IT- und Medienrecht

Werbung mit gesundheitsbezogenen Aussagen ohne hinreichenden Nachweis

Aktenzeichen  13 HK O 44/17

Datum:
1.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2018, 5031
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 3, § 5, § 8 Abs. 3
ZPO § 294 Abs. 2
GVG § 184

 

Leitsatz

1. Werbeangaben, die eine unmittelbare Auswirkung des beworbenen Produkts auf Funktionsweise, Substanz und Erscheinungsbild des menschlichen Körpers behaupten, sind nur zulässig, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen. (Rn. 27)
2. Umstritten ist die Wirkung eines Verfahens oder Produkts auch dann, wenn die wissenschaftliche Lehrmeinung davon ausgeht, dass es ein wirksames Verfahren oder Produkt nicht gibt. (Rn. 30)
3. Macht der Verfügungskläger glaubhaft, dass nach bisherigem Stand der Wissenschaft keine wirksame Methode gegen eine bestimmte körperliche Erscheinung (hier Dermopanniculosis deformans oder “Orangenhaut”) bekannt ist, muss der werbende Verfügungsbeklagte glaubhaft machen, dass dem von ihm beworbenen Produkt die in Anspruch genommene Wirkung auch tatsächlich zukommt; er kann sich nicht darauf beschränken darzulegen, dass ein mit seinem Produkt neu eingeführtes Verfahren noch nicht widerlegt worden ist. (Rn. 30)
4. Zur Glaubhaftmachung im einstweiligen Verfügungsverfahren sind fremdsprachige Urkunden nur geeignet, wenn das Gericht und alle Prozessbeteiligten diese verstehen und sich dazu einlassen können. Das Nachreichen einer Übersetzung oder deren Veranlassung durch das Gericht widerspricht dem Grundsatz der sofortigen Beweisaufnahme. (Rn. 35 – 38)

Tenor

I. Der Antragsgegnerin wird bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der künftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, zu vollziehen an den Geschäftsführern der persönlich haftenden Gesellschafterin, untersagt, im geschäftlichen Verkehr für die Strumpfhose „ITEMm6Beauty“ zu werben:
1.„Wirkungsvoll gegen Celluite“,
2.„Das Besondere daran: das Garn verfügt über eingeschmolzene Partikel von Keramik-Kristallen, die körpereigene Wärme reflektieren und diese in Infrarot-Strahlung umwandeln. Sie dringt in tiefere Hautschichten ein und regt somit den Abbau der Fettzellen an.“,
3.In Kombination mit der innovativen Kompressionstechnologie von m. wird die sanfte Strumpfhose zur wirksamen Waffe gegen Dellen in der Haut“, sofern dies jeweils geschieht wie aus der Werbeanzeige gemäß Anlage A3 und/oder aus der Internetwerbung gemäß Anlage A 4 ersichtlich.
II. Die Antragsgegnerin erhält eine Aufbrauchfrist bis zum Ablauf des 30. April 2018.
III. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 20.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Der zulässige Antrag ist begründet.
Der Verfügungskläger kann einen Unterlassungsanspruch aus §§ 33a Abs. 5 und 8 UWG geltend machen.
Eine Aktivlegitimation ergibt sich aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, der Kläger hat glaubhaft gemacht, dass eine ausreichende Anzahl von Mitgliedern in einem Konkurrenzverhältnis zur Beklagten steht; allerdings bietet kein Mitglied explizit Waren- oder Dienstleistungen an, die zur Beseitigung von DD bestimmt sind, jedoch reicht zur Annahme des Konkurrenzverhältnisses aus, dass die klägerischen Mitglieder auf dem Markt für medizinische und nichtmedizinische Schönheitsprodukte konkurrieren.
Unstreitig hat die Beklagte ihr Produkt mit den inkriminierten Aussagen beworben.
Es handelt sich um Werbeangaben auf dem Gebiet des Gesundheitswesens, des Inhalts, dass das Produkt geeignet ist, das Erscheinungsbild der DD „wirkungsvoll“ bzw. „wirksam“ zu beeinflussen bzw. die dabei sichtbaren „Dellen in der Haut“ zu bekämpfen (“Waffe“). Auch wenn es sich bei DD nicht um eine Krankheit handelt (dazu instruktiv die von Klägerseite vorgelegten Gutachten Prof. Dr. N.), so wird doch eine unmittelbare Auswirkung auf Funktionsweise, Substanz und Erscheinungsbild des menschlichen Körpers behauptet, sodass grundsätzlich die für gesundheitsbezogene Angaben maßgeblichen Regeln angewandt werden müssen. Dazu gehört, dass solche Angaben nur zuzulassen sind, wenn sie gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis entsprechen (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm RndNr. 1.248 zu § 5 UWG m.w.N.).
Dass dem so ist, hat die Beklagte nicht glaubhaft gemacht.
Im Gegenteil hat der Verfügungskläger glaubhaft gemacht, dass nach bisherigem Stand der Wissenschaft keine wirksame Methode gegen DD bekannt ist, außer der Methode, sie durch Gewichtsmanagement und Muskeltraining im Alter von unter 35-40 Jahren gar nicht erst aufkommen zu lassen. Die weiter von Klägerseite vorgelegten Unterlagen sind zum größten Teil keine wissenschaftlichen Untersuchungen, belegen aber, dass sich sei der ersten Stellungnahme des Prof. Dr. N. nichts Wesentliches getan hat, in dem Sinne, als zwar für verschiedene Verfahren und Produkte eine Wirksamkeit gegen DD behauptet wurde, die sich aber sämtlich nicht hat erweisen lassen.
Wenn vor diesem Hintergrund die Verfügungsbeklagte mit einem angeblich neuen Verfahren auftritt, so kann sie nicht für sich in Anspruch nehmen, dass die Unwirksamkeit genau dieses Verfahrens noch nicht Gegenstand einer Untersuchung war, sondern muss glaubhaft machen, dass ihrem Produkt die in Anspruch genommene Wirkung auch tatsächlich zukommt. „Umstritten“ ist die Wirkung eines Verfahrens oder Produkts nämlich auch dann, wenn die wissenschaftliche Lehrmeinung zum gegebenen Zeitpunkt davon ausgeht, dass es ein wirksames Verfahren (mit der oben geschilderten Ausnahme des „Gar-nicht-erst-aufkommen-lassen“) nicht gibt.
Vor diesem Hintergrund hat die Beklagte die Wirksamkeit ihres Produkts nicht glaubhaft gemacht. Das Gericht hält eher das Gegenteil für überwiegend wahrscheinlich:
Dabei ist zunächst festzuhalten, dass nach den eigenen Angaben der Beklagten die Wirkungsweise maßgeblich darauf beruht, dass den betroffenen Zonen Wärme zugeführt wird (reflektierte Infrarotstrahlung), deshalb der Stoffwechsel der Fettzellen angeregt wird und sich dadurch DD vermindert.
Bereits die theoretische Betrachtung steht dem in zwei Richtungen entgegen: Zum einen führt eine mögliche Verbesserung der Durchblutung und Anregung des Stoffwechsels der Fettzellen nur dann tatsächlich auch zu einem Abbau der Fettspeicher in diesen Zellen, wenn im gesamten Organismus ein Lipiddefizit besteht (im Klartext: Eine unterkalorische Diät eingehalten wird). Zum anderen würde auch dann der reine Fettabbau in den Unterhautfettzellen das Phänomen nicht beseitigen, wenn erst einmal eine Ausdehnung der Haut stattgefunden hat. Auf diese beiden Caveats weist die Werbung der Beklagten in keinem Punkt hin.
Die von der Verfügungsbeklagten in deutscher Sprache vorgelegten Dokumente B2 und B3 sind dem gegenüber nicht geeignet, die Wirksamkeit des Produkts der Beklagten im Sinne der inkriminierten Werbung zu bestätigen. Es handelt sich jeweils um die Zusammenfassung von „Studienergebnissen“, aus denen aber bereits hervorgeht, dass diese Studien ernsthafter wissenschaftlicher Anforderung nicht genügen, insbesondere weder die Wirkung des Produkts im Vergleich zu einer nicht bzw mit einem Placebo behandelten Kontrollgruppe untersucht worden ist noch aus den vorgelegten Dokumenten nachvollziehbar hervorgeht, nach welchen Kriterien eine Wirksamkeit beurteilt worden ist.
Die weiteren Studien (AG1, AG4) aus Brasilien sind jeweils nur in englischer Sprache vorgelegt worden. Sie können schon deshalb nicht zur Glaubhaftmachung dienen:
Zwar sind zur Glaubhaftmachung Urkunden zulässig, wobei grundsätzlich davon auszugehen ist, dass Beweisurkunden entgegen § 184 GVG auch in anderen Sprachen als Deutsch abgefasst sein können und das Gericht ggf. gehalten ist, dem Vorleger das Nachreichen einer Übersetzung zu gestatten oder die Übersetzung selbst zu veranlassen (Münchner ZPO Kommentar-Zimmermann RndNr. 7 zu § 184 GVG mit weiteren Nachweisen).
Diesem allgemeinen Grundsatz steht jedoch im Verfügungsverfahren § 294 Abs. 2 ZPO entgegen. Eine sofortige Beweisaufnahme ist nur möglich, wenn alle Beteiligten die in fremder Sprache vorgelegten Beweismittel verstehen und sich dazu einlassen können. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Gericht selbst verfügt über Englischkenntnisse auf dem Niveau FESR C1; es kann dahinstehen, ob diese zur Beurteilung der vorgelegten englischsprachigen Dokumente ausreichen, denn der Kläger hat eine Einlassung explizit verweigert. Allein deshalb ist eine sofort stattfindende Beweisaufnahme auf deren Grundlage nicht möglich gewesen, alles andere hätte das Recht der Klägerseite auf rechtliches Gehör verletzt. Eine unangemessene Benachteiligung der Beklagtenseite liegt darin nicht, denn, nachdem sie die besagten Strümpfe nach eigener Angabe seit über 2 Jahren vertreibt, hätte sie zwischenzeitlich ohne Weiteres für eine Übersetzung sorgen können.
Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Studie nach Anlage AG1 die Wirksamkeit der von der Beklagten vertriebenen Strumpfhose (oder eines ähnlichen Produkts) gegen DD tatsächlich nicht bestätigt, unter „Ergebnisse“ ist aufgeführt, dass zwar eine Reduktion der Körpermaße und des Gewichts beobachtet werden konnte, zur Wirksamkeit im Hinblick auf DD wird jedoch nur ausgeführt, dass dieses Ergebnis für die Gesundheit der Haut wichtig sei, weil Übergewicht und höher Körperumfang mit dem Vorkommen von Cellulite und Dehnungsstreifen korreliere. Letzteres wiederum entspricht zwar ohne weiteres auch den Beobachtungen von Prof. N. (A7, A12), beseitigt aber nicht dessen zentralen Einwand, dass bei einmal durch Übergewicht und zu großem Körperumfang gedehnter Haut die Gewichtsabnahme nichts mehr bewirkt, sondern im Gegenteil den optischen Eindruck der Hautungleichheit verstärkt.
Zu der Studie Anlage AG4 ist festzuhalten, dass deren Ergebnis selbst den Claim nicht unterstützt (Seite 1, Konformitätsdeklaration, letzter Spiegelstrich): „Es gibt keinen Anhaltspunkt für eine ‘Heilung der Cellulite’ “. Beobachtet wurde nur eine Reduktion der Rauheit der Haut, die ihrerseits bestätige, dass das Orangenschalenphänomen und das Erscheinungsbild der Cellulite durchgehend vermindert waren.
Auf Seite 4 der ersten Studie vom 17. Mai 2013 ist allerdings ersichtlich, dass nicht die von Beklagtenseite eingesetzten Keramiknanopartikel (die Infrarotstrahlung reflektieren sollen) eingesetzt wurden, sondern Verbindungen wie Titandioxid, die Infrarotstrahlung nicht nur reflektieren, sondern im Wege der Absorption und Emission Infrarotstrahlung anderer Frequenzen ausstrahlen. In der zweiten vorgelegten Studie vom 7. Oktober 2010 ist zu den verwendeten Produkten nichts anders zu finden, als dass es sich um Strumpfhosen handelte, deren linkes Bein aus „aktivem“ Gewebe gewirkt war (Seite 7 oben). Das Gericht kann nicht beurteilen, ob eine Identität oder eine funktionelle Vergleichbarkeit mit dem Material des Produkts der Beklagten gegeben war.
Der Verfügungsgrund ergibt sich aus § 12 UWG.
Eine Selbstwiderlegung des Klägers durch zu langes Zuwarten liegt nicht vor. Der Kläger trägt vor, er habe erstmals am 22. November 2017 von der inkriminierten Werbung Kenntnis erlangt. Das weitere Vorgehen (Abmahnung vom 24. November, Antrag vom 11. Dezember 2017) steht der Annahme des Verfügungsgrunds nicht entgegen. Aufgrund der Zeitstempel auf den von Klägerseite vorgelegten Screenshots (22. November 2017) ist auch glaubhaft, dass die Kenntnisnahme an diesem Tag erfolgte. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte das Produkt seit über 2 Jahren vertreibt. Auch vom Kläger kann nicht verlangt werden, dass er alle erdenklichen Wettbewerbsverstöße jederzeit erkennt.
Unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen ist eine Aufbrauchfrist von 3 Monaten angemessen. Dem ist auch die Klägerseite nicht entgegengetreten.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 ZPO, 3 ZPO.


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben