IT- und Medienrecht

Widerruf und Unterlassung von Äußerungen – Öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch

Aktenzeichen  M 10 K 16.5485

Datum:
26.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 14 GG
GG Art. 2 GG

 

Leitsatz

1 Die Einordnung staatlicher Warnungen als (mittelbare) Grundrechtseingriffe setzt voraus, dass dem Staat das Handeln der den Warnungen Folge leistenden Einzelnen zugerechnet werden kann. Eine solche Zurechnung setzt eine gewisse Intensität der Warnung voraus. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Weder Rechte zum Schutz von Ehre und Persönlichkeit noch Rechte zum Schutz des Unternehmens schützen davor, dass behördeninterne Informationen über ein Unternehmen geteilt werden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klagen zurückgenommen wurden, wird das Verfahren eingestellt.
II. Die Klage gegen die Beklagte zu 1. wird abgewiesen.
III. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klagen haben keinen Erfolg.
1. Soweit die Klägerin die Klage gegen die Beklagten zu 2. und zu 3. zurückgenommen hat, war das Verfahren nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Die Entscheidung ist insoweit unanfechtbar (§ 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
2. Im Übrigen ist die Klage gegen die Beklagte zu 1. zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der Beklagten stehen die geltend gemachten Unterlassungs-, Widerrufs- und Auskunftsansprüche nicht zu.
a. Das Klagebegehren der Anträge Ziff. 1 und 2 zielt auf die künftige Unterlassung sowie einen Widerruf einer Äußerung. Als rechtliche Grundlagen kommen ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungssowie einen Folgenbeseitigungsanspruch in Betracht. Voraussetzung beider Ansprüche ist ein hoheitlicher Eingriff in eine rechtlich geschützte Position, also in ein subjektives Recht der Klägerin, welcher bevorsteht (Unterlassungsanspruch) oder bereits stattgefunden hat (Folgenbeseitigungsanspruch, vgl. hierzu Bumke, JuS 2005, 22).
Ein solcher Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht liegt nicht vor.
Die Klägerin ist durch die in der E-Mail getroffenen Aussagen sowie deren etwaiger Wiederholung nicht in ihren Grundrechten verletzt. Die Klägerin macht geltend, in ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sei durch die E-Mail vom 21. Juli 2015 eingegriffen worden bzw. es sei zu befürchten, dass durch eine Wiederholung des Inhalts ein erneuter Eingriff in ihre Rechte stattfinde. Der Umfang grundrechtlichen Schutzes des – im Rahmen des § 832 Abs. 1 BGB als sonstiges Recht anerkannten – Rechts auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist im Verfassungsrecht umstritten (vgl. Axer in BeckOK Grundgesetz, 34. Edition, Stand: 15.08.2017, Art. 14 Rn. 51 ff.). Unabhängig davon, ob man den grundrechtlichen Schutz im Rahmen des Art. 14 GG anerkennt oder der Klägerin als juristischer Person des Privatrechts das Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG nach Art. 19 Abs. 3 GG zuerkennt, liegt jedenfalls kein Eingriff in ein Grundrecht vor.
Eine bloße Warnung erfüllt nicht die Voraussetzungen des klassischen verfassungsrechtlichen Eingriffsbegriffs, der durch Finalität, Unmittelbarkeit, Rechtscharakter und zwangsweise Durchsetzung gekennzeichnet ist. Denn die negative Wirkung einer Warnung ergibt sich nicht unmittelbar aus dem staatlichen Handeln selbst, sondern erst mittelbar durch die eigenverantwortliche Entscheidung eines (potentiellen) Kunden des Unternehmens, vor dem gewarnt wird.
Demgegenüber sind nach dem „modernen“ Eingriffsbegriff solche staatlichen Handlungen Eingriffe in Grundrechte, die in zurechenbarer Weise dem Einzelnen ein grundrechtlich geschütztes Verhalten ganz oder teilweise unmöglich machen (vgl. Di Fabio in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 80. EL Juni 2017, Art. 2 Abs. 2 GG, Rn. 60). Die moderne Grundrechtstheorie hat den klassischen Eingriffsbegriff hinsichtlich der zuvor genannten Kriterien somit erweitert und anerkannt, dass grundsätzlich auch faktische Maßnahmen ohne Rechtscharakter sowie mittelbar wirkende Maßnahmen und somit grundsätzlich auch Warnungen vor Produkten privater Unternehmen Grundrechtseingriffe darstellen können; damit aber der Staat nicht handlungsunfähig wird, ist nicht jede noch so entfernte mittelbare Folge staatlicher Maßnahmen als Grundrechtseingriff zu werten. Abgrenzungskriterien können die Finalität und die Schwere der Maßnahme sein. Die Einordnung staatlicher Warnungen als (mittelbare) Grundrechtseingriffe setzt also voraus, dass dem Staat das Handeln der den Warnungen Folge leistenden Einzelnen zugerechnet werden kann. Eine solche Zurechnung setzt eine gewisse Intensität der Warnung voraus (vgl. insgesamt Kokott in Sachs, Grundgesetz, 7. Aufl. 2014 Art. 4 Rn. 119 ff.).
Im vorliegenden Fall lassen sich die negativen Auswirkungen für die Klägerin der Beklagten aus zwei Gründen nicht zurechnen: Zum einen ist die Beeinträchtigung nicht nur mittelbar, indem eine Warnung an potentielle Kunden verbreitet wird, sondern zweifach mittelbar, da die beanstandete Information nicht den potentiellen (für die Werbung zahlenden) Kunden der Klägerin mitgeteilt wurde, sondern den Abnehmern der kostenlosen Unterlagen. Zwei weitere Entscheidungsträger stehen somit zwischen dem Handeln der Beklagten und einer (wirtschaftlichen) Beeinträchtigung der Klägerin; eine Zurechenbarkeit unter diesem Aspekt scheidet daher aus.
Zum anderen und vor allem handelt es sich allein um eine behördeninterne Information, welche mangels Außenwirkung keinen Eingriff darstellt. Denn die in der E-Mail vom 21. Juli 2015 enthaltenen Informationen waren – unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt – nur an behördeninterne Personen adressiert. Weder Rechte zum Schutz von Ehre und Persönlichkeit noch Rechte zum Schutz des Unternehmens schützen aber die Klägerin davor, dass behördenintern Informationen über sie geteilt werden. Die mangelnde Außenwirkung unterscheidet den vorliegenden Fall von der staatlichen Warnung privater Kunden vor Produkten, welche in der Rechtsprechung als möglicher Eingriff anerkannt ist. Soweit die Klägerin die – nicht näher nachgewiesene – Befürchtung äußert, Personen außerhalb des Adressatenkreises der E-Mail, insbesondere private Kinderbetreuungseinrichtungen hätten von der Nachricht erfahren, so wären hieraus resultierende Nachteile der Klägerin der Beklagten nicht zurechenbar. Eine Zurechenbarkeit scheidet somit aus.
Auch in einfachgesetzlich normierte subjektiv-öffentliche Rechte der Klägerin hat die Beklagte nicht eingegriffen und wird sie durch eine Wiederholung nicht eingreifen: Soweit die Klägerin bemängelt, ihr Geschäftsmodell gehe nicht auf, wenn die von Sponsoren finanzierten Unterrichtsmaterialien nicht abgenommen würden, liegt darin kein geschütztes Recht. Es besteht auch für Hoheitsträger kein Kontrahierungszwang, der die Beklagte und die ihr zugehörigen Kinderbetreuungseinrichtungen dazu verpflichtete, gespendete Unterrichtsmaterialien anzunehmen.
Es ist zudem nicht ersichtlich, dass die Beklagte gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt. Denn nach Auskunft der Beklagten gibt es auch einen pädagogischen und damit sachlichen Grund, die von der Klägerin gestalteten Unterlagen zur Verkehrserziehung nicht zu verwenden. Zudem hat die Klägerin keine Ungleichbehandlung mit anderen Anbietern aufgezeigt.
b. Die Anträge Ziff. 3 und 4 haben ebenfalls in der Sache keinen Erfolg, nachdem keine Anspruchsgrundlage für einen solchen Auskunftsanspruch besteht. Soweit die Klägerin begehrt, die Beklagte solle ihr Anschriften und Namen aller Personen nennen, die von der E-Mail Kenntnis erlangt haben, ist der Beklagten dies zudem unmöglich.
4. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, trägt gemäß § 155 Abs. 2 VwGO die Klägerin die Kosten des Verfahrens. Auch die restlichen Kosten fallen ihr als unterliegender Partei gem. § 154 VwGO zur Last.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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