu bringen, Gerichtsentscheidungen zu veröffentlichen (BGH, Beschluss vom 25. März 2021 – IX AR(VZ) 1/19). Der Präsident des Oberlandesgerichts München hat die entsprechende Zuständigkeit auf die Senatsvorsitzenden übertragen.
Vorliegend handelt es sich allerdings nicht um eine „Gerichtsentscheidung“, sondern um vorläufige Hinweise des Vorsitzenden in einer Ladungsverfügung. Darauf bezieht sich die einschlägige Rspr. nach Auffassung des Senats von vorneherein nicht. Anträgen auf Erteilung von Abschriften gibt der Senat daher vor Beendigung der Instanz in der Regel aus grundsätzlichen Erwägungen nicht statt.
Bei den vorliegenden Hinweisen kann aber eine Ausnahme gemacht werden. Die Hinweise des Vorsitzenden haben breite mediale Beachtung gefunden; auch scheint der Inhalt der Hinweise zumindest Teilen der Presse bereits bekannt zu sein (vgl. z.B. Süddeutsche Zeitung vom 10.12.21: „Verdacht auf „gewissenlose“ Bilanzkontrolle“). Insbesondere anderen Rechtsanwaltskanzleien, die ähnliche Mandate betreuen, kann auch ein berechtigtes Interesse am Inhalt dieser Hinweise nicht abgesprochen werden. Zwar dürfte aufgrund ihrer Bekanntheit eine Identifizierung der Beklagten auch anhand einer anonymisierten Fassung möglich sein. Die Hinweise enthalten aber keine relevanten personenbezogenen Daten, sondern i.W. die vorläufige Rechtsauffassung des Senats, sodass im Rahmen der gebotenen Abwägung eine Veröffentlichung möglich erscheint. Daher wird der Senat den Hinweis nunmehr auch seinerseits in anonymisierter Form veröffentlichen (z.B. BeckOnline, Juris). Die Bedenken der Beklagtenvertreter, dass hierdurch der Eindruck entstehen könne, der Senat habe sich bereits eine endgültige Meinung gebildet, teilt der Vorsitzende nicht, denn der Hinweis ist mehrfach ausdrücklich als „vorläufig“ bezeichnet.


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