Medizinrecht

Keine Verbeamtung bei Wahrscheinlichkeit der Dienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze – Multiple Sklerose

Aktenzeichen  M 5 K 15.5106

Datum:
26.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 33 Abs. 2
BeamtStG BeamtStG § 9

 

Leitsatz

Eine Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe kommt nur bei gesundheitlicher Eignung in Betracht, die der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Diese Eignung fehlt, wenn die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beamtenbewerber vor Erreichen der Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt oder bis dahin regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und damit eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen wird. (redaktioneller Leitsatz)
Bei einer (nicht gutartigen) Multiplen Sklerose ist mit erheblichen Behinderungen vor Erreichen des Ruhestandes zu rechnen, die die Übernahme in das Beamtenverhältnis ausschließen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Der Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 4. Dezember 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) noch auf Neuverbescheidung ihres Einstellungsbegehrens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO), da sie gesundheitlich nicht geeignet ist.
1. Rechtsgrundlage für die Übernahme in ein Beamtenverhältnis auf Probe sind Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) und § 9 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern – Beamtenstatusgesetz (BeamtStG). Nach dieser Vorschrift sind Ernennungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse oder ethnischer Herkunft, Behinderung, Religion, Weltanschauung, politische Anschauungen, Herkunft, Beziehungen oder sexuelle Identität vorzunehmen. Die von der Klägerin begehrte Einstellung setzt daher unter anderem die Eignung voraus, wozu auch die gesundheitliche Eignung gehört (BVerwG, U. v. 25.2.1993 – 2 C 27/90 – BVerwGE 92, 147, juris Rn. 10). Die Voraussetzungen, denen ein Bewerber in gesundheitlicher Hinsicht genügen muss, ergeben sich aus den körperlichen Anforderungen, die der Beamte erfüllen muss, um die Ämter seiner Laufbahn wahrnehmen zu können. Der Dienstherr legt diese Anforderungen in Ausübung seiner Organisationsgewalt fest. Diese Vorgaben bilden den Maßstab, an dem die individuelle körperliche Leistungsfähigkeit der Bewerber zu messen ist (vgl. BVerwG, U. v. 21.6.2007 – 2 A 6.06 -, Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 35).
Bei einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Ablehnungsbescheids ist bei Verpflichtungsklagen auf Einstellung in das Beamtenverhältnis regelmäßig der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung sowie die damals geltende Sach- und Rechtslage entscheidungserheblich. Dem Dienstherrn steht allerdings kein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage zu, ob der Bewerber den laufbahnbezogenen festgelegten Voraussetzungen in gesundheitlicher Hinsicht genügt. Über die gesundheitliche Eignung von Bewerbern im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG entscheiden letztverantwortlich die Verwaltungsgerichte, ohne an tatsächliche oder rechtliche Wertungen des Dienstherrn gebunden zu sein (BVerwG, U. v. 25.7.2013 – 2 C 12/11 -, BVerwGE 147, 244-261, juris Rn. 24; U. v. 30.10.2013 – 2 C 16/12 – BVerwGE 148, 204-217, juris Rn. 19).
Die gesundheitliche Eignung fehlt, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, der Beamtenbewerber werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt oder er werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bis zur Pensionierung über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen. Dabei kann die gesundheitliche Eignung nur im Hinblick auf Erkrankungen, insbesondere chronische Erkrankungen verneint werden, nicht aber unter Berufung auf gesundheitliche Folgen, die mit dem allgemeinen Lebensrisiko, wie z. B. einem Unfall bei sportlichen Aktivitäten des Bewerbers, verbunden sind (BVerwG, U. v. 30.10.2013, a. a. O., Rn. 26).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe als Studienrätin bei dem Beklagten. Die Einvernahme der sachverständigen Zeugen hat zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass der Beklagte das Einstellungsgesuch der Klägerin zu Recht wegen gesundheitlicher Nichteignung ablehnen durfte.
a) Der als sachverständiger Zeuge in der mündlichen Verhandlung vernommene Arzt Prof. Dr. med. B. ist Facharzt für Neurologie. Er hat unter Erläuterung seines Gutachtens vom 11. November 2014 nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen er trotz des bisher positiv zu bewertenden Krankheitsverlaufs davon ausgeht, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit einer vorzeitigen Dienstunfähigkeit der Klägerin zu rechnen ist. Zu diesem Ergebnis ist er bereits in dem von ihm erstellten fachärztlichen Gutachten vom 11. November 2014 gelangt. In der mündlichen Verhandlung hat er dieses Fazit bestätigt und näher erklärt. Denn obwohl die Klägerin bislang überwiegend ohne spürbare Beschwerden war, traten dennoch mehrfach Schübe auf. Diese waren mit nicht unerheblichen gesundheitlichen Einschränkungen verbunden, zuletzt sogar mit einer Querschnittssymptomatik, die jeweils medikamentös behandelt werden mussten. Daher könne bei der Klägerin nicht von einer benignen (gutartigen) Multiplen Sklerose ausgegangen werden. Auch wenn die Klägerin bisher viel Glück gehabt haben mag, so sei dennoch nicht zu erwarten, dass keine weiteren Schübe erfolgen. Die Statistik spreche dafür, dass bei der Klägerin eine vorzeitige Dienstunfähigkeit eintreten werde, selbst bei fortschreitenden medizinischen Möglichkeiten. Diese könnten allenfalls dazu führen, dass entsprechende erhebliche Behinderungen erst deutlich später eintreten als nach aktuellen Statistiken. Gleichwohl liege eine entsprechende Wahrscheinlichkeit für eine solche Behinderung vor. Demgegenüber seien die Therapien nicht so gut, als dass eine erhebliche Behinderung vor Erreichen des Ruhestandsalters nicht überwiegend wahrscheinlich sei.
Diese Ausführungen sind nachvollziehbar und überzeugend. Insbesondere ist die Schlussfolgerung plausibel, dass vom bisherigen positiven Krankheitsverlauf nicht darauf geschlossen werden kann, dass keine überwiegende Wahrscheinlichkeit einer vorzeitigen Dienstunfähigkeit besteht. Denn trotz der bisherigen Beschwerdefreiheit sind weitere Schübe zu befürchten, die mit Einschränkungen verbunden sein könnten, welche sich nicht vollständig zurückbilden. Der Verlauf ist nicht derart positiv, dass von einer gutartigen Multiplen Sklerose ausgegangen werden kann. Der sachverständige Zeuge hat mit seinen Erläuterungen schlüssig dargelegt, inwiefern der spezielle Krankheitsverlauf der Klägerin, die zukünftig zu erwartenden neuen Behandlungsmöglichkeiten und die existierenden Statistiken in Einklang zu bringen sind. Insofern räumte er auch Unklarheiten des schriftlichen Gutachtens vom 11. November 2014 aus.
b) Dieser Einschätzung widerspricht auch nicht die Aussage von Dr. med. H., Assistenzarzt für Neurologie, der gemeinsam mit Prof. Dr. med. B. das fachärztliche Gutachten vom 11. November 2014 anfertigte und ebenfalls als sachverständiger Zeuge in der mündlichen Verhandlung vernommen wurde. Er bezeichnete die Erkrankung der Klägerin als Grenzfall zwischen einer regulär verlaufenden und einer gutartigen Multiplen Sklerose. Es gäbe zwar einerseits einige Krankheitsaktivitäten und man müsse von einem weiteren Krankheitsverlauf ausgehen, andererseits gehe es der Klägerin erstaunlich gut. Eine konkrete Prognose, ob eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine vorzeitige Dienstunfähigkeit bestehe, war ihm nicht möglich.
Gleichwohl verhält sich diese Aussage nicht diametral zu der Aussage von Prof. Dr. med. B. Denn der sachverständige Zeuge Dr. med. H. verneinte ausdrücklich nicht das Vorliegen einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für eine vorzeitige Dienstunfähigkeit der Klägerin. Er habe sich vielmehr nicht festlegen wollen, konnte also eine derartige Wahrscheinlichkeit weder bestätigen noch ausschließen. Soweit demgegenüber Prof. Dr. med. B. eine solche Festlegung trifft, begründet sich das aus Sicht des Gerichts mit der größeren medizinischen Erfahrung. Denn Prof. Dr. med. B. ist, im Gegensatz zu Dr. med. H. als Assistenzarzt, Facharzt für Neurologie und praktiziert bereits seit deutlich längerer Zeit. Darüber hinaus bestätigte auch Dr. med. H., dass verschiedene Tatsachen gegen eine positive Prognose hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Klägerin sprechen. So weist sie trotz vollständiger Rückbildung der spürbaren Symptome eine hohe Zahl an Entzündungsherden in Kopf und Rücken auf. Darüber hinaus traten bei ihr häufiger Erkrankungsschübe auf.
Nach Auffassung des Gerichts ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin zum Untersuchungszeitpunkt bereits seit 12 Jahren erkrankt war und nunmehr noch weit über 30 Jahre Dienst zu leisten hätte. Nach den Schilderungen von Dr. med. H. besteht selbst bei Patienten mit zunächst gutartiger Multipler Sklerose eine Wahrscheinlichkeit von 50%, dass nach 10 bis 20 Jahren deutlichere Einschränkungen feststellbar und sie nicht mehr der Fallgruppe der benignen Multiplen Sklerose zuzuordnen sind. Das bedeutet, dass selbst bei Patienten mit benigner Multipler Sklerose – zu denen die Klägerin weder laut Dr. med. H. noch Prof. Dr. med. B. zählt – mit fortschreitender Erkrankungsdauer eine hohe Wahrscheinlichkeit eines negativen Krankheitsverlaufes besteht.
c) Aus diesem Grund war auch nicht die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens von Amts wegen erforderlich. Nach der Rechtsprechung ist die Verwertung eines Gutachtens nur dann unzulässig, wenn das Gutachten unvollständig, widersprüchlich oder aus anderen Gründen nicht überzeugend ist, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn der Sachverständige erkennbar nicht über die notwendige Sachkunde verfügt oder Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestehen, wenn sich durch neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag der Beteiligten oder durch eigene Ermittlungstätigkeit des Gerichts die Bedeutung der vom Sachverständigen zu klärenden Fragen verändert, wenn ein anderer Sachverständiger über neue oder überlegenere Forschungsmittel oder über größere Erfahrung verfügt oder wenn das Beweisergebnis durch substantiierten Vortrag eines der Beteiligten oder durch eigene Überlegungen des Gerichts ernsthaft erschüttert wird (BVerwG, B. v. 26.6.1992 – 4 B 1-11/92, 4 B 1/92, 4 B 2/92, 4 B 3/92, 4 B 4/92, 4 B 5/92, 4 B 6/92, 4 B 7/92, 4 B 8/92, 4 B 9/92, 4 B 10/92, 4 B 11/92 – juris Rn. 54).
Keiner der genannten Gründe trifft vorliegend zu oder wurde – mit Ausnahme der angeblichen Widersprüchlichkeit – von der Beklagtenseite gerügt. Die Kernaussagen der Gutachter haben sich jedoch, wie erörtert, nach Auffassung des Gerichts nicht widersprochen. Das Gutachten sowie die Aussagen der sachverständigen Zeugen durften verwertet werden und waren nicht durch ein neues Gutachten zu ersetzen.
3. Die Klägerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs.1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).


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