Aktenzeichen M 2 K 15.31150
Leitsatz
Eine arbeitsunfähige Asylsuchende, die an einer akuten polymorphen psychotischen Störung mit Symptomen einer Schizophrenie und Verdacht auf Paranoide Schizophrenie (F20.0V) leidet, kann in Albanien die erforderliche medizinische Behandlung nicht erlangen, um eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder einen Suizid abzuwenden. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Das Verfahren wird hinsichtlich des Klägers zu1) in vollem Umfang und hinsichtlich der Klägerin zu 2) insoweit eingestellt, als die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, zur Anerkennung als Asylberechtigte, zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes sowie zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 6 AufentG beantragt worden war.
II.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 12. August 2015 wird insoweit aufgehoben, als hinsichtlich der Klägerin zu 2) in Ziff. 4 ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 verneint wurde und in Ziff. 5 die Abschiebung nach Albanien angedroht wird. Die Beklagte wird zu der Feststellung verpflichtet, dass bei der Klägerin zu 2) ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Albaniens vorliegt.
III.
Von den Kosten des Verfahrens tragen die Kläger fünf Sechstel und die Beklagte ein Sechstel.
IV.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Über die Klage konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, nachdem die Beklagte generell und die Klägerseite mit Schriftsatz vom 22. August 2016 auf mündliche Verhandlung verzichtet haben.
Soweit die Klage mit Schriftsatz vom 22. August 2016 zurückgenommen wurde, war das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Im Übrigen, also soweit noch die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beantragt wurde, ist die Klage zulässig und begründet.
Die Klägerin zu 2) hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) gegen die Beklagte einen Anspruch auf Feststellung, dass bei ihr die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Albaniens vorliegen.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 1 bis 4 AufenthG erfasst dabei nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (st. Rspr., BVerwG, U. v. 25.11.1997 – Az. 9 C 58.96 – juris; BVerwG, U. v. 29.10.2002 – 1 C 1/02 – juris; BayVGH, U. v. 8.3.2012 – 13a B 10.30172 – juris). Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich dabei auch aus der Krankheit eines Ausländers ergeben, wenn diese sich im Heimatstaat verschlimmert, etwa weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann, etwa weil er nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügt (BVerwG, U. v. 29.10.2002, a. a. O.; BayVGH, U. v. 8.3.2012, a. a. O.). Dabei setzt die Annahme einer erheblichen konkreten Gefahr voraus, dass sich der Gesundheitszustand des betroffenen Ausländers alsbald nach der Ankunft im Zielland der Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (BVerwG, U. v. 25.11.1997, a. a. O.). Bei einen krankheitsbedingtem Abschiebungshindernis sind im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) die mit Wirkung vom 17. März 2016 in § 60 Abs. 7 AufenthG eingefügten Sätze 2 bis 4 zu beachten. Danach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, wobei es nicht erforderlich ist, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, und eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vorliegt, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Im Fall der Klägerin sind die Voraussetzungen für ein solches krankheitsbedingtes zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben. Sie leidet zur Überzeugung des Gerichts, die vor allem auf den von den Fachärzten für Psychiatrie des …-Klinikums … beruht, in dem die Klägerin zweimal stationär behandelt wurde, an einer schweren Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis, die dringend behandlungsbedürftig ist. Der Eindruck, den das Verhalten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2016 gemacht hat, entspricht voll der einhelligen Diagnose der Fachärzte. Zwar können psychische Erkrankungen im Prinzip auch in Albanien behandelt werden, aber sowohl die Behandlungsmöglichkeiten als auch der Zugang zu den relativ wenigen Einrichtungen ist stark eingeschränkt und, zumal für mittellose Personen, kaum erreichbar (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Albanien: Posttraumatische Belastungsstörung; Blutrache, 3.2.2013, S. 5 f.). Allgemein ist den Erkenntnismitteln zu entnehmen, dass Patienten in der Praxis erhebliche Zuzahlungen leisten müssen, da Ärzte und Pflegepersonal nur geringe Gehälter erhalten; das Gesundheitswesen ist hochgradig korruptionsbelastet, Bestechungsgelder werden verlangt und gezahlt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Albanien, Aktuelle Lage, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechtslage, Oktober 2015, S. 13; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Albanien, Std. Mai 2015, S. 13). Es ist mithin davon auszugehen, dass auch die Klägerin, wenn sie in Albanien überhaupt einen Behandlungsplatz finden könnte, Zuzahlungen leisten müsste. Im Einzelfall der Klägerin hat das Gericht keine Zweifel, dass sie die erforderliche Behandlung ihrer schweren psychischen Erkrankung in Albanien nicht erlangen kann, zumal bei ihr eine in Albanien grundsätzlich mögliche medikamentöse Behandlung nicht ausreichen würde, um eine erhebliche Verschlechterung oder einen Suizid abzuwenden. Sie ist arbeitsunfähig und kann auch von ihrem zwar gesunden und arbeitsfähigen, aber arbeitslosen und von Gläubigern seines Vaters bedrängten Ehemann keine Finanzierung der dringend erforderlichen Therapie erwarten. Von ihrer eigenen Familie kann sie erst recht keine Unterstützung erhoffen, vielmehr ist deren Verhalten nach den glaubhaften Angaben der Klägerseite zumindest mitursächlich für die schlechte Verfassung der Klägerin.
Nach alldem war die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Albaniens vorliegen und der Bescheid vom 12. August 2015 in den Nrn. 4 und 5 aufzuheben ist, soweit er dem entgegensteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.