Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Erbenhaftung bei festgestellter Dürftigkeit des Nachlasses; Voraussetzung eines Schadenersatzanspruchs wegen Pflichtverletzung der Nachlassinsolvenzantragstellung

Aktenzeichen  5 C 1798/19

Datum:
9.2.2022
Gerichtsart:
AG Erfurt
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:AGERFUR:2022:0209.5C1798.19.00
Normen:
§ 1980 BGB
§ 1990 BGB
§ 780 ZPO
Spruchkörper:
undefined

Tenor

Unter Aufhebung des Versäumnisurteils wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits – bis auf die dem Beklagten aufzuerlegenden Säumniskosten – zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin beansprucht vom Beklagten, Miterben nach dem am 11.04.2012 verstorbenen Herrn …C… (im Folgenden: Erblasser), Begleichung noch offener Darlehensschulden, hilfsweise Schadensersatz. Ausweislich des Erbscheins des Amtsgerichts F… vom 25.10.2013 ist der Beklagte Erbe zu 1/4 mit den nicht beigetretenen Streitverkündeten …D… (ebenfalls zu 1/4) und …E… (zu 1/2) geworden.
Mit Darlehensvertrag vom 14.08.2002, berichtigt und neu gefasst unter dem 21.04.2011, verpflichtete sich der Erblasser gesamtschuldnerisch mit seiner Ehefrau (Miterbin E…) zur Rückzahlung eines als Darlehen von der Klägerin ausgekehrten Betrages über insgesamt 36.000,00 €. Nachdem das Darlehen nicht mehr regelmäßig getilgt worden war, sprach die Klägerin gegenüber sämtlichen Erben unter dem 05.12.2017 die Kündigung wegen Zahlungsverzugs aus. Vertragsgemäß nahm die Klägerin eine Verwertung der gewährten Sicherheiten vor, nach deren Verrechnung sich noch der mit der Klage gegenüber dem Beklagten als Miterben eingeforderte Betrag ergibt.
Der Beklagte erhob bei dem Amtsgericht F… Klage gegen die Miterbinnen auf Erteilung der Auskunft über den Nachlassbestand. Das dortige Amtsgericht verurteilte die Miterbinnen Ende 2016 rechtskräftig durch Teilversäumnisurteil (Az.: 34 C 169/16). Da die titulierte Auskunftsverpflichtung auf die außergerichtlichen Aufforderungsschreiben des Beklagten nicht erfüllt wurde, beantragte der Beklagte mit Schriftsatz vom 09.09.2019 beim Amtsgericht die Einleitung der Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO zur Erzwingung der Auskunftserteilung. Für die beklagte Miterbin …D… meldete sich mit Schreiben vom 24.09.2019, dem Beklagten zugegangen am 17.10.2019, Rechtsanwalt F… aus F… und erteilte Auskunft über die Wertlosigkeit des Nachlassbestandes, wobei darauf hingewiesen wurde, dass ggf. beabsichtigt sei, ein Nachlassinsolvenzverfahren zu beantragen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das als Anlage B8 zur Akte gereichten Schreiben Bezug genommen.
In dem ebenfalls vor dem Amtsgericht F… unter dem Az. 5 K 42/18 geführten Zwangsversteigerungsverfahren betreffend das im Eigentum des Erblassers stehenden Grundstücks (Gemarkung S…, Flur _, FlStk. A, (T…) wurde am 05.06.2019 nach Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses der Teilungsplan vom 17.05.2019 bestätigt, wonach die Klägerin und alle weiteren dinglichen und persönlichen Gläubiger mit weiteren Forderungen ausfallen. Auf den Inhalt der als Anlage B2 und B3 beigefügten Schriftstücke wird ergänzend Bezug genommen.
Der Beklagte bevollmächtigte am 25.11.2019 Rechtsanwalt F…, bei dem Amtsgericht F… Antrag auf Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens zu beantragen und überwies auf Anforderung am 17.01.2020 den Kostenvorschuss. Die im August und Dezember 2020 gestellten bzw. wiederholten Anträge wies das Amtsgericht F… mit Beschluss vom 26.03.2021 (Az.: 92 IN 101/20) mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse ab.
Die Klägerin behauptet, ihr Forderungsschreiben vom 28.10.2016 sei dem Beklagten zeitnah zugegangen. Die Klägerin bestreitet die Dürftigkeit des Nachlasses. Der Beklagte habe bereits durch das vorbezeichnete Schreiben Kenntnis von der Überschuldung des Nachlasses gehabt. Die erst im Dezember 2020 beantragte Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens sei nicht unverzüglich erfolgt; infolgedessen sei der Beklagte jedenfalls verpflichtet, den von der Klägerin behaupteten Schaden zu ersetzen.
Das Gericht hat auf Antrag der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 22.07.2020 Versäumnisurteil erlassen, nachdem der Beklagte nicht erschienen ist.Gegen das am 03.08.2020 zugestellte Versäumnisurteil hat der Beklagte mit einem vorab per Fax bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 17.08.2020 Einspruch eingelegt.
Die Klägerin beantragt:
Das Versäumnisurteil bleibt aufrechterhalten.
Der Beklagte beantragt:
Die Klage wird unter Aufhebung des Versäumnisurteils abgewiesen.
Der Beklagte erhebt die sogenannte Verschweigens- und Dürftigkeitseinreden und behauptet in diesem Zusammenhang: Die Klägerin habe den Beklagten erstmals mit dem als Anlage K5 vorgelegten Schreiben vom 05.12.2017 über die noch offene Darlehensforderung informiert. Im Übrigen sei der Nachlass nach Verwertung des Grundbesitzes des Erblassers dürftig, insbesondere seien keine weiteren Nachlassgegenstände mehr vorhanden.
Wegen der weitergehenden Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat die Akten Amtsgericht F… mit den Az. 34 C 169/16 und 92 IN 101/20 informatorisch beigezogen. Die Parteien haben Gelegenheit zur Einsicht- und Stellungnahme erhalten.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, in der Sache aber ohne Erfolg.
Durch den form- und fristgerechten Einspruch ist der Rechtsstreit in die Lage zurückversetzt worden, in der er sich vor Erlass des Versäumnisurteils befand (§ 342 ZPO).
In der Sache war das Versäumnisurteil aufzuheben, da der Klägerin der geltend gemachte Anspruch nicht zusteht (§ 343 S. 2 ZPO).
Der Klägerin kann vom Beklagten weder Erfüllung der Nachlassverbindlichkeit (§ 1967 BGB) aus dem – hinsichtlich der Wirksamkeit nicht mehr bestrittenen – Darlehensvertrag gemäß § 488 Abs. 1 S. 2 BGB noch hilfsweise Schadensersatz gemäß § 1980 Abs. 1 S. 2 BGB wegen verspäteter Beantragung des Nachlassinsolvenzverfahrens beanspruchen.
Im Einzelnen: Soweit zunächst der nach Kündigung durch die Klägerin fällig gestellte Darlehensrückzahlungsanspruch betroffen ist, steht dem bereits die vom Beklagten gemäß § 780 ZPO in Verbindung mit § 1991 Abs. 1 BGB erhobenen Dürftigkeitseinrede entgegen. Dies folgt ohne weiteres aus dem Beschluss des Amtsgerichts F… vom 26.03.2021 (Az.: 92 IN 101/20), worin festgestellt wird, dass das Nachlassinsolvenzverfahren mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Masse abgewiesen werden musste. Dies erfüllt sowohl vom Wortlaut als auch vom Inhalt her den Tatbestand der Dürftigkeitseinrede nach § 1990 Abs. 1 BGB.Auf die Verschweigenseinrede i. S. des § 1974 BGB (und den damit in tatsächlicher Hinsicht streitigen Zugang des Schreibens vom 28.10.2016) brauchte das Gericht aus diesem Grund nicht mehr einzugehen.
Der Beklagte konnte sich dementsprechend infolge durchgreifender Dürftigkeitseinrede auf die Haftungsbeschränkung nach § 780 ZPO berufen, welche sämtliche Einredetatbestände des Erben erfasst (vgl. dazu beispielsweise Beck-OK, § 780 ZPO, Rn. 8). Das Gericht war im vorliegenden Fall nicht gehalten, im Urteilstenor lediglich die o. a. Einrede zur Feststellung der Unzulänglichkeit des Nachlasses im Zwangsvollstreckungsverfahren aufzunehmen, sondern konnte die Klage darüber hinausgehend in der Sache abweisen, da im Ergebnis nämlich die Dürftigkeit des Nachlasses feststand. Bei der Wahl ist dem Gericht ein Ermessen eingeräumt (vgl. hierzu nochmals Hinweis und Fundstellen im Beschluss vom 01.09.2021).
Dass der Nachlass dürftig i. S. des Voraufgeführten war, ergibt sich im Sinne des Beklagtenvorbringens hinreichend eindeutig aus dem gesamten Akteninhalt. Insbesondere folgt dies zwanglos aus folgenden bei den Akten befindlichen Anlagen und Unterlagen:
– Gemäß Teilungsplan in dem vor dem Amtsgericht F… geführten Zwangsversteigerungsverfahren (5 K 42/18) ist die Klägerin nach Versteigerung des Grundstücks mit einem erheblichen Forderungsanteil, sämtlichen übrigen Gläubiger insgesamt ausgefallen.
– Nach der auf Antrag (§ 888 ZPO) erteilten Auskunft von Rechtsanwalt F… (Schreiben vom 24.09.2019) war sonstiges nennenswertes Vermögen nicht vorhanden.
– Nach dem vom Amtsgericht F… eingeholten Insolvenzgutachten des Sachverständigen G… vom 12.03.2021 beliefen sich die Vermögensaktiva auf 0,00 €.
– Auf alledem beruht schließlich der bereits o. a. Beschluss Amtsgerichts F… vom 26.03.2021 über die Ablehnung der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens.
Auch ein Anspruch auf Zahlung des hilfsweise als Schadensersatz wegen einer schuldhafter Pflichtverletzung nach § 1980 Abs. 1 S. 2 BGB eingeforderten Betrages ist aufgrund des von der Klägerin vorgetragenen Sachverhaltes weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht darstellbar.
Die Klägerin ist für die insoweit anspruchsbegründenden Umstände darlegungs- und beweispflichtig (vgl. Staudinger (2020), § 1980 BGB, Rn. 18 m.w.N.). Dies gilt im Hinblick auf die Pflicht zur unverzüglichen Beantragung der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens insbesondere bezüglich des Umstandes, dass dem Beklagten jedenfalls fahrlässige Unkenntnis (§ 1980 Abs. 2 BGB) von der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Nachlasses vorzuwerfen wäre.
Anders als von der Klägerin vertreten, lässt sich dies zunächst weder aus ihrem Schreiben vom 28.10.2016 (Zugang insoweit unterstellt) noch aus demjenigen vom 05.12.2017 – auch nicht indiziell – schlussfolgern. Diese Schreiben enthalten lediglich den Hinweis auf die nach dem Darlehen zu Lasten des Erblassers bestehenden Salden.
In der Folge hat der Beklagte zur Kenntniserlangung über den Nachlassbestand Auskunftsklage beim Amtsgericht F… erhoben. Zur Auskunftsverschaffung bedurfte es der Einleitung eines Zwangsvollstreckungsantrags nach § 888 ZPO, nachdem die Miterbinnen den zwischenzeitlichen Aufforderungen des Beklagten nicht nachgekommen waren. Erstmalige Kenntnis über den Nachlassbestand erhielt der Beklagte durch das ihm am 17.10.2019 zugegangene Schreiben (Rechtsanwalt F… vom 24.09. 2019). Nach Rücksprache mit seinem hiesigen Prozessbevollmächtigten erteilte der Beklagte Rechtsanwalt F… die anempfohlene Vollmacht am 25.11.2019 zur Betreibung des Nachlassinsolvenzverfahrens und überwies den hierfür sodann fälligen Kostenvorschuss am 17.01.2020. Nachdem das Verfahren trotz mehrfacher Anfrage schleppend bzw. unzureichend von dem hierzu bevollmächtigten Rechtsanwalt F… geführt wurde, stellte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nach dem zuvor vom Amtsgericht F… zurückgewiesenen Antrag vom 17.08.2020 hierzu ergänzenden Antrag mit Schriftsatz vom 22.12.2020.
Danach ist nicht ersichtlich, dass der Beklagte zumindest fahrlässig seine Pflicht zur Antragstellung verletzt hätte. Insbesondere konnte vor dem 17.10.2019 mangels anderweitiger Anhaltspunkte keine zumindest fahrlässige Unkenntnis von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Nachlasses vorliegen. Der Beklagte hat nach den obigen Ausführungen das ihm Mögliche unternommen, um die gerichtliche Prüfung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens herbeizuführen.
Gegenteiliges hätte die Klägerin darlegen müssen. Sie beruft sich im Wesentlichen jedoch nur darauf, der Beklagte hätte bereits mit Zugang des Schreibens vom 28.10.2016 Anhaltspunkte für die nötige Antragstellung haben müssen. Dies war gerade nicht der Fall (s. o.) und ohne Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte und Indizien keinesfalls ausreichend.
Nur höchst vorsorglich: Darüber hinaus hat die Klägerin auch auf gerichtlichen Hinweis nicht darzulegen vermocht, dass ihr durch (unterstellt) schuldhaft verspätete Insolvenzantragstellung ein Schaden entstanden wäre.
Nach der sogen. Differenzhypothese (vgl. zur ständ. Rechtspr. beispielsweise OLG Brandenburg EWiR 2021, S. 37) hätte sich dementsprechend bei Vergleich des Nachlassvermögensbestandes zugunsten der Klägerin noch verwertbares bzw. auszukehrendes Vermögen jedenfalls in Höhe der Klageforderung ergeben müssen. Dabei wäre einerseits auf den 17.10.2019 (frühestmöglicher Zeitpunkt der Kenntnis / fahrlässigen Unkenntnis; s. o.) und andererseits auf denjenigen der Antragstellung im Dezember 2020 abzustellen. Nach dem Insolvenzgutachten G… waren am 12.03.2021 Aktiva im Bestand nicht festzustellen. Das Gutachten wurde zeitnah zur Antragstellung, nämlich im Februar 2021, vom Amtsgericht F… beauftragt, so dass der Anschein für Überschuldung des Nachlassvermögens spricht. Dem Vortrag der insoweit darlegungspflichtigen Klägerin ist jedoch keinerlei Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass der Nachlassbestand demgegenüber im Oktober 2019 (oder auch zu einem früheren Zeitpunkt) jedenfalls in Höhe der Klageforderung werthaltig gewesen wäre. Angesichts aller den Akten zu entnehmenden und bereits aufgeführten Unterlagen / Anlagen ist vielmehr sogar eher das Gegenteil überwiegend wahrscheinlich.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO und wegen der Säumniskosten aus § 344 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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