Medizinrecht

3 C 5/19

Aktenzeichen  3 C 5/19

Datum:
14.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:140421U3C5.19.0
Spruchkörper:
3. Senat

Verfahrensgang

vorgehend VG Düsseldorf, 7. Dezember 2018, Az: 21 K 11634/16, Urteil

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 7. Dezember 2018 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.

Tatbestand

1
Die Klägerin ist Trägerin eines Krankenhauses in S. Sie wendet sich gegen die Genehmigung des Mehrleistungsabschlags für das Jahr 2015.
2
In der Verhandlung über die Krankenhausentgelte für das Kalenderjahr 2015 blieb zwischen der Klägerin und den Beigeladenen die Höhe des Mehrleistungsabschlags nach § 4 Abs. 2a des Krankenhausentgeltgesetzes in der für den Vereinbarungszeitraum 2015 geltenden Fassung des Ersten Pflegestärkungsgesetzes vom 17. Dezember 2014 (im Folgenden: KHEntgG a.F.) streitig. Die Klägerin hielt die in § 4 Abs. 2a Satz 8 KHEntgG a.F. angeordnete Fortgeltung des für das Jahr 2013 ermittelten Mehrleistungsabschlags auch für das Jahr 2015 für verfassungswidrig. Bei der Vereinbarung des Mehrleistungsabschlags für das Jahr 2013 habe sie nicht damit rechnen müssen, dass sich dieser Abschlag erlösmindernd auch noch im Entgeltzeitraum 2015 auswirken könnte. Die Regelung verstoße gegen das Verbot der Rückwirkung von Gesetzen. Die angerufene Schiedsstelle-KHG Rheinland setzte durch Beschluss vom 20. Mai 2016 den Mehrleistungsabschlag für den Entgeltzeitraum 2015 auf insgesamt 725 538 Euro fest. Davon entfielen 674 180 Euro auf den Mehrleistungsabschlag für das Jahr 2013. Zur Begründung führte sie aus, § 4 Abs. 2a Satz 8 KHEntgG a.F. sei für sie verbindlich. Im Übrigen liege allenfalls eine unechte Rückwirkung vor, die zulässig sei.
3
Durch Bescheid vom 19. September 2016 genehmigte die Bezirksregierung Düsseldorf den festgesetzten Mehrleistungsabschlag. Der Schiedsspruch entspreche den geltenden Rechtsvorschriften.
4
Die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf durch Urteil vom 7. Dezember 2018 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der angefochtene Genehmigungsbescheid sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Schiedsstellenfestsetzung sei nicht zu beanstanden. § 4 Abs. 2a Satz 8 KHEntgG a.F. verstoße nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Es handele sich um eine Berufsausübungsregelung, die durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sowie verhältnismäßig sei. Durch das Erste Pflegestärkungsgesetz sei der Mehrleistungsabschlag auf unbestimmte Zeit verlängert worden. Regelungszweck seien die Mengensteuerung bei Krankenhausbehandlungen und die Begrenzung der Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Der Mehrleistungsabschlag stelle einen Beitrag zur Sicherung der finanziellen Stabilität und Funktionsfähigkeit der GKV dar. Aufgrund dieser Regelung würden die Krankenhäuser entweder nicht über den Rahmen des Vorjahres hinaus zusätzliche Leistungen vereinbaren oder für diese Mehrleistungen nicht die volle Vergütung erhalten. Der Gesetzgeber habe § 4 Abs. 2a Satz 8 KHEntgG a.F. auch für erforderlich halten dürfen. Hinsichtlich der Einnahmen- und Ausgabenentwicklung in der GKV sei für 2015 eine Unterdeckung prognostiziert worden. Gerade auch im Bereich der Krankenhausbehandlung sei eine weitere Ausgabenerhöhung zu erwarten gewesen. Die Regelung sei auch nicht unzumutbar. Insoweit sei die Fixkostendegression zu berücksichtigen. Zudem nehme § 4 Abs. 2a Satz 3 KHEntgG a.F. einzelne Leistungsbereiche vom Mehrleistungsabschlag aus. Darüber hinaus würden die finanziellen Folgen der verlängerten Geltungsdauer des Mehrleistungsabschlags durch den ebenfalls verlängerten Versorgungszuschlag nach § 8 Abs. 10 KHEntgG a.F. abgemildert. Der Abschlag sei nicht systemwidrig. Mit der Implementierung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser habe der Gesetzgeber stets auch das Ziel einer Leistungsmengensteuerung verfolgt. Ebenso wenig liege ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vor. Die Regelung entfalte keine echte Rückwirkung. Im Zeitpunkt des Inkrafttretens von § 4 Abs. 2a Satz 8 KHEntgG a.F. am 18. Oktober 2014 habe die Klägerin noch keine Vergütungsansprüche gehabt, die durch die Geltung des für das Jahr 2013 ermittelten Mehrleistungsabschlags auch für das Jahr 2015 hätten gemindert werden können. Der Mehrleistungsabschlag für 2013 gelte nur dann für die Jahre 2014 und 2015 weiter, wenn die für das Jahr 2013 vereinbarten Mehrleistungen auch in den Folgejahren noch erbracht würden. Sollte die Regelung dahin zu verstehen sein, dass der Abschlag weitergelte, wenn die für das Jahr 2013 vereinbarten Mehrleistungen auch für 2014 bzw. 2015 vereinbart würden, ergebe sich nichts Abweichendes. Auch bei diesem Normverständnis beziehe sich die Regelung auf ein in der Zukunft zu vereinbarendes Erlösbudget und zukünftig zu erbringende Leistungen. Ob eine unechte Rückwirkung vorliege, bedürfe keiner abschließenden Klärung. Sie wäre zulässig. Die Klägerin könne sich nicht auf die Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens berufen.
5
Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend: Entgegen dem angegriffenen Urteil sei § 4 Abs. 2a Satz 8 KHEntgG a.F. wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG und gegen das Rückwirkungsverbot verfassungswidrig. Angesichts der günstigen Finanzentwicklung der GKV habe der Gesetzgeber nicht davon ausgehen dürfen, dass der Gemeinwohlbelang der finanziellen Stabilität der GKV die Erhebung des Mehrleistungsabschlags über das Jahr 2014 hinaus rechtfertige. Die in § 4 Abs. 2a Satz 8 KHEntgG a.F. getroffene Regelung sei nicht erforderlich. Dem könne nicht entgegengehalten werden, der GKV-Schätzerkreis sei für das Jahr 2015 prognostisch von einem Defizit ausgegangen und im Bereich der Krankenhausbehandlung sei eine weitere Ausgabensteigerung zu erwarten gewesen. Auf diese Gesichtspunkte habe der Gesetzgeber § 4 Abs. 2a Satz 8 KHEntgG a.F. nicht gestützt. Die Regelung könne auch nicht damit gerechtfertigt werden, sie solle dazu dienen, den Versorgungszuschlag nach § 8 Abs. 10 KHEntgG a.F. aufkommensneutral zu finanzieren. Der Versorgungszuschlag komme allen Krankenhäusern zugute. Die vom Mehrleistungsabschlag betroffenen Krankenhäuser könnten aber nicht dafür in Anspruch genommen werden, einen Vergütungszuschlag für alle zu finanzieren. Auch das Ziel der Leistungsmengensteuerung sei kein den Mehrleistungsabschlag rechtfertigender Gemeinwohlbelang. Zur Vermeidung unberechtigter Fallzahlensteigerungen gebe es die Regelungen in § 17b Abs. 1 Satz 5 KHG und § 9 Abs. 1c KHEntgG. Der Mehrleistungsabschlag sei außerdem unverhältnismäßig. Wolle ein Krankenhaus Mehrleistungen erbringen, sei es darauf angewiesen, die Mehrleistungen im Erlösbudget zu vereinbaren. Zudem müsse es einen Vergütungsabschlag hinnehmen. Dieser sanktionsbewehrte Kontrahierungszwang verletze die unternehmerische Dispositionsfreiheit des Krankenhausträgers. Auch die mehrjährige Geltungsdauer des Mehrleistungsabschlags sei unzumutbar. Zudem sei die Regelung willkürlich. Nach dem DRG-Fallpauschalensystem gelte der Grundsatz “gleiche Leistung, gleicher Preis”. Davon weiche § 4 Abs. 2a Satz 8 KHEntgG a.F. ohne hinreichenden Sachgrund und damit systemwidrig ab. Darüber hinaus entfalte die Norm eine unzulässige echte Rückwirkung. Die mit Wirkung vom 18. Oktober 2014 in Kraft getretene Regelung über die Geltung des für das Jahr 2013 ermittelten Mehrleistungsabschlags auch für das Jahr 2015 knüpfe an einen in der Vergangenheit begründeten und bereits abgeschlossenen Sachverhalt an. Die Vertragsparteien seien bei der Vereinbarung für das Jahr 2013 davon ausgegangen, dass der Abschlag auf zwei Jahre befristet sei. Die Krankenhäuser hätten ihre wirtschaftlichen Dispositionen und die Budgetvereinbarungen mit den Krankenkassen danach ausgerichtet. Mit der nachträglich bestimmten Weitergeltung des für das Jahr 2013 vereinbarten Mehrleistungsabschlags hätten sie nicht rechnen müssen. § 4 Abs. 2a Satz 8 KHEntgG a.F. bewirke, dass die für 2013 getroffene Vereinbarung einen neuen Vertragsinhalt erhalte. Damit werde zum Nachteil des Krankenhauses in eine bestehende Rechtsposition eingegriffen. Dem könne nicht entgegengehalten werden, die Regelung betreffe nur zukünftig zu erbringende Leistungen und mindere keine schon erworbenen Vergütungsansprüche. § 4 Abs. 2a Satz 8 KHEntgG a.F. knüpfe nicht an die Erbringung, sondern an die Vereinbarung von Mehrleistungen an. Wäre von einer unechten Rückwirkung auszugehen, erweise sich die Regelung wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes ebenfalls als unvereinbar mit der Verfassung. Der Gesetzgeber habe angekündigt, dass der Mehrleistungsabschlag ab dem Jahr 2015 entfalle. Das Vertrauen der Krankenhäuser auf das Auslaufen der Abschlagsregelung überwiege die Veränderungsgründe des Gesetzgebers.
6
Das beklagte Land tritt der Revision entgegen. Es hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
7
Die Beigeladenen verteidigen das angefochtene Urteil, ohne einen Antrag zu stellen.
8
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit der Auffassung, dass § 4 Abs. 2a Satz 8 KHEntgG a.F. verfassungsgemäß sei. Der Mehrleistungsabschlag habe nicht der Finanzierung des Versorgungszuschlags gedient, sie seien nur konzeptionell miteinander verbunden gewesen. Der Zuschlag sei nachträglich eingeführt worden, um eine durch den Mehrleistungsabschlag entstehende “doppelte Degression” für den Krankenhausbereich insgesamt zu verhindern. Dabei seien sie so ausgestaltet worden, dass sie zusammen aufwandsneutral gewesen seien. Um dies unter Aufrechterhaltung der bisherigen Höhe des Versorgungszuschlags weiterhin zu erreichen, sei die Geltungsdauer des Mehrleistungsabschlags von zwei auf drei Jahre verlängert worden. § 4 Abs. 2a Satz 8 KHEntgG a.F. entfalte keine echte Rückwirkung. Die Rechtslage sei ausschließlich für einen in der Zukunft liegenden Sachverhalt geändert worden; auf die Entgeltzeiträume 2013 und 2014 habe die Regelung keine Auswirkungen gehabt. Werde das Vorliegen einer unechten Rückwirkung angenommen, sei diese zulässig. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen. Die Regelungen zum Mehrleistungsabschlag seien in den vergangenen Jahren wiederholt geändert und angepasst worden. Der Gesetzgeber habe zu keiner Zeit in Aussicht gestellt, dass die Mengensteuerung ganz entfallen würde.


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