Medizinrecht

Tierschutzrecht – Euthanasierungsanordnung

Aktenzeichen  M 23 K 16.1118

Datum:
21.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
TierSchG § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Hs. 3 TierSchG

 

Leitsatz

Grundsätzlich ist für die Überprüfung eines belastenden Verwaltungsaktes ohne Dauerwirkung maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt derjenige der letzten behördlichen Entscheidung. Bei einer Euthanasierungsanordnung liegt es jedoch auf der Hand, dass schon wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der notwendigen Prüfung der Unabdingbarkeit der Maßnahme zumindest ein Abgleich der Sachlage auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vonnöten ist, nämlich ob die Voraussetzungen der Euthanasierung nach wie vor vorliegen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten ist – nach wie vor – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Grundsätzlich ist für die Überprüfung eines belastenden Verwaltungsaktes ohne Dauerwirkung maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt der der letzten behördlichen Entscheidung, hier: Mai 2014 (vgl. eingehend Wolff in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, § 113 Rn. 97 ff. m.w.N.). In der vorzufindenden Konstellation liegt es jedoch auf der Hand, dass schon wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der notwendigen Prüfung der Unabdingbarkeit der Maßnahme zumindest ein Abgleich der Sachlage auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vonnöten ist, nämlich ob die Voraussetzungen der Euthanasierung (§ 16a Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 Hs. 3 TierSchG) nach wie vor vorliegen, was letztlich auch den Vorgaben des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in dessen Beschluss vom 13. Mai 2014 (a.a.O. – juris Rn. 21) entspricht.
Diese abgleichende Überprüfung hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom 21. Dezember 2016 vorgenommen.
Das Gericht hätte es zwar für sachdienlicher gehalten, wenn eine neuerliche fachliche Untersuchung des Tieres und Bewertung durch einen mit der Angelegenheit noch nicht befassten sachverständigen Fachtierarzt hätte erfolgen können, dies auch, wenn dies ggf. mit Stress für das Tier verbunden gewesen wäre. Diese Vorgehensweise wäre schon deshalb vorzugswürdig gewesen, da fachlicher Streit zwischen den Parteien bzw. den diese vertretenden Veterinären bestand. Die abschließende Würdigung und Bewertung der fachlichen Differenzen wäre dann durch einen Sachverständigen, der von beiden Seiten getragen wird und über aktuelle Erkenntnisse verfügt, erfolgt. Die Klägerseite hat sich dem jedoch verschlossen und hat sich stattdessen auf die erneute Stellungnahme der Fr. Dr. T. vom August 2016 berufen. In der mündlichen Verhandlung vom 16. November 2016 hatte das Gericht darauf die „nächstgeeignete“ Beweiserhebung beschlossen, nämlich die drei (neben den beamteten Veterinären des Beklagten) mit dem Tier bislang befassten externen Tierärzte in der mündlichen Verhandlung einzuvernehmen. Die im Nachhinein von Klageseite am 18. November 2016 mitgeteilte Zustimmung einer aktuellen Besichtigung des Tieres vor Ort durch Hrn. Dr. K. konnte von dort nicht realisiert werden. Das Gericht bezweifelt aufgrund der Eindeutigkeit seiner Angaben in der mündlichen Verhandlung aber nicht, dass die Aussagen und Bewertungen deswegen nicht bzw. nur eingeschränkt verwertbar wären. Daher kann es dahinstehen, dass durch eine neuerliche Begutachtung des Tieres ggf. bessere Erkenntnisse und fundierteres Tatsachenmaterial zu gewinnen gewesen wäre. Auf die Frage einer etwaigen Verletzung der prozessualen Pflicht des Klägers zur Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhaltes (§ 82 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO) kommt es daher streitentscheidend nicht an (vgl. hierzu Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 108 Rn. 74 ff.).
Die Anordnung wurde zutreffend auf § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Hs. 3 TierSchG gestützt. Der Tatbestand der Norm ist gegeben. Das betreffende Tier könnte nur unter nicht behebbaren erheblichen Schmerzen und/oder Leiden weiterleben. Dies hat die Beweiserhebung bestätigt:
Prof. Dr. K. gab im Wesentlichen an, es sei fachlich zwischen Unwohlsein, Leiden und Schmerzen eines Wildtieres zu differenzieren. Die zu diagnostizierenden Leiden des Tieres seien nicht gebunden an körperliche Schmerzen, sondern würden hauptsächlich auf dem Fehlen der artgemäßen Verhaltensweisen beruhen, z.B. fehlendes Fliegen, Störung, das Gleichgewicht halten zu können bzw. fehlende Möglichkeit des Auslebens des Komfortverhaltens. Die im April 2014 gestellte Empfehlung, die ein dringender fachlicher Ratschlag gewesen sei, gelte nach objektivierbaren Kriterien auch, wenn eine neuerliche radiologische/neurologische Untersuchung nicht möglich gewesen sei. Er erläuterte die bei Wildtieren typische Verhaltensweise des Kaschierens von Schmerzen, Leiden und Schäden. Ein milderes Mittel sei gegenüber der Euthanasierung nicht gegeben. Ein wesentliches Kriterium der Bewertung des Leidens sei dabei auch die auf den Röntgenbildern ersichtliche Luxation des linken Flügels. Bei dem Tier handle es sich um einen reflexgeleiteten Wildvogel, bei dem lediglich in äußerst begrenztem Umfang individuelle Kompensation denkbar sei. Kompensation entstamme der Humanmedizin und sei auf Tiere schlechterdings übertragbar. Dies gelte auch in Kenntnis der von Frau Dr. T. gefertigten Fotografien vom Sommer 2016. Auf Grundlage der Fotos könne keinesfalls eine Kompensation so weitgehend angenommen werden, „dass es dem Tier gut gehe“, zumal ein artgerechtes Verhalten des Bussards ausgeschlossen sei, was eine komplexe Situation darstelle. Auch verlaufe die Gefiederpflege ausweislich der Fotos nicht im normalen Umfang.
Herr Dr. K. führte aus, er habe die Wildtierauffangstation im Jahr 2012 zuletzt besucht. Damals sei eine klinische Untersuchung ohne Hilfsmittel vor Ort in adspektorischer und palpatorischer Hinsicht durchgeführt worden. Man habe damals bereits massive Veränderungen festgestellt, die so erheblich gewesen seien, dass man die damalige Empfehlung der Tötung ausgesprochen habe. Weiterhin erläuterte er anhand der gefertigten Röntgenaufnahmen den Grad der Beeinträchtigung/des Defekts der Gliedmaßen (im Vergleich zum menschlichen Bein) mit den hierdurch dauerhaft hervorgerufenen Leiden. Im Gegensatz zum Menschen gäbe es keine therapeutischen Möglichkeiten. Aus seiner Erfahrung könne er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich sagen, dass die damalige Empfehlung nach wie vor ihre Richtigkeit habe, dies auch ohne erneute radiologische/neurologische Untersuchung. Die Formulierung „Empfehlung“ bedeute einen eindeutigen fachlichen Ratschlag. Ein milderes Mittel, das Leiden des Tieres zu beenden, gäbe es nicht. Aus den Fotos von Frau Dr. T. aus dem Sommer 2016 sei ersichtlich, dass das Komfortverhalten des Tieres aufgrund der Einschränkungen deutlich eingeschränkt sei. Neben dem festzustellenden Leiden seien aber auch Schmerzen gegeben, etwa falls das Tier in Stresssituationen versuche wegzufliegen.
Frau Dr. T. gab an, sie würde die Bewertung, dass das Tier nach seinem damaligen Unfall Leiden/Schmerzen erlitten habe, durchaus teilen, ebenso würde sie die Folgerungen der einvernommenen Kollegen teilen, hätte sie den Vogel nicht individuell gesehen. Durch ihre Besuche in der Auffangstation über die Jahre hinweg, so im August 2016, habe sie jedoch eine Zustandsverbesserung festgestellt. Kriterien für das derzeitige Wohlbefinden des Tieres seien dessen aufrechte Haltung und der Blick, was beides auf seinen Lebenswillen hindeute. Dies gelte insbesondere, wenn das Tier sich unbeobachtet fühle. Man könne sehen, dass sich das Tier nicht aufgegeben habe. Die Bewertung, dass das Tier die Verletzung gut kompensiert habe, könne sie auch ohne radiologische und neurologische Untersuchung abgeben. Komfortverhalten sei möglich, insbesondere durch sichtbare Gefiederpflege. Entgegen der Bewertung von Prof. Dr. K. hätten sich im Schulterbereich Pseudogelenke gebildet und habe dadurch eine Kompensation stattgefunden. Die Tatsache, dass der Vogel auch höhere Stämme (etwa 2 Meter) erreichen könne, zeige, dass er die Flügel benutze. Bei dem Kontakt zu dem Kläger zeige der Vogel keine Stresssituation, da der Kläger der Futterlieferant sei. Die Gefiederpflege habe ihrer Beobachtung nach ausreichend stattgefunden.
Das Gericht ist in freier Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) zu der Überzeugung gelangt, dass trotz kontroverser Bewertung zwischen Frau Dr. T., die das Tier auf Initiative des Klägers mehrfach besucht und beobachtet hat, so zuletzt am 8. August 2016, einerseits, und Herrn Prof. Dr. K. und Herrn Dr. K., deren Beurteilungen auf länger zurückliegende Untersuchungen beruhen andererseits, der Bussard auch aktuell nur unter nicht behebbaren erheblichen Schmerzen, Leiden oder Schäden (§ 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Hs. 3 TierSchG) weiterleben kann.
Zwischen den Sachverständigen bestand grundsätzlich Einigkeit, dass ohne die von Frau Dr. T. angenommenen Kompensationsbemühungen des Tieres die Tötung die sachgerechte Vorgehensweise wäre. Das von Frau Dr. T. eingehend geschilderte individuelle und möglicherweise fortgeschrittene Kompensationsverhalten des Tieres (unterstellt, dies ist bei Wildvögeln möglich) vermag jedoch die Überzeugung des Gerichts nicht nachhaltig in Frage zu stellen, dass die Voraussetzungen des § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Hs.3 TierSchG dennoch und auch aktuell vorliegen, auch wenn ihm Gefiederpflege gelingen mag oder er in der Lage ist, in der Voliere höhere Sitzpositionen zu erreichen. Von Seiten der Veterinäre der LMU bzw. des LGL wurde überzeugend dargelegt, dass trotz äußerlichen „Zurechtkommens“ des Tieres mit seinen Behinderungen gerade die Tatsache, dass das Tier seit seiner Verletzung kein bzw. nur sehr eingeschränkt artgerechtes Verhalten und seine zentralen Urinstinkte (Futtersuche und Fluchttrieb) in seiner artspezifischen Vielfalt ausleben kann, für den Wildvogel zu einem (dauerhaften) Leiden führt, wenn nicht sogar in im Einzelnen geschilderten Situationen zu Schmerzen.
Von Dr. K. und Prof. Dr. K. wurde zudem verbindlich erklärt, dass die damals ausgesprochene „Empfehlung“ einen dringenden fachlichen Ratschlag dargestellt habe, der auch ohne neuerliche Untersuchung des Tieres fortgelte.
In Gesamtwürdigkeit der Beweiserhebung hat das Gericht schließlich keinen Anlass, die in dem Beschluss des BayVGH vom 13. Mai 2014 (a.a.O.) thematisierte Erforderlichkeit und Unabweislichkeit der Maßnahme zu bezweifeln, da operative Eingriffe von den Sachverständigen ausgeschlossen wurden und Haltungsalternativen nicht ersichtlich sind.
Die beamtete Tierärztin des Landratsamtes hat hierauf in der mündlichen Verhandlung nochmals bestätigt, dass aus ihrer – vorrangigen (§ 15 Abs. 2 TierSchG) – fachlichen Beurteilung die tatbestandlichen Voraussetzungen der Anordnung nach wie vor vorliegen (§ 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Hs. 3 TierSchG).
Auch die von Beklagtenseite angestellte Ermessenbetätigung, wie sie auf Seite 9 ff. des streitgegenständlichen Bescheids dargelegt wurde, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Im Rahmen der von dem Gericht gemäß § 114 Satz 1 VwGO eingeschränkt möglichen Kontrolle der Erwägungen auf Rechtsfolgenseite, insbesondere zum Auswahlermessen, ist ein rechtlich relevanter Ermessensfehler nicht ersichtlich. Als mißlich sieht es das Gericht dennoch an, dass das Tier trotz seines Zustandes über Jahre hinweg unangetastet blieb.
Weiter vermag das Gericht den von Klageseite gegen den Bescheid behaupteten Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen einer vorangegangenen und vorliegend nicht streitgegenständlichen Untersuchungsanordnung und der vorliegenden Euthanasierungsanordnung nicht zu erkennen und wären etwaige Anhörungsmängel durch das gerichtliche Verfahren geheilt.
Schließlich ist auch die Kostenentscheidung in Ziff. 4 und 5 des Bescheids nicht zu beanstanden; die festgesetzte Gebühr bewegt sich im untersten Rahmen der Nr. 7.IX.10/2.3 des Kostenverzeichnisses.
Die Klage war daher unter der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO und mit dem Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO abzuweisen.


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