Medizinrecht

Gemeinsame Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft

Aktenzeichen  M 22 E 20.1073

Datum:
14.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 8625
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
LStVG Art. 6

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller und Frau K… … wurden, nachdem die von ihnen bislang genutzte Wohnung am 3. März 2020 zwangsgeräumt worden war, in Umsetzung einer vom erkennenden Gericht erlassenen einstweiligen Anordnung vom selben Tag (Verfahren M 22 E 20.920) in die von der Antragsgegnerin betriebene Notunterkunft aufgenommen, wobei eine getrennte Unterbringung in für Männer bzw. Frauen vorgesehene Wohneinheiten erfolgte.
Eine Bitte des Antragstellers, gemeinsam mit Frau … in einem Zimmer untergebracht zu werden, lehnte die Antragsgegnerin (mündlich) ab.
Am 10. März 2020 beantragte der Antragsteller,
die Antragsgegnerin im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn gemeinsam mit Frau … unterzubringen.
Zur Begründung des Antrags trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, er und Frau … würden seit eineinhalb Jahren zusammenleben. Sie seien ein glückliches Paar. Die nunmehr erfolgte Trennung habe erhebliche Auswirkungen auf beider Wohlbefinden. Aufgrund der dramatischen Erfahrungen, die der Antragsteller im Gefängnis gemacht habe, sei er psychisch stark instabil. Auch seine Lebensgefährtin sei stark angeschlagen. Gegenseitig würden sie sich Halt geben und könnten sich im Alltag unterstützen. Daher sei eine gemeinsame Unterbringung für sie enorm wichtig.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor, nach § 3 Abs. 1 Satz 3 der Satzung über die Benutzung ihrer Obdachlosenunterkünfte – Obdachlosenunterkünftebenutzungssatzung – vom 26. September 2017 könnten in einem Raum mehrere Personen gleichen Geschlechts aufgenommen werden, die nicht verwandt oder verschwägert seien. Der Antragsteller und Frau … seien nicht verheiratet oder anderweitig verwandt. Sie seien daher satzungsgemäß getrennt in Wohneinheiten für Männer bzw. Frauen untergebracht worden.
Ein ärztliches Gutachten, aus dem sich ergebe, dass der Antragsteller nicht allein untergebracht werden könne, habe dieser nicht beigebracht.
Weiter wurde mitgeteilt, Frau … habe sich dahin geäußert, dass sie mit der Person, mit der sie sich das Zimmer teile, gut auskomme und keine Probleme habe.
Strittig ist zwischen den Beteiligten, ob sich Frau … darüber hinaus gegenüber Mitarbeitern der Antragsgegnerin dahingehend eingelassen hat, dass primär der Antragsteller eine gemeinsame Unterbringung wünsche.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird ergänzend auf die Gerichtsakte Bezug genommen
II.
Der Antrag ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus sonstigen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl den (aus dem streitigen Rechtsverhältnis abgeleiteten) Anspruch, bezüglich dessen die vorläufige Regelung getroffen werden soll (Anordnungsanspruch), wie auch die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, 294 ZPO).
Der Antrag war danach abzulehnen, weil weder der Vortrag des Antragstellers noch die sonstigen Umstände des Falles, so wie diese sich gegenwärtig nach Aktenlage darstellen, die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller eine gemeinsame Unterbringung mit Frau … beanspruchen kann und es daher an der Darlegung und Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs fehlt.
Die Gemeinden haben als untere Sicherheitsbehörden gem. Art. 6 LStVG unter anderem die Aufgabe, die öffentliche Sicherheit durch Abwehr von Gefahren aufrechtzuerhalten. Unfreiwillige Obdachlosigkeit stellt grundsätzlich eine Gefahr bzw. eine Störung der öffentlichen Sicherheit im Sinne dieser Vorschrift dar. Aus der gesetzlichen Verpflichtung zur Gefahrenabwehr folgt ein Anspruch des Betroffenen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein sicherheitsrechtliches Tätigwerden, der sich in Obdachlosenfällen im Regelfall auf einen strikten Anspruch auf Einschreiten durch Zurverfügungstellung einer geeigneten Unterkunft verdichten wird (vgl. BayVGH, B.v. 26.4.1995, – 4 CE 95.1023 – BayVBl 1995, 729). Hinsichtlich der Gestaltung der Art und Weise der Unterbringung verfügt die Obdachlosenbehörde dagegen über ein sehr weites Ermessen (vgl. VG München, B.v. 2.12.2008 – M 22 E 08.5680 – juris), wobei sie sicherzustellen hat, dass die Unterbringung den sich aus dem Gebot der Wahrung der Menschenwürde ergebenden Mindeststandards genügt und ggf. auf weitere auch in der Unterbringungssituation zwingend zu wahrende Rechte des Unterzubringenden angemessen Rücksicht genommen wird.
Dieses weite Ermessen wird vorliegend teilweise überlagert bzw. ist dessen Handhabung in bestimmter Weise vorgezeichnet durch die Regelungen der Obdachlosenunterkunftsbenutzungssatzung der Antragsgegnerin, in der die Rechte und Pflichten der Untergebrachten näher ausgestaltet sind. Das bedeutet, dass nur hinsichtlich etwaiger Fragestellungen, die satzungsmäßig nicht geregelt sind, die allgemein bei der Unterbringung zu beachtenden Grundsätze bei etwaigen von der Ordnungsbehörde zu treffenden Entscheidungen zur Anwendung kommen.
Dies vorausgeschickt ist zunächst festzustellen, dass entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin die Obdachlosenunterkunftsbenutzungssatzung die gemeinsame Unterbringung von Paaren, die nicht verheiratet sind, nicht verbietet. Nach § 3 Abs. 1 Satz 3 der Satzung können in einen Raum oder in mehrere zusammengehörende Räume auch mehrere Personen gleichen Geschlechts aufgenommen werden, die nicht verwandt oder verschwägert sind. Diese Regelung stellt klar, dass die Belegung eines Zimmers bzw. mehrerer Räume mit mehr als einer Person desselben Geschlechts zulässig ist und grundsätzlich ein Anspruch des Unterzubringenden auf Zurverfügungstellung eines Einzelzimmers nicht besteht, dieser ggf. also eine Mehrfachbelegung des von ihm genutzten Zimmers hinzunehmen hat. Der Regelung lässt sich aber weder nach ihrem Wortlaut noch nach deren Sinn und Zweck entnehmen, dass damit die gemeinsame Unterbringung eines nicht gleichgeschlechtlichen Paares – zumindest wenn die Betroffenen dies wünschen – untersagt wäre. Es ist im Übrigen auch nichts dafür ersichtlich, dass mit einer in diesem Sinne zu verstehenden Regelung ein zulässiges öffentliches Interesse (Gemeinwohlbelang) verfolgt werden könnte.
§ 3 Abs. 1 Satz 3 der Satzung verhält sich also nicht zu der Frage der gemeinsamen Unterbringung eine Paares unterschiedlichen Geschlechts und steht einem solchen Vorgehen nicht entgegen. Über ein entsprechendes Begehren hat die Antragsgegnerin somit nach den allgemein für die Ermessensentscheidungen geltenden Grundsätzen zu befinden. Die vorliegend ausgesprochene (mündliche) Ablehnung, die soweit ersichtlich allein auf die unzutreffende Interpretation der Satzungsregelung gestützt war, stellt sich folglich als rechtswidrig dar, da die Antragsgegnerin verkannt hat, dass ihr insoweit ein Ermessen eingeräumt ist (Ermessensausfall, vgl. Decker in BeckOK VwGO, Stand: 01.04.2020, § 114 Rn. 17 m.w.N.).
Dem Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung bleibt dessen ungeachtet der Erfolg versagt, denn eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller gemeinsam mit Frau … unterzubringen, könnte in diesem Verfahren nur ausgesprochen werden, wenn ein solches Vorgehen nicht nur zulässig wäre, sondern darüber hinaus aufgrund der besonderen Umstände des Falles davon auszugehen wäre, dass das der Antragsgegnerin eingeräumte Ermessen sich dahin verdichtet hat, dass letztlich nur eine stattgebende Entscheidung als rechtens angesehen werden könnte (sog. Ermessensreduzierung auf Null).
Dafür, dass dies hier der Fall sein könnte, fehlt es aber an hinreichenden Anhaltspunkten.
Das Anliegen, gemeinsam mit der Partnerin untergebracht zu werden (wenn diese dies auch wünscht), ist allerdings durchaus ein im Rahmen der Ermessenserwägungen zu berücksichtigender Belang, der allerdings für sich alleine eine stattgebende Entscheidung, wenn andere Umstände dem entgegenstehen, nicht bereits intendiert. Hinzuweisen ist hier darauf, dass bei Eheleuten regelmäßig ein Anspruch auf gemeinsame Unterbringung anzunehmen sein wird (vgl. BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 4 CE 18.965 – juris Rn. 8). Die nichteheliche Lebensgemeinschaft fällt aber nicht unter den grundrechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG. Eine Ungleichbehandlung verstößt daher insoweit auch nicht notwendig gegen den Gleichheitssatz (vgl. Art. 3 Abs. 1 GG).
Zum Vorbringen des Antragstellers zu seinem psychischen Wohlbefinden und den positiven Auswirkungen auf seine Verfassung im Falle einer gemeinsamen Unterbringung ist festzustellen, dass für das Gericht doch nicht erkennbar ist, auch wenn man die Einlassung des Antragstellers in ihrer allgemeinen Tendenz nicht in Frage stellt, dass eine gemeinsame Unterbringung geboten sein könnte und deren Verweigerung den Antragsteller notwendig in eine Lage versetzen würde, die gravierende nachteilige Auswirkungen auf dessen Gesundheitszustand haben müsste und sich daher als nicht zumutbar darstellen würde. Ein Kontakthalten zu Frau … dürfte auch bei einer Unterbringung in getrennten Zimmern weiterhin möglich sein. Hinsichtlich etwaiger gravierender Auswirkungen seinen Gesundheitszustand betreffend bliebe es dem Antragsteller im Übrigen unbenommen, ggf. ein ärztliches Attest beizubringen. Alleine der Vortrag hierzu reicht aber nicht aus, um eine stattgebende Entscheidung zumindest nahezulegen.
Inwieweit im Rahmen der Ermessensentscheidung weiter zu berücksichtigende Belange etwa im Hinblick auf die konkrete Gestaltung des Einrichtungsbetriebs (aktuelle Belegung, Nutzungskonzept hinsichtlich der Wohneinheiten), Fragen der Hausordnung und ggf. sonstige einzelfallbezogene Umstände eine ablehnende Entscheidung rechtfertigen und mithin der Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null entgegenstehen könnten, lässt sich vorliegend nach Aktenlage nicht beurteilen. Dass dies der Fall sein könnte, kann aber keineswegs von vorneherein ausgeschlossen werden.
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass im Rahmen des anhängigen Verfahrens nicht festgestellt werden kann, dass dem Antragsteller ein strikter Anspruch auf gemeinsame Unterbringung mit Frau … zustehen würde. Ungeachtet des Umstands, dass die Ablehnungsentscheidung ermessensfehlerhaft erfolgt ist (und die Antragsgegnerin gehalten sein wird, erneut hierüber zu entscheiden, wenn der Antragsteller sein Begehren aufrecht erhält), war der Antrag daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 35.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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