IT- und Medienrecht

zur Äußerungsbefugnis eines Amtsträgers bei der Erfüllung kommunaler Verwaltungsaufgaben

Aktenzeichen  4 B 19.1354

Datum:
29.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DÖV – 2020, 643
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 28 Abs. 2
BV Art. 11 Abs. 2
BayGO Art. 21
BGB analog § 1004 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Kommunale Amtsträger dürfen, wenn sie sich zur wissenschaftlichen Konzeption einer gemeindlichen Bildungseinrichtung äußern, auch zu den in der Fachöffentlichkeit vertretenen konkurrierenden Auffassungen wertend Stellung nehmen. (Rn. 26)

Verfahrensgang

M 10 K 17.238 2018-04-26 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf die Feststellung, dass er durch das Schreiben vom 13. September 2016 in seinen eigenen Rechten verletzt ist, noch einen Anspruch auf Widerruf der in dem Brief getätigten Äußerungen. Unabhängig von seiner prozessualen Geltendmachung bzw. der konkreten Antragstellung liegen die Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden öffentlichrechtlichen Unterlassungsanspruchs nicht vor. Dieser allgemein anerkannte Anspruch, der Schutz gegen schlichtes Verwaltungshandeln in Gestalt amtlicher Äußerungen bietet (vgl. BVerfG, B.v. 16.8.2002 – 1 BvR 1241/97 – NJW 2002, 3458 ff.; BVerwG, B.v. 11.11.2010 – 7 B 54.10 – juris Rn. 14 ff. m.w.N.), greift nicht durch, weil der Kläger durch das streitgegenständliche Schreiben nicht in grundrechtlich geschützten Rechtspositionen verletzt wird. Zwar kann der Kläger gegenüber den in dem Brief enthaltenen Aussagen den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beanspruchen (dazu 1.). Die der Beklagten zuzurechnenden amtlichen Äußerungen ihres Oberbürgermeisters sind jedoch im Kontext des ihr durch Art. 28 Abs. 2 GG zugewiesenen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs zu sehen (dazu 2.). Unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs halten sich die Aussagen in dem von der Verfassung vorgegebenen Rahmen (dazu 3.).
1. Maßstab für die Prüfung der vom Kläger beanstandeten Äußerungen ist sein allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, das nicht nur die Ehre, sondern auch weitere Aspekte des sozialen Geltungsanspruchs schützt. Namentlich umfasst es den Schutz vor Äußerungen, die – ohne im engeren Sinn ehrverletzend zu sein – geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen des Einzelnen in der Öffentlichkeit auszuwirken (vgl. BVerfG, B.v. 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96 – BVerfGE 99, 185/193 f.; B.v. 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98 – BVerfGE 114, 339/346). Jedenfalls dem unmittelbar an die Grundrechte gebundenen Staat verbietet es das allgemeine Persönlichkeitsrecht darüber hinaus aber auch, sich ohne rechtfertigenden Grund herabsetzend über einen Bürger zu äußern, etwa eine von diesem vertretene Meinung abschätzig zu kommentieren (BVerfG, B.v. 17.8.2010 – 1 BvR 2585/06 – NJW 2011, 511 Rn. 21). Für den Kläger, der sich als emeritierter Professor der Politikwissenschaft auf die Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG berufen kann, bedeutet dies, dass er im Rahmen seines Persönlichkeitsrechts davor geschützt ist, gerade in seiner Eigenschaft als Wissenschaftler desavouiert zu werden. Er kann daher Schutz vor hoheitlichen Äußerungen beanspruchen, die ihn in seiner wissenschaftlichen Reputation bzw. seinem beruflichsozialen Ansehen beeinträchtigen.
2. Die für die Zulässigkeit von staatlichen Äußerungen unter dem Gesichtspunkt des „staatlichen Informationshandelns“ entwickelten Grundsätze gelten auch für den in amtlicher Eigenschaft handelnden Oberbürgermeister der Beklagten, der sich in dem vom kommunalen Selbstverwaltungsrecht gezogenen Rahmen bewegt. Hiernach verfügt die ausschließlich grundrechtsverpflichtete Beklagte (dazu a) beim Betrieb des NS-Dokumentationszentrums als gemeindliche Einrichtung (dazu b) über die Befugnis zur Vornahme wertender Unterscheidungen (dazu c) sowie über eine darauf bezogene, durch die Grundsätze von Rechtsstaatlichkeit, Ausgewogenheit und Distanz begrenzte Äußerungskompetenz (dazu d).
a) Kommunale Amtsträger sind ebenso wie sonstige öffentliche Amtsträger gemäß Art. 1 Abs. 3 GG ausschließlich grundrechtsverpflichtet und nicht grundrechtsberechtigt. Der Oberbürgermeister der Beklagten hat die beanstandeten Äußerungen unstreitig nicht im politischen Meinungskampf bzw. als Privatperson, sondern im Rahmen seiner Amtsführung als Behördenleiter getätigt (vgl. BayVGH, B.v. 13.10.2009 – 4 C 09.2144 – BayVBl 2010, 442 f.). Er kann sich daher für die der Beklagten zuzurechnenden Aussagen weder auf das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG noch – wie in einem Rechtsstreit zwischen Privaten – auf die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG berufen (vgl. BVerfG, B.v. 2.5.1967 – 1 BvR 578/63 – BVerfGE 21, 362/369 ff.; HessVGH, B.v. 11.7.2017 – 8 B 1144/17 – juris Rn. 37; zur Bundeszentrale für politische Bildung BVerfG, a.a.O., NJW 2011, 511 Rn. 23). Maßgebend ist insoweit weder die vom Verwaltungsgericht in den Vordergrund gerückte Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil (dazu BayVGH, B.v. 24.4.2018 – 4 ZB 17.1488 – juris Rn. 14 m.w.N.), noch die vom Kläger betonte – angesichts der strengen Maßstäbe ohne Weiteres zu verneinende – Frage des Vorliegens von Schmähkritik (vgl. dazu BVerfG, B.v. 26.6.1990 – 1 BvR 1165/89 – BVerfGE 82, 272; B.v. 14.6.2019 – 1 BvR 2433/17 – DVBl 2020, 43 Rn. 18 m.w.N.). Entscheidungserheblich ist vielmehr, welche Äußerungsbefugnisse einem Amtsträger bei der Erfüllung von kommunalen (Verwaltungs-)Aufgaben zukommen. Dies hängt von den Vorgaben für den Betrieb der gemeindlichen Einrichtung ab, auf die sich die gerügten Äußerungen beziehen.
b) Das streitgegenständliche Schreiben steht in einem konkreten Bezug zu der gemeindlichen Einrichtung „NS-Dokumentationszentrum München“, deren Trägerin die Beklagte ist. Die Beklagte hat als Gemeinde nach Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 11 Abs. 2 BV das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben (BVerfG, B.v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619/83 u.a. – BVerfGE 79, 127/151 f. m.w.N.). Bestandteil der kommunalen Organisationshoheit ist gemäß Art. 21 Abs. 1, Art. 57 Abs. 1 Satz 1 GO die im eigenen Wirkungskreis angesiedelte Schaffung und Erhaltung öffentlicher Einrichtungen, die für das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Wohl der Gemeindeeinwohner erforderlich sind. Zu den Angelegenheiten der öffentlichen Kulturpflege im Sinn des Art. 83 Abs. 1 BV zählt unter anderem die Einrichtung von Museen wie das NS-Dokumentationszentrum M., das nach § 1 seiner Benutzungssatzung vom 9. April 2015 (MüABl. S. 124) als öffentliche Einrichtung gemäß Art. 21 GO betrieben wird und der Volksbildung dient (vgl. § 2 Abs. 3 der Satzung). Dass es sich bei dieser freiwilligen Aufgabe um eine Angelegenheit mit örtlichem Bezug handelt, ergibt sich schon aus dem in § 2 Abs. 1 der Satzung umschriebenen Einrichtungszweck. Danach ist das NS-Dokumentationszentrum M. ein Lern- und Erinnerungsort zur Geschichte des Nationalsozialismus, das einen detaillierten Einblick in die Geschichte Münchens während der Weimarer Republik sowie der NS-Zeit und dem Umgang mit der NS-Zeit nach 1945 gibt. Das Zentrum verfügt somit über einen spezifischen Bezug auf die Stadtgeschichte, so dass die Beklagte mit seinem Betrieb kein unzulässiges allgemeinpolitisches Mandat verfolgt.
c) Zu der Schaffung und Unterhaltung des Dokumentationszentrums gehört es auch, die darin angesiedelte Dauerausstellung sowie die begleitenden Publikationen und sonstigen Vermittlungs- und Veranstaltungsformate (vgl. § 2 Abs. 2 der Satzung) anhand systematischer Kriterien zu erstellen und nach einem bestimmten inhaltlichen und methodischen Konzept – hier die Präsentation der Stadt M. als Zentrum des nationalsozialistischen Regimes – auszurichten. Die Ausgestaltung des von der gemeindlichen Organisationshoheit gedeckten konzeptionellen Ansatzes kann und muss von den kommunalen Amtsträgern nicht selbst geleistet werden. Je stärker eine Kommune als Museumsträgerin eine solche Ausarbeitung – nach sachgerechten Kriterien und unter kommunalpolitischer Kontrolle – an Fachleute delegiert, umso mehr darf sie sich hinter deren externem wissenschaftlichen Sachverstand zurückziehen (vgl. Gärditz, DÖV 2017, 41/42). Hier hat sich die Beklagte, wie ihr Kulturreferent in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen dargelegt hat, durch die Einsetzung eines Kuratoriums und eines wissenschaftlichen Beirats für die Erstellung des Ausstellungskonzepts wissenschaftsadäquater Verfahren und Organisationformen bedient. Der Umstand, dass das Dokumentationszentrum nach § 2 Abs. 3 der Satzung (unter anderem) der Wissenschaft dient, bedeutet entgegen der Auffassung des Klägers nicht, dass sich die Beklagte bzw. die von ihr beauftragten Verantwortlichen bei der Ausgestaltung jeglicher eigenen Wertung zu enthalten hätten. Insbesondere muss sich die Beklagte nicht von vornherein darauf verweisen lassen, alle im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 GG geschützten (wissenschaftlichen) Meinungen formal gleich zu behandeln. Staat und Kommunen sind vielmehr berechtigt, insoweit – etwa bei der Verteilung knapper Ressourcen – auch wertende Unterscheidungen zu treffen (vgl. BVerfG, B.v. 26.10.2004 – 1 BvR 911/00 u.a. – BVerfGE 111, 333/359; zur Bundeszentrale für politische Bildung BVerfG, a.a.O., NJW 2011, 511 Rn. 23). Bei dem hieraus folgenden Recht des Sortierens, Selektierens und Priorisierens können insbesondere Kriterien wie Qualität und Repräsentativität eine Rolle spielen, so dass – unter Wahrung von Ausgewogenheit und rechtsstaatlicher Distanz – eine Konzentration auf das Präsentieren von Hauptströmungen zulässig ist. Die Beklagte war daher nicht gehalten, die Forschungsergebnisse des Klägers in ihre Konzeption einzubeziehen oder ihm in anderer Weise – etwa durch die Verteilung seiner Publikationen oder seine Einbeziehung bei sonstigen publizistischen Foren – Gelegenheit zur Präsentation seines wissenschaftlichen Standpunkts zu geben.
d) Mit der aus Art. 28 Abs. 2 GG folgenden legitimen Aufgabenwahrnehmung ist grundsätzlich die Befugnis der Beklagten verbunden, ihr Ausstellungskonzept nach außen hin zu kommunizieren und es durch Äußerungen, die auch Dritte betreffen, zu bestätigen oder zu verteidigen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Beklagte ein legitimes Ziel verfolgt und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet. Einer über die Aufgabenzuweisung hinausgehenden gesonderten Ermächtigungsgrundlage bedarf es für daraus ggf. folgende mittelbarfaktische Grundrechtsbeeinträchtigungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht (vgl. BVerfG, a.a.O., NJW 2011, 511 Rn. 24; kritisch Schoch, NVwZ 2011, 193/196; Kluth, DÖV 2018, 1035/1039 f.). Etwas anderes gilt mit Blick auf den Vorbehalt des Gesetzes erst dann, wenn eine solche amtliche Verlautbarung als funktionales Äquivalent eines herkömmlichen Eingriffs zu qualifizieren ist, wenn der Staat also zielgerichtet zu Lasten bestimmter Betroffener einen bestimmten Erfolg herbeiführen will (BVerfG, B.v. 26.6.2002 – 1 BvR 670/91 – BVerfGE 105, 279/303; BVerwG, U.v. 15.12.2005 – 7 C 20.04 – NJW 2006, 1303 Rn. 29; U.v. 19.2.2015 – 1 C 13.14 – BVerwGE 151, 228 Rn. 35).
Äußern sich kommunale Amtsträger zur wissenschaftlichen Konzeption einer gemeindlichen Bildungseinrichtung, so gehört dazu notwendigerweise das Recht, zu den in der Fachöffentlichkeit vertretenen konkurrierenden Auffassungen wertend Stellung zu nehmen. Insoweit darf auch der Staat in den Fällen wissenschaftlichen Dissenses Position beziehen, dies zwar nicht im Sinne einer autoritativen Entscheidung über die wissenschaftliche Richtigkeit eines bestimmten Forschungsergebnisses, jedoch im Sinne eines – entsprechend zu begründenden – wissenschaftlichen Qualitätsurteils (vgl. Gärditz, DÖV 2017, 41/43, 47). Im Hinblick auf den allein zulässigen Zweck einer von rechtsstaatlicher Neutralität getragenen Aufgabenwahrnehmung sind dabei die Grenzen der Ausgewogenheit, Distanz und Sachlichkeit zu wahren (vgl. BVerfG, a.a.O., NJW 2011, 511 Rn. 24; BVerwG, B.v. 11.11.2010 – 7 B 54.10 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 24.5.2006 – 4 CE 06.1217 – juris Rn. 29; Kluth, DÖV 2018, 1035). Auch insoweit gilt das allgemeine Sachlichkeitsgebot für amtliche Äußerungen kommunaler Amtsträger (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 13.9.2017 – 10 C 6.16 – BVerwGE 159, 327 Rn. 23 ff.).
3. Die Äußerungen des Oberbürgermeisters der Beklagten im Schreiben vom 13. September 2016 halten sich im Rahmen dieser kommunalen Äußerungskompetenz. Dies ergibt eine Ermittlung des objektiven Sinngehalts der einzelnen Aussagen, bei deren Deutung der Wortlaut, der sprachliche Kontext und die Begleitumstände umfassend zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, U.v. 2.7.2019 – VI ZR 494/17 – AfP 2019, 434 = juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 13.11.2009 – 7 CE 09.2455 – ZUM-RD 2010, 99 = juris Rn. 17; OVG Berlin-Bbg, B.v. 23.7.2018 – 1 S 39.18 – juris Rn. 27 ff.). Da sich jede isolierte Betrachtung verbietet, muss bei der Auslegung insbesondere Berücksichtigung finden, dass die Aussagen nicht unaufgefordert, sondern als Reaktion auf die konkrete Anfrage einer Privatperson ergangen sind; zugleich hat das Antwortschreiben der Beklagten den Rahmen der internen Kommunikation mit dieser Einzelperson nicht verlassen. Da die Äußerungen ein legitimes Ziel verfolgen und sich insgesamt als verhältnismäßig erweisen, sind sie im Ergebnis nicht zu beanstanden.
a) Satz 1 des Briefs ist neutral gehalten; er enthält lediglich die Mitteilung, dass der Inhalt der Dauerausstellung von mehreren international renommierten Zeithistorikern erarbeitet und von einem großen wissenschaftlichen Beirat begleitet wurde. Mit dieser Aussage verfolgt die Beklagte das legitime Interesse, die Genese der Ausstellungskonzeption des NS-Dokumentationszentrums zu erläutern, die organisatorische Absicherung und inhaltliche Schwerpunktsetzung zu begründen sowie die damit verbundenen wertenden Unterscheidungen zu rechtfertigen. Hieran anknüpfend heißt es in Satz 2, die vom Kläger vorgetragenen Thesen würden von allen am Projekt beteiligten Fachleuten als falsch abgelehnt. Die Einschätzung, dass der Kläger zur Frage, wie sich die Münchner Bevölkerung in der NS-Zeit verhalten hat, eine Minder- bzw. Außenseitermeinung vertritt, wird weder vom Kläger selbst bestritten noch ist sie als ehrenrührig einstufen. Dass in einer Sachfrage ein wissenschaftlicher Dissens zutage tritt, liegt im Wesen des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses und stellt keine Kränkung der am wissenschaftlichen Diskurs beteiligten Personen dar. Dies gilt auch für die von den genannten Fachleuten vorgenommene Bewertung eines Forschungsansatzes als richtig oder falsch, weil über wissenschaftliche Thesen wissenschaftlich geurteilt werden kann und darf (vgl. Gärditz, DÖV 2017, 41/44, 46). Insbesondere liegt in der Aussage kein die Schwelle zum klassischen Grundrechtseingriff überschreitendes funktionales Eingriffsäquivalent in Gestalt eines kommunalen „Wissenschaftsrichtertums“. Angesichts des intern angelegten und auch intern gebliebenen Kommunikationsvorgangs ging es der Beklagten ersichtlich nicht darum, gezielt die Auffassungen des Klägers öffentlich zu disqualifizieren oder sonst zu diskreditieren, um sie als unseriös „aus dem Verkehr zu ziehen“ (vgl. Gärditz, EurUP 2017, 112/117).
b) Die anschließenden Sätze 3 bis 6 zu den sogenannten „B.-Zitaten“ sind ebenfalls von der gemeindlichen Äußerungsbefugnis gedeckt. Die Sätze bestehen in einer wörtlichen Wiedergabe der Äußerungen von Herrn Prof. Dr. B., die dieser in einem – nach wie vor im Internet abrufbaren, vom Kläger nicht angegriffenen – Interview mit der Zeitung „Die Welt“ im Jahr 2007 getätigt hat. Bereits die Kennzeichnung dieser Textpassagen als Zitate bringt zum Ausdruck, dass der Oberbürgermeister der Beklagten mit diesen Aussagen kein höchstpersönliches Werturteil abgeben, also nicht mit der Autorität seines Amtes selbst unmittelbar in den wissenschaftlichen Disput eingreifen wollte. Vielmehr wollte er mit der Wiedergabe der Zitate lediglich erläutern, worauf die im vorangegangenen Satz 2 erwähnte einhellige Ablehnung der wissenschaftlichen Thesen des Klägers durch die am Projekt beteiligten Fachleute basierte. Für diese Absicht spricht im Übrigen auch die Vorgeschichte in Gestalt des vorangegangenen, unmittelbar zwischen dem Kläger und der Beklagten geführten Schriftverkehrs über die Ausstellungskonzeption sowie die in den Behördenakten der Beklagten dokumentierte Genese des streitgegenständlichen Schreibens, das auf einem insoweit wortgleichen Entwurf des Gründungspräsidenten des Dokumentationszentrums basiert. Nicht zuletzt hat der Oberbürgermeister in seinem Schreiben vom 9. November 2016 den Kläger unmittelbar an das NS-Dokumentationszentrum verwiesen, sofern dieser einen Bedarf an weiterem Austausch über die Ausstellungsinhalte sehen sollte. Der Umstand, dass die Beklagte im Antwortschreiben an Herrn Dr. G. bei der Erwähnung des Klägers – anders als bei Herrn Prof. Dr. B. – dessen akademischen Grad und Titel nicht genannt hat, stellte zwar – sofern dies bewusst geschehen sein sollte – einen Verstoß gegen ungeschriebene Regeln der Höflichkeit, jedoch noch keine Herabwürdigung des Klägers dar, die einen Anspruch auf Unterlassung oder Richtigstellung begründen könnte.
c) Schließlich überschreitet auch der letzte Satz des Schreibens, der im Unterschied zu den vorausgehenden Sätzen eine eigenständige Formulierung der Beklagten enthält, nicht die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen. Der Satz „Diskussion findet am NS-Dokumentationszentrum sehr wohl statt, jedoch auf wissenschaftlich fundiertem Niveau“ ist optisch durch einen Zeilenumbruch von den vorangegangenen Zitaten abgesetzt. Unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs ist auch diesem Satz keine Rechtsverletzung des Klägers zu entnehmen; insbesondere wird dem Kläger damit aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Betrachters nicht das wissenschaftliche Niveau abgesprochen. Der Schlusssatz stellt ersichtlich die Reaktion auf die – ebenfalls am Ende des Schreibens platzierte – konkrete Aufforderung des Herrn Dr. G. gegenüber der Beklagten dar, die wissenschaftliche Debatte in einer bestimmten Art und Weise auszugestalten. Herr Dr. G. hatte in seiner Anfrage vom 18. Juli 2016 „gravierende Fehler und empörende Auslassungen“ des Dokumentationszentrums moniert und damit seinerseits den Vorwurf erhoben, das Zentrum arbeite unwissenschaftlich. Er sah den Oberbürgermeister der Beklagten „in der Pflicht, eine öffentliche Diskussion über die unvollständige und damit fehlerhafte Darstellung im Doku-Zentrum einzuleiten“. Aus Sicht von Herrn Dr. G. sollte diese Diskussion auf eine ganz bestimmte Art und Weise – nämlich durch die Verteilung von Freiexemplaren des Buchs des Klägers an Schulklassen sowie durch Anberaumung einer öffentlichen Podiumsdiskussion als Forum für die Kritik und Korrekturvorschläge des Klägers – geführt werden. Das streitgegenständliche Antwortschreiben begegnet den von Herrn Dr. G. erhobenen Vorwürfen mit der Aussage, man arbeite sehr wohl „auf wissenschaftlich fundiertem Niveau“. Dies lässt sich im konkreten Kontext dahingehend verstehen, dass man seitens der Beklagten nicht einseitig durch die Propagierung bestimmter Meinungen oder Forschungsansätze Position beziehen und als Oberbürgermeister entsprechend intervenieren wolle, sondern die wissenschaftliche Ausrichtung des Dokumentationszentrums ausschließlich in den dafür geschaffenen kollegialen Begleitgremien diskutieren lasse. Eine herabsetzende Wirkung zu Lasten des Klägers ist damit nicht verbunden.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
III.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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