Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Entziehung von Teileigentum wegen Nutzung als Bordell

Aktenzeichen  11 S 21/15 WEG

Datum:
12.4.2016
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
WEG WEG § 10 Abs. 2, S. 2, § 14 Nr. 1, § 15, Abs. 1, § 18 Abs. 4

 

Leitsatz

1 Auch nach Erlass des ProstG ist Prostitution bei einem signifikanten Anteil der Bevölkerung – nicht notwendig der Mehrheit – mit einem sozialen Unwerturteil behaftet. Die Zweckbestimmung „Gewerbe“ umfasst nicht ohne Weiteres das Führen eines bordellartigen Betriebs, auch wenn ein solcher gesetzlich erlaubt und öffentlich-rechtlich zulässig ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Durch die bordellähnliche Nutzung mindert sich regelmäßig der Miet- und Verkaufswert des Teileigentums der übrigen Miteigentümer, wodurch diese im Sinne des § 14 Nr. 1 WEG unzumutbar beeinträchtigt werden, ohne dass es auf tatsächliche Konflikte, Beeinträchtigungen oder Belästigungen zwischen Bewohnern, Prostituierten und Kunden ankommt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Vorrang einer Unterlassungsklage als mildere Maßnahme gegenüber einer Entziehung greift dann nicht, wenn die Gemeinschaft dadurch nicht auf Dauer befriedet werden kann. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

0104 C 1210/13 WEG 2015-03-16 Endurteil AGBAMBERG AG Bamberg

Tenor

1. Die Klägerinnen sind der Berufung gegen Ziffer 1 des Urteils des Amtsgerichts Bamberg vom 16.03.2015, Az.: 0104 C 1210/13 WEG, verlustig.
2. Die Berufung der Klägerinnen gegen Ziffer 2 des Urteils des Amtsgerichts Bamberg vom 16.03.2015, Az.: 0104 C 1210/13 WEG, wird zurückgewiesen.
3. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Berufungsverfahrens jeweils zur Hälfte.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das Urteil des Amtsgerichts Bamberg vom 16.03.2015, Az.: 0104 C 1210/13 WEG, ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 100.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft Lau. 19 b, 9. Ba. Sie streiten um die Entziehung von Wohnungs-/Teileigentum.
Die Klägerinnen sind Inhaber eines 208,533/1.000-Miteigentumsanteils, verbunden mit dem Sondereigentum an den gewerblich genutzten Räumen im Erdgeschoß, im Aufteilungsplan bezeichnet mit Nr. II. Die Teileigentumseinheit ist vermietet an Herrn Dieter Hohl, der dort einen bordellartigen Betrieb unterhält, in dem der Prostitution nachgegangen wird. Das Anwesen liegt in einem Gewerbegebiet. Die übrigen Einheiten wurden u. a. als Yogaschule, Sanitärgroßhandel, Ingenieurbüro und Versicherungsagentur genutzt. Abmahnungen der Eigentümergemeinschaft gegen den Bordellbetrieb blieben erfolglos. Die klägerische Einheit soll auch in Zukunft als Bordell genutzt werden.
In der Wohnungseigentümerversammlung vom 27.06.2013 wurde ein Beschluss zur Entziehung des klägerischen Wohnungseigentums gefasst (Bl. 14 d. A.).
Die Teilungserklärung (Anlage K 2, Bl. 16 ff. d. A.) lautet unter B) III. § 3 Nr. 11 auszugsweise wie folgt: „Die Teileigentumseinheiten dürfen nicht zur Ausübung eines störenden Gewerbebetriebs genutzt werden, welcher ein gedeihliches Arbeiten der Mitbenutzer beeinträchtigt. … Vorstehende Beschränkungen hat jeder Teileigentümer denjenigen Personen zur Auflage zu machen, denen er sein Teileigentum ganz oder teilweise zum Gebrauch überlässt.“
Die Beklagten haben in erster Instanz vorgebracht, dass durch den bordellartigen Betrieb die Vermietbarkeit ihres Teileigentums und damit der Wert ihres Immobilienbesitzes gemindert werde. Alle anderen Miteigentümer fühlten sich durch den bordellartigen Betrieb gestört.
Nachdem der Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung vom 27.06.2013 im Wege der Anfechtungsklage angegriffen worden ist, haben die beklagten übrigen Wohnungseigentümer Widerklage erhoben mit folgendem Antrag:
Die Kläger und Widerbeklagten werden verurteilt, ihr in der Wohnungseigentumsanlage Lau. 19 b in 9. Ba. Miteigentum, eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts B. für Bamberg, Band …, Blatt … (Teileigentumsgrundbuch), bestehend aus einem 208,533/1.000tel Miteigentumsanteil, verbunden mit dem Sondereigentum an den gewerblich genutzten Räumen im Erdgeschoß, im Aufteilungsplan mit II. bezeichnet, zu veräußern.
Die Kläger haben in erster Instanz beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Das Amtsgericht hat am 30.01.2014 einen Augenscheinstermin durchgeführt. Auf die Niederschrift (Bl. 158 ff. d. A.) wird verwiesen.
Das Amtsgericht hat sodann ohne weitere Beweisaufnahme die Anfechtungsklage abgewiesen (Ziffer 1 des angefochtenen Urteils) und der Widerklage stattgegeben (Ziffer 2 des angefochtenen Urteils).
Dabei hat das Amtsgericht den Bordellbetrieb als störendes Gewerbe angesehen: Ein Bordell sei nach der allgemeinen Lebenserfahrung und der Verkehrsanschauung auch heute noch mit einem negativen Image belegt. Deshalb sei es nachvollziehbar, dass Kunden ein Gebäude, in welchem ein Bordell betrieben wird, nur sehr zurückhaltend und vorsichtig aufsuchen würden, um nicht in den Ruf zu geraten, das Bordell frequentiert zu haben. Da die Kläger nicht gewillt seien, von der wirtschaftlich einträglichen Nutzung als Bordell abzusehen, seien weniger einschneidende Maßnahmen als die Entziehung des Teileigentums nicht geeignet, den Rechtsfrieden in der Eigentümergemeinschaft wiederherzustellen.
Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien sowie der Erwägungen des Amtsgerichts wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Am 15.02.2016 fand eine Eigentümerversammlung statt, in der die Beklagten mit einer Mehrheit von 719,40/1.000 Anteilen und vier von sechs Köpfen/Einheiten ermächtigt wurden, den Entziehungsanspruch der Wohnungseigentümergemeinschaft in gewillkürter Prozessstandschaft geltend zu machen. Auf die Versammlungsniederschrift (vorgelegt mit Beklagtenschriftsatz vom 17.02.2016) wird verwiesen.
Mit der Berufung verfolgen die Klägerinnen den Antrag auf Abweisung der Widerklage weiter. Die weitergehende Berufung gegen die Abweisung der Beschlussanfechtungsklage ist zurückgenommen worden.
Die Klägerinnen machen in der Rechtsmittelinstanz im Wesentlichen geltend, dass Prostitution spätestens nach dem Inkrafttreten des ProstG nicht (mehr) als sittenwidrig zu qualifizieren sei. Zudem habe das Amtsgericht § 18 Abs. 4 WEG nicht beachtet. Ein Verstoß gegen § 14 Nr. 1 WEG sei nicht gegeben, das diesbezügliche Vorbringen der Beklagten sei pauschal und unsubstantiiert. Der Bordellbetrieb sei nicht als störendes Gewerbe anzusehen. Das Amtsgericht habe hierzu auch keine eigenen Feststellungen getroffen und keine Beweiswürdigung vorgenommen. In einem Gewerbegebiet könne nach § 8 BauNVO grundsätzlich jedes Gewerbe betrieben werden. Schließlich habe das Amtsgericht den Charakter der Entziehungsklage als ultima ratio verkannt. Die Beklagten seien gehalten gewesen, gegen Beeinträchtigungen zunächst mit einem Unterlassungsbegehren vorzugehen. Darüber hinaus finde mittlerweile in den übrigen Teileigentumseinheiten eine umfangreiche – unzulässige – Wohnnutzung statt. Wegen der Einzelheiten des klägerischen Vorbringens im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründung vom 07.12.2015 (Bl. 367 ff. d. A.) sowie die Schriftsätze vom 02.03.2016 (Bl. 393 ff. d. A.) und vom 07.04.2016 (Bl. 408 ff. d. A.) verwiesen.
Die Klägerinnen beantragen im Berufungsverfahren zuletzt, unter Abänderung des Endurteils des Amtsgerichtes Bamberg vom 16.03.2015 die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil.
Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08.03.2016 Bezug genommen.
II.
Die gemäß § 511 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil ist richtig.
1. Die Beklagten sind seitens der Wohnungseigentümergemeinschaft zur Geltendmachung des Entziehungsanspruchs (§§ 18, 19 WEG) wirksam, insbesondere mit der erforderlichen Mehrheit, ermächtigt worden.
2. Die Klägerinnen verstoßen durch die Duldung des Bordellbetriebs gegen die Teilungserklärung und gegen § 14 Nr. 1 WEG.
a) Die Argumentation der Klägerinnen, bei dem streitgegenständlichen Bordell handele es sich nicht um ein störendes Gewerbe, sondern um einen „normalen“ Betrieb, ist im Ansatz unzutreffend. Auch nach Erlass des ProstG ist Prostitution bei einem signifikanten Anteil der Bevölkerung – nicht notwendig der Mehrheit – mit einem sozialen Unwerturteil behaftet. Die Zweckbestimmung „Gewerbe“ umfasst nicht ohne weiteres das Führen eines bordellartigen Betriebs, auch wenn ein solcher gesetzlich erlaubt und öffentlich-rechtlich zulässig ist (vgl. KG Berlin NZM 2002, 568; LG Hamburg, Beschluss vom 03.06.2008, Az.: 318 T 87/07, juris Rn. 23).
b) Durch die bordellähnliche Nutzung mindert sich nach der Lebenserfahrung regelmäßig der Miet- und Verkaufswert des Teileigentums der übrigen Miteigentümer, zumindest aber besteht die begründete Annahme, dass sich eine Wertminderung einstellen könnte. Allein dadurch werden die übrigen Mitglieder der Eigentümergemeinschaft unzumutbar beeinträchtigt, § 14 Nr. 1 WEG (vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 03.06.2008, Az.: 318 T 87/07, juris Rn. 24; OLG Hamburg, Beschluss vom 09.10.2008, Az.: 2 Wx 76/08, juris Rn. 19 ff.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30.01.2009, Az.: 3 W 182/08, juris Rn. 25 ff.). Dies gilt auch unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen Verhältnisse. Die Anlage befindet sich zwar in einem Gewerbegebiet, aber nicht in einem Vergnügungs- oder Rotlichtviertel. Auf tatsächliche Konflikte, Beeinträchtigungen oder Belästigungen zwischen Bewohnern, Prostituierten und Kunden kommt es nicht an. Diese Auffassung wird in der Rechtsprechung ganz überwiegend vertreten – die Entscheidung des AG Wiesbaden vom 27.05.2011, ZMR 2011, 843, ist ein „Ausreißer“ – und findet Zustimmung in den maßgeblichen Kommentierungen zum WEG (vgl. etwa Jennißen/Schultzky WEG, 4. Auflage 2015, § 15 Rn. 33 mit Nachweisen auch zu vereinzelten kritischen Stimmen in der Literatur; Niedenführ/ Kümmel/Vandenhouten WEG, 10. Auflage 2013, § 14 Rn. 20; Hügel/Elzer WEG, 2015, § 14 Rn. 26). Die Berufungskammer schließt sich dem an und geht insbesondere nicht davon aus, dass sich die Verkehrsauffassung allgemeiner Bevölkerungskreise (namentlich potentieller Käufer, Mieter und Kunden) seit dem Erlass des ProstG 2001 insoweit gewandelt hat; im Gegenteil ist in Politik und Gesellschaft eher ein „Rollback“ zu beobachten, wie sich aus der Diskussion um das „Prostituiertenschutzgesetz“ entnehmen lässt. Dementsprechend waren weder das Amtsgericht noch die Berufungskammer gehalten, Feststellungen zu konkreten Störungen zu treffen.
c) Hinzu kommt im konkreten Einzelfall, dass die Regelung unter B) III. § 3 Nr. 11 der Teilungserklärung eine zulässige weitergehende Beschränkung der Nutzung des klägerischen Teileigentums gemäß §§ 10 Abs. 2 Satz 2, 15 Abs. 1 WEG darstellt. Es sind nur nicht störende Gewerbebetriebe zulässig, wobei der Tatbestand der „Störung“ auf das „gedeihliche Arbeiten der Mitbenutzer“, also in erster Linie auf deren ökonomische Interessen ausgerichtet ist. Die Kammer schließt sich der Beurteilung des Amtsgerichts an, wonach durch den (sichtbaren) Betrieb eines Bordells das gedeihliche Arbeiten der Mitbenutzer gestört wird, indem deren Kunden das Gebäude nur sehr zurückhaltend und vorsichtig aufsuchen bzw. zu einem gewissen Anteil sogar ganz fernbleiben werden, weil sie nicht in den Ruf geraten wollen, das Bordell frequentiert zu haben. Einen Verstoß gegen § 18 Abs. 4 WEG bildet diese Auslegung und Anwendung der Teilungserklärung nicht.
3. Auf die Frage einer etwaigen nunmehrigen – unzulässigen – Wohnnutzung der übrigen Einheiten kommt es nicht an. Das Amtsgericht hat seine Entscheidung hierauf auch nicht gestützt. Die Pflichtverletzung muss nicht notwendigerweise bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung gegeben sein (vgl. Jennißen/Heinemann WEG, 4. Auflage 2015, § 18 Rn. 12). Abzustellen ist vielmehr auf den Zeitpunkt des Entziehungsbeschlusses vom 27.06.2013. Damals wurden die übrigen Einheiten nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Amtsgerichts u. a. als Yogaschule, Sanitärgroßhandel, Ingenieurbüro und Versicherungsagentur genutzt. Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse lassen im Übrigen die schwere Verletzung der klägerischen Pflichten aus der Teilungserklärung und aus § 14 Nr. 1 WEG nicht entfallen, zumal diese Änderungen theoretisch bereits ein Resultat der Pflichtverletzungen sein könnten, die die – wirtschaftlich lukrativere – gewerbliche Nutzung beeinträchtigen. Für die im Rahmen des § 18 WEG zu treffende Zukunftsprognose ist die Wohnnutzung ebenfalls irrelevant. Allein maßgeblich ist insoweit die mehrfach dokumentierte Absicht der Klägerinnen, ihre Teileigentumseinheit auch künftig zur Prostitutionsausübung nutzen zu lassen.
4. Der klägerische Einwand, das Amtsgericht habe den Charakter der Entziehungsklage als ultima ratio verkannt, geht ins Leere. Das Amtsgericht hat hierzu ausdrücklich ausgeführt, weniger einschneidende Maßnahmen seien auf Grund der klägerischen Weigerungshaltung, von der Nutzung als Bordell abzusehen, nicht geeignet, den Rechtsfrieden in der Eigentümergemeinschaft wiederherzustellen. Dem ist zuzustimmen. Der Betrieb eines Bordells stellt – soweit er nicht im Einzelfall, etwa durch die Teilungserklärung, gestattet ist – eine Pflichtverletzung im Sinne von § 18 Abs. 2 Nr. 1 WEG dar (vgl. Bärmann/Suilmann WEG, 13. Auflage 2015, § 18 Rn. 17; Hügel/Elzer WEG, 2015, § 18 Rn. 11). Zwar sind grundsätzlich vorrangig mögliche mildere Maßnahmen auszuschöpfen, hier z. B. eine Klage auf Unterlassung der störenden Nutzung. Dies gilt aber insbesondere dann nicht, wenn die Gemeinschaft dadurch nicht auf Dauer befriedet werden kann (vgl. Jennißen/Heinemann WEG, 4. Auflage 2015, § 18 Rn. 47). So liegt es hier.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1, 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 708 Nr. 10 ZPO.
IV.
Ein Revisionszulassungsgrund nach § 543 Abs. 2 ZPO ist nicht ersichtlich. Es handelt sich auf Grund der spezifischen Bestimmungen der Teilungserklärung um eine Einzelfallentscheidung, die in ihrer rechtlichen Würdigung auf der Linie der ganz überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur liegt.


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