Medizinrecht

Versammlungsrecht, Allgemeinverfügung, Anzeigepflicht

Aktenzeichen  M 33 S 22.185

Datum:
17.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 2307
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayIfSMV § 9 15.
BayVersG Art. 15

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 13. Januar 2022 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Ausgehend von den bei versammlungsrechtlichen Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geltenden Maßstäben ist der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen die Allgemeinverfügung der Antragstellerin zu Versammlungen im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen vom 13. Januar 2021 zulässig und begründet. Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind aus Sicht der Kammer zumindest offen. Die damit zu treffende Interessenabwägung geht zugunsten der Antragstellerin aus.
Dabei kann zunächst dahinstehen, ob die Allgemeinverfügung formell rechtmäßig ist. Insbesondere ist vorliegend nicht entscheidungserheblich, ob ein als Schutzmaßnahme zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) begründetes Versammlungsverbot nach dem Ende der epidemischen Lage nationaler Tragweite gemäß § 28a Abs. 8 Satz 2 Nr. 3 IfSG schon aufgrund einer möglichen „Sperrwirkung“ des Infektionsschutzrechts ausgeschlossen ist (vgl. zu den damit verbundenen Rechtsfragen OVG Koblenz, B.v. 3.1.2022 – 7 B 10005/22.OVG). Offenbleiben kann ferner, ob die Antragsgegnerin für ein Versammlungsverbot ausreichende, hinreichend konkrete Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit dargelegt hat (vgl. die vom Antragsteller zitierten Ausführungen des VG Stuttgart, B.v. 12.1.2022 – 1 K 80/22). Denn der Hauptsacherechtsbehelf der Antragstellerin erscheint jedenfalls deshalb als nicht aussichtslos, weil es bisher an tragfähigen Darlegungen der Antragsgegnerin dazu fehlt, aus welchen Gründen sämtliche mildere Mittel gegenüber dem faktischen präventiven Versammlungsverbot als ungeeignet ausgeschlossen worden sind. In Betracht kommen insoweit verschiedene auf § 9 der 15. BayIfSMV i.V.m. Art. 15 Abs. 1 BayVersG gestützte Beschränkungen wie die Auflage, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, Auflagen zum Abstandsgebot bzw. zu einer sog. Clusterbildung oder eine Beschränkung der Versammlungen hinsichtlich der Versammlungsmodalität. Nicht überzeugend ist namentlich die Argumentation der Antragsgegnerin, dass eine örtliche Verlegung der betroffenen Versammlungen (wie sie die Antragsgegnerin am Mittwoch, dem 12. Januar 2022 auch praktiziert hat) schon deshalb nicht in Betracht komme, weil von Veranstaltern thematisch vergleichbarer Kundgebungen erklärt worden sei, dass die als Ausweichort in Betracht kommende Theresienwiese für ihr Anliegen nicht geeignet sei. Denn eine auch eine explizit nicht gewollte Ortsveränderung einer Versammlung ist im Verhältnis zum Versammlungsverbot ein milderes Mittel. Im Übrigen wurde aber Samstag, den 15. Januar 2022 wohl eine entsprechende Versammlung mit größerer Teilnehmerzahl veranstaltet. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin auch nicht überzeugend dargelegt, dass für thematisch einschlägige Versammlungen an den in Rede stehenden Tagen im Innenstadtbereich (etwa auf dem Königsplatz) unter Berücksichtigung gewisser Beschränkung keinerlei geeignete Örtlichkeiten zur Verfügung stehen.
Die aufgrund der danach als offen zu betrachtenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorzunehmende Interessenabwägung fällt hier zugunsten der Antragstellerin aus, die sich zumindest unter anderem darauf beruft, in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verletzt zu sein. Auch nicht anzeigte Versammlungen stehen unter dem Schutz des Art. 8 GG. Sie dürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BverfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 – Brokdorf II, BVerfGE 69, 315) auch nicht allein aufgrund einer fehlenden Anmeldung bzw. aufgrund des damit verbundenen Informationsrückstands der Behörden aufgelöst werden. Dies gilt auch für Versammlungen, die rechtzeitig hätten angemeldet werden können oder bei denen die Anmeldung gezielt unterlassen worden ist. Es kann zudem aus Sicht der Kammer auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragstellerin zur sich gegenwärtig verschärfenden epidemischen Lage, zur Klinikauslastung mit COVID-19-Patienten und zum Auftreten der Omikron-Virusvariante nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass sämtliche unangezeigte Versammlungen, die sich gegen staatliche „Coronamaßnahmen“ richten und in den umfassenden angelegten räumlichen und zeitlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung fallen, einen infektionsschutzrechtlich unvertretbaren Verlauf nehmen würden. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt daher ein Vorrang nachträglicher Beschränkungen bis hin zur nachträglichen Auflösung vor dem präventiven Versammlungsverbot. Ein vollständiges präventives Verbot aller Ausdrucksformen des Protests, das schematisch an die Nichteinhaltung der Anzeigepflicht des Art. 13 BayVersG anknüpft, mit der Folge, dass auch in die Versammlungsfreiheit auch von Nichtstörern eingegriffen wird, käme nach allgemeinen sicherheitsrechtlichen Grundsätzen nur unter den Voraussetzungen eines polizeilichen Notstandes in Betracht. Das Vorliegen einer solchen Situation wurde von der Antragsgegnerin jedoch nicht aufgezeigt.
Die nähere Begründung bleibt der weiteren Entscheidungsbegründung vorbehalten.


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