IT- und Medienrecht

Zu den Anforderungen an das Fortsetzungsfeststellungsinteresse

Aktenzeichen  8 C 20/12

Datum:
16.5.2013
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
Art 49 Abs 1 AEUV
Art 56 Abs 1 AEUV
Art 57 Abs 1 AEUV
Art 57 Abs 3 AEUV
Art 267 Abs 3 AEUV
Art 47 EUGrdRCh
Art 12 Abs 1 GG
Art 19 Abs 4 GG
Art 20 Abs 3 GG
Art 34 GG
§ 113 Abs 1 S 4 VwGO
§ 839 BGB
§ 284 Abs 1 StGB
§ 1 GlüStVtr BY
§ 4 Abs 1 GlüStVtr BY
§ 5 GlüStVtr BY
§ 9 Abs 1 S 3 GlüStVtr BY
§ 10 Abs 1 GlüStVtr BY
§ 10 Abs 2 GlüStVtr BY
§ 10 Abs 5 GlüStVtr BY
§ 19 GlüStVtr BY
§ 21 GlüStVtr BY
Spruchkörper:
8. Senat

Leitsatz

Weder aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG noch aus der Gewährleistung eines wirksamen Rechtsbehelfs nach Art. 47 GRC (juris: EUGrdRCh) folgt ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei jedem erledigten, tiefgreifenden Eingriff in (benannte) Grundrechte oder in unionsrechtliche Grundfreiheiten. Ein solches Interesse kann nur bestehen, wenn die begehrte Feststellung die Position des Klägers verbessern kann oder wenn Eingriffe dieser Art sich typischerweise so kurzfristig endgültig erledigen, dass sie sonst nicht gerichtlich in einem Hauptsacheverfahren zu überprüfen wären.

Verfahrensgang

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 15. Mai 2012, Az: 10 BV 10.2257, Urteilvorgehend VG München, 28. April 2009, Az: M 16 K 08.5077, Urteil

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Untersagungsverfügung, mit der ihr die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung von Sportwetten verboten wurde.
2
In der B. Straße … in W. vermittelte die Klägerin Sportwetten an die I. in G., die über eine dort erteilte Lizenz zur Veranstaltung von Sportwetten verfügte. Nach vorheriger Anhörung untersagte das Landratsamt M. am Inn der Klägerin mit Bescheid vom 14. Oktober 2008 die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung unerlaubter Glücksspiele in der genannten Betriebsstätte und forderte sie unter Androhung eines Zwangsgeldes von 10 000 € auf, ihre Tätigkeit mit Ablauf des auf die Zustellung des Bescheides folgenden Tages einzustellen. Es stützte die Untersagung auf § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV (a.F.) und die Erwägung, eine Erlaubnis könne wegen des staatlichen Sportwettenmonopols nach § 10 Abs. 2, Abs. 5 GlüStV ohnehin nicht erteilt werden. Zur Begründung der Vollzugsregelung wurde ausgeführt, ein Zuwarten komme nicht in Betracht, da der Betreiber des Wettlokals sich zumindest wegen Beihilfe zum Veranstalten unerlaubten öffentlichen Glücksspiels nach § 284 Abs. 1 i.V.m. § 27 StGB strafbar mache.
3
Die am 15. Oktober 2008 erhobene Anfechtungsklage hat das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 28. April 2009 abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Begehren auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag für die Zeit vom 14. Oktober 2008 bis zum 31. Oktober 2010 umgestellt und vorgetragen, sie habe die Zugriffsmöglichkeit auf ihre frühere Betriebsstätte in der B. Straße … in W. mit Ablauf des 31. Oktober 2010 endgültig verloren. Ihr Feststellungsinteresse ergebe sich aus der Absicht, unionsrechtliche Staatshaftungsansprüche geltend zu machen, sowie aus einem schwerwiegenden Eingriff in ihre Berufsfreiheit. Außerdem bestehe eine Wiederholungsgefahr, da sie beabsichtige, Sportwetten an einen anderen im EU-Ausland zugelassenen Anbieter zu vermitteln. Schließlich könne sie sich wegen des Vorwurfs strafbarer Beihilfe zur unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels auch auf ein Rehabilitierungsinteresse berufen. Zudem sei ihr Geschäftsführer einem Ordnungswidrigkeitenverfahren vor dem Amtsgericht M. am Inn ausgesetzt gewesen.
4
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 15. Mai 2012 das erstinstanzliche Urteil geändert und festgestellt, der angegriffene Bescheid vom 14. Oktober 2008 sei vom Zeitpunkt seines Erlasses bis zum 31. Oktober 2010 rechtswidrig gewesen. Die Untersagungsverfügung habe sich mit dem Verlust der Zugriffsmöglichkeit auf die Betriebsstätte endgültig erledigt. Die deshalb auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellte Klage sei zulässig. Der Vorwurf objektiv strafbaren Verhaltens begründe ein Rehabilitierungsinteresse, das durch das Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Geschäftsführer der Klägerin noch verstärkt werde. Darüber hinaus habe die Klägerin auch wegen des tiefgreifenden Eingriffs in die Berufsfreiheit und die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untersagung. Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei auch begründet. Sowohl die Untersagungsverfügung als auch die Zwangsgeldandrohung seien vom Erlass des Bescheides bis zum 31. Oktober 2010 rechtswidrig gewesen. Die Untersagungsverfügung sei ermessensfehlerhaft, da sie sich auf das staatliche Sportwettenmonopol stütze, das seinerseits gegen unionsrechtliche Grundfreiheiten verstoße. Die Monopolregelung sei wegen konterkarierender Regelung des Sektors der gewerblichen Automatenspiele inkohärent und beschränke die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49, 56 AEUV unverhältnismäßig; sie dürfe deshalb nicht angewendet werden.
5
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision macht der Beklagte geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe zu Unrecht ein berechtigtes Feststellungsinteresse der Klägerin bejaht. Ein Rehabilitierungsinteresse scheide aus, da die Klägerin sich als juristische Person nicht strafbar machen könne. Die Untersagungsverfügung bewirke auch keinen tiefgreifenden Grundrechtseingriff, sondern erschöpfe sich in einer Berufsausübungsregelung. Materiell-rechtlich wende das Berufungsgericht das unionsrechtliche Kohärenzerfordernis unzutreffend an.
6
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Mai 2012 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 28. April 2009 zurückzuweisen.
7
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8
Sie verteidigt das angegriffene Urteil.


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