Medizinrecht

Offensichtlich unbegründeter Asylantrag eines senegalesischen Asylbewerbers

Aktenzeichen  M 4 K 17.31582

Datum:
20.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 154823
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29a Abs. 2, § 36, § 77 Abs. 2, § 83b
AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 7, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Eine schwerwiegende Erkrankung, die die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG rechtfertigt, kann auch bei Vorliegen einer PTBS regelmäßig nicht angenommen werden. Selbst in diesen Fällen ist die Abschiebung regelmäßig möglich, es sei denn, sie führt zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung. (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Angesichts der Unschärfen und Komplexität des psychischen Krankheitsbildes sowie der vielfältigen Symptomatik erfordert die Geltendmachung einer PTBS regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. Daraus muss sich u.a. nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt (BVerwG BeckRS 2016, 47723). (Rn. 22) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die allgemein harten Lebensbedingungen im Senegal eröffnen keine Berufung auf den Schutz aus § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Ein junger, arbeitsfähiger Mann ist im Falle seiner Rückkehr wie jeder dort Lebende in der vergleichbaren Situation in der Lage, seinen Lebensunterhalt durch eine eigene Tätigkeit sicherzustellen. (Rn. 30 – 31) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte trotz Ausbleibens der ordnungsgemäß geladenen Beklagtenpartei entschieden werden.
Die zulässige Klage bleibt erfolglos; Abschiebungsverbote liegen nicht vor. Auch die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheids ist rechtmäßig, ebenso die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes in Ziffer 6 und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes in Ziffer 7 des Bescheids.
Zur Vermeidung von Wiederholungen folgt das Gericht zunächst den Ausführungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung von Entscheidungsgründen ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird ausgeführt:
Die Voraussetzungen für das Vorliegen von (nationalen) Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor.
(1) Die erstmals in der Klage vorgebrachte psychische Erkrankung kann ein nationales Abschiebungshindernis zum maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung vorliegend nicht begründen.
§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll den Ausländer vor einer erheblichen konkreten Gesundheits- oder Lebensgefahr schützen. Diese liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).
Selbst wenn eine psychische Erkrankung vorliegt, führt dies nicht ohne weiteres zu einem Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Der Gesetzgeber geht nämlich nunmehr davon aus, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Mit dieser Präzisierung wir klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 darstellen. Eine solche schwerwiegende Erkrankung kann hingegen z.B. in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden: Sogar in diesen Fällen ist die Abschiebung regelmäßig möglich, es sei denn, die Abschiebung führt zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung (Bundestagsdrucksache 18/7538 v. 16.02.2016, S. 18). Das Vorliegen einer derart äußerst gravierenden Erkrankung ist, nicht ausreichend und den Anforderungen der Rechtsprechung belegt.
Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung an PTBS angesichts der Unschärfen und Komplexität des psychischen Krankheitsbildes sowie einer vielfältigen Symptomatik regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests gehört. Daraus muss sich u.a. nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt (BVerwG. U. v. 11.09.2007, Az. 10 C 17/07, juris). Dasselbe gilt für andere psychische Erkrankungen.
Diesen Anforderungen genügen die vorgelegten Atteste, das vorgelegte Gutachten nicht.
Der Kläger, der während der 70-minütigen Befragung durch das Gericht keines der unter C) beobachtete Symptome des Gutachtens von Refugio vom 15. September 2017 – trotz zahlreicher Fragen des Gerichts nach der Ermordung seiner Geschwister – vorgetragenen Auffälligkeiten zeigte, hat sich bei dieser Befragung in so erhebliche Widersprüche, sowohl innerhalb der Befragung als auch zu seinen Angaben vor dem Bundesamt, verwickelt, dass das Gericht den Vortrag des Klägers insgesamt nicht glaubt. Damit ist den vorgelegten Attesten und insbesondere dem Gutachten von Refugio vom 15. September 2017 die anamnestische Grundlage und damit die Grundlage für die Diagnose entzogen. Das einer PTBS zu Grunde liegende „Trauma“ hat zur Überzeugung des Gerichts nicht oder zumindest nicht „so“ stattgefunden, wie es den Attesten/dem Gutachten zur Grunde gelegt wurde.
So hat der Kläger die erstmals im Jahr 2017 im Rahmen der Klagebegründung vorgetragene Ermordung seiner Geschwister entgegen allen bisherigen Angaben als im Jahr 2015 geschehen (Atteste, Gutachten, Vortrag des Klägers) nunmehr auf das Jahr 2011/2012 datiert. Die Widersprüche konnten trotz mehrfacher Nachfrage nicht aufgelöst werden. Auch der Ablauf des Überfalls und die sich daran anschließenden Vorfälle stimmen nicht überein. Vor dem Bundesamt hat der Kläger erst auf Nachfrage, nachdem er vorher gesagt habe, dass ihm körperlich nichts passiert sei, von einem Vorfall eine Woche nach dem Banküberfall erzählt. Dieser Vorfall hat sich nunmehr nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung eins bis zwei, beziehungsweise zwei bis drei Monate nach dem Banküberfall ereignet. Auch hat der Kläger den Ablauf dieses Vorfalls sehr unterschiedlich geschildert. Erstmals in der mündlichen Verhandlung war von einem Angriff mit einem langen Messer/einer Machete die Rede.
Ebenfalls sind die Angaben des Klägers zum zeitlichen Aufenthalt nach dem Überfall so verworren und widersprüchlich, dass das Gericht sie nicht glaubt (z.B. der Vortrag hinsichtlich seiner Ersparnisse). Auch sind die Angaben in der mündlichen Verhandlung, dass seine Mutter schon lange vor 2012 verstorben sei, mit seinem Vortrag bei der Befragung vor dem Bundesamt nicht in Einklang zu bringen („ich fuhr… zu meiner Mutter in Kaolack. Sie war sauer…“). Auch hat der Kläger die „Ermordung“ seiner Geschwister sehr unterschiedlich geschildert. In der Klagebegründung und nach dem bis zur mündlichen Verhandlung vorliegenden Akteninhalt hat der Kläger seinen Bruder mit durchgeschnittener Kehle zu Hause auf dem Boden liegend vorgefunden. Bei seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger zunächst, seine Geschwister seien schon abtransportiert worden und er habe die Leichen im Krankenhaus gesehen. Danach erklärte er wiederum, er habe die Leichen auch zu Hause gesehen. Das Gericht kann diese Version nicht nachvollziehen, da sie nach den eigenen Angaben des Klägers voraussetzt, dass die Polizei die Leichen im Haus liegen ließ und weggefahren ist. Auch ist der Kläger nach seinen Angaben einmal am selben Tag, als er per Telefon von der „Ermordung“ seiner Geschwister erfahren hat, mit einem Freund nach Hause gefahren und einmal erst am nächsten Tag. Auch zum Schicksal seines zweiten Bruders hat der Kläger vollkommen unterschiedliche Angaben gemacht. Nach Aktenlage (bisheriger Vortrag des Klägers) ist dieser bei einem Verkehrsunfall gestorben und der Kläger habe von dem Tod am 12. Januar 2017 erfahren; nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger mit dem Bruder seit seiner Ausreise keinen Kontakt und wisse nichts von seinem Schicksal.
Ebenso sind die Angaben des Klägers weshalb er trotz zahlreicher telefonischer Bedrohungen nicht die SIM-Karte gewechselt habe aufgrund seiner Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht mehr nachvollziehbar (drei Telefonanbieter).
Nach alledem glaubt das Gericht die Trauma auslösenden Ereignisse nicht; den Attesten/dem Gutachten fehlt damit die wesentliche Grundlage für die Diagnose.
Auch ist das Gutachten deshalb nicht mehr aussagekräftig und entspricht nicht den Vorgaben des BVerwG, da auch die Begründungen für das späte Auftreten der PTBS nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung in sich zusammengefallen sind. Die Geschwister wurden danach nicht im Jahr 2015 sondern bereits drei oder vier Jahre vorher ermordet und den Anruf vom Tod des zweiten Bruders gab es offensichtlich nicht.
(2) Die allgemein harten Lebensbedingungen im Senegal eröffnen keine Berufung auf den Schutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Zwar ist nach der Auskunftslage (Bericht des Auswärtigen Amtes a. a. O., dort zu Ziffer IV.1 – S. 15) davon auszugehen, dass die Versorgungslage im Senegal schlecht ist. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen kann der zurückkehrende Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aber nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei seiner Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, d.h. gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2001 – 1 C 5/01 – BVerwGE 115, 1 m.w.N.; BVerwG, U. v. 29.9.2011 – 10 C 24/10 – NVwZ 2012, 451 Rn. 20).
(3) Das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage bei Rückkehr kann beim Kläger nicht angenommen werden. Dieser ist als junger arbeitsfähiger Mann in der Lage, wie jeder andere dort Lebende in der vergleichbaren Situation, seinen Lebensunterhalt im Senegal durch eigene Tätigkeit, beispielsweise wie auch schon vorher als Lkw-Fahrer, sicherzustellen. Eine drohende Lebensgefahr ist bei einer Rückkehr nach der Auskunftslage nicht erkennbar
(4) Die Abschiebungsandrohung, die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sowie die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots in den Ziffern 5, 6 und 7 des Bescheides sind ebenso rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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