Medizinrecht

6 C 12/19

Aktenzeichen  6 C 12/19

Datum:
12.5.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:120521U6C12.19.0
Spruchkörper:
6. Senat

Leitsatz

1. Eine gesetzlich begründete Garantieverpflichtung des Bundes nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und nach § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG besteht, wenn sich auf Grund eines Bundesgesetzes, sei es auch erst nach Maßgabe weiterer gesetzgeberischer Akte, die Möglichkeit einer zukünftigen Belastung des Bundeshaushalts durch eine Verpflichtung des Bundes zum Eintritt in Zahlungspflichten ergibt, die zu Lasten eines Sozialversicherungsträgers entstanden sind.
2. § 120 SGB VII ist – bezogen auf die Bundesebene – im Kern eine Haftungsbestimmung im Sinne einer konstitutiven Auffangregelung für die Übernahme der finanziellen Lasten eines durch Gesetz aufgelösten bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers durch den Bund.
3. Es gibt kein subjektives “Recht auf den gesetzlichen Rechnungshofprüfer”.
4. Das Sozialdatenschutzrecht des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch ist offen für die Berücksichtigung von Belangen, die sich aus den gesetzlichen Aufgaben der Rechnungshöfe ergeben.

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 6. Juni 2019, Az: 16 A 3122/18, Urteilvorgehend VG Köln, 16. Juli 2018, Az: 4 K 2486/18, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. Juni 2019 geändert. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 16. Juli 2018 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1
Die Klägerin ist eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts, eine der größten gewerblichen Berufsgenossenschaften in Deutschland und gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Anlage 1 Nr. 7 SGB VII, § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ein bundesunmittelbarer Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Sie hat nach § 29 Abs. 1 SGB IV das Recht zur Selbstverwaltung. Sie wendet sich gegen die Prüfung ihrer Haushalts- und Wirtschaftsführung durch den Bundesrechnungshof.
2
Der Bundesrechnungshof erließ gegenüber der Klägerin nach deren vorheriger Anhörung unter dem 19. März 2018 eine Prüfungsanordnung. Diese benennt als Prüfungsgegenstand die Durchführung sozialmedizinischer Begutachtungen durch die Klägerin. Mit Bezug hierauf wird die Klägerin in dem Anordnungstenor verpflichtet, vom Jahr 2012 bis laufend Erhebungen von Beauftragten des Bundesrechnungshofs zu dulden, dem Bundesrechnungshof Einblick in Verfahren und in von ihm ausgewählte Vorgänge aus den Jahren 2012 bis laufend mit den im Weiteren genannten Schwerpunkten zu gewähren, seinen Beauftragten freien unmittelbaren Zugang zu allen bei der Klägerin vorhandenen, von dem Bundesrechnungshof zur Durchführung der Prüfung für erforderlich gehaltenen Unterlagen zu gewähren bzw. diese Unterlagen auf Verlangen innerhalb einer bestimmten Frist zu übersenden oder seinen Beauftragten vorzulegen sowie die von den Beauftragten erbetenen Auskünfte zu erteilen.
3
Die Begründung der Anordnung verweist darauf, dass dem Bundesrechnungshof die Organisation und die Abläufe bei der Klägerin nicht bekannt seien. Insoweit werde er sich zunächst orientieren und entsprechende Einblicke nehmen. Er werde sodann Vorgänge und Unterlagen der Klägerin aus den Jahren 2012 bis laufend mit Bezug zu dem Prüfungsgegenstand einsehen. Bei der Prüfung gehe es insbesondere um ärztliche und psychologische Untersuchungsmaßnahmen bei Versicherten, denen sich diese auf Verlangen der Klägerin nach § 62 SGB I im Zusammenhang mit der Gewährung von Leistungen unterzögen. Im Vordergrund werde stehen, sich einen Überblick über Art und Umfang der Zusammenarbeit der Klägerin mit Ärzten und Kliniken, die in der Unfallmedizin und der Rehabilitation besonders qualifiziert seien, zu verschaffen. Als Schwerpunkte der Prüfung seien vorläufig die Verfahrensweise sowie etwaige Unterschiede bei den Leistungsarten, die Auswahl von Gutachtern, die entstehenden Kosten und die Durchführung von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen zu nennen. Nach §§ 94, 95 BHO blieben Änderungen des zeitlichen und inhaltlichen Umfangs der Prüfung vorbehalten. Die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Klägerin unterliege gemäß § 112 Abs. 1 Satz 1, § 111 Abs. 1 BHO der Prüfung durch den Bundesrechnungshof. Im Sinne von § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO erhalte die Klägerin zwar keine Zuschüsse vom Bund, jedoch sei in Gestalt von § 120 SGB VII eine Garantieverpflichtung des Bundes gesetzlich begründet, weil nach dieser Vorschrift die Möglichkeit bestehe, dass Mittel aus dem Bundeshaushalt für Verbindlichkeiten aufgewendet werden müssten, die durch die Tätigkeit der Klägerin entstanden seien. Die externe Finanzkontrolle des Bundes und die Lückenlosigkeit dieser Kontrolle seien in Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG verankert. Der Prüfungsumfang und der Prüfungsinhalt richteten sich nach den weit auszulegenden Vorschriften der §§ 89 ff. BHO. Tatsächlich werde der Bundesrechnungshof jedoch nur einen Bruchteil der bei der Klägerin vorhandenen Unterlagen mit Bezug zu dem Prüfungsthema einsehen. Welche dies im Einzelnen seien bzw. welche Stichproben gezogen würden, lasse sich zu Beginn der Prüfung nicht abstrakt festlegen. Es liege in der Natur der Prüfungstätigkeit, dass die Methode und die Auswahl der Erkenntnisquellen sukzessive fortentwickelt und laufend angepasst werden müssten. Aus jetziger Sicht seien die Erhebungen in dem angekündigten Umfang erforderlich und zumutbar. Die Speicherung, Veränderung oder Nutzung erforderlicher Daten, die dem Sozialgeheimnis nach § 35 Abs. 1 SGB I unterlägen, seien für die Rechnungsprüfung durch den Bundesrechnungshof gemäß § 67c Abs. 3 SGB X zulässig. Grundlage für eine Übermittlung der Daten durch die Klägerin an den Bundesrechnungshof sei § 69 Abs. 5 SGB X. Die Belange des Sozialdatenschutzes sowie die Rechte Dritter würden umfassend beachtet.
4
Die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage gegen die Prüfungsanordnung hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Anordnung werde von § 112 Abs. 1 Satz 1, § 111 Abs. 1, § 94 Abs. 1, § 95 BHO als Ermächtigungsgrundlage getragen. Die Prüfungsanordnung sei formell rechtmäßig. Sie sei durch das nach §§ 8, 9 Abs. 1 Satz 1 BRHG zuständige Zweierkollegium IX 5 des Bundesrechnungshofs erlassen worden. Dieses habe sich durch die Einbindung anderer Stellen des Bundesrechnungshofs nicht seiner Letztverantwortung entzogen. Die Vorschrift des § 37 Abs. 3 Satz 1 VwVfG, die auf Prüfungsanordnungen des Bundesrechnungshofs jedenfalls als Ausprägung des elementaren Prinzips der Rechtssicherheit anwendbar sei, sei nicht verletzt. Der Bundesrechnungshof werde in der streitgegenständlichen Anordnung im Sinne des § 37 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 VwVfG als erlassende Behörde ausgewiesen, der Offenlegung der internen Zuständigkeitsverteilung bedürfe es nicht. Entsprechend der durch §§ 8, 9 BRHG bewirkten Modifizierung des § 37 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 VwVfG sei die Anordnung nicht durch den Behördenleiter bzw. dessen Vertreter, sondern durch die Abteilungsleiterin und den Prüfungsgebietsleiter des Zweierkollegiums IX 5 unterzeichnet worden. Die Prüfungsanordnung sei auch materiell rechtmäßig. Sie genüge mit ihrem von dem Bundesrechnungshof als Arbeitstitel begriffenen Bezug auf die Durchführung sozialmedizinischer Begutachtungen durch die Klägerin und unter Berücksichtigung des iterativen Charakters von Rechnungshofprüfungen dem Bestimmtheitspostulat des § 37 Abs. 1 VwVfG, das hier jedenfalls als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips anwendbar sei. Der Bundesrechnungshof verfüge gegenüber der Klägerin über eine Prüfungsbefugnis aus § 112 Abs. 1 Satz 1, § 111 Abs. 1 BHO, neben denen § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG im vorliegenden Fall keine selbständige Bedeutung zukomme. Die Vorschrift des § 120 SGB VII stelle ungeachtet des Umstands, dass sie auch den Charakter einer Rechtsnachfolgeregelung habe, wegen des von ihr umfassten Haftungsrisikos eine gesetzlich begründete Garantieverpflichtung des Bundes im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO dar. Dieses Normverständnis ergebe sich aus einer Auslegung des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und des § 120 SGB VII nach den anerkannten Methoden der Norminterpretation. Zudem seien auch Prüfungsbefugnisse, die dem Bundesrechnungshof – wie durch § 112 Abs. 1 Satz 1, § 111 Abs. 1 BHO – auf der Grundlage des Art. 114 Abs. 2 Satz 4 (Satz 3 a.F.) GG einfach-gesetzlich eingeräumt worden seien, durch das verfassungsrechtliche Leitbild des Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG überformt, demzufolge eine möglichst lückenlose, gegenwartsnahe sowie wirksame Finanzkontrolle stattfinden müsse und prüfungsfreie Räume zu vermeiden seien. Die Prüfungsbefugnis des Bundesrechnungshofs aus § 112 Abs. 1 Satz 1, § 111 Abs. 1 BHO werde nicht durch den Sozialdatenschutz der bei der Klägerin Versicherten eingeschränkt. Die Übermittlung auch von nicht anonymisierten Sozialdaten durch einen Sozialversicherungsträger an den Bundesrechnungshof sei – mit einer Ausnahme allenfalls in dem hier nicht gegebenen Fall offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit – nach § 67b Abs. 1 Satz 3, § 69 Abs. 5, § 76 Abs. 2 Nr. 2 SGB X gerechtfertigt. Hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser Vorschriften mit Verfassungs- und Unionsrecht bestünden keine Bedenken.
5
Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil stattgegeben und die Prüfungsanordnung vom 19. März 2018 aufgehoben. Es hat eine Befugnis des Bundesrechnungshofs für eine Prüfung der Klägerin aus § 112 Abs. 1 Satz 1, § 111 Abs. 1 BHO und § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG verneint. Eine die Prüfung eines bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträgers erlaubende gesetzlich begründete Garantieverpflichtung des Bundes im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und des § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG sei nur im Fall einer nicht ausschließlich vom Willen des Bundesgesetzgebers abhängigen, unter bestimmten Voraussetzungen – dem Garantiefall – rechtlich bindend eintretenden Leistungsverpflichtung gegeben. Eine solche enthalte die Vorschrift des § 120 SGB VII – soweit hier für die Bundesebene von Belang – nicht. Der in ihr umschriebene Übergang von Pflichten (und Rechten) hänge – abweichend von der Ausgestaltung ihrer rechtshistorischen Vorgängernormen – ausschließlich von der Entscheidung des (Bundes-)Gesetzgebers ab, einen (bundesunmittelbaren) Unfallversicherungsträger aufzulösen. Zudem könne der Bundesgesetzgeber im Zusammenhang mit einer von ihm getroffenen Auflösungsentscheidung von den in § 120 SGB VII vorgesehenen Rechtsfolgen abweichen. Obwohl sich in der amtlichen Überschrift des § 120 SGB VII der Begriff der Bundesgarantie finde, ändere dies nichts daran, dass die Norm keine rechtlich bindenden Einstandspflichten begründe, sondern allenfalls der ohnehin – auch in finanzieller Hinsicht – bestehenden Verantwortung des Bundes für die bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts in Bezug auf die bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträger deklaratorisch Ausdruck verleihe. Den aus Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG hergeleiteten, in § 111 Abs. 1 BHO für bundesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts umgesetzten Grundsatz der Lückenlosigkeit der Finanzkontrolle habe der Bundesgesetzgeber in § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO im Einklang mit § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG für bundesunmittelbare Sozialversicherungsträger durchbrochen. Auf die von dem Verwaltungsgericht nicht für durchgreifend erachteten, im Berufungsverfahren aufrecht erhaltenen weiteren Einwände der Klägerin gegen die Prüfungsanordnung ist es für die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht angekommen.
6
Die Beklagte erstrebt mit ihrer von dem Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils: Nach dem Schutzzweck des Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG stehe dem Bundesrechnungshof bereits verfassungsunmittelbar eine Prüfungsbefugnis auch für die mittelbare Bundesverwaltung zu, soweit deren Finanzgebaren Auswirkungen auf die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes haben könne. Die auf der Grundlage von Art. 114 Abs. 2 Satz 4 (Satz 3 a.F.) GG erlassenen einfach-gesetzlichen Bestimmungen der §§ 111 und 112 BHO, die ebenso wie die Vorschrift des § 55 Abs. 1 HGrG eine Prüfungsbefugnis des Bundesrechnungshofs für die mittelbare Bundesverwaltung regelten, konkretisierten lediglich das auch insoweit bestehende verfassungsunmittelbare Prüfungsrecht des Bundesrechnungshofs und seien schon deshalb entsprechend dem Grundsatz einer möglichst lückenlosen externen Finanzkontrolle auszulegen und anzuwenden. Jedenfalls komme dieser Grundsatz für die genannten Normen über das verfassungsrechtliche Leitbild des Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG zum Tragen. Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund sei der in § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG enthaltene Begriff der gesetzlich begründeten Garantieverpflichtung des Bundes weit auszulegen. Er umfasse alle auf der Grundlage eines formellen Gesetzes möglicherweise eintretenden Einstandspflichten des Bundes für Verbindlichkeiten eines Sozialversicherungsträgers. Insbesondere sei die Voraussetzung der gesetzlichen Begründung der Einstandspflicht entgegen der Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts auch dann gegeben, wenn der Gesetzgeber den nach der geltenden Gesetzeslage möglichen Haftungseintritt durch legislatives Handeln vermeiden könne. Dergleichen liege im Wesen einer gesetzlich begründeten Garantieverpflichtung. Ohnedies stelle § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO nach der Systematik und dem Zweck des Gesetzes die eng auszulegende Ausnahme von der Regel des § 111 Abs. 1 BHO dar. Nach diesen Maßstäben stelle § 120 SGB VII eine gesetzlich begründete Garantieverpflichtung des Bundes im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO und des § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG dar. Die Vorschrift begründe konstitutiv die Möglichkeit, dass im Rahmen der von ihr für den Fall der Auflösung eines bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers vorgesehenen Rechtsnachfolge des Bundes Mittel aus dem Bundeshaushalt für Verbindlichkeiten aufgewendet werden müssten, die aus der Tätigkeit des aufgelösten Trägers entstanden seien. Diese de lege lata mögliche Einstandspflicht des Bundes im Rahmen der Rechtsnachfolge sei für die Annahme einer Garantieverpflichtung entscheidend. Dementsprechend seien die rechtshistorischen Vorgängernormen des § 120 SGB VII durchweg vor allem als Garantieregelungen verstanden worden. Die Rechtsnachfolgeregelung des § 120 SGB VII setze keine in Widerspruch zu Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG stehende Tätigkeit der bundesunmittelbaren Verwaltung als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung voraus. Bei der Erfüllung von Verpflichtungen eines solchen Trägers gegenüber Dritten und den bei ihm Versicherten könne der Bund nach der Auflösungsentscheidung jenseits der die Tätigkeit eines Sozialversicherungsträgers kennzeichnenden Strukturmerkmale agieren. Das nach alledem unter Verletzung von Bundesrecht ergangene Berufungsurteil erweise sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig. Die Prüfungsanordnung vom 19. März 2018 sei nach den überzeugenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts insgesamt in formell und materiell rechtmäßiger Weise erlassen worden.
7
Die Klägerin begehrt die Zurückweisung der Revision: Die Befugnisse zur Prüfung der mittelbaren Bundesverwaltung seien nicht im Sinne des Leitbilds einer lückenlosen Finanzkontrolle verfassungsrechtlich überformt. Der entsprechende Grundsatz sei in Bezug auf die mittelbare Bundesverwaltung gesetzesmediatisiert. Er könne erst zum Tragen kommen, nachdem eine Aufgabenzuweisung an den Bundesrechnungshof durch eine autonome Auslegung des einfachen Rechts festgestellt worden sei. Die bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger unterlägen der durch § 111 Abs. 1 BHO für die bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorgesehenen Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung durch den Bundesrechnungshof nur unter den engen Voraussetzungen des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO, der § 55 Abs. 1 Satz 1 HGrG nachgebildet sei. Nach dem Wortlaut, der Systematik sowie dem Sinn und Zweck des Gesetzes bestünden die Merkmale, die eine Garantieverpflichtung des Bundes als Voraussetzung für eine Prüfungsbefugnis des Bundesrechnungshofs aus § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO kennzeichneten, in folgenden drei Maßgaben: Erstens der Möglichkeit finanzwirksamer Leistungen des Bundes, also einer möglichen Belastung des Bundeshaushalts, zweitens der Begünstigung eines Sozialversicherungsträgers als Kehrseite der Belastung des Bundes im Sinne einer Pflicht des Bundes zur Zahlung an einen Sozialversicherungsträger im Garantiefall sowie drittens der durch Bundesgesetz unmittelbar begründeten Zahlungspflicht des Bundes, das heißt des Feststehens dieser Pflicht qua Gesetzes bei Eintritt des Garantiefalls. Die Vorschrift des § 120 SGB VII genüge keiner dieser Maßgaben. Dass die dritte Maßgabe nicht erfüllt sei, habe das Oberverwaltungsgericht zutreffend erkannt. Da es im Fall der von § 120 SGB VII vorausgesetzten Auflösung eines Unfallversicherungsträgers diesen als einen solchen Träger, an den der Bund Zahlungen leisten könne, nicht mehr gebe, scheide auch eine Erfüllung der zweiten Maßgabe aus. Eine potentielle Belastung des Bundeshaushalts im Sinne der ersten Maßgabe könne sich aus § 120 SGB VII jedenfalls deshalb nicht ergeben, weil entgegen dem irreführenden Wortlaut der Vorschrift die (Rechte und) Pflichten eines aufgelösten Unfallversicherungsträgers von Verfassungs wegen nicht auf den Bund übergehen dürften. Während die Vorgängernormen des § 120 SGB VII aus vorkonstitutioneller Zeit die Gesamtrechtsnachfolge des Reiches in Rechte und Pflichten eines aufgelösten Unfallversicherungsträgers in Übereinstimmung mit den Reichsverfassungen von 1871 und 1919 hätten vorsehen können, sei es dem Bund nach Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG verwehrt, einen Unfallversicherungsträger in unmittelbarer Bundesverwaltung zu führen. Löse der Bund einen Unfallversicherungsträger auf, müsse er durch das Organisationsgesetz zugleich die Rechte und Pflichten – das heißt den Verwaltungs- und Vermögensbestand – des aufgelösten Trägers einem anderen Träger der mittelbaren Bundesverwaltung übertragen. Nur auf dieses Erfordernis aus Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG weise § 120 SGB VII hin.
8
Die Prüfungsanordnung vom 19. März 2018 leide ferner unabhängig davon, dass eine Prüfungsbefugnis des Bundesrechnungshofs nicht bestehe, an einer Vielzahl formeller und materieller Rechtsfehler. Sie sei formell rechtswidrig und nichtig, weil bei ihrem Erlass die Zuständigkeitsvorschriften des Bundesrechnungshofgesetzes verletzt worden seien und sie die erlassende Behörde nicht erkennen lasse. In materieller Hinsicht sei sie auf eine tatsächlich unmögliche Handlung gerichtet und infolgedessen nichtig, weil es sozialmedizinische Begutachtungen nach dem sozialversicherungsrechtlichen Verständnis dieses für die Bezeichnung des Prüfungsgegenstands verwandten Begriffs bei der Klägerin nicht gebe. Bei einem untechnischen Verständnis des Begriffs verstoße die Anordnung gegen das Bestimmtheitsgebot und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (i.w.S.). Die Anordnung sei schließlich mit dem Sozialdatenschutz der bei der Klägerin Versicherten nach den Bestimmungen des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch unvereinbar. Sähe man dies anders, wären diese Bestimmungen in Ermangelung eines hinreichenden Schutzes des Kernbereichs privater Lebensgestaltung verfassungs- und unionsrechtswidrig.


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