Medizinrecht

Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach Nigeria

Aktenzeichen  M 21 K 14.30983

Datum:
25.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 59, § 60 Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2c S. 3
VwGO VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
AsylVfG AsylVfG § 34 Abs. 1, Abs. 3. § 38 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Ist der attestierende Arzt aufgrund der Angaben des Antragstellers von einem mehr oder weniger erfundenen Sachverhalt ausgegangen, so kann seiner Diagnose, es liege eine posttraumatische Belastungsstörung vor, kein Beweiswert zukommen, der die Vermutung der Reisefähigkeit des Ausländers nach § 60a Abs. 2c AufenthG entkräftigen könnte. (redaktioneller Leitsatz)
2. Gem. § 60a Abs. 2c S. 2 AufenthG kann nur durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung, d.h. eine Bescheinigung eines approbierten Arztes, eine die Abschiebung beeinträchtigende Erkrankung glaubhaft gemacht werden, sodass die Berufsgruppe der Psychotherapeuten diese berufliche Qualifikationsanforderung nicht erfüllt.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2016 entschieden werden, obwohl außer der Klagepartei kein weiterer Beteiligter erschienen ist. Denn in der form- und fristgerecht erfolgten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Soweit der Kläger seine Klage hinsichtlich der Ansprüche, ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG sowie den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG zuzuerkennen und ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen, in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Hinsichtlich des damit allein noch im Streit stehenden Begehrens, den Bescheid des Bundesamtes vom 19. August 2014 aufzuheben, soweit mit ihm auch die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint wurde, und die Beklagte zu dessen Feststellung hinsichtlich Nigerias zu verpflichten, ist die Klage zulässig, aber nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung. Der Bescheid vom 19. August 2014 ist auch hinsichtlich der Verneinung dieser Feststellung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Wegen der Grundlagen des Feststellungsanspruchs wird zunächst erneut auf die Gründe des vorausgegangenen Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO vom 23. März 2015 (ab Seite 17 unten) Bezug genommen.
Nicht anders als im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kann sich der Kläger weiterhin nicht mit Erfolg auf ein von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasstes gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot berufen. Allerdings hat sich gegenüber der Vorentscheidung vom 23. März 2015 inzwischen die Gesetzeslage zu seinen Ungunsten verändert. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der Fassung des am 17. März 2016 in Kraft getretenen Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390), das auf den vorliegenden Fall gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG bereits anzuwenden ist, liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 bis 3 AufenthG in derselben Gesetzesfassung wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen.
Dies entzieht dem in der mündlichen Verhandlung gestellten bedingten Beweisantrag, zu der gesundheitlichen Situation des Klägers ein Sachverständigengutachten einzuholen, den Boden. Aufgrund der gesetzlichen Vermutung des Nichtbestehens eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes hat der Ausländer nunmehr zum einen alle in § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG geregelten formellen Voraussetzungen der Nachweisführung zu erfüllen, zum andern hat er materiell Umstände glaubhaft zu machen, welche die gesetzliche Vermutung des Nicht-Entgegenstehens gesundheitlicher Gründe zu widerlegen geeignet sind. Dabei ist in Bezug auf eine diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) und ähnliche, an traumatisierende Erlebnisse im Vorleben des Ausländers anknüpfende Krankheitsbilder aus dem psychiatrischen Formenkreis (vgl. VG Berlin vom 15.10.2014 – 33 K 370.10 A – juris; VG München vom 27.11.2015 – M 21 K 13.30299) zugrunde zu legen, dass die Symptomatologie des psychopathologischen Befundes als solche generell keine Objektivierung des als Diagnosekriterium zwingend erforderlichen traumatisierenden Ereignisses zulässt, sondern dieses Element ausschließlich in tatrichterlicher freier Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) festgestellt werden kann (BayVGH vom 04.11.2016 – 9 ZB 16.30468 – juris). Dies kann wiederum nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. z.B. S. 20 des gegen den Kläger ergangenen Beschlusses vom 23.03.2015, m.w.N.) nur auf der Grundlage eines von dem Kläger gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO von sich aus widerspruchsfrei zu offenbarenden und von dem attestierenden Arzt zu dokumentierenden Tatsachenvortrages geschehen. Nur dann, wenn die Anamneseangaben des Ausländers gegenüber dem attestierenden Arzt auf ihre Glaubwürdigkeit hin überprüfbar sind, sind die von dem attestierenden Arzt erhobenen Befunde geeignet, die Feststellung der Diagnosekriterien und damit die abschließende medizinische Bewertung so zu tragen, dass sie auch Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung werden können. Erst wenn trotz einer im Wesentlichen allen o.g. Anforderungen genügenden Attestierung noch Zweifel an der Widerlegung der gesetzlichen Vermutung bestehen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu deren Ausräumung geeignet erscheint – was etwa von vornherein nicht der Fall ist, wenn tatrichterliche Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit der für die Traumatisierung angeschuldigten Erlebnisse zu erheben waren (vgl. BayVGH vom 04.11.2016, a.a.O., Rn. 23 am Ende) -, ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens veranlasst und kann sich deren Unterlassung als Verfahrensfehler erweisen.
Die Gesetzesbegründung führt zu den neu eingeführten Regelungen der § 60 Abs. 7 Satz 2, § 60a Abs. 2c AufenthG folgendes aus (vgl. Bundestags-Drucksache 18/7538 vom 16.02.2016, Seite 18/19): Die Geltendmachung von Abschiebungshindernissen in gesundheitlicher Hinsicht stellt die zuständigen Behörden quantitativ und qualitativ vor große Herausforderungen. Oftmals werden Krankheitsbilder angesichts der drohenden Abschiebung vorgetragen, die im vorangegangenen Asylverfahren nicht berücksichtigt worden sind (vgl. Bericht der Unterarbeitsgruppe Vollzugsdefizite der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Rückführung über die Ergebnisse der Evaluierung des Berichts über die Probleme bei der praktischen Umsetzung von ausländerbehördlichen Ausreiseaufforderungen und Vollzugsmaßnahmen von April 2015). Nach den Erkenntnissen der Praktiker werden insbesondere schwer diagnostizier- und überprüfbare Erkrankungen psychischer Art (z. B. Posttraumatische Belastungsstörungen [PTBS]) sehr häufig als Abschiebungshindernis (Vollzugshindernis) geltend gemacht, was in der Praxis zwangsläufig zu deutlichen zeitlichen Verzögerungen bei der Abschiebung führt. Der Gesetzgeber geht nunmehr davon aus, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Mit dieser Präzisierung wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen. Eine solche schwerwiegende Erkrankung kann hingegen zum Beispiel in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden: In Fällen einer PTBS ist die Abschiebung regelmäßig möglich, es sei denn, die Abschiebung führt zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung. Die Abschiebung darf nicht dazu führen, dass sich die schwerwiegende Erkrankung des Ausländers mangels Behandlungsmöglichkeit in einem Ausmaß verschlechtern wird, dass ihm eine individuell konkrete, erhebliche Gefahr an Leib oder Leben droht. … Auch Erkrankungen des Ausländers, die schon während des Aufenthalts des Ausländers außerhalb der Bundesrepublik Deutschland bestanden und somit bereits bei Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vorgelegen haben, stehen der Abschiebung grundsätzlich nicht entgegen.
Nach § 60a Abs. 2c AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Ausreisepflichtige reisefähig ist bzw. dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer kann diese Vermutung regelmäßig nur durch Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung zur Glaubhaftmachung seiner Erkrankung entkräften. Eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die in Absatz 2c aufgeführten Merkmale berücksichtigen. Neben den in Satz 3 aufgeführten Merkmalen können in der ärztlichen Bescheinigung beispielsweise Aussagen dazu enthalten sein, welche Medikamente der Patient regelmäßig einnimmt oder welche hinreichend konkreten Gründe eine Reise im KFZ oder im Flugzeug nicht ohne Weiteres zulassen. Eine ärztliche Bescheinigung ist grundsätzlich nur dann als qualifiziert anzusehen, wenn die in Absatz 2c genannten Merkmale und Voraussetzungen erfüllt sind. Die erforderlichen Inhalte der qualifizierten ärztlichen Bescheinigung sind als Soll-Regelung ausgestaltet; dies bedeutet, dass ein Attest im Einzelfall auch bei Fehlen eines Merkmals noch qualifiziert sein kann, wenn die Bescheinigung im Übrigen dem Qualitätsstandard genügt und es auf das fehlende Merkmal ausnahmsweise nicht ankommt. Die Widerlegung der Vermutung nach Satz 1 durch Glaubhaftmachung der Erkrankung kann zudem nur durch eine ärztliche Bescheinigung, d. h. eine Bescheinigung eines approbierten Arztes, erfolgen. Eine Beeinträchtigung der Abschiebung durch die Erkrankung im Sinne von Satz 1 liegt auch vor, wenn die Abschiebung aufgrund der Erkrankung gänzlich ausgeschlossen ist. Mit der Regelung zur Glaubhaftmachung einer Erkrankung durch den Ausländer wird auf erhebliche praktische Probleme hinsichtlich der Bewertung der Validität von ärztlichen Bescheinigungen im Vorfeld einer Abschiebung reagiert, wie sie auch aus dem Bericht der Unterarbeitsgruppe Vollzugsdefizite der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Rückführung über die Ergebnisse der Evaluierung des Berichts über die Probleme bei der praktischen Umsetzung von ausländerbehördlichen Ausreiseaufforderungen und Vollzugsmaßnahmen von April 2015 hervorgehen. Es besteht ein praktisches Bedürfnis, eine vom Ausländer vorgelegte Bescheinigung hinsichtlich der Erfüllung formaler und inhaltlicher Vorgaben zu validieren. Hierzu legt der Gesetzgeber nunmehr die in Absatz 2c genannten Qualitätskriterien fest, die die jeweilige ärztliche Bescheinigung insbesondere enthalten soll.
Im vorliegenden Fall hat der Kläger die gesetzliche Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, dass seiner Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, nicht erfolgreich widerlegt.
Soweit die Glaubhaftmachung auf die beiden Atteste Dr. G.s vom 15. Juni 2015 und 17. Oktober 2016 gestützt ist, genügt ihr Aussteller zunächst offensichtlich den an ihn zu stellenden personellen Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG. Die Bescheinigung entspricht zudem im Wesentlichen den an sie aus formeller Sicht zu stellenden inhaltlichen Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG, indem sie die tatsächlichen Umstände aufführt, auf deren Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist, und zur Methode der Tatsachenerhebung, zur fachlich-medizinischen Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose) und zum Schweregrad der Erkrankung Stellung nimmt.
Ob die Ausführungen, mit denen der attestierende Arzt aufgrund der von dem Kläger geschilderten traumatisierenden Ereignisse in Verbindung mit den geklagten Symptome auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung geschlossen und qualifizierte Feststellungen über die Schwere der Erkrankung und die Möglichkeit ihrer wesentlichen Verschlechterung bis hin zu lebensbedrohlichen Folgen für den Fall der Abschiebung dargestellt hat, zumindest formal den Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG genügen, welche nach der allgemein getroffenen Entscheidung des Gesetzgebers zusätzlich zur Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung zu stellen sind, um zu der Rechtsfolge des Bestehens eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots zu gelangen, kann offen bleiben.
Denn auch wenn diese formalen Anforderungen gewahrt sind, bleibt immer noch die Frage, wie die von dem attestierenden Arzt dokumentierten Angaben des Antragstellers über traumatisierende Erlebnisse, auf denen die Diagnose beruht, der richterlichen Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) standhalten sollen, denen sie nach der Rechtsprechung unterliegen. Diesbezüglich bestehen nämlich erhebliche Bedenken. Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eingehend dargelegt, aufgrund welcher Umstände und Ungereimtheiten es zu dem Ergebnis gelangt ist, dass das asylrelevante Vorbringen des Klägers und das mit ihm weitgehend deckungsgleiche Vorbringen zu traumatisierenden Ereignissen im Wesentlichen nicht glaubwürdig ist. Es ist nicht ersichtlich, dass im Hauptsacheverfahren neue Erkenntnisse hinzugetreten wären, welche es gebieten könnten, von dieser Würdigung des ursprünglichen klägerischen Vorbringens auch nur teilweise abzurücken. Der in den medizinischen Aussagen vom 15. und 17. Juni 2015 sowie vom 17. Oktober 2016 zum Ausdruck kommende Versuch der beiden Attestaussteller sowie der in der mündlichen Verhandlung unternommene Versuch des Klägers selbst, diesen Ausgangspunkt jeglicher weiteren Tatsachenermittlung und -bewertung einfach auszublenden und so zu tun, als sei sein tatsächliches Vorbringen zu seinen Gunsten als zutreffend festgestellt, verfängt nicht.
Ist aber der attestierende Arzt aufgrund der Angaben des Antragstellers von einem mehr oder weniger erfundenen Sachverhalt ausgegangen, so kann seiner Diagnose, es liege eine posttraumatische Belastungsstörung vor, kein Beweiswert zukommen, weil es dann an einem traumatisierenden Ereignis und damit an der Erfüllung eines zwingenden Diagnosekriteriums für die Entwicklung einer PTBS fehlt. Nach der International Classification of Diseases (ICD-10: F43.1) entsteht eine PTBS als „Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“.
Soweit der Antragsteller versucht, die gesetzliche Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG mit der vorgelegten Stellungnahme der Diplomsozialpädagogin und Analytischen Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin B. vom 17. Juni 2015 zu widerlegen, erfüllt die Verfasserin schon nicht die an sie zu stellenden personellen Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG für die Bescheinigung von asylrelevanten Krankheiten. Wie der oben abgedruckten Gesetzesbegründung (Bundestags-Drucks 18/7538 vom 16.02.2016) zweifelsfrei zu entnehmen ist, handelt es sich bei dem in der letztgenannten Vorschrift enthaltenen Erfordernis, dass eine Erkrankung, welche die Abschiebung beeinträchtigen kann, nur durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung, d.h. eine Bescheinigung eines approbierten Arztes, glaubhaft gemacht werden könne, nicht etwa um ein Redaktionsversehen dergestalt, dass die Berufsgruppe der Psychologischen Psychotherapeuten unabsichtlich „vergessen“ worden wäre, sondern um eine ernst gemeinte berufliche Qualifikationsanforderung.
Nicht ausgeschlossen ist dadurch freilich nach Auffassung des Gerichts, tatsächliche Beobachtungen der sich äußernden Psychologin dahin auszuwerten, ob sie geeignet sind, die tatsächlichen Angaben und medizinischen Schlussfolgerungen in den psychiatrischen Stellungnahmen zu bestätigen oder zu widerlegen. Insofern gibt die Stellungnahme vom 17. Juni 2015 aber nicht viel her. Sie erschöpft sich in einigen wenigen, für die Beurteilung der vorliegenden Klage nicht ausschlaggebenden Erläuterungen des ursprünglichen Vorbringens des Klägers, welche offenbar dazu dienen sollen, die vom Gericht im Beschluss vom 23. März 2015 dargestellten Bewertungen als nicht zwingend, nicht schlüssig oder sogar unrichtig erscheinen zu lassen. Soweit in der ergänzenden Stellungnahme vom 17. Juni 2015 ausgeführt wird, die Leistung der „Fluchthilfe“ sei nicht durch Altruismus des Fluchthelfers geprägt gewesen, dieser habe sich vielmehr mit sexuellen Gefälligkeiten bezahlen lassen, ist auszuführen, dass der Kläger, solange er dabei bleibt, dass er im Direktflug auf dem Luft Weg mit diesem Unbekannten nach Deutschland und dann auf dem weiteren Landweg bis nach München gekommen sei, es schwer haben wird, sexuellen Missbrauch durch einen oder auf Veranlassung eines Menschen glaubhaft zu machen, von dem das Gericht annimmt, dass es ihn gar nicht gegeben haben kann, weil sonst zweifelsfrei aktenkundig wäre, dass der Kläger auf dem Luft Weg eingereist ist. Soweit der Kläger sein Verhalten, dem Schicksal seiner Eltern nicht nachgegangen zu sein, damit zu erklären versucht, dass im unmittelbaren Anschluss an den Bombenanschlag im Umfeld der angegriffenen Kirche Allgemeingefahr bestanden habe, fanatisierte Angehörige beider Seiten aufeinander losgegangen seien und zu befürchten gewesen sei, dass auch Unbeteiligte in die Kämpfe hineingezogen würden, wem es möglich gewesen sei, sich aus der Gefahrenzone zu entfernen, habe davon Gebrauch gemacht, ist im Beschluss vom 23. März 2016 ausführlich dargestellt worden, dass die veröffentlichten Medienberichte und Bilder vom Tatort der Darstellung des Klägers widersprechen. So ist seine Einlassung, er habe von anderen Flüchtenden gehört, dass alle Menschen in der Kirche umgekommen seien, nicht mit der vom Gericht als verlässlich eingestuften Angabe von Vanguard News (vgl. Beschluss vom 23.03.2015, a.a.O., Seite 14) zu vereinbaren, es seien zehn Menschen getötet worden. Wenn er aufgrund dieser Angaben annimmt, auch seine Eltern seien getötet worden, mag seine Verhaltensweise im unmittelbaren Gefolge des Terroranschlags noch erklärbar sein. Das Verstörende am weiteren Verlauf ist nicht die (offenbar objektiv falsche) Annahme, dass alle Kirchenbesucher und damit auch die Eltern des Klägers getötet wurden, sondern die dauerhafte Hinnahme dieses Zustandes der Ungewissheit durch den Kläger. Das Gericht wiederholt insoweit seinen Vorhalt, dass derart sorglos und gleichgültig normalerweise nur reagiert, wer weiß, dass es sich tatsächlich ganz anders verhält, weil die Eltern in Wirklichkeit wohlauf sind. Diese Bewertung ist durch die Angabe des attestierenden Arztes, der Kläger sei hinsichtlich der Erforschung des Schicksals seiner Eltern (auch vier Jahre nach dem Anschlag) infolge der Traumafolgen noch blockiert, nicht entkräftet worden. Ihr hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung dadurch widersprochen, dass er nunmehr angegeben hat, er habe bereits im Jahr 2014 beim Roten Kreuz einen Nachforschungsantrag gestellt, der bisher ohne Ergebnis geblieben sei.
Im Übrigen ist der Beweiswert der in den Attesten vom 15. und 17. Juni 2015 sowie vom 17. Oktober 2016 enthaltenen „nachbessernden“ Angaben sowie der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung gering, da er nach mittlerweile knapp vierjährigem Aufenthalt in Deutschland und zahlreichen ärztlichen, psychologischen, sozialpädagogischen und anwaltlichen Beratungsgesprächen, insbesondere aber nach Kenntnisnahme des gerichtlichen Beschlusses vom 23. März 2015, genauestens über die im gerichtlichen Verfahren entscheidungserheblichen Fragen unterrichtet sein muss, so dass sein Aussageverhalten inzwischen mit dem Makel behaftet ist, dass es in hohem Maße darauf zugeschnitten sein kann, die gerichtlichen Vorhaltungen zu entkräften und dadurch das Verfahrensergebnis zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Seine jetzigen Einlassungen gehen auch deshalb ins Leere, weil sie selbst dann, wenn ihnen das Gericht Glauben schenken würde, wofür nach dem früheren Verhalten des Klägers keine Grundlage gegeben ist, nicht geeignet wären, die oben dargestellten Mängel in den medizinischen Attesten zu beheben. Denn die jetzigen, bei Gericht gemachten Aussagen führen begreiflicherweise nicht dazu, dass die fehlerhaften medizinischen Atteste auf ihnen beruhen.
Nach allem ist das Gericht weiterhin davon überzeugt, dass es das oder die ärztlicherseits angenommenen traumatisierenden Ereignisse tatsächlich nicht gegeben hat.
Die von dem Kläger geklagten Symptome vermögen daher insgesamt kein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen. Soweit sie tatsächlich Erscheinungsform einer vorliegenden Krankheit und nicht nur Ausdruck von Aggravation und Simulation sind, lassen sie die Annahme offen, dass eine tatsächlich vorliegende Erkrankung ihre Ursache in der derzeit schwierigen und unklaren Lebenssituation des Klägers einschließlich der drohenden Aufenthaltsbeendigung, nicht aber in den spezifischen Lebens- und Versorgungsbedingungen im Herkunftsland haben. Als solche sind sie deshalb nicht vom Bundesamt im Asylverfahren, sondern allenfalls unter dem Gesichtspunkt inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse von der zuständigen Ausländerbehörde zu prüfen (vgl. OVG Lüneburg vom 29.3.2011 – 8 LB 121/08 – juris, m.w.N.).
Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen in Nigeria allgemein hart sind, stellt für sich gesehen ebenfalls keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die Abschiebung wäre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls auszusetzen, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG v. 12.07.2001 – 1 C 5.01 = BVerwGE 115 = DVBl 2001, 1772 = NVwZ 2002, 101 = EzAR 043 Nr. 51 = InfAuslR 2002, 52 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 49, m.w.N.), also im Falle einer schlechten Lebensmittelversorgung, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG vom 12.07.2001, a.a.O.; vom 29.06.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226 = AuAS 2010, 249 = InfAuslR 2010, 458 = NVwZ 2011, 48 = ZAR 2011, 146 = EzAR-NF 69 Nr. 8 = Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff AufenthG Nr. 41; vom 29.09.2011 – 10 C 24.10 – NVwZ 2012, 451 = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 41). Das kann bei dem Kläger als alleinstehendem Erwachsenen nicht angenommen werden.
Die in dem angefochtenen Bescheid zugleich verfügte Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1 AsylVfG, § 59 AufenthG und ist nicht zu beanstanden.
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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