IT- und Medienrecht

Zur Bezeichnung von Personen als “rechtsextremistisch” in amtlichen Äußerungen (hier: Antwort auf parlamentarische Anfragen)

Aktenzeichen  M 10 K 14.4106

Datum:
8.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
BV BV Art. 13 Abs. 2 S. 1, Art. 16a Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Art. 100, Art. 101

 

Leitsatz

1 Amtliche Äußerungen haben sich an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten in den Ausführungen des Willkürverbotes sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu orientieren (Anschluss an BVerwG BeckRS 2010, 56687). (redaktioneller Leitsatz)
2 Wird eine Person in einer amtlichen Aussage (hier: Antwort auf parlamentarische Frage) als “rechtsextremistisch” bezeichnet, handelt es sich dabei um eine Meinungsäußerung (Anschluss an BVerfG BeckRS 2012, 59275). (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein langer Zeitablauf seit der ersten Veröffentlichung der beanstandeten amtlichen Äußerung, gegen die der Betroffene nicht vorgegangen ist, lässt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen die Wiederholung der Äußerung entfallen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Der Freistaat Bayern ist passiv legitimiert nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Ihm sind die angegriffenen Äußerungen der Bayerischen Staatsregierung bzw. des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr zuzurechnen.
2. Der Hauptantrag in Ziff. 1 ist zulässig, aber unbegründet.
Die Unterlassungsklage ist zulässig. Insbesondere sieht das Gericht eine Wiederholungsgefahr gegeben. Der Beklagte bringt den Kläger wiederholt mit dem Begriff „rechtsextremistisch“ in Verbindung.
In der Landtagsdrucksache 17/10166 (vom 8. April 2016) findet sich in der Beantwortung zu Nr. 2.2 folgende Passage: „Aus dem rechtsextremistischen Spektrum waren am Messetag der ehemalige Leiter der verbotenen Wehrsportgruppe Karl-Heinz H. und (…) vor Ort“. In der Landtagsdrucksache 17/9235 (v. 22. Januar 2016) in der Antwort zu Frage Nr. 3 findet sich folgende Passage: „Aus dem rechtsextremistischen Spektrum waren am Messetag der ehemalige Leiter der verbotenen Wehrsportgruppe Karl-Heinz H. und (…) vor Ort“. In der Landtagsdrucksache 17/7878 (vom 30. September 2015) findet sich in der Antwort zu Frage Nr. 3 a und 3 b folgende Formulierung: „Im Rahmen der Beobachtung der rechtsextremistischen Aktivitäten von Karl-Heinz H.…“. Insofern kann tatsächlich von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden, da der Beklagte die vom Kläger beanstandete Bewertung seiner Aktivitäten als rechtsextremistisch bzw. die Verwurzelung des Klägers im rechtsextremistischen Spektrum schon jetzt seit Klageerhebung 2014 wiederholt im Bayerischen Landtag geäußert hat.
Der Antrag in Ziff. 1 ist jedoch unbegründet. Denn der Beklagte hat die von dem Kläger beanstandete Äußerung nicht in rechtswidriger Weise abgegeben.
Die Rechtsgrundlage für die Beantwortung parlamentarischer Anfragen ergibt sich aus der Bayerischen Verfassung (BV). Art. 13 Abs. 2 Satz 1 BV gewährleistet den Abgeordneten des Bayerischen Landtags, sich mit Fragen an die Exekutive zu wenden. Als Minderheitenrecht gründet sich das parlamentarische Fragerecht auch auf Art. 16a Abs. 1 und 2 Satz 1 BV. Mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Frage- und Informationsrecht der Abgeordneten korrespondiert auf der anderen Seite eine grundsätzliche Antwortpflicht der Staatsregierung, die allerdings bestimmten Grenzen unterliegt. Diese ergeben sich in erster Linie aus den Grundrechten der Bayerischen Verfassung sowie sonstigen verfassungsrechtlichen Grundsätzen (BayVerfGH, E.v. 20.3.2014 – Vf. 72-IVa-12 – BayVBl. 2014, 464 ff.). Soweit es um die Frage der Unterlassung oder der Rechtswidrigkeit von Äußerungen geht, ist zu differenzieren, ob es sich um Tatsachenbehauptungen oder Werturteile handelt. Tatsachenbehauptungen liegen dann vor, wenn der Aussage beweisbare Vorgänge zugrunde liegen, die Richtigkeit der Äußerung also durch eine Beweiserhebung objektiv festgestellt werden kann. Meinungsäußerungen sind demgegenüber ihrem wesentlichen Inhalt nach durch Elemente des Meinens, Dafürhaltens oder Wertens gekennzeichnet und deshalb einem objektiven Richtigkeitsbeweis nicht zugänglich (BayVGH, U.v. 31.7.1997 – 4 B 96.1291, UA S. 6 f. m.w.N.). Vermischen sich beide Elemente in einer Äußerung und lassen sie sich nicht ohne Veränderung des Aussagegehalts voneinander trennen, ist nach dem Schwerpunkt der Äußerung – Überwiegen der Wertung oder der Information über Tatsächliches – abzugrenzen (BayVGH, B.v. 24.5.2006 – 4 CE 06.1217 – juris; BayVGH, U.v. 25.10.1995 – 4 B 94.4010 mit Verweis auf BGH, U.v. 9.12.1975 – VI ZR 157/73, NJW 1976, 620/621). Während Tatsachenbehauptungen in der Regel zulässig sind, wenn sie bei objektiver Überprüfung zutreffen, müssen sich Werturteile an allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen, vor allem an dem Willkürverbot und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, messen lassen. Werturteile und Meinungsäußerungen unterliegen danach insbesondere dem Sachlichkeitsgebot, das verlangt, dass die getätigte Äußerung in einem konkreten Bezug zur Erfüllung der hoheitlichen Aufgaben des Äußernden steht, auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruht und den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreitet (vgl. BVerfG, B.v. 15. August 1989 – 1 BvR 881/89 -, juris Rn. 7/15; BVerwG, B.v. 11. November 2010 – BVerwG 7 B 54.10 -, juris Rn. 14/15; BVerwG, U.v. 23. Mai 1989 – BVerwG 7 C 2.87 -, juris Rn. 58; VG Cottbus, B.v. 31. Mai 2016 – 1 L 215/16 – juris Rn. 22). Amtliche Äußerungen haben sich an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten in den Ausführungen des Willkürverbotes sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu orientieren (BVerwG, B.v. 11.11.2010 – 7 B 54.10 – juris; VG Hannover, B.v. 30.03.2015 – 4 B 546/15 – juris).
Soweit sich der Kläger gegen die Bezeichnung seiner Aktivitäten seit 2010 als „rechtsextremistisch“ wehrt, wendet er sich hier gegen ein Werturteil bzw. eine Meinungsäußerung, nicht gegen eine Tatsachenbehauptung (s. zur Einstufung der Attribute „rechtsextrem“ und „rechtsradikal“ als Meinungsäußerungen BVerfG. B.v. 17.9.2012 – 1 BvR 2979/10 – NJW 2012, 3712 f.). Für die Begriffe „rechtsextremistisch“ oder „Rechtsextremismus“ gibt es keine allgemeingültige Definition.
Eine mögliche Definition findet sich bei der Bundeszentrale für politische Bildung, die sich auf die Quelle „Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 6., aktual. u. erw. Aufl. Bonn: Dietz 2016. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung“ beruft. Hier wird Rechtsextremismus wie folgt definiert:
„Rechtsextremismus bezeichnet eine politische Einstellung, die sich gegen die Ordnung des demokratischen Verfassungsstaates stellt und gesellschaftliche Vielfalt sowie freie Wirtschaftssysteme fundamental ablehnt. Charakteristisch für den Rechtsextremismus ist die Aufspaltung in Gruppen und Untergruppen, die i. d. R. auf persönlichen Gefolgschaften (Führer und Gefolge) beruhen. Rechtsextremismus basiert auf Intoleranz und Vorurteilen (z. B. gegen Ausländer und Minderheiten), fördert autoritäres Verhalten, verherrlicht Macht und Gewalt. Rechtsextreme Ideologien führen alle aktuellen politischen, ökonomischen und sozialen Probleme auf eine einzige Ursache zurück und setzen dagegen ein autoritäres, menschenverachtendes Weltbild, dessen Fundament i. d. R. ein aggressiver, expansionistischer Staat ist“ (http://www.bpb.de/na…).
Das Werturteil, der Kläger trete öffentlich mit rechtsextremistischen Aktivitäten in Erscheinung, verletzt den Kläger nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 100 und 101 BV), zu dessen Schutzgütern auch die persönliche Ehre gehört. Der Beklagte hat die Äußerung in einem konkreten Bezug zur Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben, hier im Rahmen einer schriftlichen Anfrage zweier Landtagsabgeordneter, getätigt. Die Bezeichnung der öffentlichen Aktivitäten des Klägers seit 2010, insbesondere seiner Vortragstätigkeit, als „rechtsextremistisch“ ist als plakative Qualifizierung bzw. Charakterisierung der politischen Gesinnung des Klägers eine Meinungsäußerung, wobei in der konkreten Beantwortung der Frage durch den Beklagten nicht näher darauf eingegangen wird, was unter einer „rechtsextremistischen Aktivität“ zu verstehen ist. Insofern enthält diese Qualifizierung aus Sicht des Adressaten keine dem Beweis zugängliche Aussage. Es wird auch nicht unterstellt, der Kläger sei Mitglied einer rechtsextremistischen Gruppierung. Die Äußerung steht aber im Bezug zu den gleichfalls erwähnten „öffentlichen Aktivitäten“ des Klägers, insbesondere seiner Vortragstätigkeit. Insoweit weist sie einen Sachbezug auf. Die Äußerung knüpft damit an das Verhalten des Klägers an und bewertet dieses. Es ist hierbei nicht die Privat- oder Geheimsphäre des Klägers betroffen, sondern seine Sozialsphäre (s. hierzu auch OLG Stuttgart, U.v. 23.9.2015 – 4 U 101/15 – BeckRS 2016, 4395). Indem der Kläger bei öffentlichen Veranstaltungen mit eigener Vortragstägigkeit auftritt und eine umfangreiche Homepage im Internet mit zahlreichen eigenen Beiträgen pflegt, treten das Verhalten des Klägers und seine politische Gesinnung nach außen hervor. Er stellt seine Beiträge zugleich zur öffentlichen Diskussion und muss mit entsprechenden Reaktionen rechnen.
Der Beklagte hat im gerichtlichen Verfahren ausreichend tatsächliche Anhaltspunkte zur Stützung des Werturteils vorgetragen, die öffentlichen Aktivitäten des Klägers seien „rechtsextremistisch“. Wie sich aus der Klageerwiderung des Beklagten vom 29. Januar 2015 auf den S. 9 – 18 mit verschiedenen Tatsachen ergibt, ist das Werturteil des Beklagten, öffentliche Aktivitäten des Klägers als rechtsextremistisch zu bezeichnen, nicht zu beanstanden. Es greift nicht in rechtswidriger Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers in seiner Ausprägung des besonderen Schutzes der persönlichen Ehre ein. Die Aussagen des Klägers in der Öffentlichkeit, bei Vortragsveranstaltungen und im Rahmen von Interviews, sowie die Wahl der Plattformen, über die der Kläger seine Ansichten verbreitet, sind nach Ansicht des Gerichts geeignet, das Werturteil des Rechtsextremismus bezogen auf den Kläger zu stützen. Zwar können einzelne Sachverhalte für sich genommen diesem Werturteil nicht als sachliche Quelle dienen, etwa wenn der Kläger am 2. April 2011 einen Vortrag zur Wehrsportgruppe und zum Oktoberfestattentat gehalten hat und von 30 Teilnehmern „19 Personen dem rechten Spektrum angehörten“ (Beweismittel 18). Allein die Anwesenheit von Personen aus dem „rechten Spektrum“, auch wenn sie mehr als die Hälfte der anwesenden Personen ausmachen, machen aus dem Vortragenden keinen Rechtsextremisten, zumal wohl zwischen dem „rechten Spektrum“ und „Rechtsextremisten“ unterschieden werden muss. Andere Beweismittel aber stützen die Bewertung der öffentlichen Aktivitäten des Klägers als rechts-extremistisch. Der Beklagte verweist auf die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums vom 30. Januar 1980 betreffend die WSG, in der die verfassungsfeindliche politische Zielsetzung des Klägers dargelegt wird (Beweismittel 8), und auf die Homepage des Klägers (http://k…com/index.html), auf der der Kläger Verschwörungstheorien gegen die WSG und seine Person verbreitet. Zudem nutzt der Kläger verschiedene, der rechtsextremistischen Szene zuzuordnende Medien zur Verbreitung seiner Ansichten, wie die Homepage des mittlerweile als verfassungsfeindlich verbotenen Freien Netzes Süd (FNS), s. Beweismittel 10. Den ersten Vortrag seit über dreißig Jahren hielt der Kläger am 11. September 2010 auf einer Veranstaltung des rechtsextremistischen „Freien Netzes Borna/Geithein“ in Zschadraß/Sachsen zum Thema „Die WSG, Klischee und Wirklichkeit“ (Beweismittel 15). In der Gesamtschau verstößt das Werturteil des Beklagten, der Kläger trete öffentlich mit rechtsextremistischen Aktivitäten in Erscheinung, nicht gegen das Sachlichkeitsgebot. Der Beklagte hat sein Werturteil auf einen vertretbar gewürdigten Tatsachenkern gestützt.
Der Kläger wendet sich im vorliegenden Verfahren gegen das beanstandete Werturteil im Kern mit der Argumentation, dass die öffentliche Vorstellung seines Buchs über das Oktoberfestattentat legitim sei, und dass er – pauschal formuliert – keiner nationalsozialistischen Ideologie anhänge, keinen Führerkult pflege und keine rassistische Haltung an den Tag lege, sich vielmehr mit seinen Aktivitäten kritisch an ein rechtsgerichtetes Publikum wende. Dies ist in der Gesamtschau keine überzeugende Widerlegung der vorgenommenen Bewertung der Aktivitäten durch den Beklagten, zumal es letztlich durch Beweiserhebung nicht möglich ist festzustellen, wann eine öffentliche Aktivität „rechtsextrem“ oder „rechtsextremistisch“ ist (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2012 – 1 BvR – 2979/10 – NJW 2012, 3712 ff.).
3. Der Klageantrag in Ziff. 2 (Hauptantrag) ist bereits unzulässig. Der Klage fehlt es insoweit am Rechtschutzbedürfnis. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist ungeschriebene Voraussetzung einer jeden Inanspruchnahme des Gerichts, ob durch Klage oder Antrag (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Vor §§ 40-53 Rn. 11). Es fehlt zum Beispiel bei nutzlosen Klagen oder bei Missbrauch, Verwirkung und Verzicht (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Vor §§ 40-53 Rn. 16 ff.).
Im vom Beklagten auszugsweise und in Kopie vorgelegten Verfassungsschutzbericht Bayern 1981 heißt es wortwörtlich auf Seite 106: „Schon bald nach dem Verbot der Wehrsportgruppe H. (WSG) am 30. Januar 1980 entfaltete ihr Gründer und Chef Aktivitäten im Nahen Osten. (…) Bis Mai/Juni 1981 hielt er sich zusammen mit rund 20 Personen, zum Teil Anhängern der verbotenen Wehrsportgruppe, im Libanon auf. Dort hatte er eine Vereinigung gebildet, die er als „Wehrsportgruppe Ausland“ bezeichnete. (…) H.s Ziel war, eine Terroristengruppe zu bilden, um vom Ausland her Aktionen gegen die Bundesrepublik Deutschland durchzuführen. Vorgesehen waren Anschläge gegen Richter, Staatsanwälte, eine Raffinerie und Einrichtungen der US-Streitkräfte.“ Im Verfassungsschutzbericht Bayern 1982 findet sich eine ähnliche Passage. Die Verfassungsschutzberichte des Bundes aus den Jahren 1980, 1981 und 1982 enthalten ähnliche Äußerungen. Gegen sämtliche genannten Verfassungsschutzberichte hat sich der Kläger gerichtlich nicht gewandt. Die vom Kläger beanstandete Äußerung des Beklagten hinsichtlich seiner Aktivitäten im Libanon in den Jahren 1980 und 1981 entspricht im Wesentlichen der oben zitierten Passage im Verfassungsschutzbericht Bayern 1981. Auch wenn der Kläger – wie er vorträgt – von diesem Verfassungsschutzbericht aufgrund von Haft keine Kenntnis gehabt haben soll und er nach Haftentlassung bis zum Ende 2010 „gesellschaftspolitisch vollkommen abstinent“ geblieben sei, besteht für seine Klage insoweit kein Rechtsschutzbedürfnis. Vielmehr zeigt sich gerade an diesem Vortrag, dass der Kläger über mehrere Jahrzehnte kein Interesse daran gezeigt hat, gegen diese Veröffentlichungen vorzugehen, die ihn nun in ihrer reinen Wiederholung im Jahr 2012 durch den Beklagten stören. Durch die jahrzehntelange Untätigkeit des Klägers ist es ihm verwehrt, gerichtlich über Vorgänge befinden zu lassen, die inzwischen mehr als fünfunddreißig Jahre zurück liegen und schon im Jahr 1981 so bewertet wurden wie im Jahr 2012 als reine Wiederholung der damaligen Äußerung im Verfassungsschutzbericht. Auf das „Recht auf Vergessenwerden“ im weitesten Sinn (vgl. hierzu speziell zu Internetsuchmaschinen das Urteil des EuGH vom 13.5.2014 – C-131/12 – juris) kann sich der Kläger nicht berufen. Er will gerade nicht „vergessen werden“, sondern stört sich allein an der konkreten Formulierung, da aus seiner Sicht seine Aktivitäten im Libanon vor etwa 36 Jahren anders einzuordnen sind.
Aber auch wenn man der hier vom Gericht vertretenen Ansicht, der lange Zeitablauf seit der ersten Veröffentlichung der beanstandeten Äußerung ließe das Rechtsschutzbedürfnis entfallen, nicht folgt, steht dem Kläger hier kein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite. Denn es ist letztlich ohne großen Nutzen, wenn sich der Kläger nicht gegen die Erwähnung und Beschreibung seiner Aktivitäten im Libanon in den bereits genannten Verfassungsschutzberichten insbesondere der Jahre 1981 und 1982 wendet, sondern eine reine Wiederholung im Jahr 2012 im Rahmen einer Landtagsanfrage zum Anlass nimmt, die Richtigkeit dieser Verfassungsschutzberichtspassage gerichtlich überprüfen lassen zu wollen. Der Verfassungsschutzbericht ist kein beliebiges Erzeugnis staatlicher Öffentlichkeitsarbeit. Er zielt auf die Abwehr besonderer Gefahren und stammt von einer darauf spezialisierten und mit besonderen Befugnissen, darunter der Rechtsmacht zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, arbeitenden Stelle (VG Berlin, U.v. 16.2.2012 – 1 K 237.10 – juris Rn. 30). Stört sich der Kläger an seiner Erwähnung im Verfassungsschutzbericht bzw. hier an der aus seiner Sicht falschen Beschreibung bestimmter Aktivitäten im Ausland, ist es sachnäher und vor allem effektiver, genau gegen diese Darstellungen im Verfassungsschutzbericht gerichtlich vorzugehen, und nicht über den Umweg zu gehen, eine reine Wiederholung dieser Darstellungen in einem Schriftstück, das der Beklagte etwa 30 Jahre später im Rahmen einer Landtagsanfrage erstellt, gerichtlich überprüfen zu lassen. Die ursprüngliche Aussage (hier insbesondere im Verfassungsschutzbericht Bayern 1981) bliebe – unabhängig von dem Ausgang des Verfahrens hinsichtlich der im Jahr 2012 wiederholten Äußerung – unverändert bestehen und wäre weiterhin für jedermann zugänglich. Die neueren Verfassungsschutzberichte sind im Internet einsehbar, die älteren lassen sich noch in Bibliotheken finden. Daher ist der Klageantrag in Ziff. 2 insoweit missbräuchlich und im Wesentlichen nutzlos.
Dass der Beklagte sich zur „Wehrsportgruppe Ausland“ (in den Jahren 1980 und 1981) in der Antwort zu Frage Nr. 2.1 geäußert hat, obwohl die Fragestellung war, was die Staatsregierung über das derzeitige rechtsextreme Netzwerk von H. in Bayern, bundesweit und international, weiß, mag überflüssig anmuten. Allein aus dem Umstand, dass eine Antwort gegeben wurde, zu der gar nicht gefragt wurde, ergibt sich aber kein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers.
4. Der Hilfsantrag in Ziff. 1 ist als Feststellungsantrag zulässig. Es liegt eine Wiederholungsgefahr vor (s. oben unter 2.). Zudem wird die Bewertung als „rechtsextremistisch“ üblicherweise als diffamierend angesehen und eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG im Sinne einer Ehrverletzung kann nicht ausgeschlossen werden (s. zur „Prangerwirkung“ der Attribute „rechtsextrem“ und „rechtsradikal“, BVerfG, B.v. 17.9.2012 – 1 BvR 2979/10 – NJW 2012, 3712 ff.). Der Feststellungsantrag ist gegenüber dem Leistungsantrag hier auch nicht wegen Subsidiarität unzulässig (§ 43 Abs. 2 VwGO). Dem Kläger geht es darum, Genugtuung für den mit den streitgegenständlichen Äußerungen aus Sicht des Klägers verbundenen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht zu erlangen. In diesem Fall gewährleistet die Feststellungsklage effektiven Rechtschutz (s. hierzu: Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 43 Rn. 28). Allerdings ist der Hilfsantrag in Ziff. 1 aus denselben Gründen unbegründet wie der Hauptantrag in Ziff. 1. Der Beklagte hat die Äußerung, bei der es sich um ein Werturteil bzw. eine Meinungsäußerung handelt, nicht in rechtswidriger Weise abgegeben (s. oben unter 2.).
5. Der Hilfsantrag in Ziff. 2 ist aus denselben Gründen unzulässig wie der Hauptantrag in Ziff. 2 (s. oben unter 3.). Es fehlt das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis.
6. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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