Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis bei Nichtvorlage eines Fahreignungsgutachtens

Aktenzeichen  M 6 S 16.366

Datum:
2.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 11 Abs. 2, Abs. 8 S. 1, § 46 Abs. 3
Anlage 4 zur FeV Nr. 6.5, Nr. 4, Nr. 10
RDGEG RDGEG § 3, § 5
VwGO VwGO § 67 Abs. 4 S. 4, S. 7, § 67 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 4, S. 7

 

Leitsatz

Gutachten zur Fahreignung sollen grundsätzlich nicht von dem behandelnden Arzt erstellt werden. Es ist vielmehr Sache der Fahrerlaubnisbehörde festzulegen, welcher Gutachter ein Gutachten erstellen soll; sie kann insbesondere bestimmen, dass dies durch eine amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung zu geschehen habe. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf EUR 6.250,00 festgesetzt.

Gründe

I.
Der 19… geborene Antragsteller war zuletzt im Besitz einer ihm von der Fahrerlaubnisbehörde der Antragsgegnerin 20… neu erteilten Fahrerlaubnis der Klassen A und BE samt Unterklassen. Zuvor war ihm mit Bescheid derselben Behörde vom … Juli 2012 seine damalige Fahrerlaubnis unter Anordnung sofortiger Vollziehung entzogen worden, weil er ein von ihm gefordertes Fahreignungsgutachten nicht fristgerecht vorgelegt hatte. Den hiergegen gerichteten Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – lehnte das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 24. September 2012 ab (Az. M 6a S 12.3770). Hintergrund der Gutachtensanordnung waren eine der Behörde bekannte Diabetes Erkrankung des Antragstellers und diverse fahreignungsrelevante Folgeerkrankungen. Die Fahrerlaubnis wurde im Jahr 2013 auf der Grundlage eines positiven Fahreignungsgutachtens vom … Februar 2013 der A. … neu erteilt, die ihr positives Ergebnis mit der Forderung nach einer Nachuntersuchung im Abstand vom zwei Jahren verbunden hatte.
Diese Nachuntersuchung durch eine amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung ordnete die Fahrerlaubnisbehörde der Antragsgegnerin mit Verfügung vom … Juni 2015 gegenüber dem Antragsteller an und forderte ihn zur Vorlage des Gutachtens bis drei Monate ab Zustellung der Anordnung auf. Der Antragsteller gab daraufhin am … Juli 2015 eine Erklärung ab, wonach mit der Erstellung des Gutachtens wiederum die A. … beauftragt werden sollte. Von dort kamen die Akten der Behörde an diese am … August 2015 in Rücklauf. Das geforderte Gutachten wurde nicht vorgelegt.
Mit Schreiben vom … Dezember 2015 zur beabsichtigten Entziehung seiner Fahrerlaubnis angehört ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom … Dezember 2015 vortragen, der Antragsteller habe sich bei der A. der geforderten Begutachtung unterzogen. Das Ergebnis habe der Behörde übermittelt werden sollen. Eine gegenläufige Erklärung enthält der vom Antragsteller unterzeichnete Gutachtensauftrag vom … Juli 2015 nicht, wo es heißt, für den Fall, dass das Gutachten nicht direkt an die Behörde versandt werden solle, sei dies gesondert zu vermerken.
Da auf den Hinweis der Behörde mit Schreiben vom … Dezember 2015, es sei kein Gutachten bei ihr eingegangen und es werde um zeitnahe weitere Veranlassung gebeten, zunächst keine weitere Reaktion erfolgte, entzog diese dem Antragsteller mit Bescheid vom … Januar 2016, zugestellt am … Januar 2016, die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1 des Bescheids), gab ihm auf, seinen Führerschein innerhalb einer Woche ab Zustellung des Bescheids bei der Behörde oder der zuständigen Polizeiinspektion abzuliefern (Nr. 2), drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins ein Zwangsgeld in Höhe von a… Euro an (Nr. 3) und ordnete die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids an (Nr. 4). Nr. 5 und 6 enthalten die Kostenentscheidung.
Begründet ist der Bescheid mit der Nichtvorlage des Gutachtens. Die sofortige Vollziehung wird im Wesentlichen damit begründet, es sei zu besorgen, dass der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei und dies durch Nichtvorlage des Gutachtens verbergen wolle. Er habe die zu Recht an seiner Fahreignung geäußerten Zweifel nicht ausgeräumt, weshalb die Behörde eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer bei weiterer Teilnahme des Antragstellers am motorisierten Straßenverkehr sehe. Auf den Bescheid im Übrigen wird ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 VwGO). Der Antragsteller gab seinen Führerschein nicht ab, sondern erklärte gegenüber der Behörde am … Januar 2016 an Eides Statt, er könne diesen nicht auffinden.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom … Januar 2016, bei Gericht eingegangen am … Januar 2016, ließ der Antragsteller gegen den Bescheid vom … Januar 2016 Klage erheben, über die noch nicht entschieden wurde (Az. M 6 K 16.362) und außerdem sinngemäß beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Nrn. 1 und 2 des Bescheids anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Begründet werden die Klage und der vorliegende Antrag im Wesentlichen mit Mängeln des Gutachtens der A., was wiederum mit einem ärztlichen Attest eines den Antragsteller behandelnden Arztes vom … Januar 2016 begründet wird. Als Anlage zu diesem Schriftsatz wurden sowohl dieses ärztliche Attest als auch die Fahreignungsgutachten der A. vom … August 2015, das mit einem für den Antragsteller negativen Ergebnis endet, und das frühere Gutachten der A. vom … Februar 2013 vorgelegt. Auf das Vorbringen der Antragspartei im Übrigen wird ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 VwGO).
Die Antragsgegnerin legte mit Schriftsatz vom … Februar 2016, bei Gericht eingegangen am … März 2016, ihre Verwaltungsakte vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Durch Beschluss vom 27. April 2016 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen (§ 6 Abs. 1 VwGO).
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 VwGO).
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid vom … Januar 2016 erweist sich bei der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtmäßig, so dass die hiergegen erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird.
1. Die für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Nr. 1 und 2 des Bescheids vom … Januar 2016 gegebene Begründung entspricht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Danach hat die Behörde unter Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen.
Dem genügt die auf den vorliegenden Einzelfall bezogene Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs unter V. (S. 4 und 5) des streitgegenständlichen Bescheids. Darin legt die Antragsgegnerin unter Bezug auf das Fahreignungsgutachten der A. vom … November 2012, worin diese eine Nachuntersuchung binnen zwei Jahren als fachlich geboten forderte, ergänzend zu den vorstehenden Gründen nochmals dar, weshalb sie Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers hegt und schließt aus der Nichtvorlage des aus ihrer Sicht deshalb zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens, der Antragsteller habe nicht die erforderliche Einsicht hinsichtlich der Gefahren, die möglicherweise von ihm aufgrund seiner Erkrankung für andere Verkehrsteilnehmer ausgehen könnten (etwa im Fall von Bewusstseinsstörungen). Das genügt als formelle Begründung für den Sofortvollzug.
2. Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Nr. 1 und 2 des Bescheids erweist sich auch materiell-rechtlich als rechtmäßig. Der Bescheid der Antragsgegnerin vom … Januar 2016 stellt sich nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als insgesamt rechtmäßig dar, so dass die hiergegen erhobene Klage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. In einem solchen Fall verbleibt es bei der im überwiegenden öffentlichen Interesse angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts.
2.1. Nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 – 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wieder herstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde gelten gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
2.2. Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall war der Antrag abzulehnen. Sowohl die Entziehung der Fahrerlaubnis in Nr. 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom … Januar 2016 als auch die Abgabeverpflichtung in Nr. 2 dieses Bescheids sind materiell rechtmäßig und verletzen den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass nach summarischen Prüfung seine hiergegen erhobene Klage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird.
Zur Begründung für seine Entscheidung nimmt das Gericht zunächst voll inhaltlich Bezug auf die Gutachtensanordnung vom … Juni 2015. Darin hat die Behörde unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens und unter Bezug auf das Fahreignungsgutachten der A. vom … November 2012 schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, warum sie vom Antragsteller ein ärztliches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung verlangt, ihn darauf hingewiesen, dass sonstige ärztliche Atteste nicht ausreichend seien und ihn über die Folgen der Nichtvorlage des Gutachtens zutreffend belehrt. Auch die Fragestellung ist nicht zu beanstanden. Da der Antragsteller das somit zu Recht geforderte Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt hat, konnte und durfte die Behörde auf seine mangelnde Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen und ihm die Fahrerlaubnis entziehen, ohne dass ihr nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV dabei noch ein Ermessen zugestanden hätte. Ergänzend nimmt das Gericht zur Begründung der vorliegenden Entscheidung Bezug auf die Gründe des angegriffenen Bescheids vom … Januar 2016 und macht sich diese zu eigen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Dass die A. das Gutachten trotz anderslautendem Auftrag des Antragstellers versehentlich nicht an die Behörde versandt hat, wird von Antragstellerseite nicht vorgetragen. Vielmehr sprechen die Umstände des Falles dafür, dass der Antragsteller die Übersendung wegen des negativen Gutachtensergebnisses unterbunden hat. Außerdem hätte er spätestens nach dem Hinweis der Behörde in deren Schreiben vom … Dezember 2015 Veranlassung gehabt, hierauf durch unverzügliche Übersendung des Gutachtens zu reagieren.
2.3 Das Vorbringen des Antragstellers verhilft seinem Antrag nicht zum Erfolg. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage vorliegend wegen der unmittelbaren Klageerhebung der der Zustellung des streitgegenständlichen Bescheids vom … Januar 2016 an die Bevollmächtigten des Antragstellers am … Januar 2016 ist. Im Falle einer Widerspruchseinlegung hätte der Antragsteller das geforderte ärztliche Gutachten noch in einem Widerspruchsverfahren nachreichen können. Dieser Möglichkeit hat er sich mit seiner unmittelbaren Klageerhebung ebenso begeben wie der Möglichkeit von Einwendungen, die er nun gegen das nach Bescheidserlass im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Gutachten vorzubringen versucht, mit denen er jedoch in diesem sowie im noch anhängigen Klageverfahren nicht gehört werden kann. Diese Konsequenz einer Klageerhebung anstelle eines Widerspruchs konnte und musste der Antragspartei besonders mit Blick auf die vormaligen Gerichtsverfahren bekannt sein (u. a. M 6a S 12.3770, bestätigt durch BayVGH, B.v. 29.12.2012, 11 CS 12.2276). Die unter Vorlage einer weiteren Stellungnahme des den Antragsteller behandelnden Arztes vom … April 2016 geführte Auseinandersetzung um die Richtigkeit des – zu spät vorgelegten und daher unbeachtlichen – Gutachtens der A. vom … August 2015 und die dieses Gutachten verteidigende, erläuternde und ergänzende Stellungnahme der A. vom … April 2016 mag der Antragsteller in einem Neuerteilungsverfahren weiterführen, im vorliegenden Eilverfahren und im Klageverfahren ist all dies nicht entscheidungserheblich und daher nicht zielführend.
Ohne dass es darauf noch entscheidend ankäme sei ergänzend darauf hingewiesen, dass Gutachten zur Fahreignung grundsätzlich – aus gutem Grund – nicht von dem behandelnden Arzt erstellt werden sollen und es außerdem Sache der Fahrerlaubnisbehörde ist festzulegen, welcher Gutachter ein Gutachten erstellen soll; sie kann insbesondere bestimmen, dass dies durch eine amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung zu geschehen habe. Inwieweit demgegenüber privatgutachtliche Atteste oder Stellungnahmen Gewicht haben und ob sie überhaupt geeignet sind, Gutachten amtlich anerkannter Begutachtungsstellen zu erschüttern, braucht vorliegend nicht abschließend geklärt zu werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung hat ihre Rechtsgrundlagen § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes GKG in Verbindung mit den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand: 2013).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben