Medizinrecht

Versammlung, G7-Gipfel, Hundeverbot (rechtmäßig), Pflicht zum Aufstellen/Bereitstellen von Kabinentoiletten (verneint)

Aktenzeichen  M 33 S 22.3216

Datum:
25.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 17898
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
GG Art. 8
GG Art. 20a
BayVersG Art. 15 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziff. A.18 des Bescheides des Antragsgegners vom 24. Juni 2022 wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen versammlungsrechtliche Auflagen hinsichtlich einer geplanten Großdemonstration im Markt Garmisch-Partenkirchen anlässlich G7-Gipelfes auf Schloss Elmau.
Die Bundesrepublik Deutschland ist im Rahmen ihrer seit dem 1. Januar 2022 bestehenden Präsidentschaft in der Gruppe der Sieben (G7), einem informellen Forum der Staats- und Regierungschef der Länder Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und den Vereinigten Staaten von Amerika, Gastgeber des vom 26. bis zum 28 Juni 2022 stattfindenden G7-Gipfels auf Schloss Elmau im Landkreis Garmisch-Partenkirchen.
Der Antragsteller zeigte mit E-Mail vom 15. Mai 2022, abgeändert bzw. konkretisiert durch weitere E-Mails, zuletzt am 21. Juni 2022, und das Kooperationsgespräch am 10. Juni 2022 eine öffentliche Versammlung, bei der mit ca. 2.000 Teilnehmern gerechnet wird, unter dem Motto „Stop G7 Elmau“ gegenüber der Versammlungsbehörde an.
Der Planungsstab G7-Gipfel 2022 der Bayerischen Polizei gab seine Gefahrenprognose am 2. Juni 2022 ab (Bl. 33-49 d. BA). Darin wird angeregt, dass mit Ausnahme von Blindenhunden das Mitführen von Hunden während der Versammlung zu untersagen.
Mit streitgegenständlichen Bescheid vom 24. Juni 2022 traf das Landratsamt Garmisch-Partenkirchen hinsichtlich der angezeigten Versammlung unter anderem folgende Anordnungen:
„A.17. Das Mitführen von Hunden ist untersagt. Hiervon ausgenommen sind sog. Assistenzhunde, deren ständige Anwesenheit bei ihren Besitzern aus medizinischen oder sonstigen vergleichbaren Gründen zwingend erforderlich ist, z.B. Blindenführhunde.
A.18. In unmittelbarer Nähe des Versammlungsortes der Auftakt- und Schlusskundgebung (im Umkreis von bis zu 1 km um den Versammlungsort der Auftakt- und Schlusskundgebung, vgl. Anlage 3) sind acht Kabinentoiletten bereitzuhalten. Der Zugang zu den Toiletten ist zu beschildern.“
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschränkung des Mitführens von Hunden zur Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit bei der Durchführung der Kundgebung geeignet, erforderlich und angemessen sei. Hunde seinen hinsichtlich ihres Verhaltens in größeren Menschenmengen kaum einschätzbar oder kontrollierbar. Es bestehe die konkrete Gefahr stressbedingter Angst- und Panikreaktionen wie Beißen, Schnappen, Anspringen oder ähnliches. Zu berücksichtigten sei, auch zum Schutze des Tierwohls, die sehr hohe Stressbelastung infolge der teilweise enormen Lärmkulisse der bis zu sechs Stunden angesetzten Versammlung durch die angezeigten Kundgebungsmittel (drei Lautsprecherwagen, Megafone, eine Blaskapelle und Motorräder). Ein bloßer Leinen- oder Maulkorbzwang sei nicht so effektiv wie ein Mitführverbot; so könnten Versammlungsteilnehmer auch kurzfristig ihre Tiere von der Leine nehmen als auch den Maulkorb abnehmen. Angemessen sei die Beschränkung insbesondere deshalb, weil die Tiere nicht im unmittelbaren Zusammenhang zum Versammlungszweck stünden und kein notwendiges Kundgebungsmittel darstellen würden. Außerdem werde die Verhältnismäßigkeit durch die Ausnahme von Assistenzhunden gewahrt. Die Verpflichtung zur Bereithaltung von acht Kabinentoiletten sei zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geeignet und erforderlich. Bei einer zu erwartenden Teilnehmerzahl von ca. 2.000 Personen und einer Versammlungsdauer von angezeigten sechs Stunden seien zur Sicherstellung der öffentlichen Reinlichkeit und ordnungsgemäßer hygienischer Zustände Toiletteneinrichtungen zur Befriedigung unaufschiebbarer menschlicher Bedürfnisse bereitzuhalten. Öffentliche Toiletten am Versammlungsort seien nicht in ausreichender Anzahl vorhanden. Die im Bereich des Bahnhofs vorgehaltenen vier öffentlichen Toiletten stünden auch Personen, die nicht an der Versammlung teilnehmen offen und seien für 2.000 Personen auch nicht ausreichend. Es müsse daher mit Verstößen gegen § 3 Abs. 1 der Verordnung über die Reinhaltung und Reinigung der öffentlichen Straßen und die Sicherung der Gehbahnen im Winter des Marktes Garmisch-Partenkirchen vom 20. Juni 2021 (Reinigungs- und Sicherungsverordnung) sowie von einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung Dritter ausgegangen werden. Im Vergleich zu § 12 Abs. 1 der Bayerischen Verordnung über den Bau und Betrieb von Versammlungsstätten (Versammlungsstättenverordnung – VStättV), die bei 2000 Versammlungsteilnehmern 25 Damentoiletten, acht Herrentoiletten und 18 Urinale vorsehe, sei die vorliegende Beschränkung zugunsten der angezeigten Versammlung bereits erheblich nach unten abgewichen. Eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit gehe mit dieser Beschränkung nicht einher. So sei die Meinungskundgabe als solche hierdurch schon nicht betroffen, auch bleibe es dem Veranstalter unbenommen auf welche Art er die Toiletten bereithalte; auf die Möglichkeit, mit Anwohnern, mit umliegenden Hotels und Restaurants entsprechende Vereinbarungen zu treffen, werde verwiesen.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit anwaltlichem Schriftsatz vom 24. Juni 2022, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 24. Juni 2022 – 23:26 Uhr. Er lässt Klage gegen die Ziff. A.17 und A.18 des Bescheides vom 24. Juni 2022 erheben und begehrt zugleich vorläufigen Rechtsschutz. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass die Ziffern A.17 und A.18 diesen in seinem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzten. Die behauptete konkrete Gefahr für die Sicherheit und Ordnung durch die Anwesenheit von Hunden bei der Versammlung sei nicht gegeben. Fälle, in denen durch Lärm oder sonstige äußere Einwirkungen unter Stress gesetzte Hunde Teilnehmer einer Versammlung angegriffen hätten, seien nicht bekannt. Zudem seien mildere Mittel wie das Aufziehen eines Hörschutzes sowie ein Leinen- und Maulkorbzwang vorhanden. Auch gelte es zu berücksichtigen, dass es sich um keine ortsfeste, tage- und nächtelang andauernde, sondern eine fortbewegende Versammlung handele. Jedenfalls sei das Verbot zum Mitführen von Hunden nicht angemessen. Eine Mehrzahl von Versammlungsteilnehmer reise von außerhalb an und verbringe mehrere Tage in Garmisch-Partenkirchen oder der Umgebung. Den Hundehaltern unter dieser Gruppe sei eine Teilnahme jedoch nur möglich, wenn sie ihre Hunde mitführen und nicht für mehrere Stunden oder Tage alleine lassen. Die Auflage, acht Kabinentoiletten bereitzustellen, sei ebenfalls rechtswidrig. Es stünden ausreichend öffentliche Toiletten im Umkreis der Versammlung zur Verfügung. Auch sei diese Auflage erst vier Tage vor Durchführung der Versammlung seitens des Antragsgegners angesprochen worden; spätestens im Kooperationsgespräch hätte dieser die Veranstalter der Versammlung mit der Pflicht zur Bereitstellung der Kabinentoiletten konfrontieren müssen. Eine Beschaffung der geforderten Kabinentoiletten sei dem Antragsteller in diesem Zeitraum nicht möglich. Es drohe daher die konkrete Gefahr, dass der Veranstalter die Auflage nicht erfüllen und die Versammlung jederzeit aufgelöst werden könne.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage bezüglich der in den Nummern 17 und 18 verfügten Auflagen wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Der Antragsgegner tritt dem Begehren des Antragstellers unter Vorlage der Behördenakten und unter Berufung auf die Bescheidsbegründung, die von ihm als Schutzschrift in das Verfahren eingeführt wurde, entgegen.
Im Übrigen wird auf die Gerichtsakten (M 33 K 22.3125 und M 33 S 22.3126) sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 24. Juni 2022 hat teilweise Erfolg.
Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn diese keine aufschiebende Wirkung hat. Die erhobene Klage entfaltet gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG keine aufschiebende Wirkung.
Dabei nimmt das Gericht eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber vor, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Bei dieser Abwägung sind zunächst die Erfolgsaussichten in der Hauptsache von maßgeblicher Bedeutung, soweit sie bereits überschaubar sind (BayVGH, B.v. 4.6.21 – 10 CS 21.1590 – juris Rn. 14). Dabei muss unter Berücksichtigung der Bedeutung des Art. 8 Abs. 1 GG die Prüfungsdichte im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO umso eingehender sein, als die angegriffenen Maßnahmen Unabänderliches bewirken; die Fragen der Offensichtlichkeit von der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der behördlichen Maßnahmen ist dann – insoweit über die summarische Prüfung hinausgehend – erschöpfend im Sinne einer vollständigen Rechtsprüfung unter – den Umständen nach tatsächlich möglicher – Sachverhaltsaufklärung vom Gericht zu klären (BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – juris Rn. 18; B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – BVerfGE, 69, 315/363 f. = Juris Rn. 96; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 104). Lassen sich die Erfolgsaussichten bei dem hiernach gebotenen Prüfungsmaßstab nicht abschließend beurteilen, hat das Gericht unter Berücksichtigung der Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit im Rahmen einer eigenen Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der behördlichen Verfügung, das private Interesse des Betroffenen und die Interessen Dritter, vorläufig von deren Wirkung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen.
Der Antrag ist teilweise begründet, da der Bescheid vom 24. Juni 2022, soweit angegriffen, betreffend Ziff. A.18 voraussichtlich rechtswidrig ist und den Antragsteller insoweit in seinen Rechten verletzt. Dagegen ist Ziff. A.17 des Bescheids voraussichtlich rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
1.1 Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 16).
Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.). Rechtsgüterkollisionen sind im Rahmen versammlungsrechtlicher Verfügungen durch Beschränkungen oder Modifikationen der Durchführung der Versammlung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u.a.− BVerfGE 104, 92/111 = juris Rn. 63). Insoweit gilt die Regel, dass kollektive Meinungsäußerungen in Form einer Versammlung umso schutzwürdiger sind, je mehr es sich bei ihnen um einen Beitrag zum Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt (stRspr, vgl. BVerfG, U.v. 11.11.1986 – 1 BvR 713/83 – BVerfGE 73, 206/258 = juris Rn. 102).
Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Der Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst die Unverletzlichkeit der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen, wie etwa Leben Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen und dessen allgemeine Persönlichkeitsrechte, den Bestand staatlicher Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates sowie die Rechtsordnung als Ganzes, zu der neben den Strafgesetzten auch verwaltungsrechtliche Gebots- und Verbotsnormen gehören (BayVGH, U.v. 22.9.2015 – 10 B 14.2246 – juris Rn. 53; BVerfG B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – BVerfGE 69, 315/352 = juris Rn. 77).
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen auch keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben (vgl. BVerfG, B.v. 6.6.2007 – 1 BvR 1423/07 – juris Rn. 17). Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, B. v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 6.6.2015 – 10 CS 15.1210 – juris Rn. 22; U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26; BVerwG, B.v. 24.8.2020 – 6 B 18.20 – juris Rn. 6). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 19 jeweils m.w.N.; BayVGH, B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris Rn. 16 m.w.N.). Für diese Gefahrenprognose können durchaus Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (stRspr des BVerfG, vgl. zuletzt B.v. 22.11.2020 – 1 BvQ 135/20 – juris Rn. 11; vgl. auch BVerwG, B.v. 24.8.2020 – 6 B 18.20 – Rn. 6). Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes berücksichtigt das Gericht, ob die für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr hindeuten; gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde oder den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen (vgl. BVerfG, B.v. 4.9.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Versammlungsbeschränkungen dürfen als Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG in Ansehung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit für das demokratische und freiheitliche Gemeinwesen dabei allerdings nur verfügt werden, wenn sie geeignet und erforderlich sind und der hierdurch bewirkte Grundrechtseingriff insgesamt nicht außer Verhältnis steht zu den jeweils zu bekämpfenden Gefahren und dem Beitrag, den die Beschränkung zur Gefahrenabwehr beizutragen vermag. Dabei sind im Rahmen der gerichtlichen Abwägung zur Herstellung praktischer Konkordanz die kollidierenden Positionen derart in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, B.v. 11.4.2018 – 1 BvR 3080/09 – juris Rn. 32).
1.2 Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der streitgegenständliche Bescheid in Ziff. A.18, jedoch nicht in Ziff. A.17 voraussichtlich rechtswidrig.
1.2.1 Das Verbot der Mitführung von Hunden (mit Ausnahme von Assistenzhunden) in Ziff. A.17 des streitgegenständlichen Bescheids ist vorliegend nicht zu beanstanden. Das Gericht schließt sich insoweit der hierzu bestehenden Rechtsprechung an (vgl. BayVGH, B.v. 2.7.2012 – 10 CS 12.1419 – juris Rn. 38; B.v. 13.10.2003 – 24 ZB 03.1711 – BeckRS 2003, 27423 Rn. 22; und diesem folgend: Sächs. OVG, U.v. 13.7.2009 – 3 B 137/06 – juris Rn. 27; VG Neustadt a.d. Weinstraße, B.v. 5.10.2018 – 5 L 1338/18.NW – BeckRS 2018, 28182 Rn. 10; VG Bayreuth, U.v. 31.7.2012 – B 1 K 12.138 – juris Rn. 100; VG Göttingen, U.v. 22.4.2009 – 1 A 355/07 – juris Rn. 79). Danach kann ein Veranstalter einer Versammlung keine Rechtsposition geltend machen, nach der gerade Hundehalter an einer Versammlung des Veranstalters teilnehmen können, soweit, wie auch vorliegend, kein Zusammenhang zwischen der Hundehaltung und dem Versammlungsmotto bzw. -charakter besteht. Ein solches Verbot zielt auf die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung und dient ferner dem Tierwohl, welches nach Art. 20a GG ebenfalls unter dem Schutz des Staates steht. Hunde und andere Tiere, gleich welcher Größe und Rasse, sind in Menschenmengen, wie bei der vorliegend angezeigten Versammlung mit 2.000 Personen, vielen, kaum kontrollierbaren Einflüssen ausgesetzt und können deshalb, selbst wenn sie an einer Leine geführt werden, ein gewisses Gefährdungspotenzial begründen. Gerade in dicht gedrängten und lauten Versammlungen ist es nicht auszuschließen, dass es zu Situationen kommen kann, in welchen andere Versammlungsteilnehmer, die Polizei oder unbeteiligte Dritte durch mitgeführte Hunde gebissen oder angefallen werden. Ebenso besteht die Gefahr einer Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehreren Hunden untereinander, durch welche es zur Verletzung von Personen kommen kann. Die Einschätzung des Antragsgegners, dass eine bloße Leinen- oder Maulkorbpflicht kein milderes Mittel darstellt, ist nicht zu beanstanden. Es fehlt dieser an der gleichen Effektivität wie dem Mitführverbot. So kann nicht ausgeschlossen werden, dass Leinen und Maulkörbe von den Hundehaltern bzw. -führern (auch nur) kurzzeitig abgenommen werden und sich in diesem Moment die den Hunden innewohnende Tiergefahr realisiert. Ebenso verhält es sich mit dem Aufsetzen eines Hörschutzes, der anders als eine Leine oder ein Maulkorb auch nicht geeignet ist, auf den Hund unmittelbar einzuwirken bzw. vor Bissen zu schützen. Insoweit sind die Ausführungen des Antragsgegners im streitgegenständlichen Bescheid nachvollziehbar und nicht zu beanstanden. Zur weiteren Begründung wird entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid unter „q. Zu Ziff. A.17.“ auf Seite 31 f. Bezug genommen und von einer erneuten Darstellung abgesehen.
1.2.2 Dagegen ist Ziff. A.18 des streitgegenständlichen Bescheides voraussichtlich rechtswidrig.
Es fehlt bereits an einer unmittelbaren Gefahr, die eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere in Form von Verstößen gegen § 3 Abs. 1 der Reinigungs- und Sicherungsverordnung, durch eine entsprechend ungeregelte Verrichtung der Notdurft in der Öffentlichkeit tragen würde. Zwar mag es Versammlungen – etwa in Form von Protestcamps oder mehrtägigen Mahnwachen – geben, von denen aufgrund der Teilnehmeranzahl, einer besonders langen Dauer der Versammlung und einem Mangel an öffentlich zugänglichen Kabinentoiletten eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung wegen Verstößen gegen entsprechende Reinhaltungsgebote sowie die Störung und Belästigung Dritter darstellen können. Der Antragsteller ist seiner Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer derartigen unmittelbaren Gefahr jedoch nicht nachgekommen.
Die Gefährdungsprognose der Bayerischen Polizei (vgl. Bl. 33-49 d. BA) regt keine solche Beschränkung an. Auch das Gesundheitsamt Garmisch-Partenkirchen spricht die Frage nach der Bereitstellung von Kabinentoiletten in seiner Stellungnahme vom 9. Juni 2022 (Bl. 56 d. BA) nicht an. Der Markt Garmisch-Partenkirchen hebt in seiner Stellungnahme vom 18. Mai 2022 (Bl. 9-12 d. BA) zwar hervor, dass im Bereich der Anfangs- und Endkundgebung die Fläche nicht verunreinigt oder beschädigt werden dürfe und etwaige Verschmutzungen und Schäden unverzüglich zu beheben seien. Genaue Angaben zur Art der Verschmutzungen werden aber ebenso wenig gemacht, wie die Forderung der in Ziff. A.18 konkret ausgestalteten Beschränkung.
Der bloße Verweis auf § 12 VStättV, der sich an Versammlungsstätten i.S.v. baulichen Anlagen (vgl. § 1 Abs. 1 VStättV) und nicht an nur kurzfristig bestehende Versammlungen i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG richtet, reicht zur Begründung einer entsprechend erforderlichen Gefahrenlage nicht aus.
Auch vermag das Gericht eine entsprechende Gefahrenlage aus den ihm bekannten Umständen nicht zu erkennen. Vielmehr ergibt sich laut dem Sozialatlas des Landkreises Garmisch-Partenkirchen, dass sich im Zeitpunkt der Versammlung neben dem Bahnhof noch an den folgenden Orten öffentliche und barrierefreie Toiletten im Markt Garmisch-Partenkirchen befinden: Marienplatz; Eingang Michael-Ende-Kurpark; Olympia-Eissport-Zentrum (vgl. http://sozialatlas-gap.de/?%23CMSimple_hide%23: ECLI:BARRIEREFREIHEIT:Barrierefreie_%F6ffentliche_Toiletten – Stand: 25.6.2022). Außerdem befinden sich auf dem Protestcamp auf einer Wiese nahe der Loisach in Garmisch-Partenkirchen ca. 20 mobile Toiletten (vgl. https://www.br.de/nachrichten/bayern/g7-gegner-eroeffnen-protestcamp-in-garmisch-partenkirchen,T9fhyCF – Stand: 25.6.2022).
Hilfsweise, für den Fall, dass man eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung annehmen wollte, wäre die Beschränkung in Ziff. A.18 nicht verhältnismäßig, weil sie sich – auch im Hinblick auf den unzureichenden zeitlichen Vorlauf zu dieser Auflage – als nicht angemessen herausstellen würde. Wie es dem Antragsteller gelingen soll, nach Erhalt des Bescheides am Freitag, den 24. Juni 2022 um 17:12 Uhr (Bl. 203 d. BA) für Sonntag den 26. Juni 2022 acht Kabinentoiletteneinheiten zu beschaffen erschließt sich dem Gericht nicht. Der mit der Beschränkung verbundene Aufwand der Bereitstellung von acht Kabinentoiletten innerhalb einer solch kurzen Zeit stellt sich als unzumutbar dar. Erkenntnisse dafür, dass der Antragsteller bereits vorher von der Absicht des Antragsgegners, eine entsprechende Beschränkung zu erlassen, Kenntnis hatte, liegen dem Gericht nicht vor. Aus dem Protokoll des Kooperationsgesprächs vom 10. Juni 2022 (Bl. 79-88 d. BA) ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass der Antragsteller auf eine mögliche Pflicht zur Bereitstellung von Kabinentoiletten hingewiesen worden wäre, obwohl bereits zu diesem Zeitpunkt eine Vielzahl an Beschränkungen diskutiert worden sind (vgl. insbes. Bl. 83 d. BA). Erst mit E-Mail vom 23. Juni 2022, versendet um 20:40 Uhr (Bl. 147 d. BA), setzte das Landratsamt den Antragsteller davon in Kenntnis, den für den 24. Juni 2022 geplanten Versammlungsbescheid um eine Verpflichtung zur Bereitstellung von acht Kabinentoiletten zu erweitern. Ebenso wenig ist davon auszugehen, dass es dem Antragsteller gelingen wird, kurzfristig Vereinbarungen mit Gewerbetreibenden vor Ort zu schließen; die vom Antragsgegner aufgezeigte Möglichkeit solche Vereinbarungen mit Anwohnern zu treffen, hält das Gericht in Anbetracht des äußert kurzen zur Verfügung stehenden Zeitraums sowie der allgemeinen Lage vor Ort für lebensfremd.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich, aufgrund der jeweiligen Anteile am Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Das Gericht hält aufgrund der vorwegnehmenden Wirkung der Entscheidung eine Anhebung des Streitwerts bis zur Höhe des Streitwerts des Hauptsacheverfahrens i.H.v. 5.000 EUR für geboten.


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