Medizinrecht

Unzulässige gesundheitsbezogene Werbung für ein apothekenpflichtiges Arzneimittel

Aktenzeichen  3 HK O 4987/18

Datum:
7.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2019, 49177
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 3a, § 5 Abs. 1 Nr. 1
HWG § 3 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Der Inhalt einer arzneimittelrechtlichen Zulassung kann als hinreichender Beleg für Werbebehauptungen, die nicht zum Anwendungsgebiet gehörende, sondern darüber hinausgehende Wirkungen und pharmakologische Eigenschaften beschreiben, nur dann gelten, wenn diese Eigenschaften auch Gegenstand der behördlichen Prüfung waren und nicht über die Angaben in den Fachinformationen hinausgehen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Pharmakodynamische Eigenschaften eines Arzneimittels können nur Gegenstand einer nach § 3 HWG und § 5 UWG unbedenklichen Werbeaussage sein, wenn sie auch für den Menschen klinisch nachgewiesen sind. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung von Ordnungsgeld in Höhe von bis zu € 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an einem ihrer Vorstandsmitglieder, für jeden Fall der Zuwiderhandlung, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für das Mittel … wie folgt zu werben:
1. „Außerdem wirkt das Produkt entzündungshemmend“
2. „… Moment! Aber die Ursache bei Schnupfen und Nasennebenhöhlenentzündung sind doch in aller Regel Viren. … Ja genau! Die hochkonzentrierte 5-Pflanzen Kombination wirkt auch antiviral. Meist hat man bei Viruserkrankungen ja nur die Möglichkeit symptomatisch zu behandeln. Hier kann man aber sogar beides. Der Extrakt löst den zähen, festsitzenden Schleim und lässt durch seine entzündungshemmende Wirkung die Schleimhaut abschwellen.“
wenn dies geschieht wie in der Anlage zum Urteil (…).
II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 34.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 30.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist begründet.
A. Der Kläger ist – wie in diesem Rechtsstreit von der Beklagten nicht bestritten – anspruchsberechtigt i.S.v. § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 UWG und damit prozessführungsbefugt.
Aufgrund seiner Mitgliederstruktur steht ihm als in der Rechtsform des eingetragenen Vereins rechtsfähiger Verband zur Förderung gewerblicher und selbstständiger beruflicher Interessen die umfassende Verbandsklagebefugnis für das gesamte Bundesgebiet zu (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Aufl. Einl. Rdnr. 2.45, BGH WRP 2014, 686, WRP 2015, 444). Dem Kläger gehören sowohl unmittelbar als auch mittelbar über die Mitgliedschaft von Kammern und Apothekervereinen eine Vielzahl von Apothekern und pharmazeutischen Unternehmen an, deren Interesse daran, dass Verstöße gegen HWG und UWG vom Kläger als ihrer Interessenvertretung auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts verfolgt werden, zu bejahen ist, § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG. Die Unternehmen der Pharmabranche stellen Waren verwandter oder gleicher Art, nämlich Arzneimittel im OTC-Bereich, wie die Beklagte her (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG § 8 Rdnr. 3.35 ff.) und sind wegen ihrer Geschäftstätigkeit auf demselben räumlich und sachlich relevanten Markt als Mitbewerber der Beklagten gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG einzustufen. Neben den vom Kläger genannten Pharmaunternehmen gehören auch Apothekeninhaber als Abnehmer der OTC-Produkte als auf demselben Markt tätige Unternehmer und als gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG relevante Mitbewerber mit einem Interesse an einer Unterbindung einer an sie gerichteten, irreführenden Werbung zu den Mitgliedern des Klägers.
B. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gem. §§ 8 Abs. 1, 3, 3 a, 5 UWG, 3 HWG besteht.
I. Die Aktivlegitimation des Klägers ergibt sich aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG.
II. Der Unterlassungsanspruch resultiert aus §§ 8 Abs. 1, 3 UWG. Die vom Kläger beanstandeten Aussagen sind irreführend i.S.v. §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 3a UWG, 3 Abs. 1 und 2 Nr. 1 HWG.
Die streitgegenständliche Werbung ist sowohl nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG als geschäftliche Handlung irreführend, weil sie zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale der Ware enthält, als auch als irreführende Werbung unzulässig gem. § 3a UWG i.V.m. § 3 Abs. 1 und 2 Nr. 1 HWG, weil durch sie dem Arzneimittel Wirkungen beigelegt werden, die es nicht nachweislich hat.
Die Werbung … wendet sich an Apotheker und pharmazeutisch-technische Assistenten, also an Fachkreise. Die Kammer kann das Verständnis des angesprochenen Verkehrskreises selbst beurteilen, da sie am Spezialwissen des an der Entscheidung beteiligten Handelsrichters, eines approbierten Apothekers mit langjähriger Berufserfahrung in der Pharmaziebranche, auch hinsichtlich des Verkehrsverständnisses von pharmazeutisch-technische Assistenten als pharmazeutischem Personal von Apotheken teil hat, und weil die Kammermitglieder durch die ständige Befassung auch mit Heilmittelwettbewerbsstreitigkeiten besondere Sachkunde bei der Ermittlung des Verkehrsverständnisses auch von Fachpublikum besitzen und über das im Streitfall erforderliche Erfahrungswissen verfügen (BGH GRUR 2007, 1079, GRUR 2014, 682).
1. … ist als Arzneimittel zugelassen, sodass § 3 HWG als Marktverhaltensregel gem. § 3 a UWG auf Werbung für dieses Arzneimittel anwendbar ist (BGH GRUR 2015, 1244 – Äquipotenzangabe in Fachinformation). Irreführend ist eine Aussage gem. § 3 S. 2 Nr. 1 HWG dann, wenn dem Heilmittel Wirkungen oder eine therapeutische Wirksamkeit beigelegt werden, die nicht durch wissenschaftliche Studien gesichert sind. Im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung gilt für gesundheitsbezogene Werbung mit fachlichen Aussagen, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht. Werbung ist folglich auch dann irreführend, wenn sie auf Studien gestützt wird, die die Werbeaussage nicht tragen (BGH GRUR 2013, 649 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil, GRUR 2015, 1244 – Äquipotenzangabe in Fachinformation).
2. Wirkungen oder therapeutische Wirksamkeit gelten als durch wissenschaftliche Studien gesichert, soweit sie auf Angaben in der Fachinformation gem. § 11 a AMG beruhen, die dem Zulassungsantrag des Arzneimittels beigefügt ist; die Legitimationswirkung der durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erteilten Zulassung erstreckt sich auch auf den Inhalt der Fachinformation, sodass diese zwar nicht wettbewerbsrechtlicher Prüfung vollständig entzogen ist, ihr aber indizielle Bedeutung für die hinreichende wissenschaftliche Absicherung der in ihr enthaltenen Angaben zukommt, weil diese im Zulassungsverfahren nach §§ 22 Abs. 7 Satz 1, 25 Abs. 5 Satz 1 AMG Gegenstand der behördlichen Prüfung waren (OLG Schleswig Magazindienst 2017, 793, LG Frankfurt PharmR 2018, 547, BGH GRUR 2015, 1244 – Äquipotenzangabe in Fachinformation, GRUR 2013, 649 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Diese indizielle Wirkung kann jedoch dann erschüttert sein, wenn die Angaben in der Fachinformation selbst irreführend sind, weil sie auf Studien gestützt sind, die diese Aussagen nicht tragen, oder wenn der Kläger darlegt und beweist, dass neuere, erst nach dem Zulassungszeitpunkt bekanntgewordene oder der Zulassungsbehörde bei der Zulassungsentscheidung nicht zugängliche wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die gegen die wissenschaftliche Tragfähigkeit der durch die Zulassung belegten Aussagen sprechen (BGH GRUR 2015, 1244 – Äquipotenzangabe in Fachinformation).
Vorliegend ist die indizielle Wirkung der Zulassung und der Fachinformation vom Kläger nicht angegriffen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind jedoch die konkret beanstandeten Werbeaussagen nicht durch die Zulassung und die Fachinformation gedeckt.
… ist zur Anwendung bei akuten, unkomplizierten Entzündungen der Nasennebenhöhlen bei Erwachsenen zugelassen. Die therapeutische Wirksamkeit gegen Rhinosinusitis ist durch eine doppelblinde, Placebo-kontrollierte klinische Studie nachgewiesen, aus der sich ergibt, dass hinsichtlich der nasalen Sekretion und des Gesichtsschmerzes ein relevanter Vorteil bei der Einnahme des Arzneimittels erzielt wurde. Dass diese Wirksamkeit aber im Zusammenhang mit einer entzündungshemmenden und antiviralen pharmakologischen Wirkung des Arzneimittels stünde oder auf einer solchen beruhen würde, lässt sich weder der Zulassung noch der Fachinformation entnehmen. Unter Zugrundelegung der Fachinformation und der in dieser zitierten Studien ist eine auf humanpharmakologischen Untersuchungen beruhende, therapeutische Wirksamkeit nur hinsichtlich der sekretolytischen und analgetischen Wirkungen des Arzneimittels belegt, nicht jedoch hinsichtlich der in den Werbeaussagen behaupteten antiinflammatorischen und antiviralen Wirkung.
Die durch die Werbung angesprochenen Fachkreise, nämlich Apotheker und pharmazeutisch-technische Assistenten als potentielle Leser der Anzeige, zu denen auch das Kammermitglied … gehört, verstehen die Werbeaussagen dahingehend, dass nicht nur der zulässige Bezug zum zugelassenen Anwendungsgebiet, also der Wirksamkeit gegen akute, unkomplizierte Entzündungen der Nasennebenhöhlen, hergestellt wird, sondern dass auch eine pharmakologische antivirale und antiiflammatorische Wirkung behauptet wird, dass also der Eindruck erweckt wird, als sei die effektive Bekämpfung von Rhinoviren und Entzündungsherden im Körper des Patienten mittels der in … enthaltenen Wirkstoffe durch klinische Studien am Menschen nachgewiesen.
Die Aussage: „… Ja genau! Die hochkonzentrierte 5-Pflanzen Kombination wirkt auch antiviral. Meist hat man bei Viruserkrankungen ja nur die Möglichkeit symptomatisch zu behandeln. Hier kann man aber sogar beides. Der Extrakt löst den zähen, festsitzenden Schleim und lässt durch seine entzündungshemmende Wirkung die Schleimhaut abschwellen“, erweckt den Eindruck, als bestünde ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Wirkstoffgemisch und der entzündungshemmenden Wirkung. Gerade dieser Wirkungszusammenhang liegt ausweislich der Fachinformation … als durch human-pharmakologischen Untersuchungen belegt nicht vor. Entsprechende human-pharmakologischen Untersuchungen wurden von der Beklagten nicht vorgelegt.
Die Behauptung ist damit irreführend, eine antiinflammatorische und/oder antivirale Wirkung des Arzneimittels zur Anwendung am Menschen wird durch die vorgelegten und in der Fachinformation in Bezug genommenen Untersuchungen nicht belegt. Zwar kann der Inhalt der Zulassung auch als hinreichender Beleg für Werbebehauptungen gelten, die nicht zum Anwendungsgebiet gehörende, sondern darüber hinausgehende Wirkungen und pharmakologische Eigenschaften beschreiben, dies gilt jedoch nur dann, wenn diese Eigenschaften auch Gegenstand der behördlichen Prüfung waren und nicht über die Angaben in den Fachinformationen hinausgehen (OLG Schleswig Magazindienst 2017, 793).
Durch die Studien von Glatthaar-Sandmüller … und Seifert … wird eine antivirale Aktivität in Bezug auf bestimmte Viren nur in-vitro nachgewiesen. Gleiches gilt für die entzündungshemmende Wirkung – auch diese ist durch die Studien, die sich auf in-vitro-Untersuchungen und Versuche an der Rattenpfote und bei Mäusen beziehen, nicht nachgewiesen; klinische Untersuchungen – beispielsweise der im menschlichen Blut befindlichen Entzündungsmarker – vor, während und nach der Behandlung …, die geeignet wären, eine antiinflammatorische Wirkung zu belegen, wurden von der Beklagten nicht vorgelegt. Präklinische Untersuchungen sind jedoch nicht geeignet, pharmakodynamische Eigenschaften eines Produkts zu belegen. Wie vom VerwG Köln in PharmR 2018, 274 zutreffend ausgeführt, betrifft Pharmakodynamik den Einfluss von Arzneimitteln auf den humanen Organismus, darunter die Dosis-Wirkungs-Beziehungen, die unerwünschten Arzneimittelwirkungen und die Toxikologie. Gesicherte Aussagen zu pharmakodynamischen Eigenschaften eines Arzneimittels können konsequenterweise nur aufgrund klinischer Erkenntnisse am humanen Organismus getroffen werden (ebenso LG Frankfurt PharmR 2018, 547, LG Nürnberg-Fürth Magazindienst 2011, 380, OLG Celle Urt. v. 25.08.2017 Az. 13 U 44/17, BGH GRUR 2009, 75 – Priorin, GRUR 2013, 649 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Pharmakodynamische Eigenschaften eines Arzneimittels können daher gem. § 3 HWG nur Gegenstand einer nach § 3 HWG und § 5 UWG unbedenklichen Werbeaussage sein, wenn sie auch für den Menschen klinisch nachgewiesen sind; dies ist vorliegend nicht der Fall.
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Richtigkeit der aufgestellten Behauptungen – wie von der Beklagten beantragt – ist als ungeeignetes Beweismittel nicht zulässig, da im Rahmen eines gerichtlichen Gutachtens die Durchführung der allein zum Nachweis der Richtigkeit der Werbebehauptungen geeigneten klinischen Studie nicht möglich ist.
3. Der Verstoß ist auch geeignet, die Interessen von Verbrauchern, Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.
Auch eine an Fachpublikum gerichtete Werbung für ein Phytopharmakon ist zur Beeinträchtigung der Interessen der Verbraucher als Kunden der Adressaten der Werbung geeignet, da die Empfehlung eines apothekenpflichtigen Arzneimittels durch Apothekenpersonal durch eine wissenschaftlich nicht gesicherte Angabe in einer an Apotheker und PTA gerichteten Werbung beeinflusst und die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet werden kann; der Schutzzweck der verletzten Marktverhaltensregel ist tangiert, die Spürbarkeit wird vermutet (Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG 37. Aufl. § 3a, Rdnr. 1.102, OLG Hamburg WRP 2015, 1021; WRP 2017, 1129; KG WRP 2016, 389).
Die Beklagte ist somit verpflichtet, die wettbewerbswidrigen streitgegenständlichen Werbeaussagen zu unterlassen.
IV. Ob auch eine vom Kläger behauptete Off-label Werbung gem. § 3a S. 2 HWG vorliegt, kann dahingestellt bleiben.
Nach Auffassung der Kammer bezieht sich die Werbung jedoch nicht auf Anwendungsgebiete, die nicht von der Zulassung erfasst sind, da eine Anwendung außerhalb des zugelassenen Gebiets der akuten, unkomplizierten Rhinosinusitis nicht beworben wird, sondern nur zur Begründung der Wirksamkeit im zugelassenen Anwendungsgebiet Aussagen zu pharmakologischen Wirkungen gemacht werden.
Ein Verstoß gegen § 3 a S. 2 HWG liegt aber nur vor, wenn die angesprochenen Verkehrskreise die Werbeaussage als Hinweis auf ein Anwendungsgebiet des Arzneimittels, also auf Indikationen oder Krankheitsbilder, und nicht lediglich als Beschreibung einer zusätzlichen Wirkung des Mittels verstehen (OLG Koblenz GRUR-RR 2016, 294 – Schnelle Hilfe bei akutem Schnupfen, OLG StuttgartMagazihdienst 2006, 631).
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 3 ZPO, § 51 Abs. 2, 4 GKG.


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