Medizinrecht

Entschädigung wegen eines Impfschadens

Aktenzeichen  S 4 VJ 3/14

Datum:
6.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
IfSG IfSG § 60 Abs. 1 Nr. 1, § 61 S. 1, § 68 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Unstimmigkeiten der ärztlichen Befundberichte über den Beginn der Beschwerden hindern den notwendigen Vollbeweis einer Impfkomplikation. (Rn. 36)
2. Zwischen einer Impfung mit FSME-immun® und dem Auftreten einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyradikuloneuropathie (CIDP) besteht kein hinreichender Zusammenhang für die Annahme eines Impfschadens. (Rn. 40)
3. Die Verursachung eines Impfschadens durch Aluminiumverbindungen oder Thiomersal entspricht nicht der herrschenden wissenschaftlichen Meinung. (Rn. 43)

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 16. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2014 wird abgewiesen
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klage ist nach § 68 Abs. 2 IfSG zutreffend zu den Sozialgerichten erhoben worden.
Richtige Klageart für das Begehren der Klägerin, ob sie durch die ihr verabreichten Impfungen einen Impfschaden erlitten und deshalb Versorgungsleistungen zu beanspruchen hat, ist die kombinierte Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage.
Die Klage ist unbegründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Zentrum Bayern Familie und Soziales Region Oberfranken – Versorgungsamt vom 16.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Zentrum Bayern Familie und Soziales – Landesversorgungsamt vom 16.05.2014, mit dem die Anerkennung eines Impfschadens und die Versorgungsleistung abgelehnt wurde.
Die dagegen erhobene Klage ist unbegründet, da die Bescheide zutreffend sind.
Zum Zeitpunkt der Impfungen im Sommer 2005 bis heute gilt das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG). Für die rechtliche Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs ist deshalb § 60 Abs. 1 Nr. 1 IfSG zugrunde zu legen. Danach erhält, wer durch eine Impfung, die durch Dritte von einer zuständigen Behörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG. „Gesundheitliche Schädigung“ ist dabei dem „Impfschaden“ im Sinne der früheren Rechtslage nach dem Bundesseuchengesetz gleichzusetzen (BSG, Urteil vom 02.10.2010, B 9/9a VJ 1/07 R, Rn. 13).
Voraussetzung ist, dass die empfohlene Impfung die Gesundheitsstörungen wahrscheinlich verursacht hat (§ 61 Satz 1 IfSG). Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Das Bundessozialgericht (Urteil vom 16.12.2014, B 9 V 6/13, Rn. 18 f.) hat bei mehreren in Betracht kommenden Ursachen betont, dass eine schädigenden Maßnahme versorgungsrechtlich wesentlich und die Schädigungsfolge der Verfolgungsmaßnahme zuzurechnen ist, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs – verglichen mit den übrigen Umstände die zum Eintritt der Schädigungsfolge beigetragen haben – annähernd gleichwertig ist. Dies ist dann der Fall, wenn die schädigende Maßnahmen in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen. Im Einzelnen bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen. Die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinne als Ursache oder mit Ursache zu gelten haben und welche nicht, ist aus der Auffassung des praktischen Lebens abzuleiten.
Die „erfolgte Schutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine – dauerhafte – gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden“ müssen dagegen im Vollbeweis feststehen (BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, Rn. 36, 38). Diese drei Tatbestandelemente müssen mit an Sicherheit grenzender, ernste vernünftige Zweifel ausschließender Sicherheit erwiesen sein (BSG, Urteil vom 19.03.1986, 9a RVi 2/84), Wahrscheinlichkeit reicht insoweit nicht aus.
Zur Beurteilung der Frage, ob eine übliche Impfreaktion oder eine Impfkomplikation vorliegt, ist das Epidemiologische Bulletin der beim Robert-Koch-Institut eingerichteten ständigen Impfkommission (STIKO) heranzuziehen. Dieses gibt den im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand wieder, soweit die eingesetzten Impfstoffe weiterhin verwendet werden (BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, Rn. 40, 42 f.).
Gemessen an diesen Grundsätzen besteht der geltend gemachte Anspruch nicht.
Allerdings kann mit hinreichender Sicherheit angenommen werden, dass eine öffentlich empfohlene Schutzimpfung vorliegt. Nach der zum Impfzeitpunkt maßgeblichen Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz vom 18.04.2002 (Nr. 3.3/8360-82/102/02, AIIMBI. 2002, S. 284) lagen Impfungen gegen Diphtherie (Nr. 1 der Bekanntmachung), Poliomyelitis (übertragbare Kinderlähmung, Nr. 4), Wundstarrkrampf (Nr. 9, Tetanus), Frühsommer-Menigoencephalitis (Nr. 10) vor. Ferner dürfen nur Impfstoffe verwendet werden, die vom Paul-Ehrlich-Institut oder von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zugelassen worden sind. Eine Chargenfreigabe ist nicht mehr erforderlich. Nach den Eintragungen im Impfausweis und der Stellungnahme von Dr. R. ist der Nachweis geführt. Damit steht fest, dass die Klägerin am 06.06.2005 mit FSME-immun(r) und Revaxis(r), am 21.06.2005 wiederum mit FSME-immun(r) sowie am 29.09.2005 mit IPV Merieux(r) und Diphtherie-Adsorbat-Impfstoff Behring für Erwachsene(r) von Dr. R. behandelt worden ist.
Außerdem ist bekannt, dass die Klägerin an einer chronischer inflammatorischen demyelinisierender Polyradikuloneuropathie (CIDP) leidet. Der Begriff Polyradikuloneuropathie betont gegenüber einer Polyneuropathie die Betroffenheit der peripheren Nerven. Zur Überzeugung des Gerichts kann aber weder eine Impfkomplikation noch die notwendige Kausalität dahingehend festgestellt werden, dass die geltend gemachte CIDP neben anderen Mitursachen zumindest mit annähernd gleichwertiger Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die Impfung zurückzuführen ist. Unter den vorgenannten rechtlichen Voraussetzungen ist bei der Klägerin ein Impfschaden nicht anzuerkennen. Die streitigen Gesundheitsstörungen der Klägerin sind nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung die Folge eines solchen.
Das Gericht gelangt zur maßgeblichen Überzeugung auf Grundlage
a) des Sachverhalts, wie er sich nach Aktenlage darstellt,
b) des Epidemiologischen Bulletin Stand: Juni 2007 (Ausgabe 25/2007, S. 215 f.),
c) des Gutachtens des Facharztes für Neurologie C. vom 11.11.2013,
d) des versorgungsärztlichen Prüfvermerks von Privatdozent Dr. K. vom 28.11.2013,
e) des versorgungsärztlichen Prüfvermerks von Dr. L. vom 23.12.2013,
f) versorgungsärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Sozialmedizin A. vom 25.04.2014,
g) des Gutachtens von Prof. Dr. J. vom 01.12.2015,
h) Gutachten von Dr. H. vom 19.08.2016 und i) der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. D. vom 17.10.2016.
1. Impfkomplikation
Die Klägerin konnte eine Impfkomplikation im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung nicht nachweisen. Die Rötung an der Stelle geht über das Ausmaß einer Impfreaktion nicht hinaus. Weiterhin sind Unstimmigkeiten über Art und Ausmaß der Komplikationen bei der Schilderung der Klägerin auszumachen. Während die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf die Karteikarte von Dr. R. verweist, der Parästhesien der linken Hand z.B. bei Carpaltunnelsyndrom am 29.09.2005 feststellt, klagt sie am 20.02.2006 über Parästhesien der Hände seit zwei bis drei Wochen.
2. wahrscheinlicher Zusammenhang
Es besteht auch kein Zusammenhang. Für den wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung muss nach der geltenden Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung auf der Fülle der Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn diejenige erheblich sein, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat.
Voraussetzung für die Anerkennung eines Impfschadens ist die Wahrscheinlichkeit zu dem im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnisstand.
Nach Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. J. ist besonders der FSME-immun(r) inkriminiert. Das Gericht geht davon aus, dass der Impfstoff FSME-immun zumindest bis 2007 ein Standardstoff zur Vorbeugung der Frühsommer-Meningoencephalitis war und deshalb von der STIKO gewürdigt wurde. Nach dem Epidemiologischen Bulletin vom Juni 2007 (Ausgabe 25/2007, S.215 f.) wurde im Einzelfall von Erkrankungen des Nervensystems berichtet (Neuritis, Polyneuritis, Guillain Barré-Syndrom, Enzephalitis). Krankheiten/Krankheitserscheinungen in ungeklärtem ursächlichem Zusammenhang mit der Impfung, die Verursachung oder die Auslösung eines akuten Schubs von Multipler Sklerose oder anderer demyelisierender Erkrankungen durch die FSME-Impfung wird bei zeitlichem Zusammentreffen gelegentlich diskutiert, es gibt außer einer Studie mit begrenzter Fallzahl jedoch keine weiteren Fakten, die einen solchen Zusammenhang annehmen lassen oder ausschließen können. Damit besteht kein hinreichender Zusammenhang. Diese Einschätzung entspricht auch dem Gerichtsgutachten von Prof. Dr. J. und der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. D., die sich das Gericht zu Eigen macht.
3. Gutachten Dr. H.
Abweichendes ergibt sich nicht aus dem Gutachten von Dr. H.. Dieser hat der Klägerin eine akute Erkrankung des Nervensystems zugeordnet, die ersichtlich bei der Klägerin nicht vorliegt. Dr. D. hat zutreffend von einem unzulässigen Analogieschluss gesprochen, wie sich auch aus Epidemiologischen Bulletin vom Juni 2007 ergibt. Dr. H. hat auch keine exakte Zuordnung der Beschwerden der Klägerin zu einem bestimmten Wirkstoff vorgenommen, was aber nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erforderlich ist (Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, Rn. 40, 42 f.).
Die Verursachung eines Impfschadens durch Aluminiumverbindungen oder Thiomersal (auf das die Klägerin in der mündlichen Hauptverhandlung zu sprechen kam) entspricht nicht der herrschenden wissenschaftlichen Meinung, wie Dr. D. zutreffend ausgeführt hat. Dies entspricht auch der Auffassung des Bayerischen Landessozialgerichts (Urteil vom 28.07.2011, L 15 VJ 8/09, Rn. 48).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.


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