Medizinrecht

Entzug der vertragsärztlichen Zulassung wegen fehlender Fortbildung

Aktenzeichen  S 38 KA 205/16

Datum:
24.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ASR – 2017, 152
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 12
SGB V SGB V § 81 Abs. 5, § 95 Abs. 6, § 95d Abs. 3 S. 3, § 103 Abs. 3a
Ärzte-ZV Ärzte-ZV § 72

 

Leitsatz

1. Eine Nachreichung von Fortbildungspunkten ist nicht möglich, da es sich bei § 95d Abs. 3 S.4 SGB V um eine gesetzliche Ausschlussfrist handelt (vgl. BSG, Beschluss vom 11.02.2015, AZ B 6 KA 37/14 B; BayLSG, Urteil vom 11.03.2015, Az. L 12 KA 56/14). (Rn. 15)
2. Die Fortbildungspflicht des Vertragsarztes gehört zu den Grundpflichten vertragsärztlicher Tätigkeit.Die Tatsache, dass der Gsetzgeber in § 95d SGB V die Fortbildungspflicht so detailliert geregelthat, spricht für den hohen Stellenwert Der Fortbildungspflicht. Dieser findet insbesondere seinen Ausdruck in § 95d Abs. 3 Satz 6 SGB V. (Rn. 16 – 17)
3. Grundsätzlich ist vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das gesamte Verhalten des Vertragsarztes außerhalb des Pflichtverstoßesw mit zu reflektieren. (Rn. 19)
4. Bei den Honorarkürzungen nach § 95d Abs. 3 S. 3 SGB V handelt es sich nicht um Disziplinarmaßnahmenim engeren Sinn (§ 81 Abs. 5 SGB V). Die Auswirkung ähnelt aber der von Geldbußen, die als Disziplinarmaßnahmen vorgesehen sind. Insofern lassen sich die Honorarkürzungen als Disziplinarmaßnahmen im weiteren Sinn verstehen. (Rn. 19)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Gegenstand der Klage ist nicht der Ausgangsbescheid des Zulassungsausschusses, sondern der Bescheid des Berufungsausschusses, da dieser seinerseits die Voraussetzungen für den Zulassungsentzug umfassend zu überprüfen hat.
Rechtsgrundlage für die Entziehung der Zulassung ist § 95 Abs. 6 SGB V i.V.m. § 27 Ärzte-ZV. Danach ist die Zulassung zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat eingeräumt, dass eine Pflichtverletzung seines Mandanten vorliegt. Diese besteht darin, dass der Kläger im Zeitraum vom 01.04.2004 bis 30.06.2009 keine Fortbildungspunkte sammelte und dementsprechend auch keine Fortbildungsnachweise vorlegen konnte. Eine Nachreichung von Fortbildungspunkten ist nicht möglich, da es sich bei § 95d Abs. 3 S. 4 SGB V um eine gesetzliche Ausschlussfrist handelt (vgl. BSG, Beschluss vom 11.02.2015, Az. B 6 KA 37/14 B; BayLSG, Urteil vom 11.03.2015, Az. L 12 KA 56/14). Eine nachträgliche Berücksichtigung würde nämlich der gesetzlichen Regelung des § 95d SGB V zuwiderlaufen. Außerdem ist der Kläger nicht mit dem Argument zu hören, er habe wiederholt an Seminaren und Diskussionen teilgenommen und sich durch Lesen medizinischer Zeitschriften fortgebildet. Abgesehen davon, dass es sich hierbei um einen pauschalen Hinweis handelt, der nicht zu verifizieren ist, können diese Aspekte nicht die in § 95d SGB V gesetzlich vorgeschriebene Fortbildungsverpflichtung ersetzen und ausfüllen. Es obliegt nicht dem Arzt, selbst zu bestimmen, was als Fortbildung mit wieviel Fortbildungspunkten anzuerkennen ist.
Die Fortbildungspflicht des Vertragsarztes gehört zu den Grundpflichten vertragsärztlicher Tätigkeit. Ziel der Fortbildungspflicht ist, die Qualität ärztlicher Leistungen zu sichern und zu erhöhen sowie eine Behandlung der Patienten nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse zu gewährleisten.
Gröblich ist eine Pflichtverletzung i.S.v. § 95 Abs. 6 S. 1 SGB V dann, wenn die gesetzliche Ordnung der vertragsärztlichen Versorgung durch das Verhalten des Arztes in erheblichem Maße verletzt wird und das Vertrauensverhältnis zu den vertragsärztlichen Institutionen tiefgreifend und nachhaltig gestört ist, so dass Ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden kann (stRSP des BSG; vgl. BSG, Beschluss vom 28.10.2015, Az. B 6 KA 36/15 B). Die Tatsache, dass der Gesetzgeber in § 95d SGB V die Fortbildungspflicht so detailliert geregelt hat, spricht für den hohen Stellenwert der Fortbildungspflicht. Dieser findet insbesondere seinen Ausdruck in § 95d Abs. 3 Satz 6 SGB V, wonach die Kassenärztliche Vereinigung unverzüglich gegenüber dem Zulassungsausschuss einen Antrag auf Entziehung der Zulassung stellen soll, wenn ein Vertragsarzt den Fortbildungsnachweis nicht spätestens zwei Jahre nach Ablauf des Fünfjahreszeitraums erbringt. Daraus folgt zwangsläufig, dass ein Verstoß gegen die gesetzlich geregelte Fortbildungspflicht als gröblich anzusehen ist.
Die Entziehung der Zulassung nach § 95 Abs. 6 SGB V stellt eine schwerwiegende Sanktion und einen Eingriff in Art. 12 GG dar, der nur dann zulässig ist, wenn die Grundsätze der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gewahrt sind. Das Bundessozialgericht vertritt in seiner Entscheidung vom 11.02.2015 (BSG, Beschluss vom 11.02.2015, Az. B 6 KA 37/15 B) die Auffassung, es komme darauf an, ob der Entzug der Zulassung bei Abwägung des vom Vertragsarzt gesetzten Eingriffsanlasses im Verhältnis zur Eingriffstiefe angemessen ist. Unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung zum GMG (aaO S. 111 zu § 95 Abs. 3 SGB V) sei eine auf die Verletzung der Fortbildungspflicht gestützte Zulassungsentziehung dann unverhältnismäßig, wenn die vorgegebene Nachweispflicht nur wenige Stunden verfehlt werde. Dies ist hier eindeutig nicht der Fall. An diesem Beispiel wird deutlich, dass nur in eng begrenzten Fällen eine Unverhältnismäßigkeit anzunehmen ist, wobei es sich allerdings jeweils um eine Einzelfallentscheidung handelt.
Grundsätzlich ist vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das gesamte Verhalten des Vertragsarztes außerhalb des Pflichtverstoßes mit zu reflektieren. Bezogen auf das streitgegenständliche Verfahren ist festzustellen, dass selbst unter Würdigung der Gesamtumstände, wie langjährige vertragsärztliche Tätigkeit, ohne disziplinarisch in Erscheinung zu treten, die Umstände im Zusammenhang mit dem Verstoß gegen die Fortbildungspflicht so schwer wiegen, dass eine Disziplinarmaßnahme nicht mehr als ausreichend erscheint und daher als ultimaratio- Maßnahme nur der Zulassungsentzug nach § 95 Abs. 6 SGB V in Betracht kommt. Der Kläger hat nicht nur insgesamt fünf Erinnerungsschreiben der Beigeladenen zu 1 ignoriert, sondern er hat auch Kürzungen seines Honorars in mehreren Quartalen in Höhe von 10-25% akzeptiert. Bei den Honorarkürzungen nach § 95d Abs. 3 s. 3 SGB V handelt es sich zwar nicht um Disziplinarmaßnahmen im engeren Sinn (§ 81 Abs. 5 SGB V). Die Auswirkung ähnelt aber der von Geldbußen, die als Disziplinarmaßnahmen vorgesehen sind. Insofern lassen sich die Honorarkürzungen als Disziplinarmaßnahmen im weiteren Sinn verstehen, so dass nur der Zulassungsentzug als ultima ratio übrig bleibt. Wer in diesem Maße Warnhinweise missachtet, signalisiert, dass er nicht gewillt ist, seiner Fortbildungspflicht nachzukommen.
Dagegen kann nicht eingewandt werden, der Kläger habe durch die Zulassungsentziehung nicht mehr die Möglichkeit eines Praxisverkaufs oder eines geordneten Übergangs seiner Praxis auf einen Praxisnachfolger. Hierzu ist zu bemerken, dass auch bei Entziehung der Zulassung die Praxis ausgeschrieben und durch einen Nachfolger weitergeführt werden kann (§ 103 Abs. 3a, 4 SGB V). Soweit geltend gemacht wird, durch den Entzug der Zulassung werde dem Kläger seine Existenzgrundlage entzogen, erscheint dies unwahrscheinlich. Denn laut den in der mündlichen Verhandlung eingesehenen Honorarbescheiden liegen die Patientenzahlen GKV-Versicherter mit weit unter 100 und damit die Honorareinkünfte in einem Bereich, mit dem die Unkosten der Praxis, die sich in einer absoluten Münchner Toplage befindet, nicht annähernd zu decken sind. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger Leistungen außerhalb der GKV anbietet und hieraus nicht unerhebliche Einkünfte erzielt, so dass ihn die Entziehung der Zulassung nicht wesentlich tangieren dürfte. Außerdem geht das Gericht davon aus, dass sich die Sanktion „Entziehung der Zulassung“ bei einem Arzt, der sich noch mitten in seinem Berufsleben befindet, ungleich schwerer auswirkt als bei einem Arzt – wie dem Kläger-, der sich am Ende seiner beruflichen Laufbahn befindet.. Deshalb ist die Entziehung der Zulassung als geeignet, erforderlich und verhältnismäßig anzusehen.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.


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