IT- und Medienrecht

Zeugnisverweigerungsrecht als Schwager

Aktenzeichen  5 W 556/17

Datum:
31.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
FamRZ – 2017, 2036
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 383 Abs. 1 Nr. 3, § 385 Abs. 1 Nr. 4, § 387
GG Art. 6 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Bestimmung in § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ist bereits nach ihrer Struktur als Ausnahme zu der Regel des § 383 ZPO zu verstehen und daher eng auszulegen. Der klare Wortlaut der Vorschrift schließt ein „irgendwie erlangtes Wissen des Zeugen“ aus, sodass Handlungen Dritter, die der Zeuge anlässlich von Vertragsverhandlungen wahrnimmt, nicht erfasst sind. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

3 O 24975/14 2017-03-10 ZwU LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Das Beschwerdeverfahren wird vom Senat übernommen.
2. Die sofortige Beschwerde der Kläger gegen das Zwischenurteil des Landgerichts München I vom 10.03.2017, Az. 3 O 24975/14, wird zurückgewiesen.
3. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
4. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 168.901,76 € festgesetzt.

Gründe

I.
Am 29.01.2016 verkündete das Landgericht München I einen Beweisbeschluss, nach dem in dem Rechtsstreit … GmbH gegen … AG Beweis erhoben werden sollte „über die Behauptungen der Klagepartei zu Ablauf und Inhalt des Beratungsgesprächs hinsichtlich des streitgegenständlichen Zinssatz- und Währungsswaps (Abschluss 27.02.2008) durch Vernehmung des Zeugen …“ (Bl. 191/192). Der Zeuge … teilte daraufhin mit Schreiben vom 23.02.2016 mit (Bl. 195), dass er mit … (dem Kläger zu 1) „in gerader Linie verwandt und verschwägert“ sei, da dieser mit seiner Schwester verheiratet sei. Er berufe sich daher auf sein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Am 06.05.2016 teilte er mit, er sei nunmehr zu einer Aussage bereit (Bl. 238). Nachdem das Landgericht einen neuen Termin zur Beweisaufnahme auf 13.07.2016 bestimmt hatte (Bl. 239), berief sich der Zeuge mit Schreiben vom 06.07.2016 erneut auf sein Zeugnisverweigerungsrecht und verwies auf die umfassende Aussage, die er in einem Parallelverfahren vor dem Landgericht Augsburg gemacht habe (Bl. 256). Die Kläger stimmten der Verwertung des Protokolls aus dem Verfahren vor dem Landgericht Augsburg unter der Bedingung zu, dass auch die Angaben des gegenbeweislich von der Beklagten angebotenen Zeugen … nur aus dem Protokoll verwertet würden (Bl. 258); die Beklagte stimmte einer Verwertung nicht zu (Bl. 261/262). Mit Schriftsatz vom 08.09.2016 (Bl. 264) bestanden die Kläger auf der Einvernahme des Zeugen . und beantragten vorsorglich einen Zwischenstreit im Sinne von § 387 ZPO. Sie sind der Ansicht, dass § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO mit „Handlungen“ auch die damit im Zusammenhang stehenden Wahrnehmungen meine, die der Zeuge gemacht habe, und stützen sich dabei auf die nach ihrer Bewertung überwiegende Meinung der Kommentarliteratur. Da der Zeuge in dem Parallelverfahren vor dem Landgericht Augsburg ausgesagt habe, sei außerdem dessen Schutzwürdigkeit entfallen.
Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 08.02.2016 erließ das Landgericht München I am 10.03.2017 das angefochtene Zwischenurteil, in dem es die Zeugnisverweigerung des Zeugen . für rechtmäßig erklärte (Bl. 284/290). Ihm stehe ein Zeugnisverweigerungsrecht aufgrund seines Verwandtschaftsverhältnisses mit dem Kläger zu 1) zu. Dieses beziehe sich analog § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auch auf die Klägerin zu 2), da sich der Zeuge gegenüber einer juristischen Person, die von einem nahen Angehörigen vertreten werde, in einem ähnlichen Konflikt zwischen Wahrheitspflicht und familiärer Rücksichtnahme befinde. Auch die Ausnahmevorschrift des § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO mache die Zeugnisverweigerung nicht unrechtmäßig. Denn von dieser Ausnahme seien nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes nur Handlungen des Zeugen erfasst, nicht aber dessen Wahrnehmungen, die vorliegend jedoch den Beweisgegenstand bildeten. Unerheblich sei, dass die Schwägerschaft mit dem Kläger zu 1) zerrüttet sei.
Gegen das am 16.03.2017 zugestellte Zwischenurteil richtet sich die sofortige Beschwerde der Kläger vom 28.03.2017, eingegangen am selben Tage (Bl. 292/294). Sie nehmen Bezug auf ihren Schriftsatz im Zwischenrechtstreit und die dort zitierte Kommentarliteratur zur Auslegung des § 385 ZPO. Hilfsweise beantragen sie, die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 30.03.2017 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 295b/297). Die Beklagte verteidigt das Zwischenurteil. Sie ist der Ansicht, dem Zeugen stünde auch dann insgesamt ein Aussageverweigerungsrecht zu, wenn im Verhältnis zur Klägerin zu 2) die Ausnahmevorschrift des § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO greifen würde. Einer erneuten Anhörung des Zeugen im Beschwerdeverfahren bedurfte es nicht, da die bestätigte Entscheidung des Landgerichts seinem Antrag entspricht.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
1. Der Zeuge hat ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, weil er als dessen Schwager mit dem Kläger zu 1) in der Seitenlinie im ersten Grad verschwägert ist (§§ 1590 Abs. 1, 1589 Abs. 1 S. 2 BGB). Bereits deshalb hat er das umfassende Recht, die Aussage zu verweigern. Unabhängig von einem eigenen Zeugnisverweigerungsrecht unter dem Gesichtspunkt der Schwägerschaft mit dem vertretungsberechtigten Organ der Klägerin zu 2) aus § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO analog (vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.2015, XI ZB 6/15, Rn. 9) bezieht sich dieses Recht auch auf die Klägerin zu 2) als Streitgenossin, weil die Beweisfrage, der Sachverhalt, über den der Zeuge aussagen soll, auch den Rechtsstreit seiner Angehörigen unmittelbar betrifft (MüKoZPO/Damrau, 5. Aufl. 2016, ZPO § 383 Rn. 6; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 383 Rn. 2, Thomas/Putzo/Re/c^o/d, ZPO, 38. Aufl. 2017, § 383 Rn. 3; PG/Trautwein, ZPO, 4. Aufl. 2012, § 383 Rn. 4; ebenso OLG München, Beschluss vom 31.12.1908, OLGRSpr. 19, 113; OLG Celle, Beschluss vom 09.11.1906, OLGRSpr. 17, 160; auch das Reichsgericht geht nicht von der Voraussetzung einer notwendigen Streitgenossenschaft aus, s. Entsch. v. 06.03.1899, JW 1899, 257 unter 5.).
2.a) Die Ausnahmevorschrift des § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO greift nicht ein, und zwar unabhängig von der Antwort auf die von den Klägern aufgeworfenen Frage, ob unter „Handlungen“ des Zeugen auch dessen Wahrnehmungen zu verstehen sind. Denn auch die Kläger behaupten nicht, dass der Zeuge als Vertreter des Klägers zu 1) tätig geworden sei. Dieser hat als Prokurist lediglich die Klägerin zu 2) bei der Verhandlung und dem Abschluss des streitgegenständlichen Swapgeschäfts vertreten, war jedoch bei Abschluss der Bürgschaft des Klägers zu 1) nicht involviert (s. Klageschrift v. 23.12.2014, S. 12). Da nach dem klägerischen Vortrag der Zeuge nicht als Vertreter des Klägers zu 1) gehandelt hat, findet § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in diesem Verhältnis von vornherein keine Anwendung.
b) Im Übrigen greift § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO auch angesichts des Beweisthemas, zu dem der Zeuge zu hören ist, nicht ein. Bereits nach ihrer Struktur ist die Vorschrift als Ausnahme zu der Regel des § 383 ZPO zu verstehen und daher eng auszulegen. Dies folgt aus dem mit dem Zeugnisverweigerungsrecht bezweckten (MüKoZPO/Damrau, a.a.O. § 383 Rn. 1 f.) und verfassungsrechtlich gebotenen (Art. 6 Abs. 1 GG) Schutz von Ehe und Familie. Der klare Wortlaut, der auf „Handlungen, die von [dem Zeugen] selbst vorgenommen sein sollen“, abstellt, schließt ein „irgendwie erlangtes Wissen des Zeugen“, also eine Wahrnehmung, aus (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 04.04.1908, OLGRSpr. 17, 162 , so auch schon das Reichsgericht, Urt. v. 02.12.1902, RGZ 53, 111 ). Auch die Systematik der einzelnen Ausnahmetatbestände zeigt, dass Handlungen Dritter, die der Zeuge anlässlich von Vertragsverhandlungen wahrnimmt, nicht erfasst werden sollen, denn die gewählte Gesetzesformulierung umfasst gerade nicht umfassend Wahrnehmungen „über die Errichtung und den Inhalt eines Rechtsgeschäfts“ (so aber § 385 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die von den Klägern angeführten Gegenstimmen in der Kommentarliteratur beschränken sich auf die bloße Aufstellung einer entsprechenden Behauptung ohne Argument und ohne Beleg (so Thomas/Putzo/Reic/7o/cf, a.a.O., § 385 Rn. 4) bzw. auf die These, auch eine Wahrnehmung sei eine Handlung, nämlich die Betätigung eines Sinnes (so Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 74. Aufl. 2016, § 385 Rn. 7). Daher folgt die überwiegende Meinung der zitierten Rechtsprechung (MüKoZPO/Damrau, a.a.O., § 385 Rn. 3; Stein/Jonas/ßerger, ZPO, 23. Aufl. 2015, § 385 Rn. 6; Zöller/Greger, a.a.O., § 385 Rn. 6 PG/Trautwein, a.a.O., § 385 Rn. 6; Musielak/Voit ZPO/Huber, 14. Aufl. 2017, ZPO § 385 Rn. 5).
3. Entgegen der Auffassung der Kläger ist auch die Schutzwürdigkeit des Zeugen nicht entfallen. Unerheblich ist zum einen, dass die persönliche Beziehung zwischen dem Zeugen und seinem Schwager, dem Kläger zu 1) und Geschäftsführer der Klägerin zu 2) zerrüttet sein soll, denn dies schließt einen drohenden Konflikt zwischen der Wahrheitspflicht einerseits und einer familiären Loyalität – etwa auch gegenüber der eigenen Schwester – nicht aus. Außerdem ergibt sich aus dem Wortlaut von § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, dass ein einmal entstandenes Zeugnisverweigerungsrecht selbst bei einer Änderung der familienrechtlichen Verhältnisse nicht wieder untergeht („sind oder waren“, vgl. auch § 1590 Abs. 2 BGB; hinsichtlich geschiedener Eheleute vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.2015, XI ZB 6/15, Rn. 10, juris).
Schließlich hat sich der Zeuge durch die Aussage im Parallelverfahren vor dem Landgericht Augsburg seines Zeugnisverweigerungsrechts nicht begeben, da sich der Zeuge auch nach der getätigten Aussage in dem nun anhängigen Verfahren dem vom Gesetz vorgestellten Konflikt zwischen Wahrheitspflicht und familiärer Rücksichtnahme ausgesetzt sehen kann (so i. Erg. auch MüKoZPO/Damrau, a.a.O. § 383 Rn. 43).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Ein Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht, da durch die Entscheidung nicht von einem Obersatz aus einer Entscheidung des BGH oder eines anderen OLG abgewichen wird. Angesichts der Eindeutigkeit der gefundenen Lösung besteht auch kein Grund, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.
Der Streitwert ist – dem Landgericht folgend – mit der Hälfte des Hauptsachestreitwerts zu bemessen.


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