Medizinrecht

Antragsgegner, Gefahrenprognose, Verwaltungsgerichte, Versammlungsfreiheit, Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, Aufschiebende Wirkung, Versammlungsveranstalter, Öffentliche Versammlungen, Bayerisches Versammlungsgesetz, Versammlungsbehörde, Versammlungsbeschränkung, Versammlungsteilnehmer, Versammlungsleiter, Versammlungsleitung, Versammlungsrecht, Versammlungsort, Prozeßbevollmächtigter, Interessenabwägung, Anfechtungsklage gegen, Streitwertfestsetzung

Aktenzeichen  M 13 S 21.900

Datum:
20.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3503
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVersG Art. 15 Abs. 1
BayIfSMV § 7 11.

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen Ziffer 1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 19. Februar 2021 wird mit der Maßgabe angeordnet, dass der Antragsteller eine sich fortbewegende Versammlung mit maximal 50 Teilnehmern mit Startpunkt Königsplatz über das Siegestor bis zum Endpunkt Marienplatz durchführen darf, deren Teilnehmer sich ausschließlich aus den für die anschließende Kundgebung vorgesehenen Ordnern rekrutieren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen Beschränkungen einer Versammlung im Stadtgebiet der Landeshauptstadt München.
Mit Email vom 26. Januar 2021 zeigte der Antragsteller für den … 2021 eine Demonstration mit einer Teilnehmerzahl von 500 Personen an. Der Demonstrationszug solle um ca. 18 Uhr bis 19.30 Uhr/20.00 Uhr vom Odeonsplatz bis zum Geschwister Scholl Platz führen, anschließend solle von 19.30 Uhr/20.00 bis 22 Uhr eine Kundgebung stattfinden.
Mit weiterem Email vom 15. Februar 2021 änderte er seine Anmeldung. Es solle ein Aufzug von 16 bis 18 Uhr vom Karlsplatz/Stachus zum Siegestor und dann zum Marienplatz stattfinden. Geschätzte Teilnehmerzahl des Demonstrationszuges seien 350 Personen. Das Motto laute: „Wir gehen auf die Straße gegen die Privatisierung von Staatsschulden durch den europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) im Falle eines coronabedingten Staatsbankrotts Deutschlands“. Es werde auf einen Demonstrationszug vom … 2021 verwiesen, welchen er als Vertreter der Anmelder geleitet habe und der ohne relevante Vorkommnisse durchgeführt worden sei. Anschließend sei eine Schlusskundgebung mit 500 Personen auf dem Marienplatz geplant mit dem Motto: „Herr Söder: Wir wollen Antworten: Warum prüfen Sie erst jetzt die Zulassung von Impfstoffen aus Russland? Wie stehen Sie zur Schließung von Krankenhäusern während der Pandemie? Warum sprechen Sie sich für (nutzlose) Lockdowns aus, von denen die WHO abrät? Warum gelingt es Ihnen nicht, die Risikogruppen in Alten- und Pflegeheimen besser zu schützen?“
Mit Bescheid vom 19. Februar 2021 bestätigte die Antragsgegnerin die Versammlungsanzeige des Antragstellers, beschränkte die Versammlung jedoch in mehrfacher Hinsicht. Die geplante sich fortbewegende Versammlung wurde untersagt (Ziffer 1). Die Teilnehmerzahl der als Abschlusskundgebung angezeigten Kundgebung am Marienplatz wurde auf 350 Teilnehmer*innen beschränkt (Ziffer 2).
Zur Begründung wurde ausgeführt, im Stadtgebiet München gebe es zum Zeitpunkt der Entscheidung über 53.170 SARS-CoV-2-Kranke sowie eine hohe Anzahl von Ansteckungsverdächtigen. Die Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie dürfe nicht durch die Zulassung von Demonstrationen gefährdet werden, die zu einer Ausbreitung des Virus beitragen könnten. Die Versammlungsfreiheit könne zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) eingeschränkt werden. Im Moment sei nach einem spürbaren Rückgang der 7-Tages-Inzidenz von gestern 28,5 auf 29,3 wieder ein Anstieg zu verzeichnen. Das zeige, dass der zuletzt vermeintlich rückläufige Trend, was die Neuinfektionen betreffe, keinesfalls stabil sei. Im Hinblick auf den regelmäßig zu beobachtenden überregionalen Teilnehmerzustrom sei in Verbindung mit den Virus-Mutanten größte Vorsicht geboten. Hinsichtlich einer erhöhten Übertragbarkeit der Virus-Mutanten bestehe grundsätzlich die Möglichkeit einer Verschlimmerung der Lage.
Bei der versammlungsrechtlichen Gefahrenprognose dürften Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indiz für das Vorliegen einer Gefahr herangezogen werden, soweit diese bezüglich Motto, Ort, Datum oder Teilnehmer- und Organisatorenkreis Ähnlichkeiten zur geplanten Versammlung aufwiesen. Die geplante Versammlung sei aufgrund des Teilnehmerkreises und der Zugehörigkeit der Organisatoren zum „harten Kern“ der Bewegung ersichtlich der sog. Querdenker-Szene zuzuordnen. Daher seien Erfahrungen aus vergleichbaren Versammlungen zu berücksichtigen. Zuletzt sei es bei der Versammlung des Antragstellers am 31. Januar 2021 zu fortlaufenden Verstößen gegen die Masken- und Abstandspflicht gekommen. Die eingesetzten Ordner seien zwar bemüht gewesen, die gesetzlichen Bestimmungen durchzusetzen, dennoch habe die Polizei vielfach auf die Einhaltung von Infektionsschutzregeln hinwirken müssen. Insgesamt habe es 23 Anzeigen wegen Verstößen gegen die Verpflichtung gegeben, während der Versammlung eine Maske zu tragen.
Im Rahmen der Ortsbegehung der Versammlungsbehörde am 7. Februar 2021 habe sich gezeigt, dass selbst Ordner die Masken nicht enganliegend oder unter der Nase und damit unsachgemäß getragen hätten. Dadurch würden die Teilnehmer*innen darin bestärkt, es den Ordner*innen gleich zu tun. Es bleibe zu erwarten, dass viele Teilnehmer*innen die Masken insbesondere nur unter dem Eindruck des hohen Polizeiaufgebots tragen. Gleichzeitig habe die Versammlungsbehörde am 7. Februar 2021 durch eigene Beobachtungen feststellen müssen, dass Ordner*innen bewusst Teilnehmer*innen ohne Maske nicht angesprochen hätten. Es sei eine merkliche Schubwirkung Richtung Bühne entstanden. Am 14. Februar 2021 habe in Aschaffenburg eine verbeschiedene sich fortbewegende Versammlung stattgefunden. Es seien 200 Teilnehmer angezeigt worden, aber 280 gekommen, davon ca. 20 bis 25 Kinder.
Die Versammlung sei nicht vom Antragsteller angezeigt worden. Dieser sei erst später hinzugekommen. Im Zusammenhang mit der Versammlung sei es zu einer Sicherstellung, fünf Identitätsfeststellungen und fünf Ordnungswidrigkeiten gekommen. Der polizeiliche Verlaufsbericht erwähne nicht, dass der hiesige Veranstalter die Versammlung geleitet habe, sondern beziehe sich hinsichtlich der Versammlungsleitung auf die Veranstalterin.
Vor diesem Hintergrund sei die Untersagung des geplanten Demonstrationszuges erforderlich. Es müsse damit gerechnet werden, dass der zu erwartende Teilnehmerkreis im Rahmen eines dynamischen Geschehens während eines Aufzugs gegen Infektionsregeln verstoße. Das zeigten u.a. die Vorkommnisse am 3. Januar 2021 in Nürnberg und am 17. Januar 2021 in Fürth.
Die Erfahrungen aus der Vergangenheit und das Vorverhalten des Antragstellers ließen nicht darauf schließen, dass er gewillt und in der Lage sei, ein sich fortbewegendes Geschehen sicher zu steuern. Eine sich fortbewegende Versammlung benötige ein eingespieltes und geschultes Ordnerteam, das er nicht habe nachweisen können. Bei den stationären Versammlungen am … 2021 sei es trotz des Ordnereinsatzes und Einschreitens der Polizei zu fortlaufenden Verstößen gegen die Masken- und Abstandspflicht gekommen. Auch bei einer weitaus geringeren Anzahl von Teilnehmenden als 350 sei eine sich fortbewegende Versammlung nicht vertretbar. Eine sich fortbewegende Versammlung liege jenseits der Regelvermutung des Verordnungsgebers. Es sei auszuschließen, dass bei einer öffentlichen Versammlung etwaige Infektionsketten nachvollzogen werden könnten. Der Verordnungsgeber habe nur ortsfeste Versammlungen privilegiert. Eine Abweichung sei nur gerechtfertigt, wenn der Antragsteller weitreichende Vorkehrungen zum Infektionsschutz treffe, was nicht erkennbar sei. Die Versammlung am 14. Februar 2021 in Aschaffenburg habe gezeigt, dass es zu den typischen Stauungen gekommen sei. Da ein Publikum mit Kindern teilgenommen habe, sei eine emotional aufgeheizte Stimmung abgemildert gewesen.
Die gewünschte Versammlungsfläche auf dem Marienplatz lasse keine höhere Teilnehmerzahl zu. Der innerstädtische Charakter falle ins Gewicht, an dem vielfältige Nutzungsinteressen vorlägen und eine Vermischung mit den Passant*innen oder Anwohner*innen zu besorgen sei. Der Platz sei einer der zentralsten Plätze Münchens und ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Die Altstadtzone werde – als die in NichtPandemiezeiten am meisten frequentierte Europas – trotz Lockdown rege von Passanten frequentiert. Er weise auch viele Hindernisse wie Pflanzentröge, Sitzgruppen, Brunnen usw. auf.
Am 20. Februar 2021 hat der Antragsteller Anfechtungsklage erhoben und einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den streitgegenständlichen Bescheid bezüglich der Auflagen 1 und 2 anzuordnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, sollten einzelne Verstöße erfolgen, könne die Polizei für eine Ahndung sorgen. Ob reine Anzeigeaufnahmen zu einem Verstoß führten, sei zum jetzigen Zeitpunkt unklar. Der Antragsteller berufe sich auf Art. 8 GG und Art. 12 der Charta der Grundrechte der EU. Ob eine unmittelbare Gefahr vorliege, müsse die Antraggegnerin beweisen. Es mögen Quellen mitgeteilt werden, die belegten, dass Versammlungen in irgendeiner Weise im Jahr 2020 und 2021 zum Infektionsgeschehen beigetragen hätten. Im Freien sei das Infektionsrisiko gering. Dem Antragsteller sei im Rahmen der Anhörung mitgeteilt worden, dass ein Teil der Zielsetzung der Veranstaltung das Einhalten von übergroßen Abständen sei. Dennoch werde unterstellt, dass bei der Versammlung Abstände nicht eingehalten würden. § 28a IfSG sei aufgrund des niedrigen Inzidenzwertes in München keine taugliche Rechtsgrundlage. Die Anordnung der folgenden Schutzmaßnahmen seien nur zulässig, soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 erheblich gefährdet wäre. Unterhalb des Schwellenwertes von 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen kämen insbesondere Schutzmaßnahmen in Betracht, die die Kontrolle des Infektionsschutzgeschehens unterstützten. Der Wert liege in München bei 28,5. Daher könne eine komplette Untersagung nicht durch § 28a IfSG gerechtfertigt werden. Es gäbe auch mildere Mittel z. B. eine Demonstration nur mit Ordnern, nur intern beworbene Demonstration im kleinen Kreis, Teilnehmerbeschränkung für den Demonstrationszug, Demonstration zur Nachtzeit. Es werde auf die Demonstration am 15. Februar 2021 in Aschaffenburg verwiesen. Das Problem dort sei gewesen, dass die Abstände zum Teil zu groß gewesen seien. Deshalb seien die Teilnehmer aufgefordert worden, aufzuschließen. Die Antragsgegnerin habe entschieden, dass ein Demonstrationszug erst dann wieder genehmigt werden könne, wenn ein Zug gezeigt habe, dass sich die Teilnehmer an die Regeln halten. Dies sei ein Zirkelschluss. Auf dem Marienplatz könnten 800 Teilnehmer Platz finden, zumindest aber 500. Das Konzept habe einen Ordner für 9 Teilnehmer vorgesehen. Die Demonstration am 7. Februar 2021 sei störungsfrei verlaufen. Der Antragsteller sei nicht für Herrn … verantwortlich. Die Gefahrenprognose des Gesundheitsreferates sei unzutreffend. Die Antragsgegnerin argumentiere, dass Demonstrationen gar nicht zugelassen werden dürften, lasse aber selbst eine zu. Hinsichtlich der Demonstration vom … 2021 wurde vorgetragen, die Polizei hätte ihm mitteilen können, dass Masken falsch getragen worden seien. Er habe auf die Abstände und die Maskenpflicht hingewiesen, was Hundertschaften der Polizei belegen könnten. Die Schubwirkung zur Bühne sei erfunden. Die Antragsgegnerin hätte als milderes Mittel die Teilnehmerzahl der sich fortbewegenden Versammlung beschränken können. Eine reine Ordnerdemo sei keine Karikatur, der Antragsteller wolle herausfinden, bei welch geringer Anzahl und unter welchen Voraussetzungen es in der Landeshauptstadt gestattet sei, sich mit einer Menschenmenge zu bewegen. Das Konzept werde ergänzt, maximal 50 Ordner bei 4m Abstand. Die Antragsgegnerin möge darauf erwidern. Hiermit solle belegt werden, dass die Ordner sich an die Auflagen halten könnten. Es liege ein Hygienekonzept vor, werde aber ignoriert. Es wurde ein Überblick über die COVID-19 Lage (Stand 27.1.21, 7.00 Uhr) beigefügt. Der Antragsteller ergänzte seine Ausführungen mit einem E-Mail (vom 20.2.2021 um 14:04 Uhr) zur Ansteckungswahrscheinlichkeit unter freiem Himmel.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Mit Schriftsatz vom 20. Februar 2021 führt sie aus, der Inzidenzwert liege heute auf 30,7. Es sei mitnichten ein stabiler Abwärtstrend zu verzeichnen. Die Anzahl der erfolgten Anzeigeerstattungen sei genauso wenig aussagekräftig wie spätere Sanktionen im Rahmen von OWi-Verfahren. Entscheidungsgrundlage seien Gefahrenprognosen. Die Vorerfahrungen mit dem Teilnehmerkreis sei zu berücksichtigen. Eine Studie habe ergeben, dass Versammlungen zum Infektionsgeschehen beigetragen hätten (http://ftp.zew.de/pub/zew-docs/dp/dp21009.pdf). Bei vergangenen Versammlungen seien es zum Teil zu erheblichen Verstößen gekommen. Diese stützten die Gefahrenprognose. Der Teilnehmerkreis in Aschaffenburg sei nicht mit dem in München vergleichbar. Es seien zwei Mitarbeiterinnen auf der Versammlung am … 2021 gewesen, die beobachtet hätten, dass Abstände vor der Bühne nicht eingehalten worden seien, die sich auch nach Durchsage (nach Aufforderung der Polizei) nicht aufgelöst hätten. Der Antragsteller sei ohne Einwirkungen der Polizei nicht in der Lage, eine nur stationäre Versammlung infektionsschutzrechtlich vertretbar auszugestalten. Das Verbot der sich fortbewegenden Versammlung stütze sich auf § 28a Abs. 3 Satz 10 IfSG, wonach bei einer landesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen landesweit abgestimmte umfassende auf eine effektive Eindämmung abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben seien. In Bayern liege die Inzidenz bei 55,84. Im Rahmen der Kooperation habe der Antragsteller eine Ordnerdemo als eine unter mehreren Alternativen genannt, ohne diese eingehend zu beschreiben. Im einstweiligen Rechtschutzverfahren sei es nicht mehr möglich, das jetzt vorgeschlagene Konzept unter Einbindung aller zu beteiligenden Sicherheitsbehörden abzustimmen. Unter Nicht-Pandemie-Bedingungen fasse der Marienplatz weit mehr als 350 Personen. Die Festlegung auf 350 Personen sei unter Berücksichtigung der Gefahrenprognose des Gesundheitsreferates erfolgt.
Im Übrigen verweist die Antragsgegnerin auf den streitgegenständlichen Bescheid und die Behördenakten.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die angegriffenen Beschränkungen der Versammlung des Antragstellers ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er führt in der Sache teilweise zum Erfolg.
1. Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist eine Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Suspensivinteresse am Eintritt der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs vorzunehmen. Nach herrschender Meinung trifft das Gericht dabei eine eigene Ermessensentscheidung, für die in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs maßgeblich sind. Nach allgemeiner Meinung besteht an der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich erfolgreich sein, weil die Klage zulässig und begründet ist, so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Bei offener Erfolgsprognose ist eine Interessenabwägung durchzuführen. Dem Charakter des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht dabei in der Regel eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. Gersdorf, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2019, § 80 Rn. 176). Zum Schutz von Versammlungen ist indes schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt (BVerfG, B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 18 m.w.N.).
2. Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen. Geschützt ist insbesondere die Selbstbestimmung über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt einer Versammlung (vgl. BVerfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 34/81 – NJW 1985, 2395). Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, wobei solche Beschränkungen im Lichte der grundlegenden Bedeutung des Versammlungsgrundrechts auszulegen sind. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind daher nur zum Schutz gleichrangiger anderer Rechtsgüter und unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. BVerfG, B.v. 21.11.2020 – 1 BvQ 135/20 – juris Rn. 6).
3. Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Mit der Aufnahme von Versammlungsbeschränkungen in den Katalog möglicher Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) gemäß § 28a Abs. 1 IfSG hat der Gesetzgeber die Wertung vorweggenommen, dass solche Beschränkungen grundsätzlich geeignet sind, Gefahren für die Gesundheit und das Leben Einzelner zu begegnen und einer Überlastung des Gesundheitssystems entgegenzuwirken (vgl. § 28 Abs. 3 Satz 1 IfSG; BayVGH, B.v. 31.1.2021 – 10 CS 21.323 – Rn. 17 ff.). Auf dieser Grundlage bestimmt § 7 Abs. 1 der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) vom 15. Dezember 2020 für öffentliche Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes unter anderem einen Mindestabstand von 1,5 m zwischen allen Teilnehmern (Satz 1) sowie die Pflicht der nach Art. 24 Abs. 2 BayVersG zuständigen Behörde, soweit im Einzelfall erforderlich durch entsprechende Beschränkungen nach Art. 15 BayVersG sicherzustellen, dass die Bestimmungen nach Satz 1 eingehalten werden und die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auch im Übrigen auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt bleiben; davon ist in der Regel auszugehen, wenn die Versammlung nicht mehr als 200 Teilnehmer hat und ortsfest stattfindet (Satz 2).
Diese Bestimmung konkretisiert auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 1 BayVersG im Hinblick auf die Zielsetzungen des § 28a IfSG. Von ihr kann entgegen der Auffassung des Antragsgegners trotz der unter dem Schwellenwert 35 liegenden 7-Tages-Inzidenz neuer COVID-19-Fälle im Stadtgebiet der Landeshauptstadt München weiterhin Gebrauch gemacht werden. Zwar sieht § 28a Abs. 3 IfSG drei unterschiedliche Inzidenzbereiche (über 50, über 35 und unter 35) vor, die zu abgestuften Einschränkungen ermächtigen. Bei weniger als 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen sollen grundsätzlich keine umfassenden oder breit angelegten Schutzmaßnahmen ergriffen werden (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 15.2.2021 – 13 MN 44/21 – Rn. 28). Der Antragsteller übersieht indes, dass bei der nach wie vor gegebenen landesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen landesweit abgestimmte Schutzmaßnahmen ausdrücklich zulässig und sogar „anzustreben“ sind (§ 28 Abs. 3 Satz 10 IfSG). Keiner Entscheidung bedarf im vorliegenden Verfahren daher die Frage, welcher Eingriffsstufe Beschränkungen der Versammlungsfreiheit im abgestuften Konzept des § 28a Abs. 3 IfSG zuzuordnen wären.
4. Hieran gemessen überwiegt im Hinblick auf die unter Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides verfügte Untersagung des sich fortbewegenden Teils der Versammlung das private Suspensivinteresse am Eintritt der aufschiebenden Wirkung, da eine Hauptsacheklage voraussichtlich erfolgreich wäre (a). Hingegen überwiegen die öffentlichen Interessen an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen versammlungsrechtlichen Beschränkungen in Bezug auf die in Ziffer 2 verfügte Reduzierung der Teilnehmerzahl; eine in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage hat insoweit voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg (b).
a) Die Untersagung der Durchführung der sich fortbewegenden Versammlung (Ziffer 1) erweist sich nach summarischer Prüfung voraussichtlich als rechtswidrig.
aa) Die Versammlungsbehörde hat zwar überzeugend begründet, dass bei der Durchführung einer sich fortbewegenden Versammlung mit der angezeigten Teilnehmerzahl von 350 die Mindestabstände unter den Teilnehmern nicht hinreichend sicher eingehalten werden könnten. Bei dieser Teilnehmerzahl ist unter Berücksichtigung der Erfahrungen mit vergleichbaren Versammlungen nicht zu erwarten, dass Mindestabstände zuverlässig gewahrt werden. Die vorgesehenen 350 Teilnehmer würden zu einem dynamischen, sich über hunderte Meter erstreckenden Geschehen führen, das weder durch den Versammlungsleiter noch die den Aufzug begleitenden Polizeikräfte effektiv beherrscht werden könnte (vgl. BayVGH, B.v. 31.1.2021 – 10 CS 21.323 – Rn. 27 m.w.N.). Die – soweit ersichtlich – weitgehend störungsfrei verlaufene Versammlung in Aschaffenburg am 14. Februar 2021 stellt diese Gefahrenprognose für sich genommen (noch) nicht durchgreifend in Frage. Trotz der thematischen Gemeinsamkeiten dürfte sich der zumindest der Zuschnitt des zu einem erheblichen Teil aus Familien mit Kindern bestehenden Teilnehmerkreises dort nennenswert von der nunmehr in München geplanten Versammlung unterschieden haben. Darüber hinaus ist unklar, ob der Antragsteller bei dieser Versammlung in organisatorischer Hinsicht mitgewirkt hat oder nur als Teilnehmer und unterstützender Versammlungsleiter vor Ort war. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin die Erfahrungen aus zahlreichen anderen Versammlungskonstellationen unter Beteiligung des Antragstellers in ihrer Summe höher gewichtet hat.
bb) Nicht zu rechtfertigen dürfte jedoch sein, dass die Durchführung eines Aufzugs vollständig untersagt wurde.
Ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit ist nur ermessengerecht, wenn er auch verhältnismäßig, d.h. geeignet, erforderlich und angemessen ist. Unter mehreren gleichermaßen zur Zweckerreichung geeigneten Maßnahmen hat die Versammlungsbehörde diejenige zu wählen, die am schonendsten ist und der Versammlungsfreiheit am besten Rechnung trägt. Der Betroffene ist berechtigt, der Versammlungsbehörde eine für ihn schonendere Maßnahme anzubieten, wenn dadurch der Zweck in gleicher Weise erreicht werden kann (vgl. Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 1. Aufl. 2016, § 15 Rn. 34).
Dass die Durchführung der vom Antragsgegner als schonenderen Eingriff vorgeschlagenen nicht öffentlich beworbenen „Ordnerversammlung“ mit maximal 50 Teilnehmern mit hoher Wahrscheinlichkeit infektionsschutzrechtlich unvertretbar wäre, ist nicht ersichtlich. Bei einer Versammlung dieser übersichtlichen Größenordnung ist trotz des dynamischen Charakters eines Demonstrationszuges nicht anzunehmen, dass es zu ständigen Stockungen, Beschleunigungen und Verschiebungen käme, durch die die Einhaltung von Mindestabständen nicht mehr möglich wäre. Nach den weitgehend störungsfrei verlaufenen Versammlungen am 31. Januar und am 7. Februar 2021 in München, bei denen die Polizei offenbar jeweils keine Veranlassung sah, die Kundgebungen aus Gründen des Infektionsschutzes aufzulösen oder zu unterbrechen (vgl. zur Versammlung am 31. Januar 2021 bereits VG München, B.v. 6.2.2021 – M 13 S 21.649 – Rn. 36), kann auch nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass die infektionsschutzrechtlich vertretbare Durchführung eines solchen Aufzugs an der fehlenden Bereitschaft der Teilnehmer scheitern müsste, sich ohne entsprechenden polizeilichen Kontrolldruck um die Einhaltung der Vorgaben zu bemühen. Dass die zu erwartende Polizeipräsenz im Rahmen eines solchen Aufzugs in ihrer Wirksamkeit so stark beeinträchtigt wäre, dass das Versammlungsgeschehen einen unbeherrschbaren Verlauf nehmen würde und es zu systematischen Missachtungen von Infektionsschutzbestimmungen käme, ist jedenfalls nicht so wahrscheinlich, dass von einer unmittelbaren Gefahr für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit ausgegangen werden könnte.
Ohne Erfolg beruft sich die Antragstellerin darauf, dass der im Eilverfahren vorgetragene Vorschlag eines Aufzugs mit nur 50, aus den Ordnern der Versammlung bestehenden Teilnehmern, die Rechtmäßigkeit der Untersagung des Demonstrationszugs nicht beeinflussen könne, da er verspätet sei. Dass die Beschränkung des sich fortbewegenden Teils der Versammlung auf die vorgesehenen Ordner als milderes Mittel in Betracht gezogen werden solle, hat der Antragsteller nämlich bereits im Verwaltungsverfahren vorgeschlagen. Das entsprechende Vorbringen wurde durch die Antragsgegnerin sogar ausdrücklich beschieden (S. 40 des Bescheides). Der Einwand der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller seinen Alternativvorschlag nicht eingehend genug beschrieben habe, überzeugt nicht. Denn die Verantwortung für Überlegungen zur Minimierung von Infektionsrisiken trifft nicht nur den Veranstalter. Vor dem Erlass einer Beschränkung der Versammlungsfreiheit muss sich auch die zuständige Behörde um eine kooperative, einvernehmliche Lösung mit dem Versammlungsveranstalter bemühen (vgl. BVerfG, B.v. 17.4.2020 – 1 BvQ 37/20 – juris Rn. 28). Ein grundsätzlich tragfähiger Alternativvorschlag zur Herstellung der infektionsschutzrechtlichen Vertretbarkeit darf nicht allein deshalb außer Acht gelassen werden, weil er aus Sicht der Versammlungsbehörde inhaltlich noch ergänzt werden müsste.
cc) Die Maßgabe der Kammer zur Aufzugsroute beruht auf einer entsprechenden Auskunft der Antragsgegnerin, wonach ein Beginn des Demonstrationszuges am Karlsplatz wegen anderweitiger Belegung nicht möglich ist. Der Antragsteller erklärte sich auf telefonische Nachfrage mit einem Beginn am Königsplatz einverstanden.
b) Die Beschränkung der Gesamtteilnehmerzahl der stationären Versammlung auf maximal 350 Personen (Ziffer 2) dürfte sich hingegen nach summarischer Prüfung als rechtmäßig erweisen.
aa) Zum Kern des Schutzbereiches des Art. 8 Abs. 1 GG gehört das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Ort und Zeit, Umstände und Inhalte seiner Versammlung. Ein wesentliches Element dieses Selbstbestimmungsrechts ist die Festlegung der Teilnehmerzahl, die mit den Wirkmöglichkeiten der Versammlung als einer Form der kollektiven Meinungskundgabe und Meinungsbildung eng zusammenhängt. Zum Gewährleistungsgehalt des Art. 8 Abs. 1 GG gehört die Freiheit, eine möglichst große Anzahl von Unterstützern für die eigene Meinung zu finden und zusammenzubringen. Daher können nur gravierende, mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende Gefahren, insbesondere für die Schutzgüter Leben und Gesundheit, zu einer Begrenzung der Teilnehmerzahl führen. Die Begrenzung muss dabei so vorgenommen werden, dass der Eingriff in die Versammlungsfreiheit so gering wie irgend möglich ausfällt (vgl. VGH Mannheim, B.v. 30.5.2020 – 1 S 1651/20 – juris Rn. 3). Bloße Verdachtsmomente reichen nicht aus; es bedarf des Nachweises begründeter Tatsachen, die eine Gefährdung absehbar erscheinen lassen (vgl. Hettich, Handbuch Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2018, Teil 4 Rn. 147). Der Eintritt des Schadens für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter muss nach den im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (vgl. Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 1. Aufl. 2016, § 15 Rn. 53).
bb) Die Antragsgegnerin hat auch bei Berücksichtigung dieser strengen Maßstäbe im Rahmen ihrer Gefahrenprognose nachvollziehbar dargelegt, dass die Durchführung der streitgegenständlichen Versammlung mit der angezeigten Zahl von 500 Teilnehmern auf dem Marienplatz infektionsschutzrechtlich nicht vertretbar ist.
Zwar ist es bei den vom Antragsteller am … 2021, … 2021 und … 2021 in München durchgeführten stationären Versammlungen und des Autokorsos zu keinen schwerwiegenden Vorfällen gekommen. Bei dem am … 2021 durchgeführten Autokorso kam es nach den polizeilichen Feststellungen zu keinerlei Verstößen, die Maskenpflicht wurde überwiegend eingehalten. Während des stationären Teils der Versammlung wurden vier Verstöße gegen die Maskentragepflicht, zwei Delikte wegen Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse, ein Platzverweis und ein Versammlungsausschluss registriert, die Versammlung wurde nach weitgehend störungsfreiem Verlauf um 22:05 Uhr beendet. Auch wenn nach den nach eigenen Beobachtungen der Antragsgegnerin vor Ort – denen der Antragsteller entgegentritt – auch Ordner die Masken teilweise unsachgemäß getragen und Teilnehmer, die keine Maske trugen, bewusst nicht angesprochen hätten und es eine Schubwirkung in Richtung Bühne gegeben hätte, ohne dass die Ordner eingeschritten seien oder der Antragsteller dies nach Aufforderung durch die Polizei habe unterbinden können (vgl. Ziffer 3.2. Buchst. o des Bescheides), so bestand offenbar keine Veranlassung, die Kundgebung deshalb aus Gründen des Infektionsschutzes aufzulösen oder zu unterbrechen. Im Übrigen wird hinsichtlich der Versammlungen vom 24. und 31. Januar 2021 auf den zwischen den Beteiligten ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 6. Februar 2021, Az. M 13 S 21.649, Rn. 36, verwiesen.
Allerdings ist nach Auffassung der Kammer maßgeblich zu berücksichtigen, dass die streitgegenständliche Versammlung nunmehr an einer anderen Örtlichkeit, nämlich dem Marienplatz, durchgeführt werden soll, die mit den Örtlichkeiten der vorgenannten Bezugsversammlungen in Streckenabschnitten der Ludwig straße bzw. Geschwister Scholl Platz/Professor Huber Platz nur bedingt vergleichbar ist. Aus diesem Grund liegt hier eine andere Sachlage zugrunde, als es bei dem zwischen den Parteien ergangenen Beschluss des Gerichts vom 6. Februar 2021 der Fall war.
Beim Marienplatz handelt es sich, wie die Antragsgegnerin zutreffend ausführt, um einen der zentralsten Plätze in München. Er ist zugleich ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt für Fußgänger und Nutzer des öffentlichen Personennahverkehrs, so dass eine Vermischung mit Passanten und/oder Anwohnern wahrscheinlich ist. Die Ausführung der Antragsgegnerin im Bescheid, dass der Marienplatz trotz des Lockdowns rege von Passanten frequentiert wird, ist aus Sicht der Kammer trotz geschlossener Geschäfte nachvollziehbar, zumal für den morgigen Sonntag schönes Wetter prognostiziert wird (https://www.wetteronline.de/wetter/muenchen). Auch nach der polizeilichen Stellungnahme ist im Bereich Universitätsviertel und der Altstadt auch während der derzeit geltenden Ausgangsbeschränkung mit einem erhöhten Personenaufkommen zu rechnen. Im Übrigen ist es unabhängig davon schon aufgrund der zentralen Lage der U/S-Bahn-Zugänge zu erwarten, dass (unbeteiligte) Passanten, Anwohner und Fahrgäste bei einer Querung des Marienplatzes den Versammlungsteilnehmern nicht ohne weiteres ausweichen können. Darüber hinaus ist der Marienplatz aufgrund seiner zahlreichen Zuwege, aber auch aufgrund seiner Aufbauten wie Mariensäule, Fischbrunnen und U/S-Bahn-Zugänge – im Gegensatz zu der Lage des Versammlungsortes am 7. Februar 2021 vor den Gebäuden der Universität am Geschwister Scholl Platz/Professor Huber Platz – deutlich unübersichtlicher, so dass der Zustrom weiterer Personen dort nicht ohne weiteres gesteuert werden kann und die Abgrenzung der Versammlung mittels Flatterband deutlich schwieriger ist. Auch ein etwaiges Ausweichen der Versammlungsteilnehmer zur Einhaltung des Mindestabstands bei unerwarteten Schubbewegungen wird, wie im Bescheid und in der Stellungnahme des Gesundheitsreferats ausgeführt, hierdurch erschwert. Der Antragsteller hat kein Hygienekonzept vorgelegt, in dem die Beherrschung dieser Problematik nachvollziehbar dargelegt wird. Es ist weder zu erwarten, dass dieses Defizit durch das zu erwartende Aufgebot polizeilicher Einsatzkräfte ausgeglichen werden kann, noch ist es Aufgabe der Polizei, Versammlungen durch ihr Einschreiten erst infektionsschutzrechtlich vertretbar zu machen (vgl. BayVGH, B.v. 24.01.2021 – 10 CS 21.249 – Rn. 19).
c) Eine andere Einschätzung hinsichtlich einer Reduzierung der Teilnehmerzahl sowohl im Hinblick auf den sich fortbewegenden, als auch den stationären Teil der Versammlung rechtfertigen auch die Einwände des Antragstellers gegen die dem angegriffenen Bescheid zugrundeliegende Bewertung von Infektionsrisiken im Kontext der Coronavirus-Pandemie nicht.
aa) Wie die Antragsgegnerin zutreffend ausführt, kann in München derzeit nicht von einer stabilen Infektionslage ausgegangen werden. Die 7-Tage-Inzidenz hat sich auf 30,72 am heutigen Tage erhöht (https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/infektionsschutz/infektionskrankheiten_a_z/coronavirus/karte_coronavirus/index.htm). Auch nach dem aktuellen Lagebericht des Robert-Koch-Instituts, dessen Einschätzung nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. § 4 Abs. 1 IfSG) und der gefestigten Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (vgl. BayVerfGH, E.v. 30.12.2020 – Vf. 96-VII-20 – juris Rn. 26 m.w.N.) sowie des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (vgl. BayVGH, B.v. 31.1.2021 – 10 CS 21.323 – Rn. 24 m.w.N.) im Bereich des Infektionsschutzes maßgebliches Gewicht zukommt, ist in der Bevölkerung Deutschlands nach wie vor eine hohe Anzahl von Übertragungen zu beobachten. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung sei insgesamt sehr hoch. Der Rückgang der täglichen Fallzahlen seit Mitte Januar 2021 scheine aktuell gebremst, der 7-Tage-R-Wert liege um 1, zuletzt mit wieder steigender Tendenz. Es bestehe durch das Auftreten verschiedener Virusvarianten ein erhöhtes Risiko einer erneuten Zunahme der Fallzahlen. Die anhaltende Viruszirkulation in der Bevölkerung erfordere die konsequente Umsetzung kontaktreduzierender Maßnahmen und Schutzmaßnahmen sowie massive Anstrengungen zur Eindämmung von Ausbrüchen und Infektionsketten (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Feb_2021/2021-02-20-de.pdf? blob=publicationFile).
bb) Eine weitergehende Auseinandersetzung mit epidemiologischen, statistischen und medizinischen Sachverhalten ist im Rahmen eines versammlungsrechtlichen Eilverfahrens, wie vom Gericht bereits im Beschluss vom 6. Februar 2021 ausgeführt wurde, nicht möglich. Auf den Beschluss wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (VG München, B.v. 06.02.2021 – Az. M 13 S 21.649 – Rn. 30 ff.).
cc) Aus diesem Gründen könnten die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage des Antragstellers auf der Grundlage seines Vorbringens zur epidemischen Gesamtsituation allenfalls als offen angesehen werden. Die vom Gericht vorzunehmende Interessen- bzw. Folgenabwägung ginge jedoch auch in diesem Fall zu seinen Lasten aus. Wenn die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage nicht angeordnet würde, sich aber nach Durchführung des Hauptsacheverfahrens herausstellte, dass die Reduzierung der Teilnehmerzahl bei der stationären und der sich fortbewegenden Versammlung rechtswidrig war, wäre der Antragsteller in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG verletzt. Diese Grundrechtsverletzung hätte erhebliches Gewicht. Erginge demgegenüber eine Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und würde sich später herausstellen, dass die Untersagung der Versammlung zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Erkrankung-2019 erforderlich und rechtmäßig war, wären grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Interessen einer großen Anzahl Dritter, die ebenfalls von hohem Gewicht sind, betroffen. Vor diesem Hintergrund käme ein Ausgang der Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers nur dann in Betracht, wenn hinreichend gesichert wäre, dass bei der Durchführung der Versammlung das Risiko einer Weiterverbreitung des SARS-CoV-2-Virus durch geeignete Maßnahmen wie die Einhaltung von Mindestabständen auch ohne die Reduzierung der Teilnehmerzahl hinreichend eingeschränkt werden könnte (vgl. OVG Bautzen, B.v. 11.12.2020 – 6 B 432/20 – juris Rn. 23). Dies ist hier aber, wie bereits dargelegt, nicht der Fall.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.


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