Miet- und Wohnungseigentumsrecht

8 O 1045/18

Aktenzeichen  8 O 1045/18

Datum:
1.11.2021
Gerichtsart:
LG Erfurt 8. Zivilkammer
Dokumenttyp:
Beschluss
Spruchkörper:
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Verfahrensgang

nachgehend LG Erfurt 8. Zivilkammer, 1. Februar 2022, 8 O 1045/18, Beschluss

Tenor

Das Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 19.05.2021 wird als unbegründet         zurückgewiesen.

Gründe

Der vorliegende Rechtsstreit ist Teil einer Vielzahl gleichgelagerter Verfahren, die bundesweit bei Gerichten anhängig und unter dem Schlagwort „Abgasskandal“ einer breiten Öffentlichkeit bekannt sind. Von den beim Landgericht Erfurt eingegangenen Klagen sind mehrere dieser Verfahren bei dem Richter am Landgericht … als originärer Einzelrichter (im folgenden: „der abgelehnte Richter“) anhängig bzw. anhängig gewesen.
Der vorliegende Rechtsstreit war zudem bereits Gegenstand eines Ablehnungsgesuchs der Beklagten vom 02.04.2019, das die Kammer mit Beschluss vom 01.07.2019 zurückgewiesen hat. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten hat das Thüringer Oberlandesgericht als Beschwerdegericht mit Beschluss vom 24.09.2019 zurückgewiesen. Dem ging die Ankündigung des abgelehnten Richters voraus, den vorliegenden Rechtsstreit nach § 148 ZPO auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg (EuGH) mehrere entscheidungserhebliche Fragen zur Auslegung des Unionrechts vorzulegen.
Mit Schriftsatz vom 19.09.2019, mithin noch im laufenden Beschwerdeverfahren, und dann nochmals mit Schriftsatz vom 19.12.2019 hat die Beklagte in Ansehung eines beim EuGH bereits anhängigen Vorabentscheidungsersuchens angeregt, den vorliegenden Rechtsstreit entsprechend § 148 Abs. 1 ZPO auszusetzen ohne eine eigene Vorlagefrage an den EuGH zu adressieren. Mit Beschluss vom 21.01.2020 hat der abgelehnte Richter den Antrag zurückgewiesen.
Am 15.06.2020 hat der abgelehnte Richter die Vorlage des Rechtsstreits an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung beschlossen.
Mit Überweisung vom 16.02.2021 hat die Beklagte die Klageforderung nebst Zinsen an die Klägerin gezahlt.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 17.02.2021 hat die Beklagte angekündigt, sich einer Erledigungserklärung der Klägerin anschließen und die Kosten des Rechtsstreits dem Grunde nach anerkennen zu wollen. Die Stellungnahme der Klägerin vom 04.03.2021 hat der abgelehnte Richter der Beklagten mit der Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Monaten ab Zugang weitergeleitet.
Die Klägerin hat den Rechtsstreit weder in dem Schriftsatz vom 04.03.2021 noch in der Folgezeit für erledigt erklärt.
Mit Beschluss vom 20.04.2021 hat der abgelehnte Richter entschieden, dass das Ausgangsverfahren ausgesetzt bleibt und der Europäische Gerichtshof weiterhin um eine Antwort auf die beiden Fragen aus dem Vorlagebeschluss vom 15.06.2020 ersucht wird.
Hierauf hat die Beklagte den abgelehnten Richter erneut wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und zur Begründung vorgetragen:
Der Einzelrichter habe sie in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör erheblich verletzt, indem er am 20.04.2021 einen Beschluss über die Fortsetzung der Aussetzungsentscheidung erließ, obwohl er der Beklagten eine Frist zur Stellungnahme gesetzt hatte, die am 20.04.2021 – unstreitig – noch nicht abgelaufen war. Auch wolle der abgelehnte Richter ein zivilrechtliches Verfahren fortsetzen, obwohl dieses bereits objektiv erledigt sei. Er vertrete zu Lasten der Beklagten eine Mindermeinung, mit der er sich in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setze. Er habe der Beklagten ihren gesetzlichen Richter entzogen, indem er den Rechtsstreit vor der Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Aussetzungsentscheidung nicht gemäß § 348 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO der Kammer zur Übernahme vorgelegt habe. Der abgelehnte Richter verzögere das Verfahren erheblich und missbrauche den vorliegenden Rechtsstreit zugleich – unter Umgehung der Parteiinteressen – allein zur Durchsetzung seiner persönlichen Interessen an der abstrakten Klärung bestimmter Rechtsfragen.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 06.09.2021 beantragt, das Ablehnungsgesuch zurückzuweisen, hilfsweise, das Verfahren über das Ablehnungsgesuch auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Artikel 267 AEUV zur Vorabentscheidung die Frage vorzulegen, ob eine Auslegung von § 348 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 ZPO, wonach es einem Einzelrichter untersagt ist, dem Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen, mit Artikel 267 AEUV zu vereinbaren ist.
Die dienstliche Stellungnahme des abgelehnten Richters vom 11.08.2021 wurde den Parteien zugeleitet.
II.
Das Ablehnungsgesuch ist gemäß § 44 ZPO form- und fristgerecht angebracht, aber unbegründet.
Die von der Beklagten aufgezeigten Umstände sind weder für sich genommen noch bei einer Gesamtbetrachtung geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu wecken. Nach § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Nach einhelliger Auffassung braucht der Richter objektiv nicht befangen zu sein. Es genügen Gründe, die vom Standpunkt einer vernünftigen Partei aus einen solchen Schluss nahelegen. Bei verständiger Würdigung muss Grund zu der Annahme bestehen, dass der abgelehnte Richter der Partei gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könnte. Geeignet sind daher nur objektive Gründe, die bei ruhiger und vernünftiger Betrachtung aus Sicht einer Prozesspartei die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber.
Verfahrensfehler, wie sie vorliegend – erneut – geltend gemacht worden sind, können ebenso wie sonstige Rechtsfehler grundsätzlich nicht zur Ablehnung eines Richters führen (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 02.09.2016, Az. 10 C 16.1214, Rz. 16 – zitiert nach juris). Denn die Richterablehnung dient nicht der Fehlerkontrolle und ist deshalb kein Rechtsbehelf gegen unrichtige oder für unrichtig gehaltene Rechtsauffassung eines Richters. Um solche Rechtsauffassungen überprüfen zu lassen, müssen sich die Betroffenen vielmehr der dafür vorgesehenen Rechtsbehelfe bedienen (BFH, Beschluss vom 16.04.1993, Az. 1 B 155/92, Rz. 16 – zitiert nach juris; BGH, Beschluss vom 14.05.2002, Az. XI ZR 388/01, Rz. 7 – zitiert nach juris).
Die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen Rechts- und Verfahrensfehler daher lediglich ausnahmsweise dann, wenn Gründe dargelegt werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber den betroffenen Beteiligten oder auf Willkür beruhen (BFH, Beschluss vom 16.04.1993, a.a.O.). Die Fehlerhaftigkeit muss dabei ohne Weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen. Dies kommt etwa in Betracht, wenn der betreffende Richter die seiner richterlichen Tätigkeit gesetzten Grenzen missachtet oder wenn in einer Weise gegen Verfahrensregeln verstoßen wurde, dass sich bei den Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen konnte. Eine Besorgnis der Befangenheit besteht insbesondere, wenn sich die Gestaltung des Verfahrens oder die Entscheidungen des Richters so weit von den anerkannten rechtlichen und verfassungsrechtlichen Grundsätzen entfernen, dass sie aus der Sicht der Beteiligten bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen und dadurch den Eindruck einer willkürlichen oder doch sachfremden Einstellung des Richters erwecken.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Die Tatsache, dass der abgelehnte Richter mit Beschluss vom 20.04.2021 entschieden hat, obwohl die der Beklagten gesetzten Frist zur Stellungnahme noch nicht abgelaufen war, gibt keinen Anlass an seiner Unparteilichkeit zu zweifeln. Denn nach dem oben Gesagten sind Verfahrensfehler, die jedem Richter unbeabsichtigt passieren können, unberücksichtigt zu lassen (OLG München, Beschluss vom 27.09.2016, Az.19 W 1618/16. Rz. 16 – zitiert nach juris). Der abgelehnte Richter hat in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 11.08.2021 – nachvollziehbar und unwidersprochen – dargelegt, dass die Verkürzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten auf einem Versehen beruhte.
Soweit die Beklagte ihr Ablehnungsgesuch darauf stützt, dass der abgelehnte Richter an dem Vorlageverfahren festhalte, obwohl sie die Klageforderung zwischenzeitlich erfüllt habe und damit der Rechtsstreit objektiv erledigt sei, vermag dies eine Besorgnis der Befangenheit ebenfalls nicht zu begründen. Denn ob Erfüllung eingetreten und der Rechtsstreit objektiv erledigt ist sowie die Entscheidungserheblichkeit der Vorlage sind Rechtsfragen, die – wie sich auch aus dem Beschluss des abgelehnten Richters vom 20.04.2021 sowie der Stellungnahme des Klägervertreters zum Ablehnungsgesuch vom 06.09.2021 ergibt – unterschiedlich beantwortet werden können.
Letzteres gilt auch, soweit die Beklagte ihr Ablehnungsgesuch damit begründet, dass der abgelehnte Richter eine Mindermeinung vertrete und er den Rechtsstreit wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 348 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 ZPO der Kammer zur Übernahme hätte vorlegen müssen.


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