Medizinrecht

Verpflichtungsklage, Verwaltungsgerichte, Befähigung zum Richteramt, Allgemeine Leistungsklage, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Rechtsmittelbelehrung, Streitwertfestsetzung, Verwaltungsakt, mündlich Verhandlung, Prozeßkostenhilfeverfahren, Streitwertbeschwerde, Behördenakten, Inhaber der tatsächlichen Gewalt, Sicherheitsleistung, Kein Vertretungszwang, Maßgeblicher Zeitpunkt, Prozeßbevollmächtigter, Berufungszulassung, Zustandshaftung, Postfachanschrift

Aktenzeichen  W 5 K 20.1468

Datum:
25.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6968
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5
VwGO entsprechend § 42 Abs. 2
BayBO Art. 54 Abs. 4
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Art. 9

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.  

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Bei Auslegung der Klage nach dem erkennbaren Rechtsschutzziel (§ 88 VwGO) begehrt die Klägerin die Verpflichtung der Beklagten zum Tätigwerden, um die die durch herabfallende Ziegel drohende Gefahr auf dem Gehsteig vor den Anwesen … 10 und 12 zu beseitigen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie am 26. August 2020 in ihrer Wohnung bemerkt habe, dass Ziegel vom Dach ihres Hauses heruntergefallen seien. Die Feuerwehr habe dann wieder welche angebracht, es hätten aber welche gefehlt. Sie mache die Stadt H. für das Abrutschen der Ziegel verantwortlich, weil diese im Jahr 2016 bei Baggerarbeiten auf ihrem Grundstück Schäden am Anwesen verursacht habe, die nach ihrer Ansicht mit dem Abrutschen in Verbindung stünden. Sie sei der Auffassung, dass das Dach ihres Hauses hierdurch in Mitleidenschaft gezogen worden sei und deshalb die Beklagte zur Verantwortung gezogen werden müsse und hier handeln müsse, um die von ihrem Dach ausgehende und auf Passanten auf dem Gehsteig einwirkende Gefahr abzuwenden. Diesen Vortrag zugrunde gelegt, möchte die Klägerin erreichen, dass die Beklagte verurteilt wird, zur Abwendung der aufgezeigten Gefahr tätig zu werden, sei es in der Form eines Verwaltungsaktes oder eines sonstigen Handelns.
2. Die so verstandene Klage erweist sich sowohl als Verpflichtungsklage wie auch als allgemeine Leistungsklage bereits als unzulässig.
Da das Klagebegehren auf eine Verpflichtung der Beklagten zum Erlass eines Verwaltungsaktes oder zur Verurteilung der Beklagten zu einem sonstigen Handeln, einem bestimmten Tun gerichtet ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 62), kommt als Klageart insoweit hier eine Verpflichtungsklage oder eine allgemeine Leistungsklage in Betracht. Hierfür wäre die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO (entsprechend) erforderlich, die aber vorliegend nicht gegeben ist. Gemäß § 42 Abs. 2 VwGO ist eine Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Dies gilt entsprechend bei der allgemeinen Leistungsklage (BVerwG, U.v. 15.6.2011 – 9 C 4/10 – juris; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 68).
Die Bejahung der Klagebefugnis setzt voraus, dass es auf der Grundlage des Tatsachenvorbringens des Betroffenen zumindest möglich erscheint, dass dieser durch den unterlassenen Verwaltungsakt in eigenen Rechten verletzt wird (sog. Möglichkeitstheorie, vgl. BVerwG, B.v. 21.1.1993 – 4 B 206/92 – juris). Hier spricht auf der Basis des getätigten Tatsachenvorbringens nichts für einen Anspruch der Klägerin auf ein sicherheitsrechtliches oder sonst wie geartetes Einschreiten oder Tätigwerden seitens der Stadt H. zur Beseitigung der von dem Dach der Klägerin ausgehenden Gefahr. Vielmehr spricht hier schon auf der der Grundlage des Tatsachenvorbringens alles dafür, dass die Klägerin für die Sicherung ihres Bauwerks verantwortlich ist und kein Anspruch der Klägerin gegen Stadt H. gegeben ist.
2. Die Klage ist unter jedem denkbaren rechtlichen Aspekt unbegründet. Sie ist weder als Verpflichtungsklage noch als allgemeine Leistungsklage begründet.
Eine Verpflichtungsklage wäre nur dann begründet, wenn der Klägerin ein Anspruch auf ein sicherheitsrechtliches oder sonst wie geartetes Einschreiten zustehen würde (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Vergleichbares gilt bei der allgemeinen Leistungsklage.
Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung steht der Klägerin aber kein Rechtsanspruch auf sicherheitsrechtliches Einschreiten seitens der Stadt H. noch auf Neubescheidung noch ein Anspruch auf ein faktisches Handeln zur Abwendung der von dem Dach ihres Anwesens … Nr. 12 auf Passanten auf dem Gehweg ausgehenden Gefahr zu.
Eine entsprechende Verpflichtung ergibt sich weder aus dem Umstand, dass die Freiwillige Feuerwehr der Stadt H. am 26. August 2020 tätig wurde und als Notmaßnahme anstelle der herabgefallenen Dachziegel neue Ziegel eingesetzt hat. Eine solche Verpflichtung gibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass zunächst die Feuerwehr und dann der städtische Bauhof im Sinne einer effektiven Gefahrenabwehr den betroffenen Gehwegbereich durch ein Trassierband und dann durch einen festen Bauzaun abgesichert haben.
Eine entsprechende Verpflichtung ergibt sich auch nicht aus Art. 6 und 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG, wonach die Gemeinden als untere Sicherheitsbehörden verpflichtet sind, Gefahren abzuwehren und Störungen zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen bedrohen oder verletzen.
Eine Heranziehung dieser Rechtsgrundlage scheitert vorliegend schon daran, dass hier die Gefahr für die Passanten auf dem gemeindlichen Gehweg vom Hausdach der Klägerin ausgeht. Da es sich bei dem Wohn- und Geschäftshaus der Klägerin um eine bauliche Anlage i.S.v. Art. 1 Abs. 1 Satz 1, 2 Abs. 1 Satz 1 BayBO handelt, gehen die bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnisse den allgemeinen sicherheitsrechtlichen Befugnissen vor (vgl. Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 Satz 1 LStVG: „Soweit eine solche gesetzliche Ermächtigung nicht in Vorschriften dieses Gesetzes oder in anderen Rechtsvorschriften enthalten ist“), so dass hier die Eingriffsbefugnisse der Bayerischen Bauordnung, namentlich Art. 54 Abs. 4 BayBO heranzuziehen sind. Danach können bei bestandsgeschützten baulichen Anlagen Anforderungen gestellt werden, wenn das zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit erforderlich ist.
Da allerdings die Gefahr von der baulichen Anlage der Klägerin und nicht vom gemeindlichen Gehweg ausgeht, sind die erforderlichen Maßnahmen gegen die Klägerin und nicht gegen die Stadt H. zu richten. Die Klägerin ist Eigentümerin, Besitzerin und Inhaberin der tatsächlichen Gewalt hinsichtlich des betroffenen Wohn- und Geschäftshauses. Somit liegt hier ein Fall der Zustandshaftung der Klägerin gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 LStVG vor, wonach die Maßnahmen gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten sind, wenn der Zustand einer Sache Maßnahmen notwendig macht, die Maßnahmen aber auch gegen den Eigentümer gerichtet werden können. Das Landratsamt H2. hat – wie dessen Vertreter in der mündlichen Verhandlung erklärt hat – bereits einen entsprechenden, auf Art. 54 Abs. 4 BayBO gestützten Bescheid gegen die Klägerin erlassen, der auch inzwischen bestandskräftig geworden ist. Wenn die Klägerin vorbringt, dass die Stadt H. im Jahr 2016 bei Baggerarbeiten Schäden an ihrem Anwesen verursacht habe, die nach ihrer Ansicht in Verbindung mit dem Abrutschen der Ziegel stehen, kann dies nicht zu einer Störereigenschaft der Beklagten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 LStVG (Handlungsstörer) führen. Es ist schon nicht der geringste Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass die Baggerarbeiten am Gehwegbereich und im Bereich des Anwesens der Klägerin, die im Jahr 2016 durchgeführt wurden, irgendwelche Schäden am Dach des Wohn- und Geschäftshauses hervorgerufen haben. Die Klägerin äußerte hierzu in der mündlichen Verhandlung eine bloße, durch nichts belegte Vermutung („Dabei kann das Dach durchaus in Mitleidenschaft gezogen worden sein“). Konkrete Anhaltspunkte konnte die Klägerin nicht benennen, erst recht keinen Nachweis für diese Behauptung erbringen. Es spricht nach der Lebenserfahrung vielmehr alles dafür, dass für das Lösen und anschließende Herunterrutschen der Ortgangziegel und einiger weiterer Ziegel das Sturmtief Kirsten, das zum fraglichen Zeitpunkt herrschte, ursächlich war (vgl. hierzu auch den Einsatzbericht der Freiwilligen Feuerwehr H. vom 26.8.2020, Bl. 2 der Behördenakte des Landratsamts H2.: „Am 26.08.2020 wurde die Freiwillige Feuerwehr H. um 15:16 Uhr während des Sturmtiefs Kirsten zum Sichern von absturzgefährdenden Ziegeln in die … 12 in H. alarmiert. Die Lageerkundung vor Ort ergab, dass bereits mehrere Dachziegel vom Dach (…) gefallen waren. (…). Die losen Ziegel drohten zum Teil durch den Wind ebenfalls noch abzustürzen“).
Da auch andere Rechtsgrundlagen (so bspw. § 45 StVO) für die von der Klägerin begehrte Verpflichtung bzw. ein Tätigwerden der Beklagten nicht ersichtlich sind, war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.


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