Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Berufungseinlegung: Inhaltlichen Anforderungen an eine Berufungsbegründung

Aktenzeichen  VIII ZB 50/20

Datum:
11.5.2021
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:110521BVIIIZB50.20.0
Normen:
§ 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO
§ 520 Abs 3 S 2 Nr 3 ZPO
§ 520 Abs 3 S 2 Nr 4 ZPO
§ 531 Abs 2 ZPO
Spruchkörper:
8. Zivilsenat

Leitsatz

1. Um den inhaltlichen Anforderungen an eine Berufungsbegründung gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO zu genügen, muss der Berufungsführer in einer aus sich heraus verständlichen Weise angeben, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils er bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 21. Juli 2020 – VI ZB 68/19, WM 2020, 1847 Rn. 10; vom 13. Juni 2017 – VIII ZB 7/16, juris Rn. 12; vom 9. April 2013 – VIII ZB 64/12, WuM 2013, 367 Rn. 8 und vom 23. Oktober 2012 – XI ZB 25/11, NJW 2013, 174 Rn. 10).
2. Will der Berufungsführer die Berufung auf neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO stützen, muss die Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO die Tatsachen bezeichnen, aufgrund derer die neuen Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sind.

Verfahrensgang

vorgehend LG Weiden, 3. Juni 2020, Az: 22 S 5/20vorgehend AG Weiden, 20. Januar 2020, Az: 1 C 784/19

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Weiden in der Oberpfalz – 2. Zivilkammer – vom 3. Juni 2020 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.400 €.

Gründe

1
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Räumung einer Wohnung und Zahlung rückständiger Miete in Anspruch.
2
Am 17. Juni 2015 unterzeichneten die Beklagte und deren zwischenzeitlich verstorbener Bruder, der als Alleinerbe Eigentümer eines Anwesens ihres gemeinsamen zuvor verstorbenen Vaters in W.     geworden war, ein als “Mietvertrag” bezeichnetes Schriftstück über die im Erdgeschoss jenes Anwesens gelegene Wohnung, wonach die Beklagte eine Nettomiete von 300 € monatlich schuldete. Nachdem die Beklagte ab Juni 2019 keine Zahlungen mehr erbracht hatte, ließ die Klägerin, die mit dem zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen Bruder der Beklagten verheiratet gewesen war, das Mietverhältnis mit Schreiben vom 31. Juli 2019 fristlos, hilfsweise ordentlich kündigen. In zweiter Instanz ist streitig geworden, ob die Klägerin Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemanns ist.
3
Das Amtsgericht hat der auf Räumung der Wohnung sowie Zahlung rückständiger Miete nebst Zinsen gerichteten Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Landgericht durch Beschluss als unzulässig verworfen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
4
Die Berufung der Beklagten sei nicht in der gesetzlichen Form begründet, da die – fristgerecht eingereichte – Berufungsbegründung weder Angriffe gegen die Rechtsanwendung enthalte (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO), noch konkrete Anhaltspunkte aufzeige, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründeten und deshalb eine erneute Feststellung geböten (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO).
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Schließlich bezeichne die Berufungsbegründung auch keine neuen Angriffs- oder Verteidigungsmittel (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO). Soweit sie erstmals das Vorbringen enthalte, die Beklagte und ihr Bruder seien nach dem Tod des Vaters als Miterben eingesetzt worden, beziehungsweise sie die Alleinerbenstellung der Klägerin nach dem Tod ihres Ehemanns infrage stelle, fehle es nicht nur an Ausführungen dazu, weshalb das erstinstanzliche Urteil durch das neue Vorbringen unrichtig geworden sei, sondern zudem an der Darlegung von Tatsachen, aufgrund derer dieses neue Vorbringen nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sei.
6
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beklagte mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und genügt den gesetzlichen Frist- und Formerfordernissen. Sie ist aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2010 – I ZB 97/08, juris Rn. 5; vom 14. April 2020 – VIII ZB 27/19, juris Rn. 1; jeweils mwN), nicht erfüllt sind. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch der Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. April 2006 – 1 BvR 2140/05, juris Rn. 17; NJW 2012, 2869 Rn. 8; NZA 2016, 122 Rn. 10; Senatsbeschlüsse vom 12. Juli 2016 – VIII ZB 55/15, WuM 2016, 632 Rn. 1; vom 9. März 2021 – VIII ZB 1/21, juris Rn. 17; jeweils mwN).
8
Denn die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Berufungsbegründung der Beklagten inhaltlich nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO genüge, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
9
1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen in dem angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 21. Juli 2020 – VI ZB 68/19, WM 2020, 1847 Rn. 10; vom 13. Juni 2017 – VIII ZB 7/16, juris Rn. 12; vom 9. April 2013 – VIII ZB 64/12, WuM 2013, 367 Rn. 8; vom 23. Oktober 2012 – XI ZB 25/11, NJW 2013, 174 Rn. 10).
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Will der Berufungsführer die Berufung auf neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO stützen, muss die Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO die Tatsachen bezeichnen, aufgrund derer die neuen Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sind.
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2. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Berufungsbegründung der Beklagten diesen Anforderungen nicht gerecht wird.
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a) Die Beklagte hat in der Berufungsbegründung zunächst ihre bereits erstinstanzlich aufgestellten Behauptungen wiederholt, wonach zwischen ihr und ihrem Bruder zu keinem Zeitpunkt ein Mietverhältnis, sondern eine – dem Ansinnen der Eltern entsprechende – Einigung dahingehend zustande gekommen sei, dass sie bis an ihr Lebensende in dem Anwesen wohnen dürfe, und sie sich lediglich bereit erklärt habe, dem Bruder für eine bestimmte Zeit monatlich 300 € zur Verfügung zu stellen, um ihm die Tilgung der – im Zusammenhang mit seinerseits getätigten Grundstücksinvestitionen entstandenen – Schulden zu erleichtern. Daneben hat sie – im Rechtsbeschwerdeverfahren wieder fallen gelassene – Zweifel daran geäußert, dass ihr Bruder nach dem Tod des Vaters das Anwesen allein – und nicht gemeinsam mit ihr – geerbt habe. Insoweit bitte sie um die Einholung eines Grundbuchauszugs sowie die Beiziehung der Nachlassakten. Schließlich hat sie – ohne darzulegen, welche (rechtliche) Bedeutung sie diesem Umstand beimisst – infrage gestellt, dass ihr Bruder ein Testament hinterlassen habe.
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b) Diese Ausführungen genügen den in § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO normierten Anforderungen an eine Berufungsbegründung nicht, da sie einen Zusammenhang mit den tragenden Erwägungen des Erstgerichts gänzlich vermissen lassen.
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aa) Das Amtsgericht ist von einem wirksamen Mietvertrag mit der Beklagten ausgegangen, in den die Klägerin mit dem Tod ihres Ehemanns als Alleinerbin auf Vermieterseite eingetreten sei und den sie sodann wegen Zahlungsverzugs wirksam gekündigt habe. Die Einwendungen der Beklagten dagegen hat es mangels Beweises für nicht durchgreifend erachtet. Für ihre Behauptung, der schriftliche Mietvertrag sei nur “pro forma” abgeschlossen worden, habe die insoweit beweispflichtige Beklagte keinen Beweis angeboten. Für eine Vernehmung der Beklagten als Partei, welche diese zum Beweis ihrer weiteren Behauptung angeboten habe, sie habe sich mit dem Bruder auf ein lebenslanges Wohnrecht verständigt, lägen die Voraussetzungen nicht vor. Denn für eine Parteivernehmung nach § 447 ZPO fehlte es am erforderlichen Einverständnis der Klägerin und eine Parteivernehmung von Amts wegen (§ 448 ZPO) setze eine gewisse Wahrscheinlichkeit voraus, dass die betreffende Behauptung zutreffe; daran fehle es hier schon deshalb, weil ein dauerhaftes Wohnrecht üblicherweise – wie hier nicht – notariell beurkundet und in das Grundbuch eingetragen würde.
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bb) Auf diese Erwägungen geht die Berufungsbegründung der Beklagten nicht ansatzweise ein.
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Insbesondere hat die Berufung entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde die Würdigung des Amtsgerichts in Bezug auf die Voraussetzungen für eine Parteivernehmung von Amts wegen nicht – und zwar auch nicht “der Sache nach” – angegriffen, indem sie den erstinstanzlichen Sachvortrag der Beklagten wiederholt hat, selbst wenn sie damit – wie die Rechtsbeschwerde meint – zum Ausdruck gebracht haben mag, dass sie entgegen dem Erstgericht (weiterhin) der Auffassung sei, aufgrund eines vereinbarten Wohnrechts zur Verweigerung der Räumung und Herausgabe der Wohnung berechtigt zu sein.
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Denn auch bei wohlwollender Auslegung lässt sich diesem Vorbringen nicht einmal im Ansatz der – von der Rechtsbeschwerde unterstellte – Einwand entnehmen, das Erstgericht habe zu Unrecht die Voraussetzungen für eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO verneint. Vielmehr fehlt es an jeglicher – für einen tauglichen Berufungsangriff im Sinne von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO erforderlichen – Angabe, welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe die Berufung der Feststellung des Erstgerichts entgegensetzt, dass die Vereinbarung eines Wohnrechts nicht erwiesen und die entsprechende Behauptung damit als unwahr zu behandeln ist.
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cc) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war das Berufungsgericht im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Berufung auch nicht gemäß § 513 Abs. 1 ZPO dazu verpflichtet, ohne einen entsprechenden Berufungsangriff das Ersturteil anhand des gesamten Akteninhalts auf konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) zu überprüfen. Irrtümlich stellt die Rechtsbeschwerde insoweit auf den für die Prüfung der Begründetheit einer Berufung geltenden Maßstab ab, dessen Anwendung freilich ein – nach (zutreffender) Ansicht des Berufungsgerichts hier gerade nicht gegebenes – zulässiges Rechtsmittel zwingend voraussetzt. Das ergibt sich ohne weiteres auch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, auf die sich die Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang ausdrücklich beruft (BGH, Urteil vom 12. März 2004 – V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 278).
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c) Soweit die Berufung der Beklagten das Vorhandensein eines Testaments des Ehemanns der Klägerin bezweifelt, liegt – selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten annimmt, sie habe mit dieser Angabe die Alleinerbenstellung der Klägerin nach dem Tod ihres Ehemanns, mithin deren Aktivlegitimation infrage gestellt – ein den inhaltlichen Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO genügender Berufungsangriff ebenfalls nicht vor.
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Denn jedenfalls handelte es sich bei diesem Vorbringen um ein neues Verteidigungsmittel im Sinne von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4, § 531 Abs. 2 ZPO. Die Alleinerbenstellung der Klägerin nach dem Tod ihres Ehemanns war gemäß den tatbestandlichen Feststellungen des Erstgerichts nämlich unstreitig. Diese Feststellung war für das Berufungsgericht, da die Beklagte ihr nicht im Wege eines Tatbestandberichtigungsantrags entgegengetreten ist, nach §§ 314, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindend (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 29. Oktober 2020 – IX ZR 10/20, VersR 2021, 44 Rn. 21 mwN) mit der Folge, dass sich das etwaige erstmalige Bestreiten der Alleinerbenstellung der Klägerin durch die Beklagte in der Berufungsinstanz als neues Verteidigungsmittel im Sinne von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4, § 531 Abs. 2 ZPO darstellte (vgl. BGH, Urteil vom 17. Januar 2012 – XI ZR 457/10, WM 2012, 312 Rn. 18 ff.).
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Für einen tauglichen Berufungsangriff hätte es deshalb gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO einer Darlegung der Tatsachen bedurft, aufgrund derer das neue Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen wäre. Daran fehlt es hier, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat und die Rechtsbeschwerde auch nicht infrage stellt.
Dr. Milger     
      
Dr. Fetzer     
      
Dr. Bünger
      
Dr. Schmidt     
      
Wiegand     
      


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