IT- und Medienrecht

Vorabentscheidung, Rechtswegrüge

Aktenzeichen  M 10 E 21.3206

Datum:
4.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30984
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GVG § 17a Abs. 3 S. 2
VwGO § 40

 

Leitsatz

Tenor

Für die vorliegende Streitsache ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

Gründe

I.
Der Antragsteller macht gegenüber der Antragsgegnerin einen presserechtlichen Auskunftsanspruch geltend.
Der Antragsteller ist Reporter der … Zeitung. Die Antragsgegnerin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ihr wurde durch die Verordnung zum Anspruch auf Testung in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Testverordnung – TestV) die Abrechnung mit den sog. Leistungserbringern, also den Stellen, die die genannte Testung durchführen, übertragen.
Mit E-Mail vom … Juni 2021 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin unter Fristsetzung bis zum 12. Juni 2021 Auskunft zu mehreren Fragen betreffend u.a. die Abrechnung mit einem Betreiber von Corona-Testzentren. Mit E-Mail vom 10. Juni 2021 beantwortete die Antragsgegnerin die vorliegend nicht streitgegenständlichen Fragen und lehnte die Auskunft im Übrigen unter Verweis auf laufende Ermittlungsverfahren ab.
Mit Schriftsatz vom … Juni 2021 beantragt der Antragsteller, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihm die noch offenen Fragen zu beantworten. Dabei verlangt er zusammengefasst Auskunft darüber, ob die Antragsgegnerin an den konkret genannten Betreiber von Corona-Testzentren Zahlungen geleistet hat und ggf. deren Höhe, sowie die Anzahl der abgerechneten Tests und den Abrechnungszeitraum. Zur Begründung wird vorgetragen, dass der Antragsteller aus Art. 4 Abs. 1 Bayerisches Pressegesetz (BayPrG) und Art. 39 Bayerisches Datenschutzgesetz (BayDSG) einen Anspruch auf Auskunft zu den streitgegenständlichen Fragen habe. Dem Auskunftsrecht des Antragstellers stünden keine Verweigerungsgründe entgegen. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG dürfe die Auskunft nur verweigert werden, soweit auf Grund beamtenrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Vorschriften eine Verschwiegenheitspflicht bestehe. Die Antragsgegnerin unterliege in Bezug auf ein Ermittlungsverfahren keiner Verschwiegenheitspflicht. Auch Grundrechte würden nicht beeinträchtigt, da sich die Anfrage auf eine juristische Person beziehe.
Mit Schriftsatz vom 29. Juni 2021 rügte die Antragsgegnerin die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs und beantragt nach § 17a Abs. 3 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) sinngemäß,
die Nichteröffnung des Verwaltungsrechtswegs auszusprechen.
Zur Begründung wird vorgetragen, dass für den vorliegenden Antrag die Sozialgerichtsbarkeit kraft aufdrängender Sonderzuweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zuständig sei. Wie sich aus § 51 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 SGG („auch soweit Dritte betroffen werden“) und § 51 Abs. 2 Satz 1 SGG („auch über privatrechtliche Streitigkeiten“) ergebe, gehe es bei § 51 SGG nie um die bei § 40 VwGO relevante Frage des Vorliegens einer öffentlichrechtlichen Streitigkeit. Die Antragsgegnerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts bestehe aufgrund von § 77 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V). Sie sei gemäß gesetzlichem Auftrag in §§ 72 ff. SGB V bei der Sicherung der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung in Bayern tätig. Die Coronavirus-Testverordnung, auf deren Grundlage die Antragsgegnerin die Abrechnung gegenüber den Leistungserbringern übernehme, sei auf § 20i SGB V gestützt. Die Antragsgegnerin vollziehe mit ihrer Tätigkeit das SGB V und hinzutretende untergesetzliche Rechtsnormen. Bei der Frage, ob der Antragsgegnerin ein Recht zustehe, die Auskunft gegenüber dem Antragsteller zu verweigern, gehe es u.a. um die Anwendung des SGB V sowie des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X). In den §§ 67 bis 85a SGB X finde sich der Sozialdatenschutz. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) hätten die §§ 67 ff. SGB X Vorrang gegenüber dem Bundesdatenschutzgesetz. Dieser Vorrang sei auch für den gesamten Bereich angeordnet, in dem die Antragsgegnerin auf Basis von Verordnungen tätig sei, die ihre Grundlage im Sozialgesetzbuch hätten, § 67 Abs. 3 Nr. 1 SGB X. Wenn es für die Entscheidung der Sache auf Normen des Sozialgesetzbuchs ankomme, sei die Sozialgerichtsbarkeit zuständig. Für eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG reiche es aus, dass ein sachlicher enger Zusammenhang mit der Verwaltungstätigkeit einer Behörde bestehe. Das Verwaltungsgericht sei damit nicht zur Entscheidung berufen.
Mit Schriftsatz vom … Juli 2021 ließ der Antragsteller erwidern, dass es sich um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit handle, da die streitentscheidenden Normen, Art. 4 BayPrG und Art. 39 BayDSG, einen Träger hoheitlicher Gewalt zur Auskunftserteilung verpflichteten. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin seien abdrängende Sonderzuweisungen nicht einschlägig. Ein Verweis auf § 51 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 SGG sei abwegig. Dieser erfordere nach seinem Wortlaut eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (B.v. 17.8.2011 – I ZB 7/11 – juris Rn. 9) sei von einer Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung auszugehen, wenn der Gegenstand des Streits Maßnahmen betreffe, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem SGB V obliegenden öffentlichrechtlichen Aufgaben dienten. Die Auskunftspflichten nach Art. 4 BayPrG und Art. 39 BayDSG seien erkennbar weder im Sozialgesetzbuch geregelt, noch dienten sie der im SGB V geregelten Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung. Zudem werde vom Antragsteller erst gar keine Auskunft über Sozialdaten verlangt. Gemäß § 67 Abs. 2 SGB X seien Sozialdaten personenbezogene Daten, die auf Grundlage des Sozialgesetzbuchs verarbeitet würden. Darunter fielen Abrechnungssummen, Abrechnungszeiträume und die Anzahl von durchgeführten CoronaTests aufgrund des fehlenden Personenbezugs nicht. Das Auskunftsersuchen lasse sich ohne Mitteilung von Sozialdaten beantworten.
Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2021 ließ die Antragsgegnerin ausführen, dass personen bezogene Daten i.S.v. § 67 Abs. 2 SGB X deutlich vorlägen. Der Antragsteller begehre Auskunft über einen Dritten i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TestV. Bei der Abrechnung gehe es um den Dritten betreffende Daten. Die Auffassung des Antragstellers, die erstrebte Auskunft könne auch ohne Daten i.S.v. § 67 Abs. 2 SGB X beantwortet werden, sei damit unrichtig. Es gehe also notwendig um die konkrete Anwendung des Sozialgesetzbuchs.
Hinsichtlich des übrigen Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vor gelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Da die Antragsgegnerin die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs rügt, ist über diese Frage vorab zu entscheiden, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG.
1. Der Verwaltungsrechtsweg ist für den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eröffnet.
Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlichrechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.
Die Rechtswegfrage beurteilt sich nach der Rechtsnatur des Streitgegenstands. Welcher Rechtsnatur die Rechtsstreitigkeit ist, richtet sich nach der Rechtsnatur der materiellrechtlichen Normen, nach denen zu beurteilen ist, ob das Rechtsschutzbegehren nach dem unterbreiteten Lebenssachverhalt begründet ist oder nicht (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 40 Rn. 31). Nach der herrschenden Sonderrechtstheorie sind Regelungen öffentlichrechtlich, wenn sie Sonderrechte oder -pflichten des Staates oder anderer Träger öffentlicher Gewalt begründen (Reimer in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 57. Edition, Stand: 1.4.2021, § 40 Rn. 45).
Vorliegend streitentscheidend für die Frage, ob dem Antragsteller der geltend gemachte Auskunftsanspruch gegen die Antragsgegnerin zusteht, sind die Regelungen des Art. 4 BayPrG und Art. 39 BayDSG. Da diese gerade Behörden bzw. öffentliche Stellen und damit Träger öffentlicher Gewalt verpflichten, sind sie öffentlichrechtlich zu qualifizieren. Damit ist eine öffentlichrechtliche Streitigkeit i.S.v. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegeben.
2. Eine abdrängende Sonderzuweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 SGG liegt entgegen des Vortrags der Antragsgegnerin nicht vor.
Danach entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlichrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflegeversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden.
Eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung ist entgegen des Vortrags der Antragsgegnerin bei dem vorliegend geltend gemachten Auskunftsanspruch jedoch nicht anzunehmen.
Um eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung handelt es sich, wenn der Gegenstand des Streits Maßnahmen betrifft, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem SGB V obliegenden öffentlichrechtlichen Aufgaben dienen (Gutzeit in Roos/Wahrendorf/Müller, beckonline.Großkommentar, Stand: 1.5.2021, § 51 SGG Rn. 38 mit Verweis auf BGH, B.v. 17. 8. 2011 – I ZB 7/11 – NJW 2011, 3651 Rn. 9; BGH, B.v. 30.1.2008 – I ZB 8/07 – NJW 2008, 1389 (1390)).
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Mit der Prüfung und ggf. Beantwortung des Auskunftsbegehrens erfüllt die Antragsgegnerin eine Pflicht, die ihr aufgrund von Art. 4 BayPrG und Art. 39 BayDSG obliegt, sich also aus Normen außerhalb des Sozialgesetzbuchs ergibt. Diese Pflicht ergibt sich für die Antragsgegnerin allein aufgrund ihrer Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie trifft alle Behörden bzw. öffentlichen Stellen i.S.d. genannten Vorschriften, unabhängig von den ihnen übertragenen Aufgaben.
In der Rechtsprechung wurde zur Frage der Abgrenzung zwischen Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit im Rahmen von Auskunftsverlangen zusammengefasst bereits mehrfach entschieden, dass Auskunftsverlangen, die nicht auf speziell im Sozialrecht geregelte Auskunftsrechte gestützt werden, sondern auf (allgemeine) Informationsfreiheitsgesetze, den Verwaltungsgerichten zugewiesen sind, auch wenn sie sich gegen eine Krankenkasse richten und Daten betreffen, die jedenfalls nicht im Rahmen eines Versicherungsverhältnisses der die Auskunft verlangenden Person erhoben wurden (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 24.3.2017 – 11 OB 78/17 – juris; VG München, B.v. 14.2.2020 – M 32 K 19.854 – juris; LSG Baden-Württemberg, B.v. 12.11.2010 – L 5 KR 1815/10 B – juris). Nichts anderes gilt für den vorliegenden Fall, in dem das Auskunftsersuchen auf das Bayerische Pressegesetz sowie das Bayerische Datenschutzgesetz gestützt wird. Auch insoweit wird weder ein speziell im Sozialrecht normierter Auskunftsanspruch geltend gemacht, noch Auskunft über Daten eines Versicherungsverhältnisses des Antragstellers verlangt.
Soweit der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin ausführt, dass im Rahmen der Frage, ob der Antragsgegnerin ein Recht zu Verweigerung der Auskunft aufgrund des Sozialgeheimnisses zustehe, vor allem Normen des Sozialgesetzbuches zu prüfen seien, verfängt der Einwand nicht. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Dass im Rahmen von verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch Vorschriften mitgeprüft werden, die für sich genommen dem Sozialrecht zuzuordnen sind, ist daher gesetzlich vorgegeben und führt gerade nicht zur Unzuständigkeit des angerufenen Verwaltungsgerichts. Die Frage, ob mit dem streitgegenständlichen Auskunftsverlangen tatsächlich eine Auskunft zu Sozialdaten begehrt wird und der Sozialdatenschutz greift, ist daher in der Entscheidung über den Eilantrag zu beantworten und kann für die Frage der Rechtswegeröffnung dahinstehen.
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Antragsgegnerin die Auskunft über die streitgegenständlichen Fragen in ihrer E-Mail vom 10. Juni 2021 unter Verweis auf laufende Ermittlungsverfahren verweigert hat. Würde man der Rechtsansicht des Bevollmächtigten der Antragsgegnerin folgen und auf die Rechtsnatur der Vorschriften abstellen, aus denen sich ein Auskunftsverweigerungsrecht ergeben könnte, wäre insoweit unter Umständen eine Zuständigkeit der Strafgerichte gegeben. Eine derartige Aufspaltung des Rechtswegs kommt nicht in Betracht.
Damit ist der Verwaltungsrechtsweg vorliegend eröffnet.


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