Medizinrecht

Versicherungspflicht einer Casting-Direktorin nach dem KSVG

Aktenzeichen  L 4 KR 66/18

Datum:
27.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 29825
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
KSVG § 1
KSVG § 2 S. 1
SGB IV § 8

 

Leitsatz

1. Bei der Frage, ob eine Casting-Direktorin in der Filmbranche unter die Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz fällt, kommt es nicht auf eine abstrakt-generelle Anerkennung dieses Berufs als künstlerischen Beruf im Sinne des KSVG an, sondern es ist auf die konkrete Tätigkeit abzustellen.
2. Nicht entscheidend ist, dass die Tätigkeit des Casting-Direktors nicht im Künstlerbericht von 1975 erwähnt ist.
3. Zur vorliegend gegebenen Versicherungspflicht einer Casting-Direktorin nach dem KSVG.

Verfahrensgang

S 15 KR 1563/15 2017-12-07 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 7. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 SGG) eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, in der Sache aber unbegründet.
Das Sozialgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Klägerin ab 12.05.2015 der Versicherungspflicht nach § 1 KSVG unterliegt. Nach dieser Regelung werden selbstständige Künstler und Publizisten in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie die künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben (§ 1 Nr. 1 KSVG) und im Zusammenhang mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung erfolgt zur Berufsausbildung oder ist geringfügig im Sinne des § 8 SGB IV (§ 1 Nr. 2 KSVG).
Die Klägerin übt den Beruf der Casting-Direktorin zur Sicherung ihres Lebensunterhalts und damit erwerbsmäßig aus. Sie ist in diesem Beruf seit 1996 – mithin nicht nur vorübergehend – tätig.
Der Senat ist auch der Überzeugung, dass die Klägerin aufgrund ihrer Tätigkeit als Casting-Direktorin als Künstlerin im Sinne von § 2 KSVG anzusehen ist.
Nach § 2 Satz 1 KSVG ist Künstler im Sinne dieses Gesetzes, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Damit bezeichnet das Gesetz drei Sparten der Kunst, die üblicherweise unterschieden werden (Musik, darstellende und bildende Kunst), jeweils umschrieben in den Varianten des Schaffens, Ausübens und Lehrens. Eine weitergehende Festlegung, was im Einzelnen darunter zu verstehen ist, ist im Hinblick auf die Vielfalt, Komplexität und Dynamik der Erscheinungsformen künstlerischer Betätigungsfelder nicht erfolgt. Auf eine materielle Definition des Kunstbegriffs wurde bewusst verzichtet (vgl. BT-Drucks 8/3172 zu § 2, S. 21). Der Begriff der Kunst ist deshalb aus dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen. Er soll trotz seiner Unschärfe jedenfalls solche künstlerischen Tätigkeiten umfassen, mit denen sich der „Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe (Künstlerbericht)“ aus dem Jahr 1975 beschäftigt (ständige Rechtsprechung, vgl. BSGE 83, 160 f.).
Die Tätigkeit des Casting-Direktors findet im Künstlerbericht von 1975 zwar keine Erwähnung. Doch selbst wenn es diese Tätigkeit in ähnlicher Form bereits damals gegeben haben sollte – was durchaus zweifelhaft erscheint -, so hat sich nach Überzeugung des Senats doch die allgemeine Verkehrsauffassung dahingehend gewandelt, dass die Besetzung von Filmrollen heute auch als künstlerische Tätigkeit wahrgenommen wird. Dies verdeutlicht nicht zuletzt der Umstand, dass seit einigen Jahren künstlerische Preise für die Tätigkeit des Castings verliehen werden (z.B. Grimme Preis). Auch der Umstand, dass der für die Rollenbesetzung Verantwortliche („Casting“) zusammen mit den anderen künstlerisch Mitwirkenden im Vorspann eines Kino- oder Fernsehfilms genannt wird (und nicht im Abspann, in dessen Rahmen die technisch und organisatorisch Mitwirkenden genannt werden), weist auf eine solche Entwicklung hin.
Im vorliegenden Fall stellt sich dem Senat nach Würdigung der vorgelegten Unterlagen – insbesondere der Stellungnahmen verschiedener Regisseure – die Sachlage so dar, dass die Klägerin maßgeblichen Einfluss auf die Rollenbesetzung der jeweiligen Filme hat, für die sie eingesetzt wird. Dabei erschöpft sich ihre Arbeit nicht in Vorschlägen zur Besetzung von Filmrollen. Die Klägerin stellt vielmehr in engem Austausch mit dem Regisseur und im Rahmen eines schöpferischen Prozesses, in den ihre Ideen, Assoziationen und Einschätzungen zur jeweiligen Rollenbesetzung maßgeblich miteinfließen, ein Darstellerensemble für das jeweilige Filmprojekt zusammen. Dabei hat sie einen großen eigenen gestalterischen Spielraum. Dass ihre Stimme in diesem Prozess erhebliches Gewicht hat, zeigt sich auch daran, dass sie immer wieder auch unbekannte Darsteller gegen anfängliche Bedenken eines Regisseurs durchzusetzen vermag. So beschreibt der Regisseur M. R., wie die Klägerin schon bei ihrer ersten Zusammenarbeit auf einem Besetzungsvorschlag mit einer völlig unbekannten Schauspielerin, die „recht nervös“ gewesen sei und von ihm nicht lange angesehen worden wäre, beharrt habe. Mittlerweile gehöre diese Schauspielerin zu den festen Größen im Kino und Fernsehen.
Durch die von ihr mitgestaltete Komposition des Darstellerensembles nimmt die Klägerin in entscheidender Weise Einfluss auf die personelle Bildgebung der Geschichte des jeweiligen Films. Dabei kommt ihre freie schöpferische Gestaltungskraft – wie es das Finanzgericht A-Stadt im Urteil vom 23.09.2011, 1 K …, treffend formuliert hat – dadurch zum Ausdruck, dass sie bei der Auswahl der Schauspieler sich ihrer eigenen Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse bedient und die bislang nur abstrakt existierenden Charaktere eines Drehbuchs „durch das Medium der realen Bildgebung“ zur unmittelbaren Anschauung bringt. Es handelt sich damit um eine Tätigkeit, die unmittelbar gestaltend auf das Filmwerk durchschlägt und daher als künstlerisch zu qualifizieren ist.
Die künstlerische Qualität ihrer Arbeit kommt nicht zuletzt auch dadurch zum Ausdruck, dass ihr bereits mehrere Auszeichnungen, darunter den D. im Zusammenhang mit der Filmproduktion „X.“, für ihre Arbeit erhalten hat.
Die von der Beklagten dagegen erhobenen Einwände tragen somit im Falle der Klägerin nicht.
Mit ihrem Hinweis auf den Wikipedia-Eintrag zum Casting sowie auf die Berufsinformationen der Bundesagentur für Arbeit zu den Aufgaben und Tätigkeiten eines Casting-Direktors verkennt die Beklagte, dass es vorliegend nicht um die abstrakt-generelle Anerkennung des Berufs eines Casting-Direktors als künstlerischen Beruf im Sinne des KSVG geht, sondern um die konkrete Tätigkeit der Klägerin. Damit kommt es allein auf die individuelle Ausgestaltung der Casting-Arbeit in ihrem speziellen Fall an.
Soweit die Beklagte wiederholt betont hat, dass das Letztentscheidungsrecht hinsichtlich der Rollenbesetzung beim jeweiligen Regisseur liege, ist dies zwar richtig. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Klägerin an der endgültigen Rollenbesetzung wesentlich mitwirkt und auf diese Weise einen künstlerischen Beitrag zu den von ihr mitbetreuten Filmprojekten liefert. Dies bringen die zahlreichen Stellungnahmen der z. T. namhaften Regisseure, mit denen sie zusammengearbeitet hat, mehr als deutlich zum Ausdruck. Die Klägerin wird in den erwähnten Stellungnahmen durchgehend als künstlerisch Mitwirkende angesehen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben