Kosten- und Gebührenrecht

Keine Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit durch Vorlegen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Aktenzeichen  13 A 17.329, 13 A 17.331

Datum:
7.12.2017
Fundstelle:
RÜ2 – 2018, 67
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 580
VwGO § 86 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Die Verhinderung, am Termin zur mündlichen Verhandlung teilzunehmen, ist mit Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht nachgewiesen. (Rn. 28)
2. Der Erlass des Urteils ist ab der Vollendung der Verkündung abgeschlossen mit der Folge, dass das Gericht an die Entscheidung gebunden ist und eine weitere Berücksichtigung von Parteivorbringen bzw. eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ausscheiden. (Rn. 28)
3. Ein Prozessvergleich und eine Klagerücknahme sind Prozesshandlungen, die als solche grundsätzlich weder anfechtbar noch widerruflich sind. Ein Widerruf wäre allenfalls denkbar, wenn ein Restitutionsgrund im Sinn des § 580 ZPO vorliegt oder es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unvereinbar wäre, einen Beteiligten an einer von ihm vorgenommenen Prozesshandlung festzuhalten. Dies kann ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn die Prozesshandlung durch Drohung, sittenwidrige Täuschung, unzulässigen Druck oder unzutreffende richterliche Belehrung bzw. Empfehlung u.ä. herbeigeführt wurde bzw. eine prozessuale Erklärung offensichtlich irrtümlich oder versehentlich abgegeben wurde. (Rn. 32 – 35)

Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Für die baren Auslagen des Gerichts wird ein Pauschsatz von insgesamt 30,- Euro erhoben. Das Verfahren ist gebührenpflichtig.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die gemäß § 93 Satz 1 VwGO zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Verwaltungsstreitsachen sind entscheidungsreif. Nach § 102 Abs. 2 VwGO konnte auch ohne den ausgebliebenen Kläger verhandelt und entschieden werden. Die Ladungen zum Termin enthalten einen entsprechenden Hinweis.
Das Verlegungsgesuch des Klägers vom 5. Dezember 2017 war abzulehnen, da mit der beigefügten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine Verhandlungsunfähigkeit nicht glaubhaft gemacht worden war. Auch eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, wie nach Schluss der mündlichen Verhandlung und der Urteilsverkündung beantragt, kommt nicht in Betracht. Mit Wirksamwerden einer die Instanz abschließenden Entscheidung ist eine Wiedereröffnung im Sinn von § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG, § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO nicht mehr möglich (Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 104 Rn. 14; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 116 Rn. 3 jeweils m.w.N.). Vorliegend beantragte der Kläger die Wiedereröffnung erstmals mit Telefax vom 7. Dezember 2017, eingegangen am selben Tag um 20.05 Uhr, nachdem das Urteil nach Schluss der mündlichen Verhandlung, die ausweislich der Niederschrift von 12.03 bis 13.00 Uhr dauerte, bereits verkündet worden war. Mit der Vollendung der Verkündung ist der Erlass des Urteils jedoch abgeschlossen (Schmidt in Eyermann, a.a.O., § 116 Rn. 5; Kopp/Schenke, a.a.O., § 116 Rn. 3). Ab diesem Zeitpunkt ist das Gericht an die Entscheidung gebunden und die weitere Berücksichtigung von Parteivorbringen bzw. eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung scheiden aus (BVerfG, B.v. 4.8.1992 – 2 BvR 1129/92 – NJW 1993, 51; U.v. 7.12.1982 – 2 BvR 1118/82 – BVerfGE 62, 347 = NJW 1983, 2187; BayVGH, B.v. 2.12.1996 – 19 B 95.629 – BayVBl 1997, 433). Insbesondere ging deshalb auch die mit Telefax vom 11. Dezember 2017 vorgelegte ärztliche Bestätigung der Verhandlungsunfähigkeit ins Leere.
In der Sache bleiben die Klagen ohne Erfolg, weil der Kläger keinen Anspruch auf die Fortführung der Verwaltungsstreitverfahren 13 A 16.1232 und 13 A 16.2217 hat.
Soweit sich der Kläger im streitgegenständlichen Verfahren 13 A 17.329 auf das Verfahren mit dem Aktenzeichen 13 A 16.1232 bezieht, ist dieses durch den am 20. Oktober 2016 geschlossenen Vergleich wirksam beendet. Die Prozessbeteiligten konnten über die Vergleichsgegenstände verfügen. Die Beklagte hatte es in der Hand, im Wege der Abhilfe dem klägerischen Besitzstand eine Forderungsmehrung von 2524 WVZ, wie vom Gericht vorgeschlagen, zuzuerkennen. Der Kläger erklärte sich mit dieser Forderungsmehrung und der Beendigung des Rechtsstreits betreffend die Wertermittlung einverstanden. Der Vergleich ist vorgelesen und genehmigt worden (§ 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 1 und § 162 ZPO).
Die Klage im Verfahren 13 A 16.2217, die den Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren 13 A 17.331 bildet, ist in der mündlichen Verhandlung am 2. Februar 2017 zurückgenommen worden. Diese Klagerücknahme ist ebenfalls wirksam (§ 92 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Gegenteiliges ergibt sich weder aus dem klägerischen Vortrag noch aus den Akten. Auch die Klagerücknahmeerklärung ist vorgelesen und genehmigt worden. Das Gericht hat in seinem (insoweit deklaratorischen) Beschluss vom selben Tag das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingestellt und über dessen Kosten entschieden.
Dass der Kläger die entsprechenden Erklärungen abgegeben hat, ist durch das Protokoll bewiesen (§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG, § 105 VwGO, § 165 Satz 1 ZPO). Die Beweiskraft gilt für die vorgeschriebenen Förmlichkeiten der Verhandlung. Hierzu gehören auch der Abschluss eines Vergleichs und die Klagerücknahme (Geiger in Eyermann, a.a.O., § 105 Rn. 8 ff.). Sowohl der Prozessvergleich als auch die Klagerücknahme sind Prozesshandlungen und führen unmittelbar zur Prozessbeendigung (BayVGH, U.v. 5.7.2001 – 13 A 98.1391 – juris; zur Erledigungserklärung: BayVGH, U.v. 26.3.2015 – 13 A 14.1240 u.a. – juris unter Bezugnahme auf BVerwG, B.v. 14.10.1988 – 9 CB 52.88 – NVwZ-RR 1989, 110; U.v. 29.1.2009 – 13 A 08.1688 – RdL 2009, 307; siehe auch zum Widerspruchsverfahren Mayr in Wingerter/Mayr, FlurbG, 9. Aufl. 2013, § 141 Rn. 18, 19 und Nr. 9.1.3.7 AVLE 4, abgedruckt unter II.7 bei Linke/Mayr, AGFlurbG). Sie sind als solche grundsätzlich auch weder anfechtbar noch widerruflich.
Die Anfechtung einer Prozesserklärung ist nicht möglich. Für den Einstellungsbeschluss nach Klagerücknahme ergibt sich das bereits aus § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO. Aber auch sonst unterliegen Handlungen, die unmittelbar die Einleitung, Führung oder Beendigung des Prozesses betreffen, nicht der Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB. Weder das Verwaltungsprozessrecht noch die nach § 173 VwGO sinngemäß anwendbare Zivilprozessordnung enthalten den bürgerlich-rechtlichen Anfechtungsregelungen entsprechende Vorschriften. Auch eine analoge Anwendung der für privatrechtliche Willenserklärungen geltenden Anfechtungsregelungen verbietet sich, weil die Interessenslage im Prozessrechtsverhältnis anders zu bewerten ist als in Rechtsbeziehungen im rein privaten Rechtskreis (BVerwG, U.v. 6.12.1996 – 8 C 33.95 – NVwZ 1997, 1210; U.v. 21.3.1979 – 6 C 10.78 – BVerwGE 57, 342 = NJW 1980, 135; BGH, U.v. 27.5.1981 – IVb ZR 589/80 – BGHZ 80, 389 = NJW 1981, 2193; BayVGH, U.v. 26.3.2015 – 13 A 14.1240 u.a. – juris; U.v. 2.1.2012 – 13 A 11.1134 u.a. – juris; U.v. 29.1.2009 – 13 A 08.1688 – RdL 2009, 307 = RzF 137 zu § 138 I 2; U.v. 5.7.2001 – 13 A 98.1391 u.a. – juris).
Eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 153 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 578 ff. ZPO scheidet grundsätzlich aus, weil eine solche nur bei einem durch rechtskräftiges Urteil geschlossenen Verfahren statthaft ist (§ 578 Abs. 1 ZPO), hier jedoch die Verfahren durch einen Vergleich bzw. einen Einstellungsbeschluss endeten. Zwar ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass Prozesshandlungen unter bestimmten Umständen widerrufen werden können. Ein Widerruf kommt danach in Betracht, wenn ein Restitutionsgrund im Sinn des § 580 ZPO vorliegt. Denn lässt es der Gesetzgeber nach Maßgabe der §§ 578 ff. ZPO, die nach § 153 VwGO auch im Verwaltungsprozess anwendbar sind, ausdrücklich zu, sich selbst von der Bindung an ein rechtskräftiges Urteil zu lösen, so entspricht es seinem Regelungswillen, die von ihm gezogenen Konsequenzen unter den in § 580 ZPO genannten Tatbestandsvoraussetzungen auch dann zu ziehen, wenn ein Verfahren anderweitig beendet worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.1979 a.a.O.; B.v. 26.1.1971 – VII B 82.70 – Buchholz 310 § 92 VwGO Nr. 3). Ein Restitutionsgrund im Sinn von § 580 ZPO ist aber ersichtlich nicht gegeben.
Ferner ist ein Widerruf denkbar, wenn es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), der das gesamte Recht unter Einschluss der Verwaltungsgerichtsordnung beherrscht, unvereinbar wäre, einen Beteiligten an einer von ihm vorgenommenen Prozesshandlung festzuhalten (BVerwG, U.v. 6.12.1996 a.a.O.; BGH, B.v. 16.5.1991 – III ZB 1/91 – NJW 1991, 2839). Dies kann ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn die Prozesshandlung durch Drohung, sittenwidrige Täuschung, unzulässigen Druck oder unzutreffende richterliche Belehrung bzw. Empfehlung u.ä. herbeigeführt wurde (BVerwG, B.v. 9.1.1985 – 6 B 222.84 – NVwZ 1985, 196; BGH, B.v. 26.11.1980 – IVb ZR 592/80 – NJW 1981, 576; BayVGH, U.v. 29.1.2009 – 13 A 08.1688 – RdL 2009, 307; U.v. 6.11.2008 – 13 A 08.2579 – juris; Kopp/Schenke, a.a.O., Vorb § 40 Rn. 15). Das Gleiche gilt, wenn eine prozessuale Erklärung offensichtlich irrtümlich oder versehentlich abgegeben wurde (BVerwG, U.v. 6.12.1996 – 8 C 33.95 – NVwZ 1997, 1210).
Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die mündlichen Verhandlungen vom 20. Oktober 2016 bzw. 2. Februar 2017 in einer Atmosphäre der Einschüchterung stattgefunden hätten und der Kläger deshalb ungewollte oder missverständliche Erklärungen abgegeben hätte. Hiergegen sprechen die Umstände der ausführlichen mündlichen Verhandlungen. Insbesondere wurde die Wirksamkeit des Vergleichs in der annähernd dreistündigen Verhandlung am 2. Februar 2017 umfänglich erörtert. Auch im Oktober 2016 wurde dem Kläger eingehend erläutert, inwieweit seine Klage Erfolg haben und aus welchen Gründen sie voraussichtlich abzuweisen sein würde. Nach einer Unterbrechung der mündlichen Verhandlung erklärte sich die beklagte Teilnehmergemeinschaft bereit, dem Kläger eine Forderungsmehrung zuzuerkennen und der Kläger bekundete in diesem Fall ausdrücklich sein Einverständnis mit einer Beendigung des Rechtsstreits.
Dass der Vorsitzende Richter den Parteien jeweils nach einer Senatsberatung die vorläufige Rechtsauffassung des Gerichts mitgeteilt hat, stellt ebenfalls keine Ausübung unzulässigen Drucks dar, sondern ist – insbesondere bei nicht anwaltlich vertretenen Parteien – Ausdruck der sich aus § 86 Abs. 3 VwGO ergebenden Hinweis- und Fürsorgepflichten des Gerichts und im Übrigen durchaus gängige Praxis (BayVGH, U.v. 29.1.2009 – 13 A 08.1688 – RdL 2009, 307; vgl. Höfling/Rixen in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, Rn. 111 ff. zu § 86; Kopp/Schenke, a.a.O., § 104 Rn. 4).
Soweit der Kläger nunmehr rügt, das Gericht beurteile die Wertermittlung dilettantisch, willkürlich und bewerte Gleiches mit zweierlei Maß, betrifft das nicht die Atmosphäre in den mündlichen Verhandlungen, sondern inhaltliche Fragen zur Wertermittlung, bei der der Kläger seinen Besitzstand benachteiligt sieht. Diese Fragen stehen allerdings mit der wirksamen Beendigung der Verfahren nicht mehr zur Diskussion. Angesichts dessen kommt eine nochmalige Überprüfung des Wertermittlungsrahmens bei der Feststellung der Ergebnisse der Wertermittlung nach § 32 Satz 3 FlurbG (siehe Mayr in Wingerter/Mayr, a.a.O., § 32 Rn. 4) verbunden mit einer Beweisaufnahme, wie angeboten, nicht mehr in Betracht. Im Hinblick auf die zweitägige Dauer des Augenscheins und insgesamt ca. vier Stunden mündliche Verhandlung kann auch keineswegs davon die Rede sein, dass eine „Schockstarre“ ausgenutzt worden wäre, geschweige denn, dass sich hierfür aus der Niederschrift ein Anhaltspunkt ergäbe. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Schriftsatzfrist (§ 173 Satz 1 VwGO, § 283 ZPO) lagen nicht vor, wie bereits in der mündlichen Verhandlung am 2. Februar 2017 ausgeführt. Da der Sachverhalt nach der Durchführung eines Augenscheins geklärt war, lag Entscheidungsreife vor. In der mündlichen Verhandlung wurden auch keine neuen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte vorgebracht bzw. erörtert, zu denen sich der Kläger nicht hätte sofort äußern können (s. Geiger in Eyermann, a.a.O., § 103 Rn. 18). Damit bestand für ein weiteres Zuwarten keine Veranlassung, zumal das Gericht nach § 87 Abs. 1 Satz 1 VwGO prozessrechtlich gehalten ist, das Verfahren zügig durchzuführen und den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (BayVGH, U.v. 29.1.2009 – 13 A 08.1688 – RdL 2009, 307; s. hierzu z.B. Kopp/Schenke, a.a.O., § 87 Rn. 1).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 147 Abs. 1 FlurbG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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