IT- und Medienrecht

Voxer IP LLC, 660 Mission, St San, Francisco, 94105 Kalifornien, Vereinigte Staaten von, Software im Gebiet der Bundesrepublik, Deutschland anzubieten und/oder zu liefern, die geeignet ist zur Anwendung eines Medienübertragungsverfahrens für ein Übertragen mit einer ersten Kommunikationsvorrichtung über ein Übertragungsnetz, umfassend:, fortschreitendes Codieren, fortschreitendes und persistentes Speichern auf der ersten Kommunikationsvorrichtung und, fortschreitendes Übertragen von Medien einer ausgehenden Nachricht, welche von der ersten Übertragungsvorrichtung erzeugt werden, über das Übertragungsnetz, während die Medien erzeugt werden, und, fortschreitendes Empfangen, fortschreitendes und persistentes Speichern auf der ersten Übertragungsvorrichtung und, fortschreitendes Wiedergeben von Medien einer eingehenden Nachricht, welche über das Übertragungsnetz an der ersten Kommunikationsvorrichtung empfangen wird, während die Medien fortschreitend in einer Echtzeitwiedergabebetriebsart empfangen werden, wobei die ausgehende Nachricht und die eingehende Nachricht asynchrone Nachrichten sind, welche über das Übertragungsnetz von der ersten Übertragungsvorrichtung zu der zweiten Übertragungsvorrichtung übertragen werden und über das Übertragungsnetz an der ersten Übertragungsvorrichtung von der zweiten Übertragungsvorrichtung empfangen werden, Bereitstellen einer Benutzerschnittstelle an der ersten Übertragungsvorrichtung, welche einem Benutzer ermöglicht, Medien zu erzeugen oder Medien von einem Speicher zu betrachten, wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik, Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob bestimmte nichtgewerbliche Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten sind, wobei die Beklagte zum Nachweis der Angaben zu a) und b) entsprechende Belege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen hat, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen

Aktenzeichen  21 O 517/20

Datum:
31.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2021, 41273
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt,
es bei Meidung eines für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung Ordnungshaft bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,
Software im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder zu liefern, die geeignet ist zur Anwendung eines Medienübertragungsverfahrens fü ein Übertragen mit einer ersten Kommunikationsvorrichtung über ein Übertragungsnetz, umfassend:
fortschreitendes Codieren, fortschreitendes und persistentes Speichern auf de ersten Kommunikationsvorrichtung und
fortschreitendes Übertragen von Medien einer ausgehenden Nachricht, welche von der ersten Übertragungsvorrichtung erzeugt werden, über das Übertragungsnetz, während die Medien erzeugt werden; und
fortschreitendes Empfangen, fortschreitendes und persistentes Speichern auf der ersten Übertragungsvorrichtung und
fortschreitendes Wiedergeben von Medien einer eingehenden Nachricht, welche über das Übertragungsnetz an der ersten Kommunikationsvorrichtung empfangen wird, während die Medien fortschreitend in einer Echtzeitwiedergabebetriebsart empfangen werden,
wobei die ausgehende Nachricht und die eingehende Nachricht asynchrone Nachrichten sind, welche über das Übertragungsnetz von der ersten Übertragungsvorrichtung zu der zweiten Übertragungsvorrichtung übertragen werden und über das Übertragungsnetz an der ersten Übertragungsvorrichtung von de zweiten Übertragungsvorrichtung empfangen werden,
ohne zuerst eine Verbindung über das Übertragungsnetz zwischen der ersten Übertragungsvorrichtung und der zweiten Übertragungsvorrichtung einzurichten;
(EP …B1, Anspruch 1, mittelbare Verletzung)
insbesondere, wenn das Verfahren eine Live-Übertragungsbetriebsart unterstützt, wobei Medien, welche von der ersten Übertragungsvorrichtung erzeugt werden, fortschreitend übertragen werden und Medien, welche über das Übertragungsnetz empfangen werden, fortschreitend während der Live-Übertragungsbetriebsart empfangen werden:
(EP …B1, Anspruch 5, mittelbare Verletzung)
insbesondere, wenn das Verfahren ferner umfasst:
Bereitstellen einer Benutzerschnittstelle an der ersten Übertragungsvorrichtung, welche einem Benutzer ermöglicht, Medien zu erzeugen oder Medien von einem Speicher zu betrachten;
(EP …B1, Anspruch 7, mittelbare Verletzung)
insbesondere, wenn das Verfahren eine Liveübertragungsbetriebsart an der zweiten Übertragungsvorrichtung unterstützt, wobei die zweite Übertragungsvorrichtung fortschreitend Medien von der ausgehenden Nachricht wiedergibt, während Medien der ausgehenden Nachricht von der ersten Übertragungsvorrichtung über das Übertragungsnetz empfangen werden;
(EP …B1, Anspruch 10, mittelbare Verletzung)
wenn dies geschieht wie mit der entsprechenden “F”-Anwendung für das Betriebssystem iOS, der entsprechenden “I”-Anwendung für das Betriebssystem iOS oder der “F”-Internetseite zum Aufruf über einen Browser (www.F.com).
II. Die Beklagte wird verurteilt,
1. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen und elektronisch in einer geordneten Aufstellung (gegliedert nach Kalendervierteljahren) Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte seit dem 17. September 2016 die unter Ziffer I. bezeichneten Handlungen begangen hat, und zwar jeweils unter Angabe:
a) der Mengen der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der einzelnen Lieferungen aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen, einschließlich der Rechnungsnummer und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der einzelnen Angebote (unter Vorlage schriftlicher Angebote), aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, den jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgem, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, wobei die Beklagte zum Nachweis der Angaben zu a) und b) entsprechende Belege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen hat, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwätzt werden dürfen,
wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegen-heit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland an-sässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob bestimmte nicht-gewerbliche Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten sind;
2. der Klägerin elektronisch in einer geordneten Aufstellung (gegliedert nach Kalendervierteljahren) Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte seit dem 17. September 2016 im Zusammenhang mit den unter Ziffer I. genannten Handlungen Werbung für Dritte geschaltet und/oder hierüber mit Dritten Verträge abgeschlossen hat und zwar unter Angabe:
a) der einzelnen geschalteten Werbung oder Vertragsabschlüsse, aufgeschlüsselt nach Werbezeitpunkt oder Abschlusszeitpunkt, Vertragsdauer, Vergütungsstruktur und vereinbarten Preisen;
b) der einzelnen Angebote (unter Vorlage schriftlicher Angebote), aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei die Beklagte zum Nachweis der Angaben zu a) und b) entsprechende Belege (Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen hat, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,
wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob bestimmte nichtgewerbliche Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten sind.
III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin durch seit dem 17. September 2016 begangene Handlungen der Beklagten gemäß Ziffer I. entstanden ist und noch entstehen wird.
IV. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
V. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 2/5 und die Beklagte 3/5.
VI. Das Urteil ist für die Klägerin vorläufig vollstreckbar jeweils gegen Zahlung einer Sicherheitsleistung von
– 1.500.000,00 EUR für Ziff. I.,
– 50.000,00 EUR für Ziff. II. und
– hinsichtlich der Kosten in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Berages. Für die Beklagte ist das Urteil hinsichtlich der Kosten in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Gründe

Die zulässige Klage ist – soweit über sie nach der teilweisen Klagerücknahme hinsichtlich der angegriffenen F- bzw. I-Anwendungen für Android noch zu entscheiden war – begründet.
I. Soweit die Klägerin im Haupttermin erklärt hat, dass die Android-Versionen für „F“ und „I“ nicht angegriffen werden, liegt hierin eine teilweise Klagerücknahme, da es sich bei den Android-Versionen für „F“ um andere Streitgegenstände handelt als bei den Anwendungen für das Betriebssystem iOS.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zuletzt GRUR 2021, 462 – Fensterflügel Tz. 38 m.w.N.) bestimmt sich der Streitgegenstand bei Patentverletzungsklagen regelmäßig im Wesentlichen durch die als angegriffene Ausführungsform bezeichnete tatsächliche Ausgestaltung eines bestimmten Produkts im Hinblick auf die Merkmale des geltend gemachten Patentanspruchs. Unterschiedliche Streitgegenstände hinsichtlich mehrerer angegriffenen Ausführungsformen bestehen demnach dann, wenn sich diese im Hinblick auf die Merkmale des geltend gemachten Patentanspruchs unterscheiden. Dies ist hier offensichtlich der Fall, weshalb hinsichtlich der Android-Anwendungen eine entsprechende Erklärung der Klägerin erfolgte.
II. Mit den zuletzt noch angegriffenen Ausführungsformen der Beklagten wird das Klagepatent mittelbar verletzt.
1. Gegenstand des Klagepatents ist ein Telekommunikations- und Multimediaverwaltungsverfahren.
Der Schutzbereich der mit dem Klagepatent unter Schutz gestellten technischen Lehre wird durch die Patentansprüche bestimmt, wobei die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen sind (Art. 69 Abs. 1 EPÜ). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Auslegung eines Patents nicht die sprachliche oder logischwissenschaftliche Bedeutung der im Patentanspruch verwendeten Begriffe maßgeblich, sondern deren technischer Sinn, der unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung, wie sie sich objektiv aus dem Patent ergeben, zu bestimmen ist (BGH GRUR 2016, 169 – Luftkappensystem). Maßgeblich sind dabei der Sinngehalt eines Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der patentierten Erfindung beitragen; aus der Funktion der einzelnen Merkmale im Kontext des Patentanspruchs ist abzuleiten, welches technische Problem diese Merkmale für sich und in ihrer Gesamtheit tatsächlich lösen (BGH a.a.O. – Luftkappensystem). Abzustellen ist dabei auf die Sicht des Fachmanns, von dessen Verständnis bereits die Bestimmung des Inhalts der Patentansprüche einschließlich der dort verwendeten Begriff abhängt und das auch bei der Feststellung des über den Wortlaut hinausgehenden Umfangs des von den Patentansprüchen ausgehenden Schutzes maßgebend ist (BGH GRUR 2002, 516 – Schneidmesser I).
a. Maßgeblicher Durchschnittsfachmann ist hier ein Informations- und Nachrichtentechniker, der über einschlägige Kenntnisse auf dem Gebiet der Nachrichtenübermittlung und der multimedialen Kommunikation, insbesondere der gängigen Datenübertragungs- und Nachrichtenverfahren zwischen elektronischen Geräten sowie den gängigen Speicherarchitekturen in diesem Bereich verfügt. Darüber hinaus verfügt er über eine mehrjährige Erfahrung in der Konzeption und in der Einrichtung von Übertragungsanwendungen.
b. Mit der Beschreibung des Klagepatents wird moniert, dass die sprachbasierte Telekommunikation nicht mit den Fortschritten der textbasierten Telekommunikation Schritt gehalten hat. In diesem Zusammenhang benennt das Klagepatent in seiner Beschreibung einerseits die Notwendigkeit der Herstellung einer Verbindung mit dem Empfänger als Nachteil (Absatz [0002]), andererseits die Schwierigkeiten beim Archivieren von Nachrichten (Absatz [0003]). Das Patent fasst den in der Sprach-Telekommunikation erreichten Stand der Technik knapp wie folgt zusammen:
[006] Current telephone systems are based on relatively simplistic usage patterns: realtime live calls or disjointed voice mail messages, which are typically deleted as they are heard. These forms of voice communications do not capture the real power that can be achieved with voice communication or take advantage of the advances of network speed and bandwidth that is now available. Also, if the phone network is down, or is inaccessible, (e.g., a cell phone user is in an area of no coverage or the phone lines are down due to bad weather), no communication can take place
c. Der Erfindung liegt ausgehend davon die Aufgabe zugrunde, ein verbessertes Sprach- und Medienkommunikations- und Verwaltungssystem sowie Verbesserungen bei der Bereitstellung von Sprache und anderen Medien über paketvermittlungsbasierte Netzwerke zur Verfügung zu stellen (Absatz [0018]). Dabei betrifft die Erfindung – den beschriebenen Nachteilen entsprechend – einerseits die Übermittlung von Nachrichten auch für den Fall, dass keine Verbindung zwischen Sende- und Empfangsgerät besteht und andererseits die Möglichkeit, die betreffenden Medien auf dem Sende- bzw. Empfangsgerät zu speichern, so dass diese für die Verwaltung und Archivierung zur Verfügung stehen.
d. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent mit Anspruch 1 ein Verfahren vor, welches sich wie folgt aufgliedern lässt:
Medienübertragungsverfahren für ein Übertragen mit einer ersten Kommunikationsvorrichtung (13) über ein Übertragungsnetz (14), umfassend:
1. fortschreitendes Codieren, fortschreitendes und persistentes Speichern auf der ersten Kommunikationsvorrichtung (13) und fortschreitendes Übertragen von Medien einer ausgehenden Nachricht, welche von der ersten Übertragungsvorrichtung erzeugt werden, über das Übertragungsnetz, während die Medien erzeugt werden; und
2. fortschreitendes Empfangen, fortschreitendes und persistentes Speichern auf der ersten Übertragungsvorrichtung (13) und fortschreitendes Wiedergeben von Medien einer eingehenden Nachricht, welche über das Übertragungsnetz an der ersten Kommunikationsvorrichtung empfangen wird, während die Medien fortschreitend in einer Echtzeitwiedergabebetriebsart empfangen werden,
3.wobei die ausgehende Nachricht und die eingehende Nachricht asynchrone Nachrichten sind, welche
4.über das Übertragungsnetz von der ersten Übertragungsvorrichtung zu der zweiten Übertragungsvorrichtung übertragen werden und über das Übertragungsnetz an der ersten Übertragungsvorrichtung von der zweiten Übertragungsvorrichtung empfangen werden, ohne zuerst eine Verbindung über das Übertragungsnetz zwischen der ersten Übertragungsvorrichtung und der zweiten Übertragungsvorrichtung einzurichten.
Das patentgemäße Verfahren beschreibt eine Kommunikationsvorrichtung, die Medien (Audio, Video, Text oder andere Daten; siehe dazu Absatz [0035] des Klagepatents) erzeugt und über ein Übertragungsnetz an eine zweite Kommunikationsvorrichtung überträgt; Gegenstand von Klagepatentanspruch 1 ist insofern einerseits ein Übertragungsverfahren (näher dazu unter aa). Andererseits betrifft das patentgemäße Verfahren Speichervorgänge im Hinblick auf die von einer Kommunikationsvorrichtung erzeugten bzw. empfangenen Medien (näher dazu unter bb).
aa. Der patentgemäße Übertragungsvorgang ist gekennzeichnet dadurch, dass Medien
– von einer ersten Kommunikationsvorrichtung erzeugt werden
– bereits während ihrer Erzeugung – also nicht erst nach Fertigstellung – auf der erzeugenden Kommunikationsvorrichtung fortschreitend codiert, fortschreitend gespeichert und schließlich als (ausgehende) Nachricht fortschreitend über ein Übertragungsnetz übertragen werden (senderseitiges Verfahren) und
– spiegelbildlich auf der Empfängerseite fortschreitend empfangen, fortschreitend gespeichert und schließlich als (eingehende) Nachricht fortschreitend wiedergegeben werden (empfangsseitiges Verfahren)
Dabei dient die fortschreitende Codierung, fortschreitende Speicherung und die fortschreitende Übertragung ebenso wie das fortschreitende Empfangen, die fortschreitende Speicherung und die fortschreitende Wiedergabe dem Übertragungs- und Empfangsvorgang; das Patent lehrt hingegen nicht, dass es zum Zwecke der patentgemäßen Übertragung bzw. des patentgemäßen Empfangs einer persistenten Speicherung bedarf.
Der patentgemäße Übertragungsvorgang ist nach dem geltend gemachten Anspruch weiter dadurch gekennzeichnet, dass
– es sich um asynchrone Nachrichten handelt und
– die vorherige Einrichtung einer Verbindung zwischen der Sende- und Empfangsvorrichtung nicht erforderlich ist.
bb. Anspruchsgemäß ist ferner ein persistentes Speichern der zu übertragenden bzw. zu empfangenden Medien auf der jeweiligen Kommunikationsvorrichtung erforderlich. Darüber, was patentgemäß mit persistentem Speichern gemeint ist, gehen die Meinungen der Parteien auseinander:
Die Klägerin meint, mit persistentem Speichern sei im Einklang mit dem Verständnis des Fachmanns das Speichern auf einem nichtflüchtigen Speichermedium gemeint, wobei ein nichtflüchtiger Datenspeicher ein Speichermedium sei, das auch bei Verlust der Stromzufuhr bzw. bei Programmabbruch die gespeicherten Daten weiter aufbewahren kann.
Nach Ansicht der Beklagten soll mit persistentem Speichern patentgemäß eine auf Dauer angelegte Speicherung gemeint sein, wobei die gespeicherten Daten für den Benutzer dauerhaft vorgehalten werden sollen, bis dieser entscheidet, dass er diese nicht mehr benötigt. Die Speicherung auf einem nichtflüchtigen Speichermedium sei dabei ein notwendiger erster Schritt, aber für sich genommen nicht ausreichend.
Aus Sicht der Kammer sind Grund für das Erfordernis des persistenten Speicherns die mit Blick auf den Stand der Technik beschriebenen Unzulänglichkeiten beim Organisieren und Archivieren aus- bzw. eingehender Nachrichten; das Patent lehrt hingegen nicht, dass ein persistentes Speichern von Medien im Zusammenhang mit dem Übertragungsvorgang erforderlich ist. Patentgemäß bedarf es also nicht nur eines fortschreitenden Speicherns zum Zwecke der Übertragung bzw. der Wiedergabe empfangener Medien, sondern zudem eines persistenten Speicherns, um die Medien dauerhaft speichern zu können. Dies entspricht auch dem Verständnis der Beklagten (Klageerwiderung, S. 9 unter bb)): Die Speicherung muss nicht nur fortschreitend, sondern auch persistent erfolgen; mit einer persistenten Speicherung meint das Klagepatent dabei, dass die Daten dem Nutzer dauerhaft zum späteren Zugriff, also zum Zwecke der (geordneten) Archivierung und insbesondere der späteren Verwaltung, Ansicht und anderweitigen Bearbeitung zur Verfügung stehen. Auch die Beklagte sieht also keinen technischen Wirkzusammenhang zwischen der Persistenz der Speicherung und der Übertragung. Ein solcher besteht technisch auch nicht. Die Funktion der persistenten Speicherung ist allein, zu gewährleisten, dass der Nutzer auf die generierten Medien zu einem späteren Zeitpunkt zugreifen kann (so auch die Klageerwiderung S. 10 unter ii. (1)). Dabei lässt das Patent allerdings offen, wie lange die Persistenz anhalten soll; insbesondere verhält sich auch der Patentanspruch nicht zur zeitlichen Dimension der Speicherung. Dies gesteht auch die Beklagte zu, wenn sie mit der der Duplik (Seite 10, Ziffer 5.) ausführt: „Was Anspruch 1 hingegen nicht konkretisiert, ist eine konkrete Dauer des persistenten Speicherns in zeitlicher Hinsicht. … Eine Gleichsetzung eines persistenten Speicherns mit einer zeitlich definierten Speicherung nimmt das Klagepatent gerade nicht vor …“ Mit persistent wurde vielmehr ein technisch eingeführter Begriff gewählt, der unstreitig bedeutet, dass die Speicherung insoweit dauerhaft ist, als sie unabhängig von einem etwaigen Programmabbruch fortbesteht, weshalb ein nichtflüchtiges Speichermedium erforderlich ist (Anlagen K 4 bis K 6); der Begriff der Persistenz ist hingegen nicht an etwaigen Nutzungsmöglichkeiten, die sich aus einer dauerhaften Speicherung ergeben, orientiert.
Während also das übertragungstechnisch erforderliche fortschreitende Speichern mit der Beendigung der Übertragung, also dem Echtzeitempfang der Medien, den Verlust der lediglich fortschreitend gespeicherten Mediendaten zur Folge haben kann und wird, zeichnet sich das persistente Speichern dadurch aus, dass die Daten trotz der Beendigung des Livestreams erhalten bleiben, weil sie nicht an Zweck und Dauer der Übertragung geknüpft sind, sondern dem Datenerhalt dienen sollen. Dass der Zugriff auf die Daten zeitlich im Belieben des Nutzers stehen muss, ergibt sich aus dem Patentanspruch weder ausdrücklich noch im Wege der Auslegung, da der Begriff der Persistenz – unstreitig – technisch und nicht zeitlich definiert ist.
2. Ausgehend hiervon stellen die angegriffene Ausführungsformen mittelbare Patentverletzungen dar; die zwischen den Parteien allein streitigen Anspruchsmerkmale 1 und 2 werden mit den angegriffenen Anwendungen verwirklicht.
a. F für iOS verwirklicht sämtliche Merkmale des Anspruchs 1.
aa. F für iOS verwirklicht Merkmal 1 des Klagepatents, da eine erste Kommunikationsvorrichtung (z.B. ein Smartphone) die Medien des Livestreams – wie die nachfolgende, beklagtenseits vorgelegte Einblendung zeigt – fortschreitend codiert, über einen sog. „ersten Speicherpfad“ fortschreitend speichert sowie fortschreitend überträgt, während die Medien erzeugt werden.
Darüber hinaus werden während der Übertragung eines solchen Livestreams VideoDaten zusätzlich in einem nichtflüchtigen Speicher (sog. „zweiter Speicherpfad“) gespeichert; dabei handelt es sich patentgemäß um ein persistentes Speichern der zu übertragenden bzw. zu empfangenden Medien auf der jeweiligen Kommunikationsvorrichtung. Bei den Tests der Klägerin waren die Daten nach einem Neustart des Mobiltelefons weiterhin auf dem Mobiltelefon gespeichert. Die Beklagte selbst hat – nicht zuletzt mit der vorstehenden Einblendung – bestätigt, dass diese Daten auf einem nichtflüchtigen Speichermedium gespeichert werden und das vollständige Video nach der Beendigung des Livestreams auf dem Mobiltelefon angesehen und dauerhaft archiviert werden kann.
bb. F für iOS verwirklicht auch Merkmal 2 des Klagepatentanspruchs, da die Medien des Livestreams fortschreitend empfangen, fortschreitend und persistent gespeichert und fortschreitend wiedergegeben werden, während die Medien in einer Echtzeitwiedergabebetriebsart empfangen werden.
Während des Empfangs des Livestreams werden fortschreitend Videodaten gespeichert. Diese Daten werden auch persistent gespeichert, denn auch nach dem Neustart der Vorrichtung waren entsprechende Daten noch vorhanden. Dementsprechend müssen diese auf einem persistenten bzw. nichtflüchtigen Speichermedium abgelegt werden.
cc. Der Sender kann über „F Live“ bzw. „I Live“ einen Livestream übertragen, ohne zuvor eine direkte Netzwerkverbindung mit dem Empfänger herstellen zu müssen. Auf der Empfängerseite bedarf es ebenfalls keiner Netzwerkverbindung mit dem Sender, um den Livestream ansehen zu können. „F Live“ bzw. „I Live“ ermöglichen daher eine patentgemäß asynchrone Kommunikation.
b. I für iOS verwirklicht ebenfalls sämtliche Merkmale des Anspruchs 1.
I für iOS verwirklicht Merkmal 1 des Klagepatentanspruchs, da das Mobiltelefon die Medien des Live-Streams fortschreitend codiert, fortschreitend speichert sowie fortschreitend überträgt. Diese Medien werden auch persistent, nämlich in einem nichtflüchtigen und damit persistentem Speichermedium gespeichert. Das vollständige Video kann nach der Beendigung des Livestreams auf dem Mobiltelefon angesehen und dauerhaft archiviert werden.
Schließlich verwirklicht I für iOS auch Merkmal 2, da die Medien des Livestreams fortschreitend empfangen, fortschreitend gespeichert und fortschreitend wiedergegeben werden, während die Medien in einer Echtzeitwiedergabebetriebsart empfangen werden. Diese Daten werden auch persistent gespeichert. Nach einem Neustart des Geräts waren entsprechende Daten noch vorhanden. Dementsprechend müssen diese auf einem persistenten bzw. nichtflüchtigen Speichermedium abgelegt werden.
c. Sowohl bei der angegriffenen Ausführungsform „F für iOS“ als auch im Falle der angegriffene Ausführungsform „I für iOS“ werden die Mediendaten einerseits zum Zwecke der Übertragung flüchtig (im RAM) und andererseits auch persistent (unabhängig von der Beendigung des Livestreams) in einem nichtflüchtigen Speicher gespeichert. Diese Wahl von zwei Speicherpfaden, die einerseits technisch den Livestream ermöglichen (Speicherung im RAM) als auch – über einen zweiten Speicherpfad (nichtflüchtiger Speicher) – ein Fortbestehen der Daten nach der Beendigung des Livestreams und unabhängig von einem Programmabbruch ermöglichen, entspricht exakt den entsprechenden Merkmalen von Anspruch 1 des Klagepatents. Die Daten sind auch noch nach einem Neustart der Kommunikationsvorrichtung vorhanden sind, und zwar sowohl im Übertragungs- als auch im Empfangsfall.
d. Auch die Browser-Version von F verwirklicht sämtliche Merkmale des Anspruchs 1.
Die Browser-Version von F verwirklicht Merkmal 1 des Klagepatentanspruchs 1, da die Medien des Livestreams fortschreitend codiert, fortschreitend gespeichert sowie fortschreitend übertragen werden. Die Daten werden auch persistent gespeichert, denn diese konnten auch nach einem Neustart des Rechners weiterhin aufgerufen werden.
Schließlich verwirklicht die Browser-Version auch Merkmal 2, da die Medien des Livestreams fortschreitend empfangen, fortschreitend gespeichert und fortschreitend wiedergegeben werden, während die Medien in einer Echtzeitwiedergabebetriebsart empfangen werden. Die Daten des Livestreams werden auch persistent gespeichert; der maßgebliche Cacheordner befindet sich auf der Festplatte des Rechners, also einem nicht flüchtigen Speichermedium.
e. Soweit mit der Klage die Verwirklichung der Unteransprüche 5, 7, 8 und 10 geltend gemacht wurde, ist festzustellen, dass die Beklagte der Verwirklichung der Ansprüche 5, 7 und 10 nur insoweit entgegengetreten ist, als die Merkmale von Anspruch 1 aus ihrer Sicht nicht verwirklicht werden.
aa. Die angegriffene Ausführungsformen verwirklichen auch den abhängigen Patentanspruch 5, da die angegriffenen Ausführungsformen eine LiveÜbertragungsbetriebsart unterstützen, wobei Medien, welche von der ersten Übertragungsvorrichtung erzeugt werden, fortschreitend übertragen werden und Medien, welche über das Übertragungsnetz empfangen werden, fortschreitend während der LiveÜbertragungsbetriebsart empfangen werden.
bb. Die angegriffene Ausführungsformen verwirklichen auch den abhängigen Patentanspruch 7, da die angegriffenen Ausführungsformen eine Benutzerschnittstelle an der ersten Übertragungsvorrichtung bereitstellen, welche einem Benutzer ermöglicht, Medien in Form von Videos zu erzeugen und diese dann anzusehen.
cc. Die angegriffene Ausführungsformen verwirklichen auch den abhängigen Patentanspruch 10, da die angegriffenen Ausführungsformen Medienübertragungsverfahren bereitstellen, wobei das Verfahren eine LiveÜbertragungsbetriebsart an der zweiten Übertragungsvorrichtung unterstützt, wobei die zweite Übertragungsvorrichtung fortschreitend Medien von der ausgehenden Nachricht wiedergibt, während Medien der ausgehenden Nachricht von der ersten Übertragungsvorrichtung über das Übertragungsnetz empfangen werden. Die zweite Kommunikationsvorrichtung kann nämlich die live empfangenen Medien fortschreitend wiedergeben.
dd. Zu Anspruch 8 hat die Beklagte vorgetragen, dieser sei auch deshalb nicht verwirklicht, weil Vortrag dazu fehle, dass das Einreihen für eine eventuelle spätere Übertragung bereits während der Verbindungsunterbrechung erfolge („…Medien, welche von der Übertragungsvorrichtung erzeugt werden, wenn eine Netzverbindung nicht verfügbar ist…“), und diese Übertragung wiederum fortschreitend und aus einer persistenten Speicherung erfolge, sobald die Netzwerkverbindung wiederhergestellt wurde. Soweit in den angegriffenen Ausführungsformen während einer Netzwerkunterbrechung Daten aufgezeichnet werden, würden diese im Rahmen des Live-Streams nicht übertragen. Sei die Netzwerkverbindung des Senders wiederhergestellt, würden nur die ab diesem Moment generierten (und nicht die während der Netzwerkunterbrechung aufgezeichneten) Daten im Live-Stream übertragen und könnten vom Empfänger entsprechend empfangen werden. Der Live-Stream bleibe also auch nach der Netzwerkunterbrechung „live“ und es entstehe eine Lücke in dem Live-Stream, die ihrem Umfang nach der Dauer der unterbrochenen Netzwerkverbindung entspreche. Dem ist die Klägerin nicht entgegengetreten.
f. Die rechtlichen Voraussetzungen der mittelbaren Patentverletzung nach § 10 Abs. 1 PatG liegen vor.
Bei den Softwareanwendungen bzw. der F-Webseite und dem zugehörigen Computernetzwerk handelt es sich um Mittel, die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung beziehen. Wie im Rahmen der Verletzungssubsumtion dargestellt, werden die in Anspruch 1 genannten Merkmale maßgeblich durch die „F Live“- bzw. „I Live“-Funktionen selbst verwirklicht. Die Webseite und die Anwendungen tragen dabei zu dem erfindungsgemäßen Leistungsergebnis zentral bei, sie steuern die Kommunikationsvorrichtung, die als solche in den Ansprüchen nur allgemein erwähnt ist, und lassen sie den beanspruchten Gegenstand ausführen.
Die angegriffenen Ausführungsformen sind objektiv zur unmittelbaren Patentbenutzung geeignet und bestimmt. Wird die F-Webseite bestimmungsgemäß von Dritten aufgerufen oder die Software-Anwendungen auf ein Gerät aufgespielt, sind die Voraussetzungen zur Anwendung des geschützten Verfahrens hergestellt und der Gefährdungstatbestand nach § 10 PatG damit verwirklicht. Die subjektive Bestimmung des Nutzers zur unmittelbaren patentverletzenden Verwendung ist offensichtlich, da die angegriffenen Ausführungen die patentverletzende Funktionalität explizit vorsehen.
Sowohl die objektive Eignung als auch die Verwendungsbestimmung der Nutzer ist auch gerade für die Beklagten offensichtlich. Die Webseite bzw. die Anwendungen sind von der Beklagten auf die patentgemäße Benutzung zugeschnitten. Eine Verwendung von „F Live“ bzw. „I Live“ kann sinnvoll nur in patentverletzender Weise verwendet werden. Das beantragte Schlechthinverbot ist daher gerechtfertigt.
Die Beklagte ist auch passivlegitimiert. Die Beklagte bietet die streitgegenständlichen Anwendungen an.
III. Dem Aussetzungsantrag der Beklagten war nicht zu entsprechen, denn die gegen das Klagepatent gerichtete Nichtigkeitsklage hat aus Sicht der Kammer keine Aussicht auf Erfolg.
Die Beklagte stützt ihren Aussetzungsantrag zuletzt auf drei Entgegenhaltungen, nämlich die Anlagen P 3 („Atarius“), P 4 („Munje“) und FDB 11 („Kurtz“). Keine dieser Entgegenhaltungen ist aus Sicht der Kammer geeignet, der Nichtigkeitsklage zum Erfolg zu verhelfen.
1. Die Beklagte trägt vor, dem Klagepatent fehle die Neuheit gegenüber Atarius, welche ein Verfahren zum Archivieren von Daten betreffe, die während einer Session innerhalb eines Drahtlosübertragungsnetzwerks anfallen. Atarius verstehe unter einer „Session“ einen zwischen zwei oder mehr Nutzern bzw. Geräten stattfindenden Datenaustausch (Absatz [0027]). Bei den während einer Session ausgetauschten Daten könne es sich um Video-, Sprach- oder auch andere Medienarten handeln. Atarius stelle sich die Aufgabe, dass Sessiondaten in Echtzeit („realtime“) während einer aktiven Session archiviert bzw. gespeichert werden können. Bei Atarius könne eine Kommunikation stattfinden, ohne dass sich die Parteien untereinander (im Sinne einer synchronen, zweiseitigen Kommunikation) koordinierten.
Atarius offenbart schon nicht, dass asynchrone Nachrichten von einer ersten Kommunikationsvorrichtung zu einer zweiten Kommunikationsvorrichtung übertragen werden können, ohne zuerst eine Verbindung über das Übertragungsnetz zwischen der ersten Übertragungsvorrichtung und der zweiten Kommunikationsvorrichtung herzustellen. Atarius verweist insofern auf Applikationen wie Instant Messaging (IM) oder Pushtotalk over Cellular (PoC) zur Kommunikation über das Netzwerk. Zum maßgeblichen Prioritätsdatum mussten bei den gängigen Instant-Messaging-Systemen sämtliche Kommunikationsteilnehmer zur selben Zeit „online“ sein, es musste also eine Verbindung zwischen den Kommunikationsvorrichtungen bestehen, um Nachrichten austauschen zu können. Verwiesen sei insofern beispielhaft auf die von der Beklagten vorgelegte Patentanmeldung Kirkpatrick (Anlage P 8), in der es in deutscher Übersetzung heißt:
Instant Messaging Systeme erlauben live, textbasierte Chat-Sitzungen zwischen zwei und mehr Nutzern. Im Gegensatz zu E-Mail, setzt Instant messaging voraus, dass alle Teilnehmer zur gleichen Zeit online sind. AOL’s Instant Messenger („AIM®“), Microsoft Network Messenger Service („MSNMS®“), ICQ ® und Yahoo! Messenger® sind die Haupt -Instant Messaging Dienste.
Ebenso setzten auch Pushtotalk bzw. Pushtotalk over Cellular Systeme (PoC) für eine Kommunikation voraus, dass zwischen den Kommunikationsteilnehmern eine aktive Verbindung besteht, wie sich aus der weiteren Entgegenhaltung Munje (in deutscher Übersetzung) ergibt (Anlage P 4, Abs. [0030]):
Das drahtlose Kommunikationsnetz 104 enthält auch einen Pushtotalk over Cellular (PoC)-Server 137, der an das IP-Netzwerk 134 gekoppelt werden kann. PoC-Server 137 arbeitet zur Erleichterung der PoC-Einzel und Gruppenkommunikation Sitzungen zwischen den Mobilstationen innerhalb des Netzwerks 104. Eine konventionelle PoC-Kommunikationssitzung umfasst eine Sitzungsverbindung zwischen Endbenutzern von Mobilstationen, die als Sitzungs-„Teilnehmer“ bezeichnet werden, die eine zu einem Zeitpunkt in einer Halbduplex-Weise ähnlich wie konventionelle Walkie-Talkies oder Funksprechgeräte.
Auch der UK High Court (Anlage FDB 19; Tz. 284) ist im Übrigen der zutreffenden Ansicht, dass der Rechtsbestand des Klagepatents durch Atarius nicht gefährdet ist.
2. Die Beklagte trägt vor, auch die Entgegenhaltung Munje offenbare sämtliche Merkmale von Anspruch 1 des Klagepatents. Munje beschäftige sich mit einem Push-To-Talk (PTT) System für Mobiltelefone (Absatz [0002]). Wie bei einer PTT-Kommunikation üblich, träfen Nachrichten unmittelbar und unangekündigt ein. Entsprechend könne es vorkommen, dass einzelne Nachrichten überhört bzw. versäumt werden (Absatz [0005]). Zur Lösung dieses Problems schlage Munje vor, eine Aufnahme- und Wiedergabefunktion für PTT-Geräte vorzusehen, um gesendete und empfangene Sprachnachrichten lokal auf einem mobilen Endgerät zu speichern (Absatz [0007]). Diese Aufnahmefunktion ermögliche es beispielsweise einem Nutzer eines Empfangsgeräts, versäumte Nachrichten zu einem späteren Zeitpunkt abzuspielen (Absatz [0008]). Wie beim Klagepatent können somit Nachrichten mit Zeitversatz ausgetauscht werden. Demnach könne nach Munje eine Kommunikation stattfinden, ohne dass sich die Benutzer zweier Mobiltelefone untereinander (im Sinne einer synchronen, zweiseitigen Kommunikation) koordinieren und zur selben Zeit an der Kommunikation teilnehmen müssen.
Dem folgt die Kammer nicht, da Munje nach Ansicht der Kammer nicht offenbart, dass die Nachrichten ohne vorherige Verbindung zwischen den beiden Kommunikationsvorrichtungen von der ersten Kommunikationsvorrichtung empfangen und von der zweiten Kommunikationsvorrichtung gesendet werden. Gerade entgegengesetzt zur Lehre des Klagepatents sieht Munje vor, dass vor der Kommunikation zunächst eine Verbindung zwischen den beiden Endgeräten aufgebaut werden muss (Anlage P 4, Abs. [0030] und [0044] in deutscher Übersetzung; Fettdruck diesseits):
„…Eine konventionelle PoC-Kommunikationssitzung umfasst eine Sitzungsverbindung zwischen Endbenutzern von Mobilstationen, die als Sitzungs-„Teilnehmer“ bezeichnet werden, die eine zu einem Zeitpunkt in einer Halbduplex-Weise ähnlich wie konventionelle Walkie-Talkies oder Funksprechgeräte.“
„Eine PoC-Kommunikationssitzung ist eine Sitzungsverbindung zwischen Endbenutzern eines UE 302, bezeichnet als Sitzungs-Teilnehmer, die einer nach dem anderen in einem Halbduplex-Verfahren kommunizieren “
Soweit sich die Beklagte in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 31.05.2021 auf den UK High Court beruft, der die Lehre des Klagepatents durch Munje nahegelegt sieht, folgt die Kammer dem nicht. Festzustellen ist zunächst, dass sich die Beklagte erstmals in diesem nichtnachgelassenen Schriftsatz und damit verspätet auf die mangelnde erfinderische Tätigkeit ausgehend von Munje beruft. Die Kammer ist – unabhängig davon – aber auch in der Sache der Ansicht, dem UK High Court hier nicht folgen zu können: Der UK High Court meint, aus Munje ergebe sich, dass eine Nachricht von Client A an Client B übertragen werden könne, ohne dass zuvor eine Verbindung zwischen den Clientgeräten hergestellt werden müsse, denn die Nachricht könne vom Server an Client B weitergeleitet werden, wenn dieser online ist (Anlage FDB 19; Tz. 237). Der UK High Court setzt sich in diesem Zusammenhang allerdings nicht mit der vorstehend beschriebenen, entgegengesetzten Lehre der Entgegenhaltung Munje auseinander.
3. Auch die Entgegenhaltung Kurtz nimmt den Gegenstand des Anspruchs 1 des Klagepatents nicht neuheitsschädlich vorweg.
Die Kammer teilt die Ansicht der Beklagten, wonach Kurtz nicht offenbart, dass keine Verbindung zwischen den beiden Übertragungsvorrichtungen eingerichtet sein muss; ausdrücklich heißt es bei Kurtz:
Bereits in Absatz [0005] der Entgegenhaltung Kurtz heißt es, instant messaging setzte voraus, dass alle Teilnehmer zur gleichen Zeit online sind. Auch die Absätze [0012]/ [0013] der Entgegenhaltung bestätigen, dass Kurtz – im Gegensatz zum Klagepatent – immer eine Verbindung zwischen den beiden Endgeräten voraussetzt. Auch die Beklagte konzediert letztlich, dass Kurtz den Prozess des Empfangens und Wiedergebens des Video- und Audiostroms während einer Echtzeit-Videosession“ offenbart.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 269 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO.


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