Medizinrecht

Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, Anordnung einer MPU wegen wiederholter Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss, Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung bei alkoholauffälligem Kraftfahrer

Aktenzeichen  M 19 K 20.5386

Datum:
23.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42512
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. b
FeV § 20 Abs. 1 S. 1
FeV § 70
Anlage 4a Nr. 1 Buchst. f letzter S. zur FeV

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen B, BE und C1, C1E; der Bescheid der Beklagten vom 24. September 2020 ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Voraussetzungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis, die nach § 20 Abs. 1 FeV auch für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach vorausgegangener Entziehung gelten, bestimmen sich nach § 2 Abs. 2 und Abs. 8 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1, §§ 11 bis 14 FeV. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist die letzte mündliche Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 6.4.2017 – 3 C 24/15 – juris Rn. 12).
Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG müssen Fahrerlaubnisbewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Die Eignung besitzt nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG, § 11 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 FeV derjenige, der die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Die Anforderungen sind insbesondere dann nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder Anlage 5 zur FeV vorliegt, wodurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 11 Abs. 1 Satz 2 FeV). Gibt es hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher Mangel vorliegen könnte, ist die Fahrerlaubnisbehörde nach Maßgabe der §§ 11 bis 14 FeV grundsätzlich verpflichtet, Maßnahmen zur Aufklärung bestehender Fahreignungszweifel zu ergreifen. Zur Klärung von Eignungszweifeln ordnet sie nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV an, dass ein medizinischpsychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden. Hat die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens zur Aufklärung der Eignungszweifel angeordnet und weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung nach § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen und hat die Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu versagen. Die Schlussfolgerung aus der Nichtbeibringung oder der nicht fristgerechten Beibringung des geforderten Gutachtens auf die Nichteignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen darf aber nur dann gezogen werden, wenn die Beibringung eines Gutachtens zu Recht angeordnet wurde (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2020 – 11 CS 20.1061 – juris Rn. 16; BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – Rn. 19 m.w.N.).
Die Anordnung der Beklagten vom 16. April 2020 zur Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens begegnet keinen Bedenken. Die Voraussetzungen hierfür nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV lagen vor. Auch ist die Gutachtenanordnung im Hinblick auf den Begutachtungsumfang, die Fristsetzung und die hiermit verbundenen Belehrungen nicht zu beanstanden.
1. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV setzt mindestens zwei verwertbare Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss voraus (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 13 FeV Rn. 22). Diese liegen hier vor und wurden am … Juli 2018 und … Mai 2019 begangen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen steht der Fahrerlaubnisbehörde kein Ermessensspielraum hinsichtlich der Gutachtensanordnung zu.
2. Die Frist zur Beibringung des Gutachtens war ausreichend bemessen (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV). Der Kläger wurde zudem nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV über die Folgen der Nichtbeibringung des geforderten Gutachtens belehrt.
3. Die Gutachtensanforderung ist auch materiell rechtmäßig, insbesondere ist die Fragestellung anlassbezogen und verhältnismäßig (vgl. § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV, Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG).
4. Der Gutachtensanforderung vom 16. April 2020 stehen auch keine Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes entgegen. Es kann dahinstehen, ob ein solcher im Rahmen sicherheitsrechtlicher Befugnisse, die nicht im Ermessen der Behörde stehen, überhaupt in Betracht kommt (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2020 – 11 CS 20.1061 – juris Rn. 20). Denn jedenfalls liegen hier keine Umstände vor, die ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers darauf begründen konnten, er müsse im Neuerteilungsverfahren kein medizinischpsychologisches Gutachten vorlegen, sondern lediglich an einem Kurs für alkoholauffällige Kraftfahrer nach § 70 FeV teilnehmen (vgl. § 11 Abs. 10 Satz 1 FeV).
Zwar enthielt das am 16. Januar 2020 versendete Gutachten der … GmbH … den Zusatz, bei der Art der Einstellungsmängel bestehe die begründete Aussicht, diese durch die Teilnahme an einem Kurs für alkoholauffällige Kraftfahrer gemäß § 70 FeV zu beheben, und sieht dies die … GmbH … auch im Schreiben vom 6. Mai 2020 so. Dieser Zusatz stand jedoch im Widerspruch zu den in Anlage 4a zur FeV niedergelegten „Grundsätzen für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten“, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung und – versendung noch im Besitz einer Fahrerlaubnis war und die Empfehlung zur Teilnahme an Kursen zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung nur gegenüber Personen erfolgen darf, die zum Zeitpunkt der Begutachtung nicht Inhaber einer Fahrerlaubnis sind (vgl. Anlage 4a Nr. 1 Buchst. f letzter Satz zur FeV). Darüber hinaus hat die … GmbH … den Zusatz mit Schreiben vom 30. Januar 2020 widerrufen, so dass ein entsprechender Hinweis in einem medizinischpsychologischen Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung ohnehin nicht mehr vorlag. Die Aussage der … GmbH … im Schreiben vom 6. Mai 2020 erfolgte dagegen ohne aktuelle Untersuchung des Klägers und nicht im Rahmen der Erstellung eines Fahreignungsgutachtens.
Die Aussage in dem am 16. Januar 2020 versendeten Gutachten ist aber – ungeachtet der Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit des Gutachtens im Übrigen – auch inhaltlich nicht schlüssig und nachvollziehbar (vgl. Anlage 4a Nr. 2 Buchst. a Satz 1 zur FeV). Dem Kläger werden in dem Gutachten massive Defizite vorgehalten, so eine noch nicht ausreichende Einsicht in sein tatsächliches früheres Trinkverhalten, die aus nicht stringenten bzw. widersprüchlichen Angaben gerade zur zweiten Alkoholfahrt gefolgert wird, und eine ungenügende Reflexion von Themen wie Suchtgedächtnis, Rückfallvermeidungsstrategien, Notfallplan und eigenen Ressourcen. Angesichts dieser Defizite erscheint es nicht einleuchtend, dass die bloße Teilnahme an einem Kurs nach § 70 FeV über einige Stunden hinweg ausreichen soll, um die aufgezeigten Einstellungsmängel zu beheben. Die hierzu im Gutachten enthaltene Erklärung, dass beim Kläger ein ausreichendes Maß an Selbstreflexion und Durchsetzungsvermögen vorhanden sei, um eine Verhaltensänderung durch den Kurs einzuleiten, steht im Widerspruch zu den zuvor genannten Defiziten und überzeugt daher nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


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