Medizinrecht

Rentenversicherungspflicht – Versorgungswerk der Apotheker – Befreiungsanspruch

Aktenzeichen  S 15 R 10/16

Datum:
10.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2016, 140501
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI SGB VI § 6 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die von der Beklagen aufgestellte Befreiungsvoraussetzung, dass die Approbation als Apotheker zwingende Voraussetzung für die Ausübung einer apothekerlichen Tätigkeit sein muss, lässt sich weder aus dem Gesetz noch aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung ableiten. Sie führte dazu, dass alleine Tätigkeiten in einer öffentlichen oder einer Krankenhaus Apotheke befreiungsfähig wären. (amtlicher Leitsatz)
2. Eine Befreiung ist vielmehr für alle Tätigkeiten zu erteilen, die zum wesentlichen Kernbereich der pharmazeutischen Tätigkeit gehören. (amtlicher Leitsatz)
3. Die Voraussetzungen dafür sind anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen. (amtlicher Leitsatz)
4. Die Betreuung von Pharmazie Famulanten oder Praktikanten spricht für eine zum Kernbereich einer apothekerlichen Tätigkeit gehörenden Berufsausübung. (amtlicher Leitsatz)
5. Anschluss an SG München Urteil vom 5. Februar 2015 S 15 R 928/14 juris. (amtlicher Leitsatz)
6. Apothekern, welche in der klinischen Forschung sowie für onkologische Studien verantwortlich tätig sind (Clinical Study Manager) und welche wegen dieser Tätigkeit Pflichtmitglied der Apothekerkammer sowie des Versorgungswerks der Apotheker sind, ist auf Antrag die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht zu erteilen. (redaktioneller Leitsatz)
7. Sind Apotheker als Sachkundige gem. § 14 Abs. 1 AMG in der Arzneimittelherstellung beschäftigt, liegt eine berufsspezifische Tätigkeit iSd § 6 SGB VI vor. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 08.07.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.12.2015 verurteilt, die Klägerin ab dem 01.10.2013 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Tätigkeit als Study Manager Clinical Operations bei Firma R. Diagnostics GmbH zu befreien.
II. Die Beklagte erstattet der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die Kl. ist durch die angegriffenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Die Bescheide waren aufzuheben und die Feststellung war zu treffen, dass die Klägerin mit Wirkung vom 01.10.2013 für die bei der Fa. R. ausgeübten Tätigkeit als Studienmanagerin zu befreien ist.
Die Befreiung ist bereits mit Beginn der Tätigkeit (01.10.2013) auszusprechen, da die Klägerin den Befreiungsantrag innerhalb der ersten drei Monate nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt hat (§ 6 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – SGB VI).
Die Klägerin ist zu befreien, da die bei R. ausgeübte Tätigkeit eine apothekerliche ist.
Ein Versicherter ist von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien, wenn er wegen seiner Beschäftigung Pflichtmitglied in einer Versorgungseinrichtung und einer berufsständigen Kammer war. Dies ist anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen (BSG, Urteil vom 31.10.2012, B 12 R 3/11 Rn. 34 unter juris). Der Anknüpfungstatbestand ist hierbei die konkrete Tätigkeit, für die die Befreiung begehrt wird.
Der Bundesgesetzgeber stellt mithin mit seiner Formulierung in § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI („wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind.“) auf einen landesrechtlich geprägten Tätigkeitsbegriff ab. Die entscheidenden landesrechtlichen Rechtsvorschriften hierzu sind das Gesetz über die Berufsausübung, die Berufsvertretungen und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker sowie der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Heilberufe-Kammergesetz – HKaG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Februar 2002 sowie die Bayerische Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker.
Gemäß Art. 53 Abs. 1 Nr. 1 HKaG sind Mitglieder der Landesapothekerkammer alle zur Berufsausübung berechtigten Apotheker, die in Bayern als Apotheker tätig sind oder ohne als Apotheker tätig zu sein, in Bayern ihre Hauptwohnung haben. Eine Legaldefinition, wann das Gesetz von einer Tätigkeit „als Apotheker“ ausgeht, fehlt. Die Bayerische Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker legt auf der Grundlage des Bayerischen Heilberufe-Kammergesetzes die Berufspflichten und die ethischen Grundsätze der Berufsausübung fest. Diese definiert auch in ihrem § 1 die apothekerliche Berufsausübung. Danach übt der Apotheker seinen Beruf in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen aus, insbesondere in der öffentlichen Apotheke, im Krankenhaus, im pharmazeutischen Großhandel, in der pharmazeutischen Industrie, in Prüfinstitutionen, bei der Bundeswehr, bei Behörden und Körperschaften, an der Universität und an Lehranstalten und Berufsschulen und ist dabei zum Dienst im Gesundheitswesen berufen. Der Auftrag des Apothekers umfasst je nach individuellem Tätigkeitsbereich die Entwicklung, Herstellung, Prüfung und Abgabe von Arzneimitteln, insbesondere die Beratung und Betreuung der Patienten, die Beratung der Ärzte und anderer Beteiligter im Gesundheitswesen, die Sicherstellung des ordnungsgemäßen Umgangs mit Arzneimitteln, Forschung, Lehre und Verwaltung, die Tätigkeit als Sachverständiger sowie weitere pharmazeutische Leistungen. Er bezieht sich auch auf Medizinprodukte sowie sonstige apothekenübliche Waren und Tätigkeiten und beinhaltet auch die Mitarbeit bei qualitätssichernden und präventiven Maßnahmen. Der Apotheker hilft den Menschen dabei, ihre Gesundheit zu erhalten und Erkrankungen vorzubeugen.
Diese offene Definition der apothekerlichen Tätigkeit nach Landesrecht wirkt über § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI unmittelbar ins Bundesrecht ein. Allerdings ist die Auffassung der Beklagten, bei der Berufsdefinition des Apothekers im Kontext der Frage nach der Befreiungsfähigkeit einer Tätigkeit auch Bundesrecht heranzuziehen, rechtsfehlerfrei. Denn die Auslegung der Tätigkeit als Apotheker kann unter Heranziehung von Bundesrecht (BApO) zulässig erfolgen (BVerwG, Urteil vom 30.01.1996, Aktenzeichen 1 C 9/93).
Nach § 2 Abs. 3 BApO ist Ausübung des Apothekerberufs die Ausübung einer pharmazeutischen Tätigkeit, insbesondere die Entwicklung, Herstellung, Prüfung oder Abgabe von Arzneimitteln unter der Berufsbezeichnung „Apotheker“ oder „Apothekerin“. Die apothekerliche Approbation im Sinne von § 2 Abs. 1 BApO ist hierbei für die Ausübung einer apothekerlichen Tätigkeit im Kontext der Kammerrechtsprechung der Verwaltungsgerichte nicht zwingend erforderlich (HessVGH, 29.09.1992, 11 UE 1829/90).
Nichts anderes gilt für die Frage der Befreiungsfähigkeit im Kontext vom § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, die gemäß der Rechtsprechung vom Bundessozialgericht wie oben dargelegt anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen ist.
Rechtsfehlerhaft ist in diesem Kontext die von der Bekl. aufgestellte Tatbestandsvoraussetzung, dass die Approbation zwingende Voraussetzung für den Beruf in dem Sinne sein müsse, dass die Tätigkeit nur mit Approbation ausgeführt werden könne bzw. dürfe. Dies würde das befreiungsfähige Tätigkeitsprofil eines Apothekers letztlich auf die Tätigkeit in einer öffentlichen oder Krankenhausapotheke verengen, was weder mit § 2 Abs. 3 BApO noch mit der Rechtsprechung des BSG (a. a. O.) in Einklang zu bringen ist. Sofern die Bekl. die Auffassung vertritt, sich hierbei auf die Judikatur der Landessozialgerichtsbarkeit, die zum Tätigkeitsprofil der Pharmaberater ergangen ist, stützen zu können, überzeugt dies nicht. Zwar wird in diesen Urteilen teilweise der missverständliche Ausdruck gebraucht, dass „die Tätigkeit als Pharmaberater nicht zwingend die Approbation als Arzt, Tierarzt bzw. Apotheker erfordert“ (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.01.2009, Az. L 4 R 738/06, Rn. 29, juris; ähnlich LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.05.2010, L 4 R 168/09, Rn. 31, juris), andererseits wird aber in der gleichen Judikatur darauf abgestellt, ob die Tätigkeit „berufsspezifisch“ (LSG Hessen, Urteil vom 29.03.2007, Az. L 1 KR 344/04, Rn. 24, juris) bzw. „zum wesentlichen Kernbereich der pharmazeutischen Tätigkeit gehört“ (LSG Baden-Württemberg, a. a. O.). Da die Approbation im Bereich der pharmazeutischen Industrie als Berufszugangsbedingung von Gesetz wegen nicht existiert, führte der missverständliche Ausdruck der „zwingend erforderlichen Approbation“ dazu, dass nur noch im Bereich der öffentlichen und Krankenhaus-Apotheke, für den die Approbation für die Berufsausübung vorausgesetzt wird (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über das Apothekenwesen – ApoG – bzw. § 14 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ApoG), nicht aber für Tätigkeiten im pharmazeutisch-industriellen Komplex befreit werden könnte. Dass dies jedoch realitätsfern und sich mit den berufsständischen Vorschriften nicht in Einklang bringen lässt, zeigen bereits § 2 Abs. 3 BApO und § 1 Abs. 1 der Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker der Bayerischen Landesapothekerkammer, die eine apothekerliche Tätigkeit im Hinblick auf die Entwicklung, Herstellung und Prüfung von Medikamenten bzw. in der pharmazeutischen Industrie voraussetzen.
Die zitierte Rechtsprechung der Landessozialgerichtsbarkeit ist daher nur unter dem Gesichtspunkt mit der Rechtsprechung des BSG in Einklang zu bringen, dass die zu beurteilende Tätigkeit zum Kernbereich des apothekerlichen Berufsbilds gehören muss. Dies wiederum ist anhand der einschlägigen kammerrechtlichen Vorschriften, insbesondere unter Beachtung der Berufsordnungen des jeweiligen verkammerten Berufs, zu beurteilen.
Dieses Prüfniveau vorausgesetzt, ist die Auffassung der Bekl., dass die Tätigkeit der Klägerin von vorneherein deswegen nicht berufsspezifisch sei, weil nach dem Stellenprofil auch andere akademische Berufe der Natur- und Biowissenschaften Zugang zu ihr haben können, rechtsfehlerhaft. Nach §§ 17-19 AAppO ist die Ausbildung der Apotheker interdisziplinär angelegt, so dass ein Zusammenarbeiten mit anderen Disziplinen (Chemiker, Biochemiker, ggf. sogar Physiker) bei der Entwicklung, Herstellung und Prüfung von Medikamenten im apothekerlichen Berufsbild angelegt ist und daher nicht gegen das Vorliegen einer berufsspezifischen Tätigkeit verwendet werden kann.
Die Klägerin ist als Studienmanagerin insbesondere für die Leitung klinischer Studien für Labortests (Planung, Durchführung und Auswertung) verantwortlich. Die Klägerin beschäftigt sich in diesen Studien mit Labortests für Medikamente und für die Erhebung von klinischen Laborparametern mit dem Ziel, einen für die klinische Anwendung validen Wert zu erhalten. Als Beispiel nannte die Klägerin Medikamente, die auf die Blutgerinnung und solche, die auf die Abstoßungsreaktion des Immunsystems einwirken. Für diese Arbeit muss sie die Interferenz (das heißt den verfälschenden Einfluss anderer Medikamente auf das Messergebnis bezüglich der Wirksubstanz) und andere pharmazeutische Wechselwirkungen (zum Beispiel die Einwirkung von Stoffwechselprodukten der Wirksubstanz auf das Messergebnis) beurteilen. Hierzu muss die Klägerin klinisch-pharmazeutische Fragestellung beantworten, zum Beispiel wie lange die Einnahmeabstinenz des Patienten (in Bezug auf ein Medikament) sein muss, um den Messwert des gewünschten Parameters valide zu halten. Eine Fragestellung ist auch, welche Medikamenteneinnahme bei den Probanden wegen unerwünschter Wechselwirkung zum Ausschluss aus der Studie führt.
Diese Tätigkeit benötigt profundes pharmazeutisches Wissen und ist somit dem Kernbereich der apothekerlichen Tätigkeit zuzuordnen. Es ist gerade nicht so, wie dies die Beklagte behauptet, dass pharmazeutisches Wissen „noch“ am Rande Verwendung findet. Dies zeigt sich auch darin, dass die oben genannten Fragestellungen nur von den Apothekerfachkollegen beantwortet werden.
Für eine apothekerliche Tätigkeit spricht zudem die Leitung der Famulatur von sich in Ausbildung befindenden Pharmaziestudenten. Gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 AAppO bzw. gemäß § 4 Abs. 2 S. 4 AAppO erfolgen Famulatur und praktische Ausbildung unter Leitung eines Apothekers, wobei ausdrücklich geregelt ist, dass beide praktischen Bestandteile der Ausbildung in der pharmazeutischen Industrie ausgeübt werden können (§§ 3 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 c AAppO ). Die Auslegung der Beklagten, dass das Gesetz damit einen Apotheker im numerischen Sinne meint und alle anderen Apotheker in einem pharmazeutischen Betrieb daher nicht mehr ausbildungsberechtigt seien, ist nicht überzeugend. Alleine die schiere Anzahl von Mitarbeitern in einem großen pharmazeutischen Betrieb (Fa. H.-La R. 91.000 Mitarbeiter gem. Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Hoffmann-La_ R.) macht die Vorstellung, dass ein Apotheker für die Ausbildung junger Pharmazeuten verantwortlich zeichnet, abwegig. Zudem ist diese Auslegung auch mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht vereinbar. Dieser ist so zu verstehen, dass die Güte der Ausbildung durch die Leitung durch einen Apotheker gewährleistet sein soll, nicht aber, dass nur ein einziger Apotheker in einem Betrieb für die Ausbildung verantwortlich zeichnen darf. Für eine solche Auslegung gibt es schon keinen Anhalt im Wortlaut.
Nach allem war der Klage stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.


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